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Folgt der Wissenschaft, nicht den Länderfürsten

Wofür soll der Bund seine absehbar knappen Investitionsmittel in der Wissenschaft ausgeben? Für die Beantwortung dieser Frage gibt es wissenschaftsgeleitete Verfahren – eines davon droht in den anstehenden Koalitionsverhandlungen unterlaufen zu werden.

Eines der Großvorhaben aus dem letzten Roadmap-Prozess: der Neubau des "Ernst Ruska-Centrums 2.0" für höchstauflösende Elektronenmikroskope im Forschungszentrum Jülich. Bild: br Planungsbüro Rohling AG.

DIE BUNDESTAGSWAHL ist noch nicht gelaufen, bis Koalitionsverhandlungen starten, dürfte es dauern. Es ist die Zeit der Verbände und Lobbyisten, die Positionspapiere und Forderungskataloge in kaum noch überschaubaren Mengen produzieren. In diese Kategorie reihten sich Ende Januar auch zwei Beschlüsse der Wissenschaftsministerkonferenz (Wissenschafts-MK) ein, die von der nächsten Bundesregierung milliardenschwere Investitionen unter anderem in den Hochschulbau und die KI-Infrastruktur verlangten.

 

So nervig einem diese Flut gelegentlich erscheinen mag, ist sie sogar Ausdruck eines funktionierenden demokratischen Gemeinwesens, denn hier wird nichts gemauschelt, sondern die unterschiedlichen Interessen werden offen artikuliert und sichtbar gemacht.

 

Ein wenig komplexer ist das mit dem Gezerre, das, ebenfalls wie immer vor einer solchen Wahl, hinter den Kulissen stattfindet. Innerhalb der einzelnen Parteien, die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung haben, bringen sich die Landesverbände, Ministerpräsidenten und Abgeordnetengruppen in Stellung und versuchen, jeweils für ihr Bundesland, für ihre Region bestimmte Großprojekte zu pushen. Das Ziel: sie schon jetzt in einem möglichen Koalitionsvertrag zu verankern. 

 

Die Gelder dorthin lenken, wo sie 
die größte Wirkung entfalten

 

Das womöglich prominenteste wissenschaftspolitische Beispiel für diese Strategie war zuletzt das für Mainz vorgesehene Helmholtz-Zentrum für Alternsforschung, das es in den Ampel-Koalitionsvertrag schaffte. Die Zeitenwende, verbunden mit dem vorgezogene Ende der Legislaturperiode, hat seine Gründung zwar bislang verhindert. Aber es sollte nicht verwundern, wenn das Zentrum im nächsten Koalitionsvertrag wieder auftaucht.

 

Nichts gegen die Logik, dass auch Rheinland-Pfalz endlich sein erstes Helmholtz-Zentrum haben will und ziemlich erfolgreich mit dem BioNTech-Pfund wucherte. Und dass die Wissenschaftsminister, deren Länder selbst teilweise massiv sparen, beim Bund Großprogramme bestellen wollen: okay. Grundsätzlich aber gibt es angesichts knapper Haushaltsmittel wissenschaftsgeleitetere Wege, um Investitionen in Wissenschaft und Forschungsinfrastrukturen dorthin zu lenken, wo sie die größte Wirkung entfalten können.

 

Einer der wichtigsten ist das im Juli 2024 gestartete "neue Verfahren zur Priorisierung umfangreicher Forschungsinfrastrukturen". Kurz gesagt: Aus der Wissenschaftscommunity können Konzepte für teure Forschungsanlagen eingereicht werden, deren wissenschaftliches Potenzial dann vom Wissenschaftsrat bewertet wird, inklusive der wissenschaftlichen Umsetzbarkeit und der Bedeutung  für den Wissenschaftsstandort Deutschland und Europa.

 

Parallel werden die mit der Finanzierung verbundenen Kosten und Risiken eingeschätzt, dazu das Innovations- und Transferpotenzial. Aus all dem erstellt das BMBF dann eine Shortlist. Ob die priorisierten Projekte tatsächlich realisiert werden, ist damit aber noch nicht gesagt – das hängt vom vorhandenen Geld ab und der letztendlichen politischen Entscheidung.

 

Weil Stark-Watzingers Ministerium so lange brauchte,
kommt das Ergebnis jetzt spät – zu spät? 

 

Klingt nach einem aufwändigen Prozess? Das muss er auch sein, schließlich geht es um große Summen und die Maximierung des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzens unabhängig von Regional- und Fächerlobbyismus. Es gibt Vorbilder: vor allem die im September 2019 von der damaligen BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) beschlossene FIS-Roadmap, die das Ergebnis eines ähnlichen Auswahlverfahrens war und zugleich die Abstimmung mit den europäischen Partnern im "Europäischen Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen" (ESFRI) ermöglichte. Drei Vorhaben wurden damals ausgewählt, sie stammten aus der Klimaforschung, der Medizin und der Materialforschung, die zu erwartenden Aufbaukosten lagen laut BMBF jeweils bei mindestens 50 Millionen Euro. Beim neuen Verfahren liegt die Antragsschwelle erneut bei mindestens 50 Millionen pro Vorhaben, in den Geistes- und Sozialwissenschaften bei 20 Millionen. 

 

Jetzt aber ist das Problem, dass das BMBF unter Karliczeks Nachfolgerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) den Start der neuen Verfahrensrunde so lange verschleppt hat, dass der Bewertungsprozess, obwohl maximal beschleunigt, voraussichtlich bis Juli 2025 dauern wird. Das heißt: Die Shortlist wird absehbar erst öffentlich, wenn der Koalitionsvertrag längst steht. 

 

Natürlich könnte sich eine neue Regierung politisch auf den Standpunkt stellen, dass die Versäumnisse der alten nicht ihre Schuld seien, und den Priorisierungsprozess deshalb mit einem Achselzucken ignorieren. Was ganz im Sinne all derjenigen wäre, die ihre Lieblingsprojekte unabhängig von ihrer tatsächlichen nationalen Bedeutung durchbringen wollen. Doch wäre das nicht nur eine Missachtung der Arbeit all der am Priorisierungsprozess beteiligten wissenschaftlichen Antragsteller und Gutachter. Es wäre auch ein denkbar schlechter Start für eine neue Koalition, die einen Kontrapunkt setzen sollte zur Wissenschaftsferne und Willkür populistischer Regierungen anderswo. 

 

Angemessener wäre es, wenn all den offiziellen Forderungspapieren und dem inoffiziellen Geschiebe zum Trotz im Koalitionsvertrag vor allem ein Satz stünde zu künftigen Forschungsgroßinvestitionen: "Wir werden uns an den Ergebnissen des Priorisierungsverfahrens orientieren". Was nebenbei gesagt ein eleganter Weg wäre, um mit überbordenden Ausgabenwünschen umzugehen. Ein Anruf beim Wissenschaftsrat könnte sich für die Unterhändler jedenfalls lohnen.



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Dieser Blog zeichnete sich immer dadurch aus, dass er unterschiedliche demokratische Perspektiven in gegenseitiger Wertachtung gelten ließ. Dabei soll, muss und wird es bleiben, ganz gleich wie die Debatte anderswo sich entwickelt.

 

Mit bestem Dank und guten Wünschen 

Ihr Jan-Martin Wiarda


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Kommentare: 1
  • #1

    Wolfgang Kühnel (Sonntag, 23 Februar 2025 14:16)

    Das klingt zwar gut, aber ist der Wissenschaftsrat wirklich "unabhängig" und folgt nur dem, was die Wissenschaft sagt?
    Mitglieder sind etliche Leiter von Max-Planck-Instituten, Leibniz-Instituten und ähnlichen (die natürlich nicht frei von Eigeninteressen sind), dann auch Vorstandsvorsitzende von Unternehmen, und Frau Allmendinger ist auch Mitglied der SPD und wurde sogar für den SPD-Vorsitz vorgeschlagen (lt. Wikipedia). Jetzt ist sie Mitglied des WR als "Persönlichkeit des öffentlichen Lebens", und diese werden von der Bundesregierung und den Ländern vorgeschlagen.
    Ich vermute, ein überparteiliches, rein der Wissenschaft verpflichtetes Gremium ist Illusion. Es geht auch dort um politische Duftmarken.