Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra über das Ende des Berliner Postdoc-Paragraphen und wie sie trotzdem die Entfristungsversprechen halten will.
Ina Czyborra ist promovierte Archäologin und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende in Berlin. Über viele Jahre war sie wissenschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. Im April 2023 übernahm sie das Amt der Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Foto: Hans-Christian Plambeck.
Frau Czyborra, im Herbst 2021 hat eine Gruppe rot-rot-grüner Wissenschaftspolitiker eine bundesweit einzigartige Bestimmung ins Berliner Hochschulgesetz gedrückt, gegen den Willen der damaligen Senatsverwaltung wohlgemerkt: Postdocs, Juniorprofessoren und Hochschuldozenten sollten laut Paragraf 110, Absatz 6 künftig den Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung erhalten. Eine für Hochschulen verpflichtende Anschlusszusage, wenn auch nur auf Haushaltsstellen. Sie, Frau Czyborra, gehörten zu dieser Gruppe von Wissenschaftspolitikern. Was sagen Sie als heute für die Hochschulen verantwortliche Senatorin: War Ihre auf Fotos dokumentierte Sektlaune von verfrüht?
Wir hatten nach jahrelanger Diskussion eine sehr umfassende Novelle des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) zustande gebracht, von der viel Gutes bis heute Bestand hat. Insofern war ein Glas Sekt durchaus berechtigt. Den Paragraf 110,6 hatten wir im parlamentarischen Verfahren formuliert als Ergebnis ausführlicher Diskussionen, die damals, Stichwort "#IchbinHanna", an den Hochschulen zur Entfristungsfrage liefen. Die Erwartungshaltung, dass etwas Grundsätzliches kommen muss, war sehr groß. Die Entscheidung, eine verpflichtende Anschlusszusage ins Gesetz zu nehmen, fiel dann in letzter Sekunde. Ich habe aber von Anfang gesagt, dass das ein sehr langer Weg sein wird, das Wissenschaftssystem mit seinen Beschäftigungsverhältnissen nachhaltig zu verändern. Und dass es schwierig werden könnte mit der Umsetzung des Paragraphen. Genau deshalb war von Anfang an eine Übergangsfrist geplant, um den Wortlaut des Gesetzes noch einmal anpassen zu können.
Die Übergangsfrist wurde nach Antritt des schwarz-roten Senats weiter verlängert.
Was ich wichtig finde: Mit dem Paragraphen haben wir Druck erzeugt, dass die Hochschulen sich der notwendigen Veränderung stellen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und an dem Ziel, künftig überwiegend Postdoc-Stellen mit Anschlusszusage zu schaffen, halten wir fest.
Offiziell kassiert hat die verpflichtende Anschlusszusage Ihr Staatssekretär Henry Marx Mitte Oktober, und zwar in einer Sitzung des "Forums Gute Arbeit“ an Hochschulen. Woraufhin Verwirrung an den Hochschulen ausbrach, wie genau es jetzt weitergehen soll. Warum diese Art der Kommunikation? Warum sind sie nicht gleich selbst als Senatorin an die Öffentlichkeit gegangen und haben gesagt: Wir lassen das mit dem 110,6?
Das "Forum Gute Arbeit" liegt in der Zuständigkeit des Staatssekretärs. Er wollte dort den aktuellen Arbeitsstand zwischen Bund und Ländern und unsere diesbezüglichen Überlegungen mitteilen, das war nicht gedacht als der „große Verkündungstermin“. Wir stehen aber unter einem hohen Zeitdruck, weil die Übergangsregelung am 31. März 2025 ausläuft. Wir hatten laut Vereinbarung mit der CDU die Verabschiedung der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) im Bund abwarten wollen, um mehr Rechtssicherheit zu bekommen. Wir konnten zur Zeit der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2023 aber nicht wissen, wie lange sich das hinzieht. Irgendwann mussten wir die Rechtsunsicherheit einfach beenden. Aber wie Sie sagen: Offenbar haben wir mit der Nachricht Unsicherheit ausgelöst.
"Wir suchen angesichts
der Rechtsunsicherheit einen anderen Weg
zum immer noch gleichen Ziel."
Sagen Sie im Rückblick: Die Abkehr von der verpflichtenden Anschlusszusage hätten wir anders kommunizieren müssen?
Wir hätten sensibler im Vorfeld überlegen sollen, wie wir das den Hochschulen mitteilen, ja. Die Botschaft soll sein: Wir suchen angesichts der Rechtsunsicherheit einen anderen Weg zum immer noch gleichen Ziel. Das Konzept, die neuen "Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur", die von der Hochschulrektorenkonferenz zusammen mit der Jungen Akademie verabschiedet wurden, gefällt uns in der Senatsverwaltung sehr gut, vor allem die darin beschriebenen Stellenprofile mit Tenure Track, vom Researcher über den Lecturer bis zum Academic Manager. Zumal die Leitlinien gut zu unserer in den Hochschulverträgen bereits festgeschriebenen Entfristungsquote von 40 Prozent über den gesamten Mittelbau hinweg passen – die, weil Doktoranden grundsätzlich Zeitverträge haben, im Postdoc-Bereich rechnerisch zu einer sehr, sehr hohen Entfristungsquote führen muss.
Sie verweisen auf Rechtsunsicherheiten, vor allem auf die immer noch nicht beschlossene WissZeitVG-Novelle, außerdem laufen zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Reform. Aber mal ehrlich: Angesichts Haushaltsnöte des Senats drängt sich doch ein anderer Verdacht auf: Sie fürchten die Folgekosten des 110,6 und ziehen daher die Reißleine.
Das stimmt aber nicht. Richtig ist zwar: Auf mittlere Sicht werden Wissenschaftlerstellen teurer, wenn der Entfristungsanteil steigt. Je länger sie eine Stelle haben, desto höher werden sie beim Gehalt eingruppiert, sie rutschen in höhere Erfahrungsstufen. Aber das ist auch in Ordnung so, die Mehrkosten lassen sich rechtfertigen, denn die Leute haben mehr Erfahrung, sie machen qualitativ hochwertige Arbeit, und die Hochschulen sparen sich die permanente neue Einarbeitung.
Dann wird es aber doch teurer für Ihren Haushalt.
Es wird teurer, aber nicht kurzfristig, und außerdem müssen die Hochschulen das innerhalb ihrer verhandelten Budgets selbst tragen. Was sich wie gesagt für sie rechnet. Für die aktuelle Haushaltsaufstellung im Senat spielt das alles keine Rolle.
Die von Ihnen abgeräumte verpflichtende Anschlusszusage war seit ihrer Ankündigung bundesweit der Unique Selling Point der Berliner Strategie für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Was bleibt denn ohne sie in der Hinsicht noch? Doch nicht die Leitlinien der HRK und der Jungen Akademie?
Was bleibt, ist unser Bekenntnis, dass ein Großteil der Postdoc-Stellen mit Anschlusszusage besetzt werden muss. Weil ich das wissenschaftspolitisch für absolut notwendig halte. Dazu gehört, dass die Unis jetzt den Umgang mit dem Instrument lernen müssen. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um eine Tenure-Track-Professur an der Universität Potsdam zeigen, dass die Logik und die Bedingungen einer Anschlusszusage noch nicht von allen verstanden wurden. Eine Anschlusszusage bedeutet, dass es transparente Leistungsbedingungen gibt für eine Anschlussbeschäftigung, klar formuliert von Anfang an. Doch tritt die Anschlussbeschäftigung auch nur bei Erreichen dieser Bedingungen ein. Also in deutlich weniger als 100 Prozent der Fälle. Und das muss so sein, weil wir die Besten gewinnen und halten wollen. Das erfordert Mut auch auf Seiten der Hochschulleitungen, das durchzusetzen. So gehen alle Staaten mit Tenure-Track-System vor, und ich halte das deutsche Wissenschaftssystem für so lernfähig, dass man das hinbekommen wird.
Sie nennen die 40 Prozent Entfristungsquote im Mittelbau als Garant dafür, dass sich die allermeisten Postdocs künftig eine Anschlusszusage erhalten. Kritiker sprechen von einer Nebelkerze. Die 40 Prozent seien vielerorts längst überschritten, der tatsächliche Handlungsdruck in den Hochschulen sei entsprechend gering.
Es kommt sehr auf die Hochschule an. Die Humboldt-Universität erfüllt die Quote, die Technische Universität noch lange nicht, und auch die Freie Universität muss noch ein gutes Stück Weg zurücklegen. Außerdem sind die Hochschulen gefragt, die 40 Prozent über ihre ganze Breite umzusetzen. Das erfordert eine intensive Debatte zwischen den Fächern und Fachkulturen, organisiert von den Hochschulleitungen. Welche Disziplinen haben noch keine Anschlusszusage eingeführt und wollen es auch nicht? Und welche Ausnahmen sind tatsächlich gerechtfertigt? Ich plädiere für möglichst viel Konsequenz. Denn kein einziger Postdoc wird durch eine Anschlusszusage zum Bleiben gezwungen, sie sind jederzeit frei zu gehen, wenn der nächste Karriereschritt sie anderswohin führt.
"Der Paragraf war als Fanal für bessere Beschäftigungsbedingungen gedacht, und so wurde bundesweit aufgenommen."
Und wenn die 40 Prozent hochschulweit erreicht sind, wie an der Humboldt-Universität, ist der Handlungsdruck weg?
Gerade die Humboldt-Universität hat sich intensiv Gedanken gemacht über ihre künftigen Personalkonzepte. Nicht, um irgendwelche Zielzahlen zu erfüllen, sondern um im Wettbewerb bestehen und gute Arbeit anbieten zu können. Bemerkenswert ist zum Beispiel das Department-Modell, das die Philosophie umgesetzt hat. Wer weiter möglichst kurz befristen will, wird nicht konkurrenzfähig sein, so einfach ist das. Und auch an der Humboldt-Universität geht es weiter, die neuen Stellenprofile Researcher, Lecturer und Academic Manager müssen als nächstes umgesetzt werden.
Vorhin haben Sie gesagt, der Paragraph 110,6 habe schon durch seine Ankündigung großen Veränderungsdruck erzeugt. Hatten Sie womöglich nie vor, die Regelung wirklich einzuführen?
Der Paragraf war als Fanal für bessere Beschäftigungsbedingungen gedacht, und als solches ist er bundesweit aufgenommen worden. Eine Universitätspräsidentin ist seinetwegen zurückgetreten, weil sie gesagt hat: Vielleicht ist das der richtige Weg, aber nicht mehr mit mir. In jedem Fall ist schon durch die Ankündigung sehr viel in Bewegung gekommen, die Debatte, wie wir mit der Early-Career-Phase umgehen wollen, wurde befördert. Klar hätten wir uns gewünscht, dass all das stärker auf die Bundesgesetzgebung ausgestrahlt hätte, in Form einer Länderöffnungsklausel zum Beispiel. Aber wir müssen uns den Realitäten stellen.
Das heißt: Wenn der Bund doch noch eine Länderöffnungsklausel beschlösse, würden Sie die verpflichtende Anschlusszusage wieder aus der Tasche holen?
Es wird keine Öffnungsklausel geben, so realistisch muss man sein. Aber klar, dann hätten wir mehr Spielräume, die unterschiedlichsten Ideen und Konzepte der Hochschulen umzusetzen. Allerdings hätten wir dann immer noch einen Koalitionspartner in Berlin, der manches anders sieht. Und in der Radikalität, wie wir den Paragrafen 110,6 geplant hatten, wäre er höchstwahrscheinlich ohnehin nicht verfassungsfest.
Ist der von Ihnen eben nebenbei erwähnte Koalitionspartner der eigentliche Grund, warum die Anschlusszusage gestorben ist?
Wir hatten uns darauf verständigt, das Gesetz im Lichte des WissZeitVG zu überprüfen. Dass es darüber hinaus zwischen uns und der CDU unterschiedliche Auffassungen und Schwerpunktsetzungen gibt beim Thema Beschäftigung in der Wissenschaft, sieht man schon an der Debatte im Bund. Für mich bleibt das Kernproblem der Hochschulgesetzgebung der Gedanke, es müsse ein "One-Fits-All" geben. Das kann nicht klappen. Wir brauchen Gesetze, die die sehr unterschiedlichen Fachkulturen und persönlichen Karrierewege berücksichtigen, und da sehe ich uns in Berlin auf dem richtigen Weg.
Schaffen Sie es überhaupt noch bis zum Ende der Übergangsfrist Ende März 2025, das Gesetz zu ändern inklusive aller nötigen Anpassungen für die neuen Personalkategorien?
Prinzipiell halte ich das für möglich – wenn alle an einem Strang ziehen. Sobald das Gesetz auf dem Weg ins Abgeordnetenhaus ist, liegt es nicht mehr in unserer Hand. Sollte es länger dauern, müssen wir eben noch etwas länger mit der Rechtsunsicherheit umgehen. Aber wir wollen das zeitnah beschließen.
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Larissa Klinzing (Mittwoch, 06 November 2024 16:07)
Ich fange vom Ende der Argumentation der Senatorin an:
1. den Zeitdruck kann man auch durch eine weitere Verlängerung der Übergangsfrist der Anschlusszusage um ein Jahr entkräften. Die Einstellungen der PostDoc kann sowie so zum Sommersemestern 2025 nicht ermöglich werden. Dafür hatte man die neuen Regelungen schon im September 2024 gebraucht.
2. das neue WissZeitVG kann in 2025 in Kraft tretten, nicht unwahrscheinlich auch mit einer Öffnungsklausel für die Länder. Warum hat der Bundesrat so einen Vorschlag von Berlin nicht behandelt? Sie kannn noch im parlamentarichen Verfahren als Kompromiss zur Anschlusszusage kommen.
3.Die (neue)Begründung für verfassungsrechtliche Probleme wurde nicht gegeben. Die Klage der HU wurde im Rechtgutachten von Prof R.Will ausführlich bewertet.Eine Gefahr für die Umsetzung des §110 (6) auch ohne Änderung des WissZeitVG wurde nicht angezeigt.
4. An keiner Berliner Universität ist die Befristungsquote bei Postdoc gesunken. Die 40% der Dauerbeschäftigung betreffen Stellen wie Lehrkräfte für besondere Aufgaben, für die eine weitere Befristung zur Qulifikation nicht notwendig ist. Einen Fortschritt für die Verträge zur selbständigen Wahrnehmung der Aufgaben in Forschung und Lehre nach der Promotion hat die Senatsverwaltung eher verhindert als unterstützt.
Wolfgang Kühnel (Mittwoch, 06 November 2024 17:13)
"Und auch an der Humboldt-Universität geht es weiter, die neuen Stellenprofile Researcher, Lecturer und Academic Manager müssen als nächstes umgesetzt werden."
Wenn man irgendwelche alten durch neue englische Bezeichnungen ersetzt, dann hat man natürlich eine große Reform "auf den Weg gebracht". Schon in den 1970er Jahren gab es an der TU Berlin einen Leiter der Fachbereichsverwaltung, als Amtsbezeichnung "Universitätsrat" (A13/A14). Gewiss hätte der sich geschmeichelt gefühlt, wenn er sich "Academic Manager" hätte nennen dürfen, das sieht doch an der Bürotür viel besser aus. Und "Lecturer" gab es in Form von Akademischen Räten (A13/A14) sowie C2-Professoren, beide in der Regel als Dauerstellen. In England ist ein "Lecturer" bzw. "Senior Lecturer" ziemlich genau dasselbe. Zur Information hier eine Tabelle dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lecturer
Was nun die "Researcher" auf Dauerstellen machen sollen, weiß ich allerdings nicht. Dergleichen gibt es wohl in geringem Umfang beim CNRS in Frankreich, aber nicht als Stellen direkt an Universitäten (Chargé de recherche oder Directeur de recherche).
Generell sollte man auch die Frage diskutieren, ob "bessere Beschäftigungsbedingungen" im Sinne von "IchBinHanna" tatsächlich zu einer besseren Qualität des Erreichten und zu besserer Konkurrenzfähigkeit führen werden. Es wird sehr auf die Art ankommen, wie das Personal für Dauerstellen ausgewählt wird, wie das mit den "Seilschaften" wird und auch, ob es Quoten für Diversität geben soll oder ob allein die fachliche Qualifikation den Ausschlag gibt und wer darüber entscheidet. Ob an der HU Berlin jemand eine Dauerstelle bekommen kann, der nicht gendern will, ist auch eine Frage.
Wortbruch für #ichbinHanna (Mittwoch, 06 November 2024 19:11)
„Genau deshalb war von Anfang an eine Übergangsfrist geplant, um den Wortlaut des Gesetzes noch einmal anpassen zu können.“ Ich möchte die Senatorin daran erinnern, dass die Übergangsfrist vom Gesetzgeber eingezogen worden ist, um den Hochschulen mehr Zeit einzuräumen, konkrete Umsetzungskonzepte und passgenaue Satzungen für §110(6) zu entwickeln. Auf diesen Weg haben sich die Hochschulen auch bis Ende Oktober gemacht. Davon den Paragraphen aufzuweichen oder seine Verfassungsrechtlichkeit in Frage zu stellen, war seit 2021 keineswegs die Rede in den Reihen derjenigen, die das Gesetz geschrieben haben. Die Senatorin hat den Paragraphen anscheinend solange hochgehalten, wie er als politisches Fanal für sie selbst nützlich war, z.B. um sich als radikale Reformerin zu feiern (mit oder ohne Sektglas) oder um unliebsame Unipräsidentinnen aus dem Weg zu räumen, wie sie es im Interview darstellt. Vielleicht auch, um sich selbst auf den freigewordenen Amtssessel nach den Neuwahlen zu verhelfen? Spätestens hier hätte sie ja transparent Farbe bekennen können! Noch im letzten Wissenschaftsausschuss wollte man offensichtlich alle Welt glauben lassen, dass man an den konkreten Umsetzungsplänen für §110(6) arbeitet. Nun kam die Wahrheit dessen, was da im Hintergrund in der Senatsverwaltung geschmiedet wird, anscheinend schneller ans Licht als gewollt! Vielleicht kann man dem Forum Gute Arbeit an Berliner Hochschulen dankbar sein, dass dies dort vorzeitig aufgedeckt worden ist.
Was hier nun plötzlich vollzogen werden soll, ist ein politischer Wortbruch auf dem Rücken der Betroffenen! Das ist in der Tat alles andere als sensibel, und zwar nicht nur gegenüber den Hochschulleitungen, liebe Senatorin! Seit 2021 warten qualifizierte Wissenschaftler:innen bundesweit und international auf die ersten Umsetzungsschritte in Berlin. Aber: Keine einzige Postdoc-Stelle mit Anschlusszusage ist seitdem ausgeschrieben und besetzt worden! Stattdessen wurden Wissenschaftler:innen in Berlin an entscheidenden Karrierepunkten seit 2021 in Berlin systematisch benachteiligt und hingehalten: täglich grüßt die Verlängerung der Übergangsfrist!
Und: Berlin hätte es ja selbst in der Hand, sich im Bund für eine Öffnungsklausel einzusetzen. Da muss man als Berufspolitikern nur mal etwas aktiv für tun! Wo waren die Forderungen aus Berlin auf Bundesebene? Haben wir da was überhört oder überlesen?
Den Mut zur Umsetzung jetzt den Hochschulleitungen aufzulasten, die lernen müssten, mit einem nun nicht mehr gesetzlich verpflichtendem Instrument umzugehen, ist hinsichtlich der zurückliegenden Erfahrungen jahrzehntelanger Befristungspolitiken doch für alle Betroffenen blanker Hohn. Welche Hochschulleitung hätte schon jemals ihren eigenen Professuren bindend vorgeschlagen, Dauerstellen einzurichten und auf eigene Personalausstattung zu verzichten? Hat die Senatorin vergessen, warum der Gesetzgeber eine solche Verpflichtung ins Gesetz geschrieben hat? Der Mut, Druck zu machen, gehört in die politischen Reihen!
Denn Optionen zur unbefristeten Einstellung gab es schon vor der BerlHG-Novellierung. Nur, dass es eben nicht praktiziert wurde. Nun kann man also die Hoffnungen nur noch auf den globalen Fachkräftemangel setzen und hoffen, dass der konkurrierende Markt dazu führt, Institute zu einer Richtungsänderung zu bewegen.
Was jetzt unter dem SPD geführten Ressort mit der üblichen Berliner Nonchalance präsentiert wird, ist ein großer Schaden für Berlin und die Signalwirkung, die von hier hätte ausgehen können und von zukünftigen Wissenschaftsgenerationen erwartet wurde. Im Weg standen doch eigentlich nur noch die Berliner Verwaltungsvorschriften: MAVO, KapVO, LVVO passten von Anfang an nicht zum reformerischen Geist des Gesetzes und hätten längst abgeräumt werden müssen. Das ist schon lange allen Beteiligten klar. Wie oft soll man es noch wiederholen, dass die versäulten Prekärstrukturen an Universitäten für Wissenschaftsbiographien toxisch sind! Sie waren es und werden es auch künftig sein. Bei der aktuellen Marktlage kann man flächendeckend prognostizieren, wohin die Exzellenz steuert: Bestenauslese aus Resten zu betreiben. Danke, Berlin!
Lilly Berlin (Mittwoch, 06 November 2024 22:07)
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet an der TU Berlin, wo die Präsidentin ja angeblich so sehr für gute Arbeitsbedingungen eintritt, nun sogar die bestehenden Verträge mit Anschlusszusage in Frage gestellt werden. Wieder einmal: Sonntagsreden vs Realität.