Zwei Schavan-Ideen produzieren momentan mal wieder Schlagzeilen: Das Deutschlandstipendium und das Berliner Institut für Gesundheitsforschung. Leider konzentriert sich die öffentliche Kritik auf die falsche Initiative.
ES SIND MELDUNGEN, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Das Statistische Bundesamt hat am Montag die neuesten Zahlen zum Deutschlandstipendium veröffentlicht, und in Berlin entwickelt sich eine verwirrend-seltsame Seifenoper um das Berliner Institut für Gesundheitsforschung.
Zunächst zum Deutschlandstipendium. 25.500 junge Menschen haben 2016 eins erhalten, das entspricht 1200 mehr als im Vorjahr, aber immer noch derselben Quote von 0,9 Prozent aller Studenten in Deutschland. Kommentar des grünen Bildungsexperten Kai Gehring: „Schwach gestartet und stark nachgelassen.“ Tatsächlich: Beim gegenwärtigen Tempo würde es weitere 47 Jahre dauern, bis die immer noch im Gesetz festgeschriebene Zielmarke von acht Prozent Deutschland-Stipendiaten erreicht wäre. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) befindet dennoch: „Das Deutschlandstipendium wächst weiter.“
Am Berliner Institut für Gesundheitsforschung hat unterdessen der Vorstandsvorsitzende Erwin Böttinger per E-Mail an alle Mitarbeiter Pressemeldungen bestritten, denen zufolge er sich ans zur Universität Potsdam gehörende Hasso-Plattner-Institut (HPI) wegbeworben habe. Ihm sei auch nicht gekündigt worden (zur Berichterstattung siehe vor allem Tagesspiegel, unter anderem hier). Allerdings räumte er ein, dass es Verhandlungen mit dem HPI gebe. Kommentar des BMBF: keines. Es ist nicht die erste Skurrilität an dem Institut, dessen Name einst passend zur Abkürzung BIG gewählt wurde, was aber den Verantwortlichen dann doch zu großkotzig klang, weswegen sie jetzt nur noch das Kürzel BIH, entsprechend dem englischsprachigen Institutsnamen, benutzen.
Nun zu den Gemeinsamkeiten. Sowohl Deutschlandstipendium, vergeben erstmals 2011, als auch das BIH, ebenfalls 2011 verabredet zwischen dem Bund und dem Land Berlin, sind Initiativen der wenig später zurückgetretenen Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU). Mehr als das: Bei beiden handelte es sich um Prestigeprojekte der Ministerin, jeweils eingefädelt in Kooperation mit einem eifrigen Landesminister. Im Falle des Deutschlandstipendiums stand der damalige FDP-Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart, mit seinem NRW-Stipendium Pate. Und beim BIH war Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) Ko-Architekt. Schavans Nachfolgerin Johanna Wanka (ebenfalls CDU) wiederum kann dem Vernehmen nach weder dem einem noch dem anderen Projekt besonders viel abgewinnen.
Was die bundespolitische Bewertung der aktuellen Entwicklungen angeht, offenbart sich indes eine unverständliche Diskrepanz. Irgendwie scheinen sich die meisten Beobachter einig zu sein, dass das Deutschlandstipendium ein richtiger Schuss in den Ofen sei, während die Opposition in Sachen BIH eisern schweigt. So beklagt Kai Gehring, Jahr für Jahr verfielen „Abermillionen Euro, die für das Deutschlandstipendium reserviert sind, während Union und SPD das BAföG verwalten statt gestalten und es nicht bedarfsgerecht ausbauen.“ Die stellvertretende DFG-Vorsitzende Elke Hannack spricht von einem „echten Ladenhüter“, und Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes, räumt zwar ein, das Stipendium sei „ein zusätzliches Finanzierungsinstrument“, doch als „Säule der Studienfinanzierung“ könne man es kaum sehen. Unterdessen hält der Rechnungshof seine Kritik, die Verwaltungskosten des Programms lägen zu hoch, aufrecht.
Und all das, obwohl das Deutschlandstipendium zuletzt 26 Millionen Euro private Spenden im Jahr aktivierte und, wenn auch nicht überall, so doch an etlichen Hochschulen überhaupt erst den Startschuss für professionelle Fundraising-Aktivitäten gab. Auch die vielen Stipendiaten, die vielleicht nicht mit Bestnoten, dafür aber mit einem besonderen gesellschaftlichen Engagement punkten können, werden das Programm und die 300 Euro mehr im Monat zum Leben und Studieren zu schätzen wissen. Und schließlich haben sich die anfänglichen Befürchtungen, Akademikerkinder würden mal wieder überdurchschnittlich von den Stipendien profitieren, nicht bestätigt – übrigens im Gegensatz zu den Begabten-Stipendien, die lange eine soziale Schieflage aufwiesen.
Der einzige dramatische Fehler des Stipendienprogramms wäre demnach, dass seine Erfinder einst den Mund zu voll nahmen und komplett unrealistische Erfolgszahlen versprachen in einem Land, das Mäzenatentum in der Bildung bis dahin kaum kannte – und offenbar, siehe Kommentare oben – bis heute auch nicht kennen möchte.
Beim BIH verhält sich die Sache ein wenig anders. Seit Schavan und Zöllner sich die Gründung in die Hand versprochen haben, geht eigentlich durchweg schief, was schiefgehen kann. Es fing damit an, dass vier Jahre verstrichen, bis aus dem ersten Memorandum of Understanding zwischen der Berliner Charité (Land) und dem zur Helmholtz-Gemeinschaft (90 Prozent Bundesfinanzierung) gehörenden Max-Delbrück-Centrum überhaupt eine eigene rechtsfähige Körperschaft wurde. Dazwischen gab es ein Gezerre um die Zuständigkeiten zwischen Charité und MDC, zwischen Land und Bund: War das BIH jetzt die Tochter der beiden Partnerorganisationen, oder ist war selbst die Mutter? Und wer sollte jetzt den Aufsichtsrat leiten? Das BMBF oder doch die Verwaltung der Zöllner-Nachfolgerin Sandra Scheeres?
Die jahrelange Selbstbeschäftigung gipfelte darin, dass der Gründungschef Ernst Rietschel, ein verdienter Wissenschaftsmanager und ehemaliger Leibniz-Präsident, schon Extra-Millionen für das Institut forderte, als es noch nicht einmal einen Bruchteil des vorhandenen Budgets ausschöpfte. Und das alles, während nicht einmal die verantwortlichen Wissenschaftspolitiker genau erklären konnten, wofür das BIH eigentlich inhaltlich da war. Ein „Institut neuen Typs“ sei es, so lautete eine der Formulierungen, in die man sich flüchtete. Oder, wie die Bundesregierung 2014 erklärte: Das BIH „leitet aus bestimmten Erkenntnissen der Wissenschaft Fragen ab, aus denen sich dann Forschungsfragen und klinische Erprobung ableiten. Ziel ist, die Übertragung von Forschungserkenntnissen in die Klinik zu beschleunigen und klinische Beobachtungen wieder ins Labor zu tragen.“ Haben Sie das verstanden?
Auf jeden Fall gab es dafür 311 Millionen Euro aus Bundes- und Landesgeldern für die ersten fünf Jahre, plus 40 Millionen Euro von der inzwischen verstorbenen Johanna Quandt. Apropos Missionsbeschreibung: In einer Pressemitteilung Ende Juni 2016 teilte das BIH mit, sich „neu ausrichten“ zu wollen. „Wir wollen die Lebensqualität von Menschen mit fortschreitenden, schweren Krankheitsverläufen durch personalisierte und regenerative Medizin erhalten oder wiederherstellen und bauen dabei auf Digitalisierung, Patientenbeteiligung, systemmedizinische Forschung, neuartige regenerative Therapien und Innovation für die Gesundheitswirtschaft“, erklärte Erwin Böttinger damals. Der war kurz vorher als aus den USA ans BIH gewechselt. Und nun also, elf Monate nach der verkündeten Neuausrichtung, geht Böttinger offenbar.
Verständlich, dass die Politik nun über ihn den Kopf schüttelt. Allerdings ist nicht nur Böttingers Verständnis von Karriereplanung das Problem, sondern die Ursache aller Wirrungen war, dass Politiker (namentlich: Schavan und Zöllner) unbedingt etwas Einmaliges, etwas Neues schaffen wollten, ohne dass dafür eine wirklich intellektuell bestechende Notwendigkeit bestand. Nach dem KIT, dem Karlsruher Institut für Technologie, sollte das BIH einfach die nächste irgendwie „innovative“ Konstruktion zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung sein.
Genau das ist nun die Hypothek, an der sich die Mitarbeiter des BIH bis heute inhaltlich abarbeiten. Durchaus mit Erfolg: Mit dem neuen Geschäftsführer Rolf Zettl (mein ehemaliger Chef bei Helmholtz) ist der Technologietransfer sichtlich in Gang gekommen, und die von Quandt finanzierte "Private Exzellenziniative" fördert herausragende Nachwuchsmediziner wie auch etablierte Forscher. Und übrigens auch – hier schließt sich der Kreis – Deutschlandstipendien.
Fakt ist aber auch: Jede Professur, die durch das BIH besetzt wird, hätte mit demselben Geld auch ohne BIH besetzt werden können. Zugleich wären die Machtkämpfe und Durchstechereien in der Berliner Forschungslandschaft (aktuelles Stichwort: "Doppelpackverfahren") wohl eine Nummer kleiner ausgefallen, da nicht noch ein in der institutionellen Sinnfrage gefangener dritter Partner zwischen Charité und MDC gehangen hätte. Ein Partner, dem Charité-Verantwortlichen schon mal vorhalten, er schaffe ein „Luxus-Team“, während die landeseigene Universitätsmedizin als „Alltagsschufter“ die Hauptlast trage. Offenbar hatte sich auch Böttinger selbst mehr Bewegungsspielraum als BIH-Chef, mehr Geltung für die neue Marke und vor allem mehr Dynamik erhofft. Die für 2017 vorgesehene Evaluation hat man vorsorglich schon aufs Jahr 2019 verschoben.
Und zu all dem sagt die Opposition im Bundestag: Nichts. Genauso wenig wie das BMBF. Bei letzterem ist das plausibel: Die nahende Bundestagswahl lässt grüßen. Und dass das Land Berlin mit Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach (SPD) nicht die wissenschaftspolitische Grundsatzfrage stellt, ist ebenfalls verständlich: Von den 311 Millionen zahlt der Bund wie beim MDC 90 Prozent.
Bringen wir es auf den Punkt. Sowohl das Deutschland-Stipendium als auch das BIH, beides Initiativen der ehemaligen BMBF-Chefin Annette Schavan, sind heute in erster Linie Geldschöpfungsmaschinen. Im ersten Fall geht das in Ordnung: Das Geld, das geschöpft wird, stammt von Firmen, von Privatleuten, von Stiftungen. Es mögen vergleichsweise kleine Beträge sein, aber der Zusatznutzen ist da. Und die meisten Hochschulen wissen heute immerhin, was Fundraising ist. Ein Schavan-Projekt mit, na ja, Potenzial. Das BIH hingegen ist vor allem eine Geld-Pipeline vom Bund ins Land Berlin. Bundesmillionen, die zu Recht fließen in die Gesundheitsforschung der Hauptstadt. Doch wie verhält es sich mit dem versprochenen Zusatznutzen der neuen Institution BIH? Diese Frage ist, siehe oben, noch nicht abschließend beantwortet. Aber es wäre gut, wenn ein paar kritische Wissenschaftspolitiker sie allmählich mal offensiver formulieren würden.
Abbildungen: Screenshots von dem Websites.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:10)
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