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Wege aus dem Stimmungstief

Der Staatsvertrag zur Akkreditierung beseitigt nur die legale Schlagseite des Systems. Damit die externe Qualitätssicherung auch inhaltlich an Akzeptanz gewinnt, muss der Neuanfang noch viel grundsätzlicher werden. Ein Gastkommentar von Siegfried Hermes.

DER BESCHLUSS DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS vom Februar 2016 hat die gegen das deutsche Akkreditierungssystem von vielen Seiten erhobenen Bedenken gleichsam höchstrichterlich bestätigt. Die Richter haben verdeutlicht, dass der Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, den die Akkreditierung bedeutet, grundsätzlich zulässig ist im Sinne der externen Qualitätssicherung von Lehre, dass das System jedoch auf eine tragfähige gesetzliche Grundlage gestellt werden muss.

 

Der jetzt im Ratifizierungsprozess der Länder befindliche „Studienakkreditierungsstaatsvertrag“ soll diesen gesetzlichen Rahmen schaffen, indem er Ziele, Verfahren, Akteure und Bewertungskriterien der Akkreditierung allgemein regelt. Aber indem der Staatsvertrag dem Akkreditierungssystem ein neues formalisiertes Fundament gibt, wird er unmittelbar nur dessen offenkundiges Legalitätsproblem lösen; das viel schwerer wiegende Legitimitätsdefizit hingegen, das der Akkreditierung seit seinen Anfängen anhaftet, wird er nicht ohne Weiteres beheben. Dass es der Akkreditierung bei vielen Professoren, Hochschulen und auch Studierenden an Akzeptanz mangelt, hat die nahezu ungeteilte Zustimmung zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts noch einmal nachdrücklich bestätigt. Warum aber ist das so? Und welche Chancen für das System eröffnet die Entscheidung?

 

Die Rolle der Gutachter muss sich wandeln

 

Speziell die Programmakkreditierung wird von vielen immer noch als eine bürokratische Urteilsmaschinerie wahrgenommen – oder gar als Quelle willkürlicher Urteile über Studiengänge, deren fachlich-wissenschaftliche Bewertungsgrundlagen sie nicht kennen oder teilen. Daher darf die mangelnde Akzeptanz gerade bei den Hochschulen und Lehrenden nicht verwundern. Solche Perzeptionen sind jedoch umso bedenklicher, als einer der Leitgedanken des Akkreditierungssystems gerade das Gegenteil bezweckte: Über das Peer- Review-Prinzip sollen statt der Ministerialbürokratie Fachexperten mit Fachexperten einen Diskurs über die Qualität von Lehre und Studium führen. Faktisch kann dies jedoch nur gelingen, wenn die Fachgutachter ihre Aufgabe mit großer Zustimmung aller Beteiligten führen können. Deshalb muss sich ihre Rolle wandeln, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens müssen sie von der Bewertung rein formaler Aspekte des Studiums entlastet werden, und zweitens müssen sie ihre fachlich-inhaltliche Bewertung auf der Grundlage möglichst breit konsentierter Bewertungsgrundlagen treffen können. 

 

Für eine solche Fokussierung der Expertentätigkeit in der (Programm-) Akkreditierung enthält der Verfassungsgerichtsbeschluss wichtige Anhaltspunkte. Zwar beschränkt er sich auf die Nennung der wesentlichen Regelungsmaterien und sagt speziell zu den Bewertungskriterien inhaltlich nichts. Und doch werden unter Bezug auf die im Grundgesetz verbriefte Berufsfreiheit der Studierenden die Themen „Fachlichkeit“ und „Beruflichkeit“ ins helle Licht gerückt. >>



>> Der Staatsvertrag nimmt die Argumentation des Verfassungsgerichts auf, indem er nähere Bestimmungen zu den fachlich-inhaltlichen Bewertungskriterien enthält und dazu unter anderem „auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung befindliche fachlich-inhaltliche Standards“ anführt (Artikel 2, Absatz 3). Indem die Länder an dieser Stelle die bisherigen Kriterien für die Programmakkreditierung entlang der Merkmale „formal/inhaltlich“ aufspalten, sollen die Gutachter in die Lage versetzt werden, sich auf die fachlich-inhaltliche Dimension von Studienqualität zu konzentrieren. So sinnvoll das erscheint, so problematisch ist die vorgenommene Unterscheidung in ihrer praktischen Konsequenz, weil zahlreiche auf den ersten Blick scheinbar rein formale Aspekte von Studienprogrammen sich nur im Zusammenhang mit der inhaltlichen Analyse sinnvoll bewerten lassen – und die Entscheidung darüber können wiederum nur die Gutachter treffen. Für die verbleibenden rein formalen Kriterien wäre zudem zu hinterfragen, warum sie überhaupt Prüfgegenstand von Akkreditierungsverfahren sein müssen. Sie könnten ebenso gut der internen Qualitätssicherung der Hochschulen (den Justiziariaten im Zusammenspiel mit ihren Ministerien) überlassen werden. 

 

Fachliche Qualitätssicherung statt „Vollkontrolle“

 

In der Fokussierung der Gutachtertätigkeit auf die fachlich-inhaltliche Bewertung liegt hingegen eine wirkliche Chance der Reform. Hier könnten substantielle Akzeptanz- und damit Legitimitätsgewinne errungen werden, wenn innerhalb der Fächer ein Konsens erzielt wird, was die inhaltliche Qualität von Studienprogrammen ausmacht und wie man sie verbindlich formuliert. Die Frage, welche fachlichen Kriterien die Gutachter bei ihrer Bewertung denn eigentlich anlegen, wäre dann nämlich für alle Beteiligten nachvollziehbar geklärt. Dieser Punkt ist naturgemäß besonders sensibel, denn hier ist der Kern der Freiheit von Forschung und Lehre betroffen. An dieser Stelle entscheidet sich, wie tief die Akkreditierung eingreift und in welchem Maße sie dabei zwangsläufig die Autonomie der Hochschulen berührt.

 

Bei dem Versuch, die fachlich-inhaltlichen Kriterien näher zu bestimmen, räumt der Staatsvertrag den von den Fachbereichen selbstgesetzten Qualifikationszielen eines Studiengangs zu Recht eine prominente Stelle ein. Schon bisher bildeten diese den implizit wesentlichen Maßstab zur Beurteilung der Studiengänge. Indem die Fächer selbst ihre Qualifikationsziele formulieren, werden diese wie schon bisher zum Garant für die im Rahmen der externen Qualitätssicherung anerkannte Autonomie der Fakultäten und Fachbereiche in der Gestaltung von Studium und Lehre. Wie wichtig die Qualifikationsziele sind, um der fachinhaltlichen Bewertung der Studiengänge Plausibilität und Akzeptanz zu verschaffen, wird jedoch vielfach immer noch nicht gesehen – was nicht zuletzt daran liegt, dass sie innerhalb einer kaum systematisierten Vielfalt gleichrangiger Kriterien leicht unterschätzt werden konnte. 

 

In diesem Punkt leistet der neue Staatsvertrag zur Akkreditierung zwar weniger als wünschenswert wäre, trifft aber neben dem Bekenntnis zu selbstgesetzten Qualifikationszielen eine weitere wichtige Festlegung: Die Qualifikationsziele sollen auf Kompetenzen ausgerichtet sein, die auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind, auch weil sie den „auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung befindlichen fachlich-inhaltlichen Standards“ entsprechen (Artikel 2, Absatz 3). Wie der Prozess für die Entwicklung solcher Standards organisiert werden muss, um eine möglichst breite Zustimmung an den Fakultäten und Fachbereichen zu gewinnen, wird damit zur zentralen Frage. 

 

Das Modell disziplinspezifischer Qualitätsstandards

 

Damit ein für die Qualifikationsziele erforderlicher maßgebender Referenzrahmen innerhalb der jeweiligen fachlichen Community abgestimmt werden kann, erscheint die Zusammenarbeit maßgeblicher Akteure der Fachwissenschaften als vielversprechender Weg. Vorrangig zu diesem Zweck wurde beispielsweise die sogenannte Strategische Partnerschaft von Fakultäten- und Fachbereichstagen der MINT-Disziplinen gegründet. Für den Bereich der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen ist sie der Versuch, zunächst innerhalb des Wissenschaftssystems gemeinsam fachlich-inhaltliche Standards zu definieren. Zugleich ist das so entstandene Forum grundsätzlich offen für den Austausch mit Studierenden, Berufspraxis, Politik und Gesellschaft.

 

Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass das Thema fachspezifischer Qualifikationsrahmen in der Reformdiskussion lange Zeit eine allenfalls nachrangige Rolle gespielt hat. Unter der Flagge der Freiheit von Forschung und Lehre wurde für die Hochschulen ein lediglich optionaler Einsatz derartiger Referenzrahmen in der Akkreditierung favorisiert. Gleichzeitig waren entsprechende Standards in sogenannten staatlich reglementierten Studiengängen schon seit einiger Zeit zu berücksichtigen. Das provoziert natürlich die Frage, warum, was für die „berufszulassungsrechtlich reglementierten Berufe“ und die damit verbundenen präzisen Qualifikationsanforderungen gilt, nicht ein generell für die akademische Ausbildung sinnvoller Ansatz sein soll. 

 

Die bloße Existenz „irgendwelcher“ (nationaler oder internationaler) fachbezogenen Referenzrahmen und deren am Ende unklare Verbindlichkeit im Rahmen der Qualitätssicherung werden dabei nicht ausreichen. Denn wenn es den Beteiligten ernst ist mit dem Ziel, durch die Reform auch die Akzeptanz des Akkreditierungssystems zu steigern, wird das ohne die gemeinsame Entwicklung anerkannter Fachstandards kaum zu realisieren sein. Politik, Wissenschaft und Gesellschaft haben einen Anspruch darauf, dass die Bewertung von Studienprogrammen in der Akkreditierung nicht divinatorisch, sondern auf der Basis vereinbarter und geteilter Qualitätsstandards erfolgt.

 

Siegfried Hermes ist Senior Project Manager bei der Akkreditierungsagentur ASIIN.

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Kommentare: 1
  • #1

    McFischer (Mittwoch, 04 Oktober 2017 09:36)

    Im Gastbeitrag von Herrn Hermes finden sich viele richtige und gute Gedanken - und vor allem der Hinweis auf eine immer noch geringe Legitimität gerade der externen Programmakkreditierung an den Hochschulen.
    Jetzt sei einmal dahingestellt, ob das nicht einfach das Problem jeglicher externer 'Prüfung' ist - wenn der 'TÜV' nicht rechtlich verbindlich vorgesehen wäre, würden wohl die wenigsten von uns ihr Auto alle zwei Jahre zu den Prüfern fahren ("es fährt doch eigentlich noch ganz gut"). Gleiches gilt für Steuererklärungen, Drittmitelanträge etc. Mit Begeisterung ist das selten jemand dabei.
    Von dem zentralen Argument im Beitrag würde ich allerdings nur die erste Hälfte teilen wollen:

    "Über das Peer- Review-Prinzip sollen statt der Ministerialbürokratie Fachexperten mit Fachexperten einen Diskurs über die Qualität von Lehre und Studium führen. Faktisch kann dies jedoch nur gelingen, wenn die Fachgutachter ihre Aufgabe mit großer Zustimmung aller Beteiligten führen können. Deshalb muss sich ihre Rolle wandeln, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens müssen sie von der Bewertung rein formaler Aspekte des Studiums entlastet werden, und zweitens müssen sie ihre fachlich-inhaltliche Bewertung auf der Grundlage möglichst breit konsentierter Bewertungsgrundlagen treffen können."

    Richtig ist, dass die Entlastung der Begutachtenden von den formalen Aspekten eine richtige Entscheidung im Staatsvertrag ist. In der Praxis spielen diese Aspekte bei den Besuchen von Gutachtergruppen vor Ort auch eine (immer) geringe(re) Rolle - auch weil die meisten Hochschulen dieses Aspekte mittlerweile gut handhaben. So kann sich - glücklicherweise - die Diskussion auf die fachlich-inhaltlichen Aspekte konzentrieren.
    Aber: Die hier geforderte Schaffung von 'fachlichen Bewertungsgrundlagen' ist hoch problematisch. Aktuell sind die Kriterien hier nur an einen allgemein und generisch formulierten Qualifikationsrahmen gebunden. Die Einführung fachlicher Qualifikationsrahmen ist schon länger eine Idee gewesen und es gibt eine ganze Reihe davon. Sie sind allerdings einerseits sehr unterschiedlich und reichen von relativ engen currucularen Vorgaben bis zu allgemeinen Empfehlungen, was ein Studiengang im Fach X umfassen sollte. Andererseits haben sie alle gemeinsam, dass sie in der Akkreditierung/Bewertung nicht verbindlich sind. Und das ist auch gut so! Denn die Forderung, dass jedes "Fach" nun verbindliche inhaltliche Rahmenvorgaben formulieren sollte ist problematisch und wirft eine Reihe von Fragen auf: Wer ist hier 'legitmiert', dies auszuarbeiten und festzulegen? Ist hier der Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre nicht eklatant? Warum sollten dies eigentlich (so nehme ich an) deutsche Rahmenvorgaben sein, wo gerade 'Bologna' und Akkreditierung doch eine vergleichbare Qualitätsbewertung innerhalb des Europäischen Hochschulraumes sichern soll? Verhindert man nicht so gerade Innovationen in Lehre und Studium - gerade im Masterbereich, wo viele Studiengänge mittlerweile interdisziplinär und international sind? Wer legt überhaupt fest, was ein 'Fach' ist?
    Betrachtet man den Arbeitgeber des Autors, die auf technik- und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge spezilisiert ist, erklärt sich der m.E. doch sehr eingschränkte Blick. Sicher lässt sich noch argumentieren, dass für Biologie, Maschinenbau oder Wirtschaftsingnieurwesen man gemeinsame fachlich-inhaltliche Rahmen vorgeben könnte (die oben genannten Argumente bezüglich Innovation, Eingriff in Lehrfreiheit etc. bleiben allerdings auch hier bestehen). Für Geschichte, Philosophie, Präventionspsychologie oder Interdisziplinäre Orientstudien wird das nicht mehr möglich sein. Die Gefahr wäre hier, genau dem Vorwurf zu entsprechen, der Bologna leider häufig gemacht wird: Gleichmacherei! Dies ist jetzt nicht der Fall - wäre aber bei fachlichen Qualifikationsrahmen dann aber zutreffend.