Uni-Präsident Oliver Günther rechnet in einem Gastbeitrag aus, was es kosten würde, die Aussicht junger Doktoranden auf eine Dauerstelle in der Wissenschaft zu verdoppeln. Im Podcast will Jan-Martin Wiarda es nochmal genau von ihm wissen.
Foto Oliver Günther: Ernst Kaczynski.
WAS WÜRDE ES eigentlich bedeuten, die Forderung nach mehr Dauerstellen in der Wissenschaft mit der Förderung des Gemeinwohls in Einklang zu bringen, fragt Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam, in einem Gastbeitrag hier im Blog. Und präsentiert neben einer Analyse von Status Quo ("Deutschland besonders extreme Unsicherheit zwischen Promotion und Professur ") und diskutierter Reformvorhaben ("die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes macht der Habilitation endgültig den Garaus") eine Modellrechnung, was mehr Dauerstellen die Hochschulen auf Dauer kosten würden.
Aber wie kommt Günther überhaupt zu seinen Einschätzungen und seinen Schlussfolgerungen? In einer neuen Podcast-Folge von "Wiarda wundert sich" stellt Jan-Martin Wiarda dem Wissenschaftsmanager jede Menge Fragen zu seinem Gastbeitrag – und hält dagegen, wo er Günthers Argumentation nicht stichhaltig findet.
Aber hören Sie selbst – und sagen Sie anschließend in der Kommentarspalte, ob Ihnen das Format gefallen hat. Falls ja, könnte es das demnächst hier im Blog öfter geben: einen streitbaren Gastbeitrag – und dazu ein streitbares Gespräch von Jan-Martin Wiarda mit dem Gastautor.
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Fumarius (Mittwoch, 12 Juni 2024 13:39)
Für meinen Geschmack bleibt die Berechnung zu sehr im Entweder-Oder und im etablierten System: Zum einen könnte eine Kombination von Reduktion der Doktorand*innenstellen und Nutzung der damit eingesparten Ressourcen zur Finanzierung von Dauerbeschäftigung die 'Extremzahlen' in beide Richtungen senken (höherer prozentualer 'Verbleibanteil' von Promovierten, da kleinere Ausgangsgröße, und geringere zusätzliche Kosten durch Umwidmung der freiwerdenden Mittel). Zum anderen äußert sich der Autor nicht konkret dazu, welche Art der 'Dauerbeschäftigung' er als Grundlage bzw. Regelfall nimmt: die entfristete Mittelbaustelle? Oder einen vollausgestatteten W3-Lehrstuhl im aktuellen System? Dies hat jedoch massive Auswirkungen auf die zu veranschlagenden Kosten – würden z.B. Professuren insgesamt ‚billiger‘, etwa in einem Departmentsystem, hätte dies ebenfalls Auswirkungen. Und ganz zum Schluss: Wenn ich die Ausführungen richtig verstehe, gibt es zwar absehbar keine 'optimale' Lösung, aber - siehe oben - durchaus Raum zur Verbesserung. Was spricht also dagegen, zumindest diesen zu nutzen?
Leif Johannsen (Mittwoch, 12 Juni 2024 15:50)
Das crossmediale Format finde ich gut, da der Gastbeitragende auf diese Weise (auf entsprechende Nachfrage) nochmals nachschaerfen bzw. praezisieren kann.
Was das konkrete Thema betrifft, aergert mich, dass wieder einmal die gerne in der Politik verwendete Ueberspitzung bemueht wird, man verlange bei einer Novelle des WissZeitVG eine garantierte Dauerstelle fuer jeden Doktoranden_in. Jeder weiss, dass das nicht geht.
Das WissZeitVG muss reformiert, bestenfalls abgeschafft werden, weil es in seiner Auslegung geradezu irre Blueten schlaegt, vorallem in der Berechnung des "akademischen Alters" eines_er Wissenschaftlers_in und den darausfolgenden Moeglichkeiten jemanden als Wissenschaftler_in zu wieder-/weiterzubeschaeftigen. Diese Diskussion um 6+6, 3+3 oder 4+2 stellt aus meiner Sicht ein "Quacksalber-Herumgepfusche" an den Symptomen der Krankheit, an der das deutsche Hochschulsystem leidet.
Als groesstes Manko bewerte ich jedoch den "overreach" des WissZeitVG auf die privaten Hochschulen. Warum laesst man da nicht marktwirtschaftliche Kraefte walten, sondern zwingt die privaten Hochschulen an dieselbe Kette wie die staatlichen? Mein Eindruck ist, dass man bewusst den staatlichen einen "Wettbewerbsvorteil" (Verbeamtungen, staatliche Foerderungen etc.) einraeumen moechte. Mit Exzellenzstrategie etc. traeumt man von einem "deutschen Harvard", vergisst dabei aber, dass man sich an Institutionen misst, die ueber Jahrhunderte privatwirtschaftlich wachsen konnten. Also, weg mit der unnoetigen Regulierung und die "Innovationskraft" des freien Bildungsmarktes entfesseln. Wenn die staatlichen Unis/Hochschulen sich Ketten anlegen moechten beim Wettbewerb um die "Best and Brightest", nur zu. Von der FDP im BMBF haette ich da mehr erwartet (hab sie trotzdem nicht gewaehlt).
Nachfrage (Donnerstag, 13 Juni 2024 09:38)
Im Interview spricht OG davon, dass in D nahezu alle TT-Professuren auch Tenure bekommen - was sich mit meinen eigenen Beobachtungen deckt (nämlich: alle). Aber gibt es dazu eine Statistik?
Danke,
PS: ich finde das kombinierte Format interessant, aber das Interview behandelt sehr viele Themen - ich hätte mir weniger davon und dafür mehr Tiefe, z.B. die Grundlage der Schätzung "300 Millionen" gewünscht
Hanna (Dienstag, 18 Juni 2024 01:02)
Die Argumentation des Stellenaufwuchses finde ich unpassend. Es geht dem Mittelbau v.a. um eine höhere Quote an Dauerstellen am aktuellen Stellenbestand. Dies ist deutlich günstiger als die vorgerechneten 300 Mio. für zusätzliche Stellen. Das Argument von Herrn Günther ist daher ein Strohmannargument. Der Mittelbau will einfach verlässlichere Arbeitsbedingungen. Wir wünschen uns auch nicht Dauerstellen für alle, sondern "nur" eine deutlich höhere Quote an Dauerstellen in Forschung und Lehre als jetzt.
Martha (Montag, 08 Juli 2024 01:25)
Wenn man die bestehenden Mittelbaustellen in Dauerstellen umwandeln würde, wie einige hier vorschlagen, ginge dies nur unter der Voraussetzung, dass man das Lehrstuhl-Modell aufgibt, denn den Lehrstühlen ist ja ein Großteil dieser Stellen zugeordnet und wie Herr Günther sagt, gelten diese der Ideen nach als Ausstattung für den Lehrstuhlinhaber; sprich: er oder sie kann die Stellen frei besetzen mit Personen, die im eigenen Forschungsfeld arbeiten. Kommt es also zu einem Wechsel bei einer Professur, blieben die bisherigen und nun unbefristeten Mitarbeiter des Vorgängers/der Vorgängerin quasi „übrig“ und müssten zusätzlich zu den dann neuen Mitarbeitern des Lehrstuhls finanziert werden. Auch sollte man nicht vergessen, dass auf den bisherigen Mittelbaustellen häufig Doktoranden und Doktorandinnen sitzen; auch dies spricht dagegen, dass man einfach die bestehenden Stellen für unbefristete Anstellungsverhältnisse nutzen kann, denn die bestehenden Stellen sind ja in diesen Fällen mit Angehörigen einer Personengruppe besetzt, die absichtlich erst einmal noch nicht entfristet werden soll -alternativ könnte man dann nur sagen, dass keine Doktoranden mehr auf Mittelbaustellen sitzen darf und diese etwa auf Stipendien promovieren müssten.
Martha (Teil 2 :-)) (Montag, 08 Juli 2024 01:46)
Das Gespräch fand ich sehr erfrischend, informativ, interessant und kurzweilig - danke dafür! Ein Aspekt wird meines Erachtens aber häufig ausgeblendet in dieser Debatte: Viele wollen, wenn sie sich ehrlich machen, eigentlich nicht unbedingt in der Wissenschaft bleiben, sondern wollen einfach nur eine unbefristete Stelle, denn unter Wissenschaftlern herrscht eine große Angst, außerhalb der Hochschule, zumal ab einem gewissen Alter, keine angemessene Stelle (mehr) zu finden. Hier sollte man mehr Hilfestellung geben, ich glaube, dann würde der Ruf nach entfristeten stellen in der Wissenschaft schnell leiser oder sogar ganz verhallen. Zur Wahrheit gehört meines Erachtens auch, dass der Ruf nach mehr entfristeten Stellen besonders laut aus den Geisteswissenschaften kommt, wo man sich nach meiner eigenen Erfahrung häufig schwer tut, sich um eine Stelle außerhalb der Wissenschaft zu bemühen. Ich selbst bin promovierte Geisteswissenschaftlerin und habe den Ausstieg nach vielen Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin freiwillig vollzogen; ich habe auch außerhalb der Wissenschaft sehr schnell eine entfristete Anstellung erhalten und habe nach nur wenigen Jahren auch mehr verdient als im Mittelbau. Es braucht hier individuell, glaube ich, einfach auch ein bisschen mehr Mut, zumal die Arbeitssituation für Arbeitnehmer derzeit sehr gut ist. ;-)