Seit 2018 versprach die Bundesregierung regelmäßig, die gesamtstaatlichen Investitionen für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. Jetzt ist klar: Deutschland wird an diesem Ziel krachend scheitern.
Abbildung: KI-generiert.
NATÜRLICH, ein neuer Höchststand. 88,7 Milliarden Euro haben die deutschen Unternehmen 2023 für selbst durchgeführte Forschung und Entwicklung ausgegeben, 8,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Hinzu kommen weitere 31,7 Milliarden (sogar +14,5 Prozent), die die Wirtschaft in Form von Forschungsaufträgen an "Externe" im In- und Ausland vergeben hat, an andere Unternehmen zum Beispiel, an Forschungsinstitute oder an Hochschulen (wobei zumindest die deutschen Hochschulen wenig attraktiv für Unternehmens-Drittmittel zu sein scheinen).
Doch obgleich der Stifterverband, der jedes Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die "FuE-Befragung" durchführt, angesichts dieser ersten Trendzahlen "Rekord" in seine Pressemitteilung schreibt, relativieren die Experten die Nachricht gleich wieder selbst: Die höheren FuE-Aufwendungen seien zum Teil auf gestiegene Kosten aufgrund der hohen Inflation zurückzuführen. Laut Statistischem Bundesamt lag diese 2023 bei 5,9 Prozent. Nach sogar 6,9 Prozent 2022. Dennoch, so der Stifterverband, gehe "ein erheblicher Teil" auf "eine kräftige Ausweitung" des FuE-Engagements der Unternehmen zurück.
Nüchtern betrachtet sagen die Zahlen allerdings vor allem eines: Das vor fast sieben Jahren, in den damaligen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD, erstmals politisch ausgegebene Ziel, die deutschen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf "mindestens" 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, hat sich endgültig erledigt. Mehr als das. Deutschland wird an diesem Ziel krachend scheitern. So krachend, dass die Zahl 3,5 in der Pressemitteilung des Stifterverbandes nicht einmal mehr Erwähnung findet.
Vergangenes Jahr, bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der "FuE-Befragung" für 2022, kommentierte die damalige Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): "Angesichts der hohen Inflation ist das 3,5-Prozent-Ziel allerdings noch ambitionierter als zuvor. Das muss uns anspornen, gerade in diesen Zeiten gemeinsam noch mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren."
Kein echter Wille zum Kraftakt
Dieses Jahr ist Stark-Watzinger nicht mehr Ministerin, und von der Bundesregierung gibt es kein Zitat mehr in der Pressemitteilung. Was passend ist, denn die Koalitionen hatten seit 2018 keine wirkliche Strategie und vor allem keinen echten Willen für den für 3,5 Prozent nötigen Kraftakt. Sei es, selbst genug zu investieren oder für die Wirtschaft entsprechende Anreize zu setzen.
Konkret: Seit 2017 erreichte die Bundesrepublik zwar jedes Jahr eine FuE-Anteil von gut 3,0 Prozent. Doch von dem seit 2018 immer wieder aufs Neue bekräftigten FuE-Sprint ist in der Statistik rein gar nichts zu erkennen. So bedeutete der jüngste "Rekord" auch 2023 lediglich, dass die Ausgaben auf – vorläufig berechnet – 3,11 Prozent kletterten. Von 3,07 Prozent im Jahr 2022. 2020, 2021 und 2022 waren es laut Statistischem Bundesamt jeweils rund 3,1 Prozent. Absolut stiegen die Ausgaben, vor allem inflationsbedingt, also von Höchststand zu Höchststand, aber die relative Dynamik zur Wirtschaftsleistung: gleich null.
Weder funktioniert die Coronakrise als Ausrede noch taugt die 2020 eingeführte (vor allem anfangs nur mäßig funktionierende) steuerliche Forschungszulage als Beleg ausreichenden staatlichen Handelns. Und dass Bund und Länder 2019 verabredeten, die Budgets der großen Forschungsorganisationen und der DFG künftig um 3,0 Prozent pro Jahr zu erhöhen, war tatsächlich ein Signal: das Signal, dass sie selbst nicht mehr an die 3,5 Prozent glaubten – sonst hätten es nämlich wie bis Mitte der Zehnerjahre erneut fünf Prozent mehr pro Jahr sein müssen.
Sicher, man kann fragen, ob Investitionen in Relation zur Wirtschaftsleistung überhaupt der richtige Gradmesser sind, wenn die 3,5 Prozent theoretisch auch dadurch erreichbar wären, dass bei gleichbleibenden FuE-Ausgaben die Konjunktur massiv einbricht. Umgekehrt ist diese Kennzahl weltweit akzeptiert und außerdem: Irgendein politisch greifbares Ziel braucht es eben.
Damit darüber hinaus kein Missverständnis aufkommt: 3,1 Prozent sind nicht schlecht im internationalen Vergleich. Aber zugleich doch nur ein schwacher Trost, solange es nicht gelingt, jedes Jahr merklich mehr von der Wirtschaftsleistung in Innovationen von morgen zu investieren – während einige andere reiche Volkswirtschaften genau das schaffen. Israel gibt inzwischen 5,6 Prozent seines BIP für Forschung und Entwicklung aus. Südkorea investiert 3,5 Prozent. Japan 3,3 Prozent, Schweden 3,2 Prozent. Und die USA steigerten ihre Ausgaben allein zwischen 2017 bis 2021 von 2,9 Prozent auf knapp 3,5 Prozent. Ihnen gelang der Sprung, vom dem die deutsche Politik seit Jahren nur geredet hat.
Problemfall Automobilindustrie
Und die Wirtschaft? Deren Problem wird offensichtlich, wenn man sich anschaut, welche Branche immer noch am meisten zu den FuE-Ausgaben beisteuert: die Automobilindustrie. 31,0 Milliarden. Doch steigerte sie ihre Aufwendungen 2023 unterdurchschnittlich mit 7,7 Prozent. Obwohl sie, Stichwort Strukturwandel, gerade jetzt auch bei den Steigerungsraten an der Spitze liegen müsste.
Diesen Spitzenplatz nimmt die Informations- und Kommunikationsbranche ein mit einem Plus von 15,5 Prozent ein. "Allein die FuE-Aufwendungen für Programmiertätigkeiten innerhalb der IKT-Branche übersteigen mit rund 5,5 Milliarden Euro diejenigen der gesamten chemischen Industrie in Deutschland", berichtet der Stifterverband (weitere Zahlen siehe Kasten). Klingt toll. Nur ist das absolute Volumen im Vergleich zur Automobilindustrie immer noch vergleichsweise gering, so dass die Bundesrepublik weiter und vor allem an deren Wandlungsfähigkeit hängt. Die derzeit aber vor allem in der Planung von Entlassungen und möglichen Werkschließungen zu bestehen scheint.
Nur zur Vollständigkeit ein kurzer Überschlag, wie groß die Lücke bis 3,5 Prozent derzeit ist. Die 0,39 Prozentpunkte Rückstand entsprechen bezogen auf das deutsche Bruttoinlandsprodukts 2023 etwa 16,3 Milliarden Euro. Von denen bei der üblichen Verteilung der FuE-Ausgaben auf Wirtschaft und Staat rund fünf Milliarden zusätzlich von Bund und Ländern kommen müssten. Die Unternehmen müssten ihrerseits nochmal gut elf Milliarden drauflegen. Inflationsbereinigt. Zur Einordnung: Das vermeintlich so kräftige FuE-Plus bei den Unternehmensinvestitionen im Jahr 2023 lag nach Abzug der amtlichen Preissteigerung bei gerade mal rund zwei Milliarden Euro.
Ja, ich bin optimistisch, wie ich neulich ausführte, dass die nächste Bundesregierung, gleich wie sie sich zusammensetzt, ein erhebliches Investitionsprogramm für Forschung und Entwicklung aufsetzen wird. Schon aus der Erkenntnis heraus, dass es ihre letzte Karte gegen den Abstieg Deutschlands als Innovationsland ist. Das könnte die FuE-Statistik mittelfristig auf jenen Expansionskurs schicken, der seit so langer Zeit versprochen wird. Doch für 2025 heißt es bereits jetzt: Tschüß 3,5 Prozent.
Stifterverband begrüßt "Aufholprozess"
Der Präsident des Stifterverbandes, Michael Kaschke, sagte angesichts der Ergebnisse der "FuE-Befragung", das Engagement im Bereich der digitalen Forschung und Innovation zeige "das ernsthafte Bemühen der Unternehmen, verlorenen Boden gutzumachen und sich dem globalen Wettbewerb zu stellen".
Es bleibe spannend und es müsse genau beobachtet werden, ob der Anschluss und Aufholprozess gelinge. "Zugleich wird durch die hohen Aufwendungen für Forschungsaufträge ein Wille und Bedarf für kollaborative Forschung und Entwicklung deutlich." Dies sei wichtig, um neues Wissen und neue Technologien für die Unternehmen zu erschließen und nutzbar zu machen.
Von den voraussichtlich 3,11 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Deutschland 2023 in Forschung und Entwicklung investierte, kamen dem Stifterverband zufolge 2,12 Prozentpunkte von der Wirtschaft. Hochschulen, Staat und
private Institutionen ohne Erwerbszweck trugen 0,99 Prozentpunkte bei.
Positiv ist, dass die Aufwendungen der Automobilindustrie für Auftragsforschung ein überdurchschnittliches Plus von 19,1 Prozent erreichten. Der Maschinenbau wiederum erhöhte seine internen FuE-Ausgaben um 11,5 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro und seine Mittel für Auftragsforschung um 14,2 Prozent.
Unterdessen wuchs auch das Personal in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen. Die rechnerisch 533.260 Vollzeitstellen entsprachen 2023 einem Anstieg um 5,5 Prozent im Jahresvergleich. Am meisten zusätzliches FuE-Personal meldete die IKT-Branche: plus 16 Prozent, während die KfZ-Industrie mit knapp fünf Prozent unterdurchschnittlich zulegte. Bei der chemischen und pharmazeutischen Industrie sowie der Metallindustrie war laut Stifterverband nur "ein sehr schwaches Wachstum" zu beobachten.
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Lilly Berlin (Montag, 02 Dezember 2024 22:50)
Zum internationalen Vergleich wäre aber auch zu sagen, dass in Deutschland so gut wie keine militärische Forschung außerhalb von Unternehmen stattfindet. Das ist im Ausland oft anders, wo entsprechende Budgets (Beispiel DARPA) zur Verfügung stehen, wo dann oft auch Dual-Use Themen untersucht werden, die nicht unmittelbar mit Waffen, sondern mit Fragestellungen zu tun haben, die auch für zivile Anwendungen von Bedeutung sind.
Mein persönlicher Eindruck von der Forschung in der Automobilindustrie ist, dass dort noch nie ein ausgeprägter Innovationswille vorhanden war, sondern immer genau das umgesetzt wurde, was unbedingt nötig. Dementsprechend ist auch das Auftreten der dortigen Industrie gegenüber Forschungseinrichtungen: nur solange für wenig Geld und mit viel staatlicher Unterstützung geforscht wird, ist man zu einer Zusammenarbeit bereit.
Wolfgang Kühnel (Freitag, 06 Dezember 2024 22:00)
"Und die USA steigerten ihre Ausgaben allein zwischen 2017 bis 2021 von 2,9 Prozent auf knapp 3,5 Prozent. Ihnen gelang der Sprung, vom dem die deutsche Politik seit Jahren nur geredet hat."
Aber war diese Zeit nicht genau die bisherige Amtszeit von Donald Trump als Präsident? Das ist seltsam angesichts oft gehörter Behauptungen, dass "rechte" Politik eine Gefahr für den jeweiligen Wissenschaftsstandort sei.