· 

Daraus lernen und nächstes Mal besser machen

1.000 zusätzliche Professuren finanziert der Bund bis 2032, um den Tenure Track als Karriereweg in Deutschland zu etablieren. Wer jetzt über neue Personalprogramme an Hochschulen nachdenkt, sollte ein paar Lektionen beachten. Ein Gastbeitrag von Matthias Kuhnt.

Mathias Kuhnt ist Soziologe und Postdoc an der TU Dresden im Bereich Hochschulforschung und Soziale Netzwerkanalyse. Foto: privat.

WIE IN DIESEM BLOG BERICHTET scheint die Umsetzung des Maßgabebeschlusses des Haushaltsausschusses für die Verbesserung der Situation des befristeten Personals von allgemeiner Lustlosigkeit auf Seiten der Länder und der Führung des BMBF geprägt zu sein. Statt ein verbindliches Programm vorzulegen, soll offenbar auf bloße Positionspapiere oder Leitlinien gesetzt werden, deren Wirksamkeit fraglich ist.

 

Ob etwa das von der HRK zusammen mit der Jungen Akademie veröffentlichte Papier oder die angekündigte Stellungnahme des Wissenschaftsrates etwas an den ziellosen Dauerbefristungen in der Wissenschaft ändern können, während selbst der von der HRK 2014 verabschiedete Orientierungsrahmen noch einer Umsetzung an den Universitäten harrt, ist ungewiss. Dagegen steht das 2017 lancierte Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (WISNA), in dessen Rahmen 1.000 Tenure-Track-Stellen bewilligt wurden, als Beispiel für ein entschiedeneres Vorgehen und wird im Maßgabebeschluss auch ausdrücklich als Vorlage erwähnt.

 

Wenn die Bundesebene nicht die Kraft hat, am WissZeitVG anzusetzen und damit am eigentlichen rechtlichen Rahmen der befristeten Beschäftigung im Wissenschaftsbereich, bleiben wohl nur Programme dieser Art, um entsprechend auf die Hochschulen einzuwirken. Umso erstaunlicher vor dem Hintergrund der erhofften Vorbildwirkung ist es, dass die im Juli vorgelegte Evaluation und der Ende vergangenen Jahres beschlossene GWK-Monitoringbericht bisher so wenig diskutiert wurden. Erkenntnisse aus der Umsetzung dieses Programmes sollten bei der Entwicklung neuer Förderinstrumente insbesondere des Bundes unbedingt beachtet werden.

 

Von 1,2 auf 2,9 Prozent
aller Professuren

 

Positiv ist hervorzuheben, dass das Programm zu einer Ausweitung der Tenure-Track-Stellen von 300 im Jahr 2016 auf 750 Stellen bis zum Jahr 2021 geführt hat. Der Evaluationsbericht hält fest, dass dadurch "Planbarkeit und Transparenz […] für eine kleine Gruppe […] erhöht" wurden. Trotz dieses Stellenausbaus waren jedoch an den teilnehmenden Hochschulen auch im Jahr 2021 jeweils weniger als ein Drittel aller Junior- und befristeten W2-Professuren mit einem Tenure ausgestattet. 

 

Der Zuwachs an Tenure-Track-Stellen führte selbst an den teilnehmenden Hochschulen lediglich zu einem Anstieg ihres Anteils an der Gesamtzahl der Professuren von 1,2  (2016) auf 2,9 Prozent (2021). Zur Einordnung: Geht man davon aus, dass dauerhaft berufene Professor:innen etwa 24 Jahre auf ihren Stellen bleiben, werden jährlich deutlich mehr als 1000 Professuren frei. Dem stehen bei einer Tenure-Track-Laufzeit von sechs Jahren nun 125 jährlich beendete Tenure-Tack-Verfahren gegenüber. Von einer flächendeckenden Etablierung des Tenure Tracks zur Schaffung planbarer Karrierewege sind wir daher weit entfernt. 

 

Die Besetzung dieser Stellen erfolgte im Durchschnitt mit 36 Jahren. Dies führt im Vergleich zum mittleren Alter einer Erstberufung von 43 Jahren früher zu mehr persönlicher Jobsicherheit, allerdings haben die vom Programm Profitierenden zu diesem Zeitpunkt statistisch bereits eine Postdoc-Zeit von fünf Jahren hinter sich und damit die Befristungsgrenze nach WissZeitVG fast erreicht.

 

Über die Förderung von Personen im Rahmen des Programms hinaus stellt sich die Frage, wie nachhaltig dessen strukturelle Effekte sind. Zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten waren die Hochschulen verpflichtet, bis zum Ende der Programm-Laufzeit zusätzlich 1000 dauerhafte Professuren einzurichten. Dieses Ziel werden sie wahrscheinlich erfüllen. Ob dies jedoch ein Effekt des WISNA-Programms ist, muss bezweifelt werden, schließlich lässt sich schon für die Jahre davor ein sogar etwas höherer Aufwuchs verzeichnen. Diese zusätzlichen Stellen sind sicherlich auch mit dem damaligen Anstieg der Studierendenzahlen zu erklären.

 

Insofern lassen sich hier ähnliche Effekte wie beim Zukunftsvertrag beobachten, bei dem der Länderanteil der Finanzierung nichts Anderes abdeckte als die normalen Preis- und Tarifsteigerungen in den Hochschulbudgets, die die Länder vermutlich auch ohne Zukunftsvertrag hätten leisten müssen. Ein Aufwuchs an wissenschaftlichen Stellen ergab sich dadurch nicht.

 

Unabhängig davon, ob das Programm wirklich zusätzliche Professuren generieren konnte, ist es spannend zu untersuchen, welchen längerfristigen Einfluss es auf die Etablierung des Tenure Tracks an Universitäten hat. Natürlich haben die Universitäten die für die Einwerbung der Projektmittel geforderten Rahmenbedingungen geschaffen. Darin sind sie schließlich geübt. Ob Tenure-Track-Stellen nach Programmende aus den normalen Haushaltsmitteln der Universitäten weiterfinanziert und damit auf Dauer erhalten bleiben, ist  abzuwarten. Zumindest zwei Drittel der geförderten Universitäten haben sich verpflichtet, bis zum Ende des Programms deutlich höhere Tenure-Track-Anteile an allen Berufungen zu erreichen. Bei diesen Universitäten soll dieser Anteil dann durchschnittlich 22 Prozent betragen.

 

Kaum zusätzliche Professuren mit
Tenure Track über das Programm hinaus

 

Ärgerlich ist es, dass im Bericht keine genaueren Informationen dazu geliefert wurden, welche Hochschulen sich zu welchen zukünftigen Anteilen von Tenure-Track-Berufungen verpflichtet haben und dass in der Evaluation ausdrücklich darauf verzichtet wurde, den derzeitigen Stand der Zielerreichung zu untersuchen. Der Bericht stellt lediglich fest: "Bislang konnten jedoch de facto über die programmgeförderten Tenure-Track-Professuren hinaus kaum zusätzliche Professuren mit Tenure Track geschaffen werden."

 

Allein die Tatsache, dass solche Quoten nach meiner Erfahrung selbst an den betreffenden Universitäten weitestgehend unbekannt sind, lässt nichts Gutes erahnen. Dies spiegelt sich auch im Urteil von Hochschulen und Expert:innen. Sie halten das Programm in seinem Umfang für nicht hinreichend, um einen Kulturwandel herbeizuführen, und selbst "[n]ur gut die Hälfte der Hochschulen bewertet die längerfristige Wirkung hier positiv".

 

Das Programm verfolgt das hohe Ziel, durch die Etablierung des Tenure Tracks "Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs planbarer und transparenter zu gestalten" (Paragraph 1b Verwaltungsvereinbarung). Dieses Ziel wird das Programm wohl allenfalls graduell erreichen. Nicht nur weil dafür (neben anderen denkbaren Lösungen) eine flächendeckende Etablierung des Tenure Tracks als Weg zu Vollprofessur notwendig wäre, sondern auch, weil der Einritt in eine Tenure-Track-Professur weiter viel zu spät erfolgt. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Tenure Track selbst bereits einen schmerzhaften Kompromiss zwischen Sicherheit in der Karriereplanung ausgebildeter Wissenschaftler:innen auf der einen und dem Wunsch nach weiterer Bewährung auf der anderen Seite darstellt.

 

Mit Blick auf eine wie auch immer zu erwartende Umsetzung des Maßgabebeschlusses lässt sich festhalten, dass der Bund nicht nur konkrete Strukturvorgaben machen muss, wenn er vor dem Hintergrund eines weiter geltenden umfassenden Sonderbefristungsrechts gestalterisch eingreifen will. Er muss zugleich verhindern, dass seine Vorgaben im Zuge der Umsetzung durch kreative Buchführung unterlaufen werden. 



In eigener Sache: Journalismus kostet

Vielen Dank für Ihre Unterstützung meiner Arbeit! Wie steht es um den Blog? Ein aktueller Überblick und eine Bitte.

 

Mehr lesen...


Kommentar schreiben

Kommentare: 6
  • #1

    PB (Dienstag, 29 Oktober 2024 23:01)

    Vielen Dank für den interessanten Artikel:

    Zur Frage der strukturellen Effekte & Ihrer Aussage: "Zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten waren die Hochschulen verpflichtet, bis zum Ende der Programm-Laufzeit zusätzlich 1000 dauerhafte Professuren einzurichten. Dieses Ziel werden sie wahrscheinlich erfüllen."

    Ich bezweifle diese Aussage: Denn wie an vielen Unis, so auch meiner, wurden die zusätzlichen Professuren nur für die Laufzeit des Programms zusätzlich eingerichtet.

    Denn in Tat und Wahrheit waren es in aller Regel nichts anderes als vom Bund finanzierte vorgezogene Berufungen von Professuren. Wenn deren Inhaber nun bald in den Ruhestand gehen, fallen die zusätzlichen Stelle wieder weg.

  • #2

    Wolfgang Kühnel (Mittwoch, 30 Oktober 2024 11:19)

    Zu #1: Genau das ist das Problem. Alle tönen groß daher über mehr Dauerstellen, und was wird bewilligt: befristete Gelder für ein befristetes Sonderprogramm. Da werden Professuren (oder auch Dauerstellen im Mittelbau?) für ein paar Jahre finanziert mit der Maßgabe, dass die Hochschulen die Anschlussfinanzierung aus ihrem schon vorhandenen Stellenpool garantieren. Das ist nur eine PR-wirksame Mogelpackung.

  • #3

    Heinz Erhart (Mittwoch, 30 Oktober 2024 13:01)

    Niemand kann kontrollieren, dass nicht zur (Weiter-)Finanzierung jeder "neu eingerichteten" Professur eine alte Stellenhülse genutzt oder an anderer Stelle eine bestehende Professur kassiert wird. Und so wird es natürlich gehandhabt. Gerne auch mit Verschiebungseffekten: W1TT "Informatik" neu für W2 "Klassische Archäologie" alt. Wer soll das monieren?

    Verbunden damit sind W1-Tenure-Track-Professuren vor allem Ausbeutungs- und Sparmaschinen. Nirgendwo kann man Personen so gut unter Druck setzen, "Zielvereinbarungen" zu erfüllen, wie hier.

    Gespart wird, weil für W1TT i. d. R. bestehende W2- oder W3-Stellen kassiert werden. Für einzelne Bewerber_innen des "Nachwuchses" mag das attraktiv sein. De facto untergräbt es den Wettbewerb um die besten Köpfe und spart unten und oben zugleich. Unten: Weil man nicht nominell, aber faktisch Stellen auf 6 Jahre billig besetzt, für die man früher 6 Jahre lang W2 oder W3 investiert hätte (und viele, allerdings nicht alle Personen, die W1TT erhalten, könnte man auch direkt auf W2 berufen). Oben: Weil Personen, die bereits Professuren haben, in ihren Weiterbewerbungs- und Verhandlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, da für sie Stellenoptionen wegfallen. Man hat inzwischen eben bemerkt, dass der SPD-induzierte permanente Wettbewerb post-Schröder teuer ist, und dieses Geld will man nicht ausgeben, zumindest nicht im Bildungsbereich.

  • #4

    Karla K. (Donnerstag, 31 Oktober 2024 07:36)

    Wie wäre es denn mit dieser Variante:

    Die Hochschulen nutzen einfach die nun unbefristet zur Verfügung stehenden Mittel des Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken für die dauerhafte Finanzierung der Tenure-Track-Professuren - dann dient der ZSL der Schaffung von Dauerstellen im wissenschaftlichen Bereich, so wie es sein soll. Als Ausstattung gibt es auch aus ZSL-Geldern eine WM-Stelle, dann ist auch noch was für die Nachwuchsförderung getan.

  • #5

    PD on the run (Freitag, 01 November 2024 09:36)

    Mit dem Tenure-Track-Programm werden neu zu besetzende W2- und W3-Professuren auf W1 downgegradet und für die Uni komfortabel zwischenfinanziert. Für habilitierte Privatdozent:innen ist das ein Wettbewerbsnachteil, denn sie sind für die W1 überqualifiziert.

  • #6

    KN (Freitag, 01 November 2024 21:30)

    Das TT-Programm hat eine neue, sehr lukrative und von außen betrachtet verhältnismäßig unauffällige Einspar-Variante etabliert: Wurden mit dem TT-Programm noch neue W1 tt geschaffen und bereits vorhandene W2/W3-Hülsen hinterlegt (die dann auch schon mal bereits in 3 Jahren frei wurden), ist es an mancher Fakultät nun usus, regelmäßig eine gewisse Anzahl von frei werdenden W2/W3-Professuren zu benennen, die als W1 tt besetzt werden - ganz ohne Programm, einfach so, weil es so einfach ist und erkleckliche Summen frei macht, ohne dass man Stellen so richtig streichen muss. Hätte man dazu genaue Zahlen, wäre es sicher spannend einmal genauer zu untersuchen, was für Folgen das in naher und mittlerer Zukunft für Wissenschaftler:innen, die eine Professur anstreben, hat - welche Jahrgänge dadurch profitieren und welche verlieren, was es für die die Postdoc- und Habilitations-Debatten bedeutet, wenn nachher im eigenen Fach sowieso nur W1 tt-Professuren ausgeschrieben werden und keine W2/W3 mehr, und wer ganz abspringt, weil es einfach zu schlecht bezahlt ist.
    Jedenfalls, anbindend an Kommentar #4: Auf keinen Fall sollte das ZSL-Geld auch noch in dieses System laufen, es sollten stattdessen unbedingt alternative Karrierewege im Mittelbau geschaffen werden, die "neben und unter der Professur", wie Fau Kraft hier im Blog so schön schrieb, unbefristete Anstellungen ermöglichen und Perspektiven bieten. Also echte Dauerstellen im Mittelbau.