Das BMBF will dem Parlament jetzt doch Akten zur Fördermittelaffäre schicken. Gut – aber viel zu spät, sagt SPD-Wissenschaftspolitiker Oliver Kaczmarek. Und erklärt im Interview, warum SPD und Grüne Aufklärung verlangen und doch zusammen mit der FDP die Einladung der geschassten Staatssekretärin Döring in den Ausschuss abgelehnt haben.
Oliver Kaczmarek ist SPD-Bundestagsabgeordneter, Sprecher seiner Fraktion für Bildung und Forschung und Obmann im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Foto: Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion.
Herr Kaczmarek, Sie sind Obmann für die SPD-Fraktion im Bundestags-Forschungsausschuss. Zusammen mit ihren Ampel-Kolleg:innen Laura Kraft (Grüne) und Stephan Seiter (FDP) haben Sie am Freitagvormittag dagegen gestimmt, dass die geschasste BMBF-Staatsekretärin Sabine Döring und der für Hochschulen zuständige Abteilungsleiter Jochen Zachgo zur Ausschuss-Sondersitzung am 10. September eingeladen werden. Erklären Sie uns das bitte.
Für die SPD habe ich immer betont, dass alle notwendigen Unterlagen, um den Vorgang im BMBF beurteilen zu können, den Abgeordneten direkt zugänglich gemacht werden müssen. Insofern ist es gut, dass das Haus heute angekündigt hat, die verfügbaren Unterlagen noch einmal zusammenzustellen und den Ausschussmitgliedern vorzulegen. Darum hatte auch die gesamte Koalition gebeten.
Ein Winkelzug des BMBF, der alle überrascht hat. Was genau will das Ministerium denn vorlegen? Was sind "verfügbare Unterlagen"? Sie bekommen alles, was da ist? Auch die brisanten Wire-Chats, über die zuerst der SPIEGEL berichtete?
Ich gehe davon aus, dass das Ministerium alles herausgibt, was es zur Verfügung hat und datenschutzrechlich möglich ist. Ob die "Wire"-Kommunikation darunter ist, kann ich zurzeit nicht sagen.
Also heißt es abwarten. Warum aber haben Sie dann eine Einladung von Döring und Zachgo abgelehnt, wenn doch der Druck aufs BMBF offenbar gefruchtet hat?
Der Ausschuss hat nicht die Kompetenz, die beamtenrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung von Frau Döring aufzuheben. Dafür sind jetzt Gerichte zuständig. Mir ist wichtig: wer etwas fordert, muss es auch umsetzen können. Das können wir in diesem Fall nicht und deshalb würden wir uns andernfalls als Bundestag unglaubwürdig machen. Gleichwohl ist es für uns als SPD wichtig, dass absolute Transparenz über die Vorgänge im Ministerium geschaffen wird. Frau Ministerin Stark-Watzinger steht in der Verantwortung, für die vollständige Aufklärung zu sorgen.
Warum ziehen Sie sich auf formale Bedenken zurück, anstatt als größte Ampel-Fraktion ein klares politisches Signal an die Ministerin zu senden?
Insbesondere die Akteneinsicht für den Ausschuss hätte die Ministerin viel früher ermöglichen sollen. Ich bin als Abgeordneter sehr unzufrieden mit der Informationspolitik von Frau Stark-Watzinger an dieser Stelle und mit der Tatsache, dass wir bisher selbst nur über "FragDenStaat" einige Unterlagen einsehen konnten. Gut, dass das BMBF nun seine Haltung geändert hat und die Unterlagen übermittelt.
"Nach der Sondersitzung dürfen keinerlei Zweifel
mehr daran bestehen, dass Ministerin Stark-Watzinger keinerlei Wissen über die Vorgänge besaß – und dass sie wirklich alles offenlegen will."
Wenn Sie sagen, Frau Stark-Watzinger müsse für die vollständige Aufklärung sorgen, was genau meinen Sie damit?
Es ist gut, dass sie am 10. September zur Sondersitzung in den Ausschuss kommt. Das bedeutet aber auch, dass nach dem 10. September keine Fragen mehr offenbleiben dürfen, insbesondere auch zu den Fragen der hausinternen "Wire"-Kommunikation, die erst nach der letzten Befragung der Ministerin durch den Ausschuss hinzugekommen sind. Nach der Sondersitzung dürfen keinerlei Zweifel mehr daran bestehen, dass sie mit den Vorgängen um die erwogene Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen persönlich nichts zu tun hatte, dass sie keinerlei Wissen darüber besaß – und dass sie wirklich alles offenlegen will.
Gehört zu der vollständigen Aufklärung auch, dass die Ministerin Sabine Döring von der Schweigepflicht entbindet und ihren Abteilungsleiter mitbringt?
Wie gesagt: Ich habe im Moment keine rechtliche und politische Handhabe. Aber für mich ist klar: Alle Unterlagen und alle Gesprächspartner müssen zur Verfügung stehen, die zur Aufklärung erforderlich sind.
Frau Döring hatte per Mail an die Obleute sogar persönlich angeboten zu kommen, wenn sie denn nur eingeladen wird.
Ich habe Frau Dörings Mail gelesen und ich finde sie sehr widersprüchlich. Die rechtlichen Grundlagen, auf die sie sich beruft, um trotz Verschwiegenheitsverpflichtung vor dem Ausschuss auszusagen, halte ich für falsch interpretiert. Denn diese Passagen in der Geschäftsordnung des Bundestags beziehen sich auf Anhörungen. Die haben wir aber am 10. September gar nicht. Wenn sie sagt, sie wolle ja nur ihre persönliche, nicht ihre dienstliche Auffassung wiedergeben, kann ich nur sagen: Die persönliche Meinung von Frau Döring ist für die Vorgänge nicht relevant. Ich will wissen, was sie in ihrer Rolle als Staatssekretärin gemacht hat.
Was würden Sie von ihr wissen wollen?
Ich würde Frau Döring insbesondere zu ihrer Rolle bei der rechtlichen Überprüfung des Meinungsbeitrags der Hochschulprofessoren befragen wollen, die sie offenbar mit veranlasst hat und die ich für die Quelle allen Übels halte. Unabhängig von der Frage, ob förderrechtliche Konsequenzen erwogen wurden oder nicht, schon diese allgemeine rechtliche Überprüfung einer Meinungsäußerung von Landesbediensteten durch ein Bundesministerium hätte es meiner Meinung nach nicht geben dürfen. Was Herrn Zachgo angeht, würde ich mir von einer Aussage übrigens wenig erwarten. Er ist als Abteilungsleiter in die Haushierarchie eingebunden. Wer weiß, wie ein Ministerium funktioniert, weiß auch: Er wird nichts Anderes sagen als die Ministerin.
"Ich verstehe, dass unser Abstimmungsverhalten bei dem einen oder der anderen für Stirnrunzeln sorgt. Wir müssen besser erklären, welche Rechte und Grenzen ein Fachausschuss hat und was rechtlich geboten ist."
Die Ministerin sagte kürzlich der Rheinischen Post: "Was mich besorgt, ist, dass die Union zahlreiche Vorwürfe gegen mich und mein Ministerium auf Grundlage von Mutmaßungen und Unterstellungen konstruiert." Auch wenn das gerade bei Ihnen anders klang: Offenbar empfindet die Ministerin gegenüber den Ampel-Fraktionen keinerlei Rechtfertigungsdruck – und erst recht keinen Aufklärungsdruck.
Selbstverständlich erwarten auch wir als regierungstragende Fraktion konsequente Transparenz und Aufklärung dem Parlament gegenüber.
Die Ministerin sagt auch, das Verhalten der Union schade der Debattenkultur in unserem Land und damit auch der Demokratie schade.
Manchmal finde auch ich die Debattenkultur der CDU/CSU bedenklich, aktuell zum Beispiel in Hinblick auf die Migrationspolitik. Und ja, die Aufregung um das Ampel-Abstimmungsverhalten wird gerade politisch inszeniert und ausgenutzt von der Union, die selbst genau weiß, wie Koalitionen funktionieren. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Union ihren Job als Opposition macht und ein Ministerium mit ordentlich Gegenwind rechnen muss, wenn es einen Ausschuss so schlecht informiert, wie es das BMBF bislang getan hat. Anstatt sich über die Union und deren viele Fragen aufzuregen, sollte Frau Stark-Watzinger mehr Energie auf die Entkräftung der Vorwürfe und das Herstellen von Transparenz verwenden. Zumindest beim Thema Akteneinsicht haben wir jetzt einen Schritt nach vorne gemacht. Wenn das alles nur eine Taktik der Union ist und alles nur Mutmaßungen und Unterstellungen, dann sollte die Ministerin ihren Auftritt vor dem Ausschuss konsequent nutzen, um das nachzuweisen.
Das klingt fast so, als würden Sie darauf hoffen, dass die Union weiter ihren Job macht und am Ende einen Untersuchungsausschuss fordert. Was Sie als Ampel-Fraktion nicht können oder nicht wollen.
Ich will keinen Untersuchungsausschuss, ich werde ihn auch nicht beantragen. Wir haben in dieser Wahlperiode als Ampel noch einiges vor. Wir wollen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren. Wir haben das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz vor der Brust. Es gibt ungeklärte Fragen beim Digitalpakt. Darauf würde ich mich gerne konzentrieren. Aber wir sehen, dass wir diese Themen überhaupt nicht den Fokus bekommen, solange die Fördergeld-Vorwürfe nicht ordentlich aus der Welt geschafft werden. Wenn die Union um jeden Preis die Befragung von Frau Döring will, dann muss sie ihrerseits einen Untersuchungsausschuss beantragen. Ich bin sehr gespannt, ob sie wirklich zu diesem Schritt bereit wäre.
Viele halten den Vertrauensverlust in der Wissenschaftsszene, den BMBF-Chefin Stark-Watzinger durch ihr Handling der Affäre erlitten hat, für irreparabel. Fürchten Sie nicht, dass Sie als Ampel-Wissenschaftspolitiker jetzt denselben Vertrauensverlust erfahren?
Es ist ein sehr großer Schaden entstanden. Doch die Akteure, mit denen ich in der Wissenschaftspolitik zu tun habe, wissen, dass wir in der Sache sehr wohl versuchen, alles anständig und gründlich aufzuklären. Mit den begrenzten Möglichkeiten, die wir als Regierungsfraktion haben. Ich verstehe, dass unser Abstimmungsverhalten bei dem einen oder der anderen für Stirnrunzeln sorgt. Wir müssen besser erklären, welche Rechte und Grenzen ein Fachausschuss hat und was rechtlich geboten ist. Aber ich kann versichern, dass der Schutz und die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit von der SPD weiter hochgehalten wird – in dieser Koalition und auch in denen, die womöglich noch kommen. Dafür stehe ich.
Was die Ausschuss-Obleute beschlossen haben
Das BMBF hat vor der Sitzung der Ausschuss-Obleute überraschend zugesagt, bis Mitte kommender Woche Unterlagen zur Fördermittelaffäre zu übersenden – womit den Abgeordneten rund eine Woche zur Vorbereitung auf die Befragung von Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Forschungsausschuss bliebe.
Welche Unterlagen das Ministerium genau schickt und wie sie ausgewählt werden, war zunächst unklar.
Das Verlangen der Unionsfraktion, auch die im Zuge der Affäre von Stark-Watzinger
geschasste BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring einzuladen, lehnten die Ampel-Obleute mit ihrer Mehrheit ab, ebenso die Einladung des für Hochschulen zuständigen Abteilungsleiters Jochen Zachgo.
Auch der Forderung der Union, dass Stark-Watzinger auf jede Frage der Abgeordneten einzeln antworten sollte, versagten SPD, Grüne und FDP die Zustimmung. Allerdings soll es so viele Nachfragerunden wie möglich geben in den knapp zwei Stunden, die am 10. September vorgesehen sind.
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