· 

Es ist die kleine Lösung

Die Kultusminister haben in ihrer Sondersitzung ein klein wenig am lähmenden Einstimmigkeitsprinzip gerüttelt – und sich dann doch nicht drangetraut. Mit einer Ausnahme.

ZUM GROßEN WURF haben sich die Kultusminister nicht durchringen können, nicht einmal zu einem mittleren. Am Ende steht ein kleiner, der aber immerhin die Funktionsfähigkeit der Ministerkonferenz sichern sollte, falls politische Extremisten sie bedrohen. Doch die Chance für einen weiterführenden Aufbruch für den Bildungsföderalismus scheint vertan – womöglich auf Dauer, wenn demnächst Minister der AfD oder des BSW mit am Tisch sitzen.

 

Konkret: Das Einstimmigkeitsprinzip bei allen wichtigen Entscheidungen der KMK, das von vielen Experten als Hemmschuh kritisiert wird, bleibt bestehen. Im Beschluss der Minister wird das Scheitern einer weitergehenden Lösung durch eine Verklärung des Status Quo kaschiert: "Einstimmig gefasste Beschlüsse sichern den Zusammenhalt der Kultusministerkonferenz bei der Wahrnehmung gesamtstaatlicher Verantwortung im föderalen Bildungswesen, die gegenseitige Anerkennung der Bildungsabschlüsse und die damit einhergehende Mobilität", heißt es darin.

 

Nur an einer Stelle soll es ein Aufweichen geben, und es dient allein dem Schutz der KMK als Institution: "Für Beschlüsse über den Haushalt der Kultusministerkonferenz und ihre bestehenden Einrichtungen wird das Instrument eines Klärungs- und Vermittlungsprozesses in die Geschäftsordnung der Kultusministerkonferenz aufgenommen."

 

Was bedeutet: Kommen Entscheidungen nicht wie verlangt einstimmig zustande, wird das Präsidium bzw. künftig der Vorstand der Gesamtkonferenz ein sogenanntes Klärungsverfahren einleiten. "Führt dies nicht zu einer Verständigung, kann bei der nächsten Sitzung desselben Gremiums oder in einem Schriftverfahren mit der Mehrheit von mindestens 13 Stimmen ein Beschluss gefasst werden."

 

Der unverzichtbare
kleine Wurf

 

Das ist sehr wichtig, weil sonst ein Land allein die KMK, ihre Einrichtungen, Finanzierung und ihr Funktionieren hätte in Frage stellen können. Und genau darum ist es der – angesichts des gesellschaftlichen Rucks nach rechts und Richtung Populismus – unverzichtbare kleine Wurf.

 

Allerdings: Wie genau der Klärungs- und Vermittlungsprozess aussehen und rechtlich umgesetzt werden soll, will die Ministerrunde erst noch mit externer Beratung ermitteln. Was auch bedeutet: Bis diese Änderungen im Detail beschlossen sind, könnte die befürchtete andere Zusammensetzung der KMK längst da sein.

 

Bereits im Juni hatten die Minister beschlossen, dass künftig nicht mehr die Kündigung eines einzelnen Landes zur Auflösung des KMK-Sekretariats führen kann. Das entsprechende Abkommen soll geändert werden. Allerdings haben hier die Ministerpräsidenten sowie die Finanzministerkonferenz das letzte Wort. Letztere treffen sich immerhin schon am 2. Oktober – während in den Ländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch die Regierungsbildung laufen dürfte.

 

Darüber hinaus beteuerten die Minister nach ihrer Sondersitzung am Montag lediglich: "Um die Agilität und die Resilienz der Kultusministerkonferenz zu stärken, werden bereits bestehende Möglichkeiten der Geschäftsordnung, jenseits der Einstimmigkeit, künftig konsequenter angewandt." Da gibt es durchaus einige Möglichkeiten, welche die Strukturkommission II der KMK wie berichtet in ihrer Beschlussvorlage aufgeführt hatte, allerdings allesamt unter dem Stichwort "Beibehaltung des Status Quo".

 

Und der ist es nun auch – leider – größtenteils geworden. Warum genau, wer hier wo auf der Bremse stand, wird in den nächsten Tage sicherlich durchsickern. In den Wochen vor der Sondersitzung galt vor allem Bayern als Neinsager – sehr zum Verdruss einiger anderer Landesminister. 

 

"Lange miteinander
gerungen"

 

Die ersten offiziellen Statements nach dem Beschluss hörten sich freilich so an, als sei ausgerechnet das Beschlossene ein Ausweis der Handlungsfähigkeit der Kultusministerkonferenz. So sagte KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD), die KMK habe sich selbst "einen klaren Arbeitsauftrag gegeben: Wir müssen uns verändern! Wir müssen schneller, agiler und vor allem resilienter werden." Unter dieser Idee stünden die am Montagnachmittag getroffenen und bis Ende des Jahres noch zu treffenden Beschlüsse. "Das Einstimmigkeitsprinzip der KMK ist traditionell ein hohes Gut. Es hat auch immer noch seine Berechtigung."

 

Stärker schien der tatsächliche Verlauf der Sitzung im Kommentar von Stefanie Hubig durch, der Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, die die SPD-Kultusminister (A-Länder) koordiniert. "Wir haben heute hart und lange miteinander gerungen", sagte sie. "Wir haben gemeinsam einen wichtigen Schritt zum jetzigen Zeitpunkt gemacht, um die KMK zukunftsfest aufzustellen." Und weiter: "Es ist kein Geheimnis, dass sich die A-Länder auch noch weitergehende Veränderungen hätten vorstellen können, um die KMK agiler zu machen."

 

Was dafür spricht, dass es insgesamt starke Differenzen vor allem zwischen A und B (Unionsländer) gegeben hat. Wobei ausgerechnet die B-Koordinatorin, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, sich seit Jahren ebenfalls bemüht hat, eine Diskussion über die KMK und mehr Agilität voranzutreiben.

 

Schon 2022, gegen Ende ihrer KMK-Präsidentschaft, hatte sie zum Beispiel laut über eine teilweise Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip nachgedacht. Allerdings hatte sie damals hier im Blog zugleich von einem "steinigen Weg" gesprochen und sogar eine Grundgesetzänderung ins Spiel gebracht. Diesen März dann gab Prien zu Protokoll, sie halte es "für richtig, über die Frage der zukünftigen Handlungsfähigkeit der KMK jetzt eine Debatte zu führen." 

 

Nach der Sondersitzung am Montag sagte Prien, die Länder stellten mit der Strukturkommission die Arbeitsweise der KMK auf den Prüfstand. "Dieser Prozess ist einmalig und er verlangt von allen teilnehmenden Ländern, die Rolle der KMK kritisch zu überdenken. Das ist vor allem eine Chance, die KMK neu aufzustellen." Was fast nach einer Mahnung klang, den verbleibenden Reformprozess nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

 

Die CDU-Politikerin verwies darauf, dass der Prozess noch bis Dezember laufe. " Dass zukünftig die Funktionsfähigkeit der KMK und ihrer Einrichtungen über eine Mehrheitsentscheidung im Rahmen der Geschäftsordnung gesichert werden kann, ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung auf mehr Resilienz." Aber auch Prien sagte: "Grundsätzlich halten wir an der Einstimmigkeit als Wesensmerkmal der KMK fest."

 

Das Entweder-Oder,

das keines sein müsste

 

Wie KMK-Präsidentin Streichert-Clivot und ihr SPD-Konterpart Hubig betonte also auch Prien – pragmatisch dem Beschluss folgend – die Bedeutung des Einstimmigkeitsprinzips für die Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen und deren bundesweite Anerkennung.

 

Als seien diese bei einer teilweisen Abschaffung automatisch gefährdet. Tatsächlich müsste es ein solches Entweder-Oder aber nicht auf jeden Fall geben, wie ich am Montagmorgen in meiner Kolumne ausgeführt hatte. 

 

Denn erstens: Welches überstimmte Bundesland würde tatsächlich riskieren wollen, in einer wichtigen bildungspolitischen Frage von der Mehrheit der anderen abgehängt zu werden? Schon dieses Szenario verbunden mit dem faktischen Druck der Mehrheit hätte bei einer (teilweisen) Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips dazu geführt, dass in den allermeisten Fällen das oder die Abweichler-Länder am Ende doch eingelenkt hätten.

 

Zweitens: Über einen Staatsvertrag hätte bestimmt werden können, dass Mehrheitsbeschlüsse von allen Ländern – auch jenen, die dagegen stimmen, umgesetzt werden müssten. Was Prien in ihrer Stellungnahme am Montag selbst noch einmal – fast ein wenig trotzig – in Erinnerung rief: "Weitergehende Regelungen müssten Gegenstand eines Staatsvertrags oder einer Verfassungsänderung sein."

 

Doch die Tatsache, dass keiner in der KMK einen Staatsvertrag, geschweige denn die Verfassungsänderung auch nur in Ansätzen für realistisch und umsetzbar hielt zum jetzigen Zeitpunkt, zeigt, wie weit der Weg ist, den der Bildungsföderalismus noch gehen muss. 

 

Fest steht: Auf absehbare Zeit wird er dies nicht mehr tun. Denn die richtigen Blockierer könnten jetzt nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg überhaupt erst in Verantwortung kommen. Keine gute Aussicht.

 

Dieser Artikel wurde am 03. September, 9 Uhr ergänzt.




In eigener Sache: Weniger als 0,2 Prozent

Auf jeden 580. Blogbesuch kommt eine finanzielle Unterstützung. Das kann nicht gut gehen. Bitte helfen Sie mit!


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Robert Boltz (Montag, 02 September 2024 18:40)

    Leider sehe ich nach dem vorhergehenden Blog-Eintrag
    hier meine Skepsis gegenüber der hier zugrunde liegenden Sichtweise bestätigt. Ich werde mich daher von diesem oft sehr interessanten Blog verabschieden. Sehr schade.

  • #2

    David J. Green (Freitag, 06 September 2024 12:44)

    Sofern es wirklich um Bayern gehen sollte, möchte ich fragen: Hat die KMK darüber nachgedacht, die Schwelle für eine Sperrminorität bei 4 Bundesländern ODER z.B. 10 Mio Bevölkerung festzulegen? Denn dann wäre einerseits Bayern im Alleingang Veto-fähig, andererseits könnte man – und darum scheint es zu gehen – notfalls Brandenburg, Sachsen und Thüringen geschlossen überstimmen.