Heute werde ich zur Abwechslung mal ein wenig emotionaler. Wer möchte, kann das gern auf meine eigene sehr positiven Erfahrungen an einer US-Universität schieben.
Seit einer Weile schon verfolge ich mit zunehmenden Unbehagen, wie der „angloamerikanische Bereich“ (Dieter Lenzen) und speziell die USA herhalten müssen, wenn die deutsche Hochschullandschaft mal wieder einen ihrer nicht zu seltenen Momente der Selbstvergewisserung durchmacht. So konnte man zum Beispiel vor einigen Tagen in einem Leserbrief in der FAZ folgende Philippika eines Dresdner Professors lesen: „Die angelsächsische Tradition ganz weniger Elite-Universitäten neben oft mediokren Anstalten ist uns fremd und bedarf im Interesse einer insgesamt guten Forschung und Lehre keiner späten Nachahmung.“
Mein Eindruck ist, dass viele, die da Amerikas Hochschulen als Gegenentwurf der deutschen Landschaft konstruieren, nicht allzu viel über erstere wissen. Das fängt mit dem Gerücht an, es gebe in den USA nur eine Handvoll herausragender Unis a la Harvard, Stanford und Yale – und der Rest sei im Grunde nicht mit der Qualität deutscher Bildungseinrichtungen zu vergleichen, die zwar weniger Spitzen hätten, dafür aber in der Breite Spitze seien. Man vergleiche hierzu die auch die aktuelle Debatte um die Zukunft der Exzellenzinitiative.
Ich weiß nicht, woher dieses Narrativ kommt, aber es ist, zumindest was die amerikanische Seite anbetrifft, grundfalsch. Das lässt sich vielfach belegen. Nehmen wir jedes beliebige Uni-Ranking. Von denen kann man halten, was man will, aber fest steht, dass auch die deutschen Hochschulen sich immer stärker an ihnen ausrichten (siehe hierzu meinen Blog-Eintrag). Im Times-Ranking von 2015 finden sich 40 US-Hochschulen allein unter den Top 100, davon gehören nur sieben zur so genannten Ivy League. Tatsächlich handelt es sich zu einem großen Teil um Staatsuniversitäten, von der University of Wisconsin in Madison über die University of North Carolina in Chapel Hill (wo ich war) bis hin zur Ohio State University. Zum Vergleich: Neun deutsche Hochschulen sind unter den ersten 100, die LMU ist mit Platz 29 am besten platziert – hinter den US-Staatsunis von Berkeley, Los Angeles und Michigan.
40 US-Unis allein unter den Top 100. Gut 120 unter den Top 500 weltweit. Man vergleiche dies mit den gut 100 Universitäten, die es in Deutschland insgesamt gibt. Gut, ich höre an dieser Stelle auf mit dem Ranking-Quatsch, von dem ich selbst in dieser absoluten Form nicht viel halte. Aber ich denke, ich konnte meinen Punkt verdeutlichen.
Mich ärgert dieses Zerrbild vom US-Hochschulsystem, das hierzulande von interessierten, aber mitunter uninformierten Kreisen gezeichnet wird, weil es die enorme Leistungsfähigkeit der amerikanischen Universitäten in der Breite geringschätzt und zugleich ihre Bildungsleistung für viele Millionen Amerikaner ausblendet. Bis hin zu der Tatsache, dass viele US-Forschungsuniversitäten dem bei uns gern hochgehaltenen Humboldtschen Ideal (was auch immer das eigentlich sein soll) viel mehr entsprechen als die deutschen Universitäten – sei es durch die Auflage, dass US-Studenten früh bei Forschungsprojekten mitmachen müssen oder den breiten Fächerkanon, den die meisten von ihnen in den ersten Studienjahren belegen.
Ähnlich schief ist die Wahrnehmung der so genannten Community Colleges hierzulande. Sie seien ja überhaupt nicht vergleichbar mit deutschen Hochschulen, heißt es dann schnell, im Gegenteil, das seien ja zum Großteil „halbakademische Einrichtungen“. Stimmt zum Teil sogar. Das sollen sie nämlich sein. Wenn sich die Deutschen gelegentlich zu Recht aufregen, dass ihr duales Ausbildungssystem von der OECD & Co nicht in seiner Bedeutung anerkannt würde, dann sollten sie nicht den gleichen Fehler machen mit den Bildungsstrukturen anderer Länder. Die Community Colleges erfüllen vielfach eine Ausbildungsfunktion, indem sie auf konkrete Berufe vorbereiten. Einen Riesenvorteil haben sie allerdings: Sie sind Teil des akademischen Systems in den USA, das heißt: Wer nach dem Community College an einer Universität weiter studieren will, hat meist weniger Probleme, die bisherigen Leistungen (so sie vergleichbar sind) dort angerechnet zu bekommen. Versuchen Sie das mal nach einer deutschen Ausbildung, wenn Sie sich an der Uni bewerben.
Meine These: Indem das Andersartige (also in diesem Fall „das Angloamerikanische“) abgewertet und abgelehnt wird, konstruiert sich auf deutscher Seite Identität. Und zwar die Identität des „Wir sind besonders, wir sind nicht wie die anderen, und das ist gut so“. Das ist die nette Lesart. Die weniger nette: Offenbar haben viele Repräsentanten deutscher Hochschulen diese Art der Selbstvergewisserung auf Kosten Dritter nötig. Meine Anregung: Wenn dies so ist, dann sollte sie zumindest auf der Grundlage gut zu belegender Fakten erfolgen.
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Josef König (Montag, 15 Februar 2016 10:49)
Gut gebrüllt, Löwe, möchte ich Dir, liebe Jan-Martin, gern zurufen - und tue es auch! Dennoch sind einige Hinweise zur Relativierung notwendig.
Zurecht sagst Du, dass Rankings ihre Probleme haben, aber immerhin spendest Du die Hälfte des Beitrags dem THE, ohne zu schreiben, was und wie dieses Ranking misst: Nämlich zu 30 Prozent Lehre (davon immerhin die Hälfte aufgrund von Befragungen von Meinungen anderer über die Qualität der Lehre - "perceived prestige of institutions in teaching"), 30 Prozent Forschung (davon mehr als die Hälfte basierend ebenfalls auf der Meinung von Experten "this category looks at a university’s reputation for research excellence among its peers"), weitere 30 Prozent citation index, der auf der Auswertung von Elsevier basiert (hast Du heute in ZEIT-Chancen gegeißelt, außerdem erfasst Elsevier m.W. nur Zeitschriften, womit Geisteswissenschaften weitgehend außen vor bleiben); außerdem wissen wir beide, dass es in der Wissenschaft "Citationskartelle" gibt.
In Deutschland gibt es gerade mal etwas über 100 Unis, aber wie viele sind es in den USA? - das THE schränkt seine Liste deutlich ein. Also muss man auch hier auf die Verhältnisse schauen. So viel zu Rankings.
Dennoch ist es in der Tendenz völlig richtig, was Du schreibst. In Deutschland versteckt man sich gern hinter einem längst nicht praktizierten "Humboldt"-Ideal, wurschtelt sich überfordert durch die bürokratischen Hemmnissen, die eigenen Versäumnisse und die unterfinanzierten Grundmitteln.
Die Exzellenz-Initiative ist meines Erachtens lediglich ein Versuch, zumindest die Besten davon auszunehmen.
Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 17 Februar 2016 17:48)
Lieber Josef,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich teile Deine Kritik an den Rankings und speziell dem THE, wie Du weißt, im Grunde. Allerdings ging es mir ja um einen anderen Punkt: zu zeigen, wie schief die deutsche Wahrnehmung in Sachen Eigen- und Fremdexzellenz in de Breite ist. Dem stimmst Du ja auch im Kern zu.
In den USA gibt es übrigens über 4000 Hochschulen, im Vergleich zu über 400 in Deutschland – also nahezu Faktor 10. Allerdings ist hohe US-Zahl irreführend, weil dort genau all die zum Teil sehr kleinen Community Colleges hineinzählen, die es in Deutschland so gar nicht gibt. Von den gut 20 Millionen US-Studenten (immerhin Faktor 8 im Verhältnis zu Deutschland, und das obwohl die USA nur viermal so viele Einwohner haben wie wir) besuchen allein 7 Millionen Community Colleges, umgekehrt sind 3 Millionen Studenten in Post-Bachelor-Programmen immatrikuliert.
Klaus Diepold (Donnerstag, 18 Februar 2016 14:13)
Lieber Herr Wiarda,
wenn die deutschen Universitäten das Gefühl haben, dass ihre ausserordentlichen Leistungen in Forschung und Lehre nicht hinreichend in den existierenden Rankings Berücksichtigung finden, dann wäre es vielleicht an der Zeit sich Kriterien und Kennzahlen zu überlegen, die diese speziellen Ausprägungen reflektieren, und an denen man sich selbst messen lassen kann. Aber dazu ist das Ranking-Spiel an Hochschulen in Deutschland noch zu neu, ebenso wie der Wettbewerbsgedanke.
Das "Employability Ranking" von THE (https://www.timeshighereducation.com/carousels/global-employability-university-ranking-2015-results) oder eine entsprechend angepasste Version davon präsentiert ein komplementäres BIld zu Shanghai etc. Allerdings tauchen dort auch in den Spitzenpositionen "the usual suspects" auf. Also, ein Ranking reicht sicher nicht aus, weil die sich eben stark unterscheiden. Einige deutsche Unis richten inzwischen eigene Abteilungen in der Verwaltung ein, die alle laufenden Benchmarks und Rankings beobachten und analysieren. Sie stellen dabei u.a. fest, dass viele Zitationen wegen fehlender, falscher oder inkonsistenter englischer Übersetzung der Hochschulnamen nicht korrekt erfasst werden. Die Korrektur führt dann dazu, auf einen Schlag viele Plätze im Ranking aufzusteigen. Wichtig hierbei ist der professionelle Umgang mit Leistungsmessung und (allen gängigen) Rankings innerhalb der Hochschulen und die realistische Reflektion des eigenen Profils. Diese Reflektion sollte die Hochschulen vor trügerischer Selbstbeweihräucherung schützen.
Ein fairer Vergleich des Bildungssystems in den USA mit unserer Auffassung von Bildung fällt mir schwer, da die Unterschiede zu groß sind. In keinem Fall ist es angeraten überheblich zu sein. Vergleichende Messungen können gegebenenfalls am Endergebnis der Ausbildung erfolgen. Aber das ist ein ganz eigenes Thema.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 04:33)
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