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Rechtsruck bei jungen Wählern: Von Bildungslücken und digitaler Einflussnahme

Der wachsende Einfluss der AfD auf junge Wähler wirft Fragen auf. Die mangelnde politische Bildung in Ostdeutschland und der Aufstieg der sozialen Medien sind Teil der Erklärung.

ES GIBT DA DIESEN SPRUCH, der Winston Churchill zugeschrieben wird: "Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn." Doch die vermeintliche Gesetzmäßigkeit "Jung gleich links" gilt vor allem in zahlreichen Regionen Ostdeutschlands schon lange nicht mehr.

 

Im Gegenteil: Bei den jüngsten Landtagswahlen hat die AfD bei keiner Altersgruppe einen stärkeren Zuwachs erreicht als bei den 18- bis 24-Jährigen. In Thüringen stieg ihr Stimmenanteil um 15 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019, in Sachsen um elf Prozentpunkte.

 

Hält man sich vor Augen, dass die AfD in Sachsen insgesamt nur drei Prozentpunkte zugelegt hat, bleibt nur eine unbequeme Schlussfolgerung: Der Rechtsruck war zuallererst ein Rechtsruck der Jugend.

 

Wie kann das sein? Politiker, Jugendforscher und Bildungsexperten mühen sich seit Jahren um Erklärungen.

 

Die Rolle politischer Bildung

 

Nur wenige Tage vor den Wahlen veröffentlichte das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) in Bamberg eine Analyse, derzufolge die Stundenzahl im Schulfach Politik viele Jahrzehnte von der parteipolitischen Couleur der jeweiligen Landesregierung abhing. Auch im Osten. Es sei auffällig, dass die SPD-Regierung in Brandenburg mit der Wende einen hohen Umfang in politischer Bildung in den Stundentafeln verankerte, während die CDU-geführten Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Vergleich auf (sehr) wenige Stunden in politischer Bildung setzten.

 

"Heute denke ich: Wir haben uns in Sachsen zu wenig um die politische Bildung gekümmert", sagte Stanislaw Tillich, bis 2017 CDU-Ministerpräsident in Sachsen, am Ende seiner Amtszeit. Ein Zitat, das auch in der Studie auftaucht.

 

Doch die Stundenzahl für politische Bildung sei bis heute in Sachsen und Thüringen bundesweit mit am niedrigsten, sagt Studien-Mitautor Marcel Helbig. "Die politisch Verantwortlichen sollten angesichts der Wahlergebnisse zumindest einmal darüber nachdenken, ob es hier einen Zusammenhang geben könnte."

 

Verstärker Soziale Medien

 

Unter den vielen möglichen Erklärungen für den jugendlichen Rechtsruck stechen zwei weitere heraus, die den Parteien über Sachsen und Thüringen hinaus zu denken geben sollten.

 

Erstens: Die AfD ist präsent in den sozialen Medien wie keiner ihrer politischen Wettbewerber. Gerade in den Kanälen, die von Jugendlichen am meisten genutzt werden, ist der Vorsprung erdrückend. Eine Analyse des Politikberaters Johannes Hillje, über die das ZDF berichtete, ergab: Zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 erreichte jedes Tiktok-Video der AfD-Bundestagsfraktion im Schnitt 430.000 Impressionen. Auf Platz zwei: die FDP mit einem Achtel davon. Alle anderen Fraktionen: noch weiter hinten.

 

Der Digitalberater Martin Fuchs sagte nach den Landtagswahlen im MDR, die AfD habe es seit dem Beginn von Tiktok verstanden, diesen digitalen Raum zu besetzen. Es sei ein Vorteil, kontinuierlich Kontakt zu jungen Menschen aufzubauen und zu pflegen. Dabei geht es keineswegs nur um Klamauk. "Junge Menschen sind politisch interessiert", sagte Fuchs. Sie sähen Probleme und versuchten, diese zu lösen. Und die AfD zeige sich ihnen als "Problemlösepartei".

 

Was ihr womöglich deshalb umso leichter fällt, weil die junge Generation zwar viel online unterwegs ist, ihre Medienkompetenzen aber hierzulande eher unterentwickelt sind, wie die internationale Vergleichsstudie ICILS 2018 zeigte. Drei von zehn Achtklässlern könnten nur "Links anklicken und am Handy wischen", sagte die Paderborner Schulpädagogin Birgit Eickelmann, die den deutschen Teil von ICILS verantwortete, damals. Selbstständig und sicher digitale Informationen zu bewerten und zu organisieren, dazu waren sie nicht in der Lage. Das war 2018. Bald kommen die Ergebnisse der nächsten Runde, ICILS 2023, heraus.

 

Bis dahin gilt: Die rechte Dauerbeschallung in den sozialen Medien trifft auf eine Jugend, die allzu oft nicht unterscheiden kann, was Fakt ist und was Fake, was Hetze ist und was Tatsache. Umso schwerer wiegt das massive Versagen der demokratischen Parteien im digitalen Raum.

 

Brandbeschleuniger Pandemie

 

Der andere Brandbeschleuniger dürfte – wieder einmal – die Corona-Pandemie gewesen sein. Neben den Schulschließungen waren es die zwischenzeitlichen Kontakt-, Vereinssport- und sonstigen Aktivitätsverbote, die sich in den für die Entwicklung so entscheidenden Kinder- und Jugendjahren besonders drastisch auf Psyche und Wohlbefinden auswirkten – und es bis heute tun: In der Trend-Studie "Jugend in Deutschland 2024" gaben 51 Prozent der befragten 14- bis 28-Jährigen an, derzeit unter Stress zu leiden, 36 Prozent unter Erschöpfung, 17 Prozent unter Hilflosigkeit.

 

Elf Prozent sagten, sie befänden sich aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung. Hinzu kommen ein tiefsitzender Pessimismus, Sorgen vor Inflation, teurem Wohnraum, Altersarmut, einer gesellschaftlichen Spaltung und der Zunahme von Flüchtlingsströmen. "Corona hat grundsätzlich verändert, wie junge Menschen in die Zukunft blicken", sagte der Studienautor Simon Schnetzer in der ARD.

 

Die Jugend erlebte während Corona ein Gefühl der Ohnmacht und des Alleingelassenwerdens, das viele bis heute prägt. Doch die Kritik am Umgang mit den Kindern und Jugendlichen in der Pandemie kam überwiegend aus nur einem parteipolitischen Lager: von ganz Rechtsaußen.

 

Politische Bildung in Gefahr

 

So komplex, so langfristig und tiefliegend die Ursachen für den Rechtsruck der jungen Generation sind, so lange dürfte es dauern, gesellschaftlich und vor allem bildungspolitisch gegenzusteuern. Im Gegenteil: Sollte die AfD Einfluss auf die schulischen Curricula bekommen, dürfte die ohnehin unterentwickelte politische Bildung eines der ersten Opfer werden. Genau das meint sie nämlich, wenn sie in ihrem Thüringer Wahlprogramm für eine "weltanschauliche und politische Neutralität des Schulunterrichts" plädierte.

 

Unterdessen wird immer klarer: Auch die Vermittlung digitaler Medienkompetenz ist eine Form der politischen Bildung, ihre Priorisierung gehört zum Demokratie-Auftrag deutscher Schulen. Und ihre Finanzierung, siehe das Bund-Länder-Hickhack um die Digitalpakt-Fortsetzung, ebenfalls. So wie die etablierten Parteien aus ureigenem Interesse endlich aufwachen und eine moderne Kommunikationsstrategie zum Erreichen junger Leute entwickeln müssen.

 

Vielleicht bekommen die Kinder und Jugendlichen, die Wähler von heute und morgen, dann endlich wieder das Gefühl, mit ihren Bedürfnissen, Ängsten und Fragen bei den Regierenden in Bund und Ländern eine Rolle zu spielen. Solange sie es nicht tun, dürfte sich der Siegeszug der Rechten fortsetzen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.



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Kommentare: 3
  • #1

    Erik Spytzr (Dienstag, 10 September 2024 17:48)

    Ich kann dieser Analyse nicht allzuviel ab abgewinnen. Zu allererst sind junge Menschen gerade in Sachsen gar nicht so ungebildet wie das hier dargestellt wird. Außerdem sind sie auch nicht dumm und sehen, dass die bisher herrschenden Parteien eben nicht Willens oder in der Lage sind, die Probleme zu lösen, besonders nicht, wenn es um junge Menschen geht. Da scheint es dann nahe liegend, andere Parteien zu wählen. Vielleicht können sie es ja besser. Was nützt es schließlich, 'gute' demokratische Parteien zu wählen, wenn unter deren Herrschaft es beständig bergab geht.

  • #2

    Wolfgang Kühnel (Dienstag, 10 September 2024 18:00)

    In der DDR gab es durchaus eine "politische Bildung", dies schreibt die Bundeszentrale dazu:
    https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/230382/wie-der-sozialistische-staat-die-bildungseinrichtungen-praegte/
    Aber so richtig erfolgreich war die nicht, das Volk spottete sogar über "Rotlichtbestrahlung". Bei allen Unterschieden -- es ist nicht klar, ob Jugendliche bereit sind, das, was die Schule lehrt, auch tatsächlich zu beherzigen, oder ob sich nicht doch immer ein gewisser Protest einschleicht. Würde die AfD regieren, dann eben Protest gegen die AfD. Also sollte man die Erwartungen zur Wirkung von mehr Politik-Unterricht nicht allzu hoch schrauben.

  • #3

    Peter Greisler (Dienstag, 10 September 2024 18:24)

    Wenn es so einfach wäre, müsste die Wahl in Brandenburg für die Extremen ganz anders ausgehen. Schön wäre es. Wir werden sehen. Ich denke auch, niemand glaubt, dass die jungen Menschen in Sachsen und Thüringen ungebildet sind. Zumindest bei diversen Leistungstests liegen sie eher vorne. Beim Umgang mit digitalen Medien ist sicher noch Einiges zu lernen. Da die jungen Menschen sie besonders viel nutzen, fällt es dort besonders auf, ich vermute aber, dass viele Erwachsene sich bei der Einschätzung, was bei TikTok und Instagram stimmt und was Fake ist, auch schwer tun. Sie nutzen nur eben überwiegend andere Medien. Übrigens ist auch die Behauptung im Kommentar oben falsch, dass die etablierten Parteien nicht Willens und in der Lage sind, Probleme zu lösen. Nicht immer alle und nicht schnell genug und nicht so gut, wie man es sich wünscht, es ist eben nicht schwarz weiß und manchmal auch schwierig. Die Parteien und der Staat sind auch nicht alleine dafür zuständig, alle Probleme zu lösen. Und von den Alternativen habe ich noch keinen einzigen realistischen Lösungsvorschlag gehört.