Die Union sieht nach einer neuen parlamentarische Anfrage Anzeichen für ein Dienstvergehen von Ex-Ministerin Stark-Watzinger und fordert: Der neue BMBF-Chef Özdemir soll Ende Januar vor dem Bundestags-Forschungsausschuss die Ergebnisse seiner Ermittlungen zur Fördermittelaffäre präsentieren.
Symbolbild, Firmbee /Pixabay.
KOMMT IHNEN das bekannt vor? FDP-Chef Christian Lindner sagt, das "D-Day-Papier", das seine Partei in eine beispiellose öffentliche Vertrauenskrise gestürzt hat, sei auf "Mitarbeiterebene" entstanden und dort diskutiert worden. Er habe es "nicht zur Kenntnis genommen und auch nicht gebilligt". Zurücktreten mussten deshalb am vergangenen Freitag andere: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann, die die politische Verantwortung auf sich nahmen.
Als im Frühsommer das ARD-Magazin "Panorama" von dem später gestoppten BMBF-internen Auftrag berichtete, den Entzug von Fördermitteln an die Unterzeichner eines offenen Protestbriefs gegen die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Berliner Freien Universität zu prüfen, versicherte FDP-Vizechefin Bettina Stark-Watzinger: Dies sei "nicht von mir beauftragt" gewesen und "ohne meine Kenntnis" ergangen.
Und die schon vor dem Prüfauftrag initiierte Erstellung einer Liste mit BMBF-geförderten Unterzeichnern "in Eigenverantwortung der Abteilung" sei ihr ebenfalls nicht bekannt gewesen. Gehen musste im Juni angesichts des historischen Ansehensverlusts eines Forschungsministeriums in der Forschungsszene ebenfalls jemand anders: Die damalige Staatssekretärin Sabine Döring, die zuvor in einer BMBF-Mitarbeitermail geschrieben hatte, sie habe sich bei der Erteilung des vermeintlichen Prüfauftrags "offenbar missverständlich ausgedrückt".
Wie freiwillig die Verantwortungsübernahme durch Djir-Sarai und Reymann oder der Inhalt von Dörings Mitarbeitermail tatsächlich waren, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Viel entscheidender ist: Beide, Lindner und Stark-Watzinger, haben bzw. hatten nach eigenen Angaben keine Ahnung von wesentlichen Vorgängen in ihren Häusern. Obwohl in der FDP-Zentrale das Thema "Umgang mit einem möglichen Koalitionsbruch" ebenso Chefsache war wie das Führen der öffentlichen Debatte zu propalästinensischen Uniprotesten diesen Frühsommer im BMBF.
Die "Kleine Anfrage" an die alte BMBF-Führung
beantwortete jetzt die neue
Gemeinsam haben Lindner und Stark-Watzinger auch, dass die Krisen für sie persönlich längst nicht ausgestanden sind. Im Falle der Ex-BMBF-Chefin bedeutet das: In ihrem Büro sitzt jetzt ein neuer Minister, der Grüne Cem Özdemir, und der hat nun schon mehrfach, zuletzt beim Jahresempfang der Leibniz-Gemeinschaft, öffentlich versichert, dass er in der "Fördermittelaffäre" eine "transparente und umfassende Aufklärung" vornehmen werden. Er wisse um den entstandenen Vertrauensverlust.
Die jetzt veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf 135 Fragen der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, über die zuerst das ARD-Hauptstadtstudio berichtete, zeigt, in welche Richtung es in den nächsten Wochen gehen könnte. Eingegangen war das im Parlamentssprachgebrauch "Kleine Anfrage" genannte Kompendium am 31. Oktober, also kurz vor dem Koalitionsbruch. Nach dem Rücktritt Stark-Watzingers erbat das BMBF zweimal Fristverlängerung bei der Union, zweimal wurde sie gewährt – mit dem Ergebnis, dass die Antworten jetzt aus Özdemirs Leitungsteam stammen – und die Unterschrift seiner parlamentarischen Staatssekretärin Claudia Neumann tragen.
Sie fallen insgesamt mit Verweis auf "die laufenden ressortinternen Prüfungen und Beratungen" noch knapp aus. So erledigt das BMBF die Fragen Nummer 32 bis 126 mit einer geschweiften Klammer ("werden im Zusammenhang beantwortet") und insgesamt 18 Textzeilen. Doch genau in diesen findet sich die entscheidende Passage: "Nach Kenntnis der Bundesregierung wurde zum genannten Themenkomplex keine dienstliche Kommunikation über die App "Wire (Bund)" geführt."
Der mögliche Sprengstoff dieser Aussage erschließt sich, wenn man weitere Ausführungen des Ministeriums in den 18 Zeilen hinzunimmt und weitere – frühere – Stark-Watzingers selbst.
Die Ausführungen des Ministeriums: Es gibt zwei Formen von "Wire". Erstens die App "Wire (Bund)", dessen Server vom Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) betrieben werden und für die sichere Nutzung auf Diensthandys des BMBF zugelassen ist. Zweitens die private "Wire"-App, die sich jeder selbst aufs Handy laden kann – mit Servern bei der privaten Wire Swiss GmbH. Und weiter: "Da der Schutz entsprechender Informationen nur eingeschränkt gewährleistet werden kann, ist die dienstliche Nutzung privater Hard- und Software grundsätzlich nicht gestattet. Für dienstliche Zwecke darf grundsätzlich nur die vom Dienstherrn zur Verfügung gestellte Hard-und Software eingesetzt werden. Dienstlich bereitgestellt wird zum Austausch von Chatnachrichten der Messenger-Dienst "Wire (Bund)"."
Wofür benutzte Stark-Watzinger
ihr privates Handy?
Mit anderen Worten: keine dienstliche Nutzung von "Wire" außerhalb der Bundesversion, und nur auf dienstlichen Geräten.
Nun zur Ausführung von Bettina Stark-Watzinger selbst: In der Sondersitzung des Bundestagsforschungsausschusses zur Fördermittelaffäre im September sagte die Ministerin laut Tagesschau.de, sie habe persönliche Kommunikation "nur auf meinem privaten Handy".
Wenn nun aber das BMBF unter Özdemir angibt, die Bundesregierung habe "zum genannten Themenkomplex" von dienstlicher Kommunikation über die App "Wire (Bund)" keine Kenntnis, kann das dreierlei bedeuten.
Erste Möglichkeit: Es gab diesbezügliche Kommunikation unter dem BMBF-Leitungspersonal über "Wire (Bund)", namentlich in den Wire-Gruppen "BMBF – Kommunikation" und "F-Runde BMBF", aus denen kompromittierende Inhalte zur Fördermittelaffäre in den vergangenen Monaten durchgesickert und zuerst im Spiegel veröffentlicht worden waren. Doch stuft das BMBF sie samt und sonders als "nicht dienstlich" ein. Was freilich eine überwunden geglaubte kommunikative Spitzfindigkeit der Antwort-Formulierung voraussetzen würde, darüber hinaus auch inhaltlich sehr wundern würde und zudem ein Widerspruch zu Stark-Watzingers Aussage wäre, sie habe persönliche Kommunikation nur auf ihrem privaten Handy.
Zweite Möglichkeiten: Die entsprechenden Chats liefen über die dienstlichen Handys und "Wire (Bund"), sind aber zwischenzeitlich gelöscht worden, was aber eigentlich nicht sein kann, weil das BMBF schon im Juli durch einen von der Online-Plattform "FragDenStaat" erwirkten Hängebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln zur vorläufigen Speicherung aller "Wire-"Nachrichten verpflichtet worden war.
Oder, dritte Möglichkeit, die Bundesregierung hat von diesen Chats keine Kenntnis, weil sie gar nicht auf "Wire Bund", sondern auf der privaten Wire-App stattfanden. Was in dem Augenblick ein Verstoß gegen die Vorschriften wäre, wo, und seien es nur zum Teil, doch dienstliche Belange und Zwecke diskutiert worden sein sollten.
Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, hat seine Schlussfolgerung gezogen. "Offensichtlich ist bereits jetzt bekannt, dass es in der ehemaligen Hausleitung unter Führung von Frau Stark-Watzinger durch die dienstliche Nutzung privater Hard- und Software scheinbar zu Dienstvergehen gekommen ist", kommentiert er die BMBF-Antworten.
Ist der Forschungsausschuss zu diesem
Zeitpunkt noch das geeignete Forum?
Ist all das nach dem Abtritt Stark-Watzingers noch wichtig? Ja – aber.
Ja: Weil Verantwortung nicht mit dem Amt endet. Weil sich das Ministerium nur durch radikale Transparenz aus diesem Vertrauensdesaster befreien kann. Weil alle integren BMBF-Beamte die Aufklärung, bei der möglichen "Wire"-Dienstvergehen nur einen Aspekt unter vielen darstellen, als wichtiges Signal auch nach innen brauchen. Und weil jegliches Verwaltungshandeln, auch das der Bundesregierung, dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Aktenführung verpflichtet ist, der sich aus dem im Grundgesetz festgelegten Rechtsstaatsprinzip ergibt. Dazu gehört die Dokumentation aller entscheidungsrelevanten Kommunikation ebenso wie die Nutzung der vorgeschriebenen Kommunikationsformen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Verantwortlichkeiten verschleiert und Beweggründe nicht mehr nachvollzogen werden können.
Aber: Im beginnenden Bundestagswahlkampf wird es immer schwerer, zwischen parteipolitischen und staatspolitischen Motivationen zu unterscheiden. Es ist eine Sache, dass die Union Stark-Watzingers Nachfolger Özdemir ihre "volle Rückendeckung" für "seine Aufklärungsaktivitäten" versichert. Eine andere ist, dass Jarzombek ankündigt: Die Union werde Özdemir bitten, "seinen Abschlussbericht zur internen Prüfung und zu personellen wie administrativen Konsequenzen am 29. Januar 2025 im Bildungs- und Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages vorzustellen". Inklusive Akteneinblick für die Abgeordneten und der – von Stark-Watzinger immer abgelehnten – Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht für die ehemalige Staatssekretärin Döring an diesem Tag.
Verspricht eine öffentliche Ausschusssitzung, in der ein grüner Minister auf Bitten der CDU/CSU-Opposition über das Verhalten einer früheren FDP-Ministerin berichten soll, nicht ganz vier Wochen vor der Bundestagswahl inhaltlich wirklich einen Mehrwert – oder vor allem ein absehbares Parteientheater mit gegenseitigen Vorwürfen? Ist der Ausschuss zu diesem Zeitpunkt das geeignete Forum?
Fragen, die Minister Özdemir auf seine Weise beantworten kann. Er sollte die Ergebnisse der von ihm angestoßenen erneuten Untersuchung zu den Vorgängen im Ministerium möglichst vor dem 29. Januar umfassend der Öffentlichkeit zugänglich machen. Und ebenso sollte er die frühere Staatssekretärin von sich aus von der Verschwiegenheitspflicht entbinden und zwar, anders als die Union fordert, schon vor der Ausschuss-Sitzung, so dass sie sich schriftlich und öffentlich äußern kann.
Unterdessen wurde bekannt, dass Özdemir weiter Tatsachen schafft. Am Freitagnachmittag teilte er per Hausmail mit, dass er den bisherigen Leiter der Zentralabteilung, Dirk Schattschneider, ebenfalls ein Stark-Watzinger-Vertrauter, in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Ob "Wire-Chats" oder "D-Day"-Papier: Am Ende beweist sich wieder einmal die alte Kommunikationsweisheit, dass alles, was herauskommen kann, am Ende auch herauskommt. Was die – für Christian Lindner womöglich bald relevante – Frage aufwirft: Unterliegen frühere FDP-Generalsekretär und Bundesgeschäftsführer eigentlich auch einer Verschwiegenheitspflicht?
In eigener Sache: Zum Jahresende wird es eng
Ihre Unterstützung ermöglicht, dass dieser Blog existieren kann. Helfen Sie bitte (weiter mit), dass seine Beiträge für alle zugänglich bleiben.
Kommentar schreiben