Wie NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes mit dem neuen "Hochschulstärkungsgesetz" Studierende und Mitarbeitende besser vor Machtmissbrauch schützen will: ein Gespräch mit Jan-Martin Wiarda.
Foto: MKW/Anja Tiwisina.
SIE GLAUBE NICHT, sagt Ina Brandes, dass es an Hochschulen mehr Menschen gebe, die geneigt seien, ihre Macht zu missbrauchen. Sie glaube aber, dass Hochschulen bislang weniger als andere Institutionen in der Lage seien, mit Fällen von Machtmissbrauch umzugehen.
Brandes ist Ministerin für Kultur und Wissenschaft von Nordrhein-Westfalen. Im "Wiarda wundert sich"-Podcasts spricht die CDU-Politikerin über das neue "Hochschulstärkungsgesetz", mit dem sie den Schutz von Studierenden und Mitarbeitenden vor missbräuchlichem Verhalten verbessern will.
Die Wissenschaftsfreiheit sei ein hohes Gut, und die Professorinnen und Professoren hätten zu Recht "sehr große Freiheiten", sagt Brandes, "daran wollen wir auch nichts ändern." Doch sei das geltende allgemeine Disziplinarrecht kompliziert, langwierig und überhaupt nicht auf die Rahmenbedingungen an Hochschulen ausgelegt. "Deswegen habe ich den Anlass gesehen, gesetzgeberisch tätig zu werden."
Es gebe da zum Beispiel den Fall eines Kölner Professors, erzählt die Ministerin, der sich vor seinen Doktorandinnen entblößt und ihnen Nachrichten mit anzüglichen Bildern geschickt habe. Während des gesamten Disziplinarverfahrens und, nachdem der Professor gegen dessen Ergebnis geklagt habe, jetzt bis zur gerichtlichen Entscheidung, "läuft diese Person da die ganze Zeit rum". Das sei für alle Opfer und alle anderen Hochschulangehörigen "eine Zumutung und auch wirklich das Gefühl, dass der Rechtsstaat einfach nicht funktioniert", zumal Vergleichbares, so Brandes, in jedem anderen Arbeitszusammenhang "völlig undenkbar" wäre. Durch das neue Disziplinarrecht, das als Teil des "Hochschulstärkungsgesetzes" noch beschlossen werden muss, hätte die Universität künftig eine Handhabe bereits im Rahmen sogenannter Sicherungsmaßnahmen.
Kritiker warnen allerdings vor der Möglichkeit von Vorverurteilungen. Es gehe um die Etablierung einer Verdachts- und Akkusationskultur an den Hochschulen unter dem trügerischen Label eines Sicherheitsrechts, schrieb etwa der Bochumer Verfassungsrechtler Julian Krüper im Verfassungsblog.
Brandes spricht von einem "Missverständnis" und hält dagegen: Es gelte wie in jedem rechtsstaatlichen Verfahren die Unschuldsvermutung. Doch wenn die Hochschule etwa ein Betretungsverbot ausspreche, "da geht es nicht darum, jemanden zu bestrafen2, sondern um den Umgang mit einer schwierigen Situation, in der man mutmaßlichen Täter und mutmaßliches Opfer voneinander trenne, "um sicherzustellen, dass beiden kein Unrecht angetan wird". Dazu gehöre, dass mit dem Gesetz auch die Bestrafung von Denunziantentum ermöglicht werde: "Wir setzen uns aktiv dagegen ein, dass Menschen zu Unrecht beschuldigt werden."
Brandes, die viele Jahre für einen internationalen Bauplanungskonzern gearbeitet hat, will mit der Gesetzesnovelle unter anderem auch den Hochschulbau beschleunigen. Als sie 2022 ins Amt kam, habe sie festgestellt, "dass es unerfreulich viele Bauvorhaben an Hochschulen gibt, die so 12, 13, 14, 15 Jahre dauern zwischen Konzeption und Fertigstellung. Und das ist natürlich einfach viel, viel zu lang."
Was sie genau vorhat, wie sie in Zeiten sinkender Studierendenzahlen die akademische Weiterbildung stärken will und warum sie die Hochschulen für unverzichtbar hält bei der Vermittlung von KI-Kompetenzen in die Arbeitswelt hinein: Ina Brandes sagt es im Gespräch mit Jan-Martin Wiarda.
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Ursache nicht erkannt (Mittwoch, 18 Dezember 2024 10:16)
Frau Brandes hat keine Ahnung wie es in der Praxis für Studierende ist. Klar, jemand der einen Studiengang studiert wo nur Vorlesungen und Klausuren vorgesehen sind wird eher weniger von Machtmissbrauch betroffen sein. Jemand der ein Laborfach studiert wird den ganz normalen Wahnsinn der an den Lehrstühlen tagtäglich abgeht sehen, den technische und wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Studierende tagtäglich ertragen müssen.
Auch der Punkt das Machtmissbrauch an Hochschulen nicht häufiger stattfinden würde als auch in anderen Unternehmen würde ich so nicht bestätigen. In der Wirtschaft haben Menschen unbefristete Stellen und die Arbeit wird auf mehr Schultern verteilt, wodurch es zu weniger Überarbeitung kommt.
Auch ziehen Positionen wie eine Professur Menschen mit narzisstisschen, machiavellistischen und psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften stärker an.
-> Nicht alle Menschen sind "böse" aber Angst vor Jobverlust, keine konstante Finanzierung von Forschungsprojekten, ständige Überarbeitung, hoher Druck zu publizieren und mangelde Ausbildung im Punkto Personalführung/Didaktik sorgen dafür das das akademische System so toxisch ist und Machtmissbrauch so häufig vorkommt.
Die Gesetzesänderung ist begrüßenswert, beseitigt aber nicht die Ursachen.
Das Kernproblem wird von der Politik nicht erkannt!
Laubeiter (Donnerstag, 19 Dezember 2024 10:42)
RUB-Jurist Krüper hat sich auf verfassungsblog.de Gedanken gemacht, warum Brandes' Ideen zu einer Klageflut führen dürften
https://verfassungsblog.de/brandes-verdacht/
Ernsthaft? (Donnerstag, 19 Dezember 2024)
Was ich aus dem Blog von Herrn Krüper herauslese ist folgendes: " Mimimi ich finde es doof das Studierende und Mitarbeiter besser geschützt werden sollen. Ich als Professor will weiterhin das Recht haben mit meinen Mitarbeitern und Studierenden anzustellen was immer mir beliebt. Ich finde es doof das man sich erdreistet meine gottgleichen Befugnisse als Professor einzuschrenken" Das ganze hat der gute Herr dann noch in juristisches blabla verpackt, damit es weise und rechtens klingt.
Bernard of Clairvaux (Sonntag, 22 Dezember 2024 00:48)
In 1142 I said:
"The road to hell is paved with good intentions"
Pleased to see: In NRW it still is.
Wolfgang Kühnel (Montag, 23 Dezember 2024 13:23)
Zu #1: "In der Wirtschaft haben Menschen unbefristete Stellen und die Arbeit wird auf mehr Schultern verteilt, wodurch es zu weniger Überarbeitung kommt."
Was macht Sie so sicher, dass das an Hochschulen schlimmer ist als anderswo? Unbefristete Stellen können sehr schnell wegfallen, wenn ganze Firmenbereiche geschlossen werden. Hier wurde sogar eine Oberärztin gemobbt:
https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/diskriminierung-aerztinnen-klinik-krankenhaus-umfrage-uni-goettingen-100.html
Im Sport hat es schon viel sexuellen Missbrauch gegeben, der immer erst Jahre später herauskommt. Ebenso beim Film oder in der Unterhaltungsbranche (da war doch was mit einem Rockmusiker? Oder dem einen oder anderen Filmproduzenten und seinen Schauspielerinnen?). Und auch beim Militär: Von der Gorch Fock hörten wir vor Jahren üble Geschichten. Und die katholische Kirche hat das ihre beigetragen.
"Toxische" Elemente scheint es überall zu geben, nicht nur an Hochschulen. Die Frage ist eher, wie weit das jeweils verbreitet ist.
#5JustanotherProfwhofeelsspecial (Mittwoch, 25 Dezember 2024 01:06)
Zu #5 : Ich habe nie behauptet das es keine Branchen wie z.B die Filmindustrie, den Leistungssport oder andere Unternehmen und Institutionen gibt wo nicht auch Machtmissbrauch vorkommt. Natürlich muss auch da ganz klar etwas geändert werden. ABER was die Wissenschaft von anderen Unternehmen unterscheidet ist, dass Sonderbefristungsrecht und die damit ständig verbundene Angst vor Jobverlust vieler Mitarbeiterund die Angst haben sich gegen Machtmissbrauch zu wehren. Ja auch unbefristete Stellen können wegfallen, aber der Arbeitsplatz ist deutlich sicherer als der einer befristeten Stelle. Kein Unternehmen würde und dürfte Mitarbeiter jahrelang über Kurzzeitverträge beschäftigen.
Die meisten Unternehmen in der Wirtschaft haben deutlich seltender Probleme mit Machtmissbrauch. Das liegt unteranderem daran, dass Führungskräfte die ihre Mitarbeiter misshandeln sehr schnell vor die Tür gesetzt werden. Unternehmen können es sich garnicht leisten, dass ein ganzes Team das Unternehmen wechselt. Hiring Prozesse sind teuer. Daher wird da in den meisten Unternehmen sehr genau drauf geschaut wenn plötzlich viele Mitarbeiter gehen. Da man an Unis Personal sowieso ständig austauscht und in vielen Fachbereichen Studierende in Abhängigkeitsverhältnissen ausbeutet fällt es nur weniger auf. Die guten Leute gehen daher in die Wirtschaft.
Wenn Sie mal in ein paar Unternehmen für ein paar Jahre gearbeitet hätten, würden Sie mehr verstehen. Viele Professoren sollten endlich mal aus ihrem Elfenbeinturm kommen und begreifen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind. Andere Menschen haben ebenfalls das Recht Respektvoll behandelt zu werden.
Simon (Mittwoch, 25 Dezember 2024)
Ich kann mich über Herrn Kühnels Kommentar nur wundern. Er bedient sich eines klassischen Whataboutism-Scheinarguments: Weil es in anderen Branchen Missstände gibt, soll es also akzeptabel sein, dass auch an Universitäten fragwürdige Zustände herrschen.
Dieser Gedankengang erscheint mir nicht nur unlogisch, sondern auch gefährlich. Es ist keine Lösung, Missstände zu relativieren, indem man auf andere Problemfelder verweist. Vielmehr sollte unser Anspruch doch sein, überall faire, respektvolle und produktive Arbeits- und Studienbedingungen zu schaffen unabhängig davon, wie die Situation in anderen Branchen aussieht. Die Vorstellung, dass es Universitätsmitarbeitern und Studierenden deshalb nicht besser gehen dürfe, weil es in anderen Bereichen ebenfalls schlecht läuft, ist schlichtweg absurd. Sollte es nicht unser Ziel sein, zumindest in einem Bereich Verbesserungen zu schaffen, statt uns mit dem Status quo abzufinden? Gerade Universitäten,die als Zentren von Bildung, Fortschritt und Innovation gelten, sollten doch Vorreiter für positive Veränderungen sein.
Ich stimme dem ersten Kommentar zu. Das Problem ist meiner Beobachtung nach und systemischer Natur. Die Strukturen und Rahmenbedingungen an Hochschulen begünstigen ein Umfeld, in dem Hierarchien oft übermäßig dominieren und die Interessen von Mitarbeitern und Studierenden zu kurz kommen. Umso erfreulicher ist es, dass Nordrhein-Westfalen hier eine Vorreiterrolle einnimmt und erste Maßnahmen ergreift, um zumindest punktuell Verbesserungen zu schaffen. Solche Initiativen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn die grundlegenden Ursachen nicht angegangen werden.