· 

Öffnet das Kooperationsverbot!

Tiefe Bildungskrise trifft auf hohle Lippenbekenntnisse. Wo ist die von der Ampel versprochene neue Kultur der Bildungszusammenarbeit? Dabei wäre es so einfach – und das Gelegenheitsfenster ist jetzt. Ein Gastbeitrag von Margit Stumpp.

WIEDER EIN BILDUNGSBERICHT, wieder die lange und allseits bekannten Ergebnisse. Die Bildungskrise greift weiter um sich. Und wieder die erwartbaren Reaktionen: Besorgnis, Betroffenheit, Lippenbekenntnisse. Die Analysen sind zutreffend, aber sie werden – wieder – folgenlos bleiben. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Das ist der eigentliche Skandal. 

 

Seit Jahr und Tag zeigen sämtliche Statistiken, dass das deutsche Bildungssystem unterfinanziert ist. Seit dem Dresdner Bildungsgipfel 2008 existiert das Ziel, die gesamtstaatlichen Aufwendungen für Bildung und Forschung von damals 8,6 Prozent der Wirtschaftsleistung auf zehn Prozent zu erhöhen. Passiert ist seitdem, abgesehen von den Panikreaktionen in der Pandemiephase, nichts! Statt sieben Prozent für die schulische Bildung dümpeln die Investitionen nach wie vor unter dem Schnitt der OECD-Staaten von rund fünf Prozent.

 

Von den Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag der Ampel, es werde eine engere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen angestrebt und man wolle eine neue Kultur der Bildungszusammenarbeit begründen, ist bis dato nichts zu sehen. Von einer Erhöhung der Bildungsausgaben ist die Regierung unter einem rigiden Finanzminister, der die Einhaltung der investitionsfeindlichen Schuldenbremse zur Staatsräson erhoben hat, weit entfernt. Selbst der Digitalpakt 2.0, ein Paradebeispiel für die Verrenkungen, die notwendig sind, um das Kooperationsverbot, also die in der Verfassung manifestierte Bremse für Bildungsausgaben zu umgehen, steht in Frage.

 

Funktionierende Toiletten und dichte Schuldächer sind eine Frage der Bildungsgerechtigkeit, nicht der Bildungshoheit

 

Die Folgen sind verheerend. Der im Wesentlichen von der Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub droht zu versanden. Es ist höchste Zeit, eine der wesentlichen Ursachen für die Unterfinanzierung der Bildung zu beseitigen: Das Kooperationsverbot!

 

Wir feiern diese Jahr 75 Jahre Grundgesetz. 58 Jahre lang kam es ohne Artikel 91b aus, ohne dass die Bildungshoheit der Länder in gefährdet war. Funktionierende Toiletten und dichte Schuldächer sind eine Frage der Bildungsgerechtigkeit, nicht der Bildungshoheit. Inhalte der Bildung und Bildungsinfrastruktur sind zwei völlig unterschiedliche Themen. Sollten die Länder das anders sehen, wären die finanziellen Forderungen an den Bund obsolet. 

 

Dem widerspricht die Tatsache, dass das Kooperationsverbot seit Bestehen bereits drei Mal geändert wurde, um dennoch Bundesmittel in Bildungsinfrastruktur zu investieren, zuletzt für den Digitalpakt. Leider hat der Widerstand der damals regierenden CDU eine immer drängender werdende Öffnung des Kooperationsverbots verhindert. Erst am Ende der vergangenen Legislaturperiode wuchs bei der damals zuständigen Ministerin Karliczek die Einsicht, dass ein solches Flickwerk für eine zukunftsfähige Finanzierung der Bildungsinfrastruktur nicht trägt.

 

Damit wiederholt sich Geschichte: Von Bulmahn über Schavan und Wanka bis zu Karliczek kam die Einsicht spät, leider zu spät. Umsetzung verschoben in die neue Legislatur. Das heißt: neue Abgeordnete (BildungspolitikerInnen werden selten wiedergewählt), neue/r Minister(in), neuer Lernprozess.

 

Es geht auch ohne
Föderalismusreform

 

Wenn es tatsächlich ein Erkenntnis- und kein Umsetzungsproblem gibt, dann nur hier. Denn für die Öffnung des Kooperationsverbots wäre, entgegen mancher Parolen, keine Förderalismusreform nötig, weder eine große noch eine kleine. Es wäre zwar wünschenswert, dass Artikel 91b beherzt angefasst würde, um aus dem Kooperationsverbot ein Kooperationsgebot zu formulieren. Realistisch ist dies unter den bestehenden politischen Verhältnissen kaum. Die Streichung des Wortes "befristet" in Artikel 104c  würde aber schon weiterhelfen und das Dilemma der ständig notwendigen Anschlussprojekte und damit des Zerrens um die Anschlussfinanzierung auflösen. Was beim Sozialen Wohnungsbau (Artikel 104d) recht war, muss für Bildungsinfrastruktur billig sein.

 

Denn: An der Befristung der Bildungsinvestitionen scheitert Vieles. Die endlosen Diskussionen  einst um die Ausgestaltung des Digitalpakts und jetzt um seine Fortführung sind nur ein Beispiel. Die komplizierte und bürokratische Ausgestaltung ist wegen der Rechtslage notwendig, verkompliziert aber die Administration und schränkt die Spielräume ein. Digitalisierung geht aber nicht mehr weg, im Gegenteil, der offene Zugang zu generativer KI verschärft die Herausforderungen gerade in der Bildung. Gestemmt werden müssen die enormen zusätzlichen Ausgaben von den Schulträgern, den Kommunen und Landkreisen. Viele sind aber finanziell ohnehin schon am Ende, Stichwort Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

 

Kanzlerin Merkel und die damaligen Ministerpräsidenten haben 2008 mit konkreten Zielsetzungen die Bildungsrepublik ausgerufen. 10 Prozent des BIP sollten für Bildung (sieben Prozent) und Forschung (drei Prozent) ausgegeben werden, der Bund werde dazu einen überproportional hohen Anteil leisten. Wo ist dieser überproportionale Anteil bei der Bildung?

 

Bildung ist gesamtstaatliche Aufgabe. Wenn die Bildungskrise endlich strukturiert angegangen werden soll, darf sich keine Ebene aus der Verantwortung stehlen. Die rechtlichen Hürden dafür müssen endlich beseitigt werden. Das Grundgesetz soll in naher Zukunft geändert werden, um das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen. In diesem Zug wäre die vorgeschlagene Änderung in Artikel 104c zeitnah möglich. Wenn der große Schritt jetzt nicht umsetzbar ist, geht wenigstens den überfälligen kleinen: Öffnet das Kooperationsverbot!

 

Margit Stumpp war von 2017 bis 2021 grüne Bundestagsabgeordnete, Sprecherin für Bildungs- und Medienpolitik und Expertin ihrer Fraktion für digitale Infrastruktur. Heute unterrichtet sie wieder als Berufsschullehrerin für Informations- und Medientechnik sowie technische Physik. 



In eigener Sache: Prekäre Blog-Finanzierung


Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    D. Lange (Donnerstag, 01 August 2024 19:41)

    Das ist lustig: Frau Stumpp ist dafür, dass sich keine Ebene aus der Verantwortung stiehlt, aber will selbst dafür sorgen, dass eben solches passiert. Wenn nämlich der Bund dauerhaft die Bildungsinfrastruktur finanziert, nicht nur die digitale übrigens, dann haben sich genau die Ebenen "aus der Verantwortung" gestohlen, die dafür zuständig wären: Länder und Gemeinden.

    In der Schweiz funktioniert Bildungsföderalismus noch, und zwar genau deshalb, weil jede Ebene, jeder Verantwortliche seine Verantwortung wahrnimmt (und, nebenbei, dafür auch selbst Steuereinnahmen erhebt). Den Föderalismus abzuschaffen, ist ein billiger Ausweg, der das Kind mit dem Bade ausschüttet.

  • #2

    Lilly Berlin (Freitag, 02 August 2024 09:43)

    Nein, das ist nicht lustig. Im Rentnerstaat Deutschland lassen sich mit Schulthemen keine Wahlen gewinnen. Zur Verbesserung der Situation braucht es auch keine Nebelkerzen zum Thema Föderalismus und Kooperation. Letzten Endes sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die den Bildungserfolg bestimmen oder verhindern, egal in welchem System. Werden die Ressourcen anderweitig verplempert (bürokratischer Wasserkopf, iPads, Religionsunterricht usw.) und wird zugelassen, das fähige Leute im System vor all der Borniertheit kapitulieren, landet man da, wo wir jetzt sind. Da hilft dann auch kein Geld von Bund mehr.

  • #3

    Dirk Stiefelbein (Samstag, 03 August 2024 05:27)

    Man kann doch den im Beitrag vorgetragenen Überlegungen wirklich etwas abgewinnen und konstruktiv darauf eingehen.