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Politik, die auf Wissenschaft fußt, wird anerkannt

Die Deutschen setzen auf Wissenschaft, zeigen aktuelle Zahlen. Die Gesellschaft ist Populismus nicht schutzlos ausgeliefert: Die Forderung nach wissenschaftsbasierter Politik erreicht neue Höhen.

Symbolbild, KI-generiert.

ES IST DIE GUTE NACHRICHT inmitten der schlechten. Das Vertrauen der Menschen in Deutschland in die Wissenschaft ist weiter hoch, teilweise nimmt es sogar zu. In der repräsentativen Wissenschaftsbarometer-Befragung, verantwortet von "Wissenschaft im Dialog", antworteten 55 Prozent, sie vertrauten "voll und ganz" oder "eher" der Wissenschaft, ein Prozentpunkt weniger als vergangenes Jahr.

 

Viel wichtiger aber ist, dass der Anteil der Menschen, die nach eigenen Angaben kein Vertrauen haben, um ein Drittel von 13 auf neun Prozent gesunken ist. Was vor allem daran liegt, dass Menschen mit einem niedrigen formalen Bildungsniveau wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft fassen.

 

Und so geht das weiter: Im Vergleich zu 2014 fühlen sich heute mit 17 Prozent nur noch halb so viele Menschen schlecht informiert über Wissenschaft und Forschung. Und der Anteil der Befragten, die sich mehr Einfluss der Wissenschaft auf die Politik wünschen, machte innerhalb nur eines Jahres einen Sprung: von 34 auf 47 Prozent. Sogar über das Vor-Corona-Niveau.

 

In den politisch unruhigen Zeiten, die in Deutschland und international herrschen, von Trumps Triumph bei der US-Präsidentschaftswahl über die ungewisse Regierungsbildung in ostdeutschen Bundesländern bis zum Bruch der Ampelkoalition, bedeutet dieses Verlangen nach Rationalität und Wissenschaftsorientierung eine riesige Chance. Zeigt sich doch, dass unsere Gesellschaft dem Populismus nicht schutzlos ausgeliefert ist.

 

Wer seine Entscheidungen so begründet, bekommt auch Anerkennung und Unterstützung für schmerzhafte Reformen

 

Die Menschen sind auch offen für eine rationale, wissenschaftsbasierte Politik, wie besonders ein Ergebnis des Wissenschaftsbarometers in angesichts mancher Mediendebatten erstaunlicher Deutlichkeit zeigt: 59 Prozent haben Vertrauen zu den Aussagen von Wissenschaftlern zum menschengemachten Klimawandel, satte 20 Prozentpunkte mehr als 2016. Bei Aussagen zu erneuerbaren Energien gilt das für 65 Prozent, zwölf Punkte mehr als vor acht Jahren.

 

So wenig die Öffentlichkeit beim Bruch der Ampelkoalition gerade das Wirken von Rationalität in der Politik beobachten konnte, so sehr sollte sich die nächste Bundesregierung von Anfang an klar sein: Wenn sie ihre Entscheidungen nachvollziehbar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und wissenschaftlicher Evaluation fußt, wird sie dafür Anerkennung und Unterstützung erhalten.

 

Was ihr ermöglichen wird, auch solche dringend nötigen Reformen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft anzustoßen, die womöglich wehtun, zur Überwindung der deutschen Modernisierungskrise aber unvermeidlich sind.

 

Nur einem Irrtum der Corona-Pandemie darf die Politik nicht erneut aufsitzen: Es gibt nie die eine Wissenschaft, die eine oder wenige Disziplinen, die den einen "richtigen" politischen Weg vorgibt. Auf die Gesamtschau kommt es an. Genau diese Einseitigkeit hat dem politischen System, aber auch der Reputation der Wissenschaft massiv geschadet.

 

Auf Seite der Wissenschaft scheint dieser Schaden größtenteils überwunden. Auf Seiten der Politik ist er es noch nicht.

 

Aufgabe der Regierung ist es, die Vielfalt der Disziplinen und ihrer Erkenntnisse einzubeziehen und abzuwägen. Am Ende muss es aber immer eine Entscheidung der Politik sein. Nicht der Wissenschaft.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Timo (Montag, 11 November 2024 18:08)

    Ist die Basis von 1000 Befragungen für das Mass an Differenzierungen nicht zu schmal?