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Das berechtigte Misstrauen der Befristeten

"Frist ist Frust": Die Politik sollte endlich eine umfassende Bestandsaufnahme bei Befristungen in der Wissenschaft machen.

Foto: pexels - cco.

ES IST EIN OFFENER BRIEF der offenen Enttäuschung. Ein "Gefälligkeitsgutachten" sei das, was das Bundesforschungsministerium da in Auftrag geben wolle, kritisierten die Unterzeichner die "sehr geehrte Frau Ministerin" Anja Karliczek. Und sie verkündeten: Da machen wir nicht mit.

 

Die Briefeschreiber, unter ihnen der Jenaer Soziologieprofessor Tilman Reitz, gehören zum sogenannten Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft, womit der Haupt-, – der einzige – Zweck dieses Bündnisses griffig zusammengefasst ist. Als neulich die Wissenschaftspakte ausgehandelt wurden, demonstrierten die Leute vom "NGA Wiss" vor Karliczeks Ministerium, sie hielten symbolisch ihre Kettenverträge in die Pressekameras und riefen das Motto ihrer (gemeinsam mit der GEW initiierten) Kampagne in die Mikrofone: "Frist ist Frust".

 

In der Tat sind die Zahlen erschreckend: Der sogenannte wissenschaftliche Nachwuchs an deutschen Hochschulen ist zu rund 90 Prozent befristet beschäftigt. Zu den Eigenheiten deutscher Hochschulpolitik zählt dabei, dass dank der Kettenverträge selbst 40-Jährige in Abhängigkeit gehalten und insofern immer noch zum "Nachwuchs" gezählt werden.

 

Die Wissenschaftspakte wurden vor wenigen Tagen offiziell von Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin verabschiedet, doch das im "Zukunftsvertrag Studium und Lehre" enthaltenen Bekenntnis zu mehr Dauerstellen scheint für die meisten Betroffenen einen hohlen Klang zu haben. Weswegen sie am gleichen Tag, an dem die Politiker ihre Pakte feierten, ihren Offenen Brief online stellten.

 

Der Grund für ihr Misstrauen hat einen Namen, und der ist lang: Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es erlaubt Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ihre Mitarbeiter über 12 Jahre hinweg befristet zu beschäftigen – ohne Aussicht oder gar Garantie auf eine Festeinstellung. Wechselt ein Mitarbeiter auf durch Drittmittel finanzierte Stellen, kann er sogar noch länger – unter den richtigen Umständen: beliebig lang – auf Zeitverträgen weitermachen.

 

Das Gesetz wird gegen
die Beschäftigten ausgelegt

 

Man kann lange über die – auch gut gemeinten – Beweggründe für ein solches Gesetz diskutieren: mehr Flexibilität für die Wissenschaft, geringere Schranken für zusätzliche Stellen. Am Ende, schreiben die "NGA Wiss"-Unterzeichner, werde das Wissenschaftszeitvertragsgesetz "konsequent gegen die Beschäftigten ausgelegt", soll heißen: Die 12 Jahre werden fast immer voll ausgereizt, und danach ist fast immer Schluss mit der Wissenschaftskarriere. Einig ist sich das Netzwerk in dieser Schlussfolgerung übrigens nicht nur mit Gewerkschaftern, sondern auch sonst mit den meisten Hochschulexperten.

 

Dieses Gesetz und seine Wirkungen wollte das Bundesforschungsministerin nun evaluieren lassen, weil seine 2016 in Kraft getretene Novelle es so versprochen hatte. Doch anstatt sich an der Ausschreibung zu beteiligen, sagt das Netzwerk öffentlichkeitswirksam per Offenem Brief: Eigentlich wäre die Durchführung einer solchen Evaluation genau das Richtige für uns. Aber nicht so eine Pseudo-Evaluation.

 

Dass das Netzwerk vermutlich ohnehin nicht den Zuschlag bekommen hätte, spielt bei der demonstrativen Geste keine Rolle im Vergleich zu dem Vorwurf, den die Unterzeichner dem Ministerium machen: Es begrenze den im Gesetz verankerten Auftrag zur umfassenden Begutachtung seiner Folgen in unzulässiger Weise. Von der geplanten Einschränkung auf den "Teilaspekt der Entwicklung durchschnittlicher Vertragslaufzeiten", den Hauptfokus der 2016er Novelle, sagen die Unterzeichner, "lesen wir (im Gesetz) nichts".

 

Will das Forschungsministerium wirklich nicht wissen, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz seit 2007 insgesamt bewirkt hat? Ist der "NGA Wiss" Recht zu geben, wenn sie eine umfassende Untersuchung der "Zweckmäßigkeit eines Sonderbefristungsrechts in der Wissenschaft" fordert? Wäre es tatsächlich Aufgabe einer Evaluation zu ermitteln, ob die im Vergleich zur übrigen Arbeitswelt enormen Befristungsmöglichkeiten dem im Grundgesetz verbrieften Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nützen – oder ihm am Ende gar schaden?

 

Fest steht: Der Frust in der Wissenschaft über die Arbeitsbedingungen ist so groß geworden, dass die Politik einer vollständigen Bestandsaufnahme nicht mehr ausweichen sollte. Sie müsste dann allerdings auch bereit sein, wirklich etwas zu ändern. Ministerin Karliczek betont immer wieder, dass genau das ein zentrales Ziel des milliardenschweren Zukunftsvertrages sei. Wenn das stimmt, sollte ihr Ministerium eigentlich sogar an der von der "NGA Wiss" geforderten Öffnung der Evaluation interessiert sein. Es könnte ihm zusätzliche Argumente geben, die Länder unter Druck zu setzen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will’s wissen" im Tagesspiegel. 


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Kommentare: 4
  • #1

    McFischer (Montag, 17 Juni 2019 16:26)

    Guter Beitrag zu einem schon lange diskutiertem Thema. Interessant ist, dass die 'Befristung der Befristung' in zweierlei Hinsicht problematisch ist: Einerseits schafft es Anreize für Hochschulen, die 12 Jahre auszureizen bzw. dann weiter auf Drittmitteln zu beschäftigen. Andererseits gibt es nicht wenige (im Laufe der Jahre dann hochwertig qualifizierte) Wissenschaftler/-innen, für welche die Drittmitelperspektive die einzige Möglichkeit ist, weiter hochschulisch zu arbeiten - was natürlich für die Professoren/-innen vorteilhaft ist, da sie so gut qualifizierte Mitarbeiter/-innen halten können.
    Vermutlich müsste man konsequent sein und entweder alle Befristungsgrenzen aufheben oder das System der 'wenigen Professoren/-innen und vielen Mittelbaustellen' vom Kopf auf die Füße stellen und konsequent eigenständige, unbefristete Stellen (lecturers, assistant professors etc) schaffen.

  • #2

    Karlchen Mühsam (Dienstag, 18 Juni 2019 18:21)

    Ein sehr schöner Beitrag! Es ist un Wissenschaftsbereich ein offenes Geheimnis das jede Evaluation auf das zu erwartende und politisch gewollte Ergebnis hin ausgerichtet wird. Warum also soll das hier anders sein?

  • #3

    Michael Zacherle (Dienstag, 18 Juni 2019 22:58)

    Noch schlimmer als in der Wissenschaft selbst ist es beim wissenschaftsunterstützenden Personal, sprich in der Verwaltung. Ein immer größerer Teil des Budgets der Universitäten sind Drittmittel, die sowohl beim Einwerben als auch in der Verwaltung viel mehr Aufwand in der Administration erzeugen als Grundmittel. Trotzdem geht der Anteil des Verwaltungspersonals immer weiter zurück, statt dass man den geschilderten Umständen Rechnung trägt. Und die Befristungsregeln in der Verwaltung sind unverständlicherweise die gleichen wie in der Wissenschaft selbst. Nach zwei oder auch mal vier Jahren lässt die Universitätsspitze die Verträge auslaufen, weil man das Personal nicht entfristen möchte und sich auch die Personalräte bei (an sich möglichen) Kettenbefristungen auf Drittmittel quer stellen. So fungiert zumindest ein Teil der Universitätsadministration als Durchlauferhitzer. Zum Teil jährlich wechseln die Ansprechpersonen in der Verwaltung, und diese müssen natürlich erst mal eingearbeitet werden. Und während ein Maschinenbauer oder Wirtschaftswissenschaftler nach 6 Jahren Universitätskarriere immer noch gut in die Wirtschaft wechseln kann ist das für Spezialisten für Universitätsprozesse viel schwieriger.
    Schade, dass hierüber niemand spricht.

  • #4

    Klaus Diepold (Mittwoch, 19 Juni 2019 23:36)

    Dank an Michael Zacherle dafür, dass er auf die Situation des wissenschaftsstützenden Personals hinweist, das ebenfalls unter befristeten Verträgen leidet (deutlich weniger als 12 Jahre) und zudem hundsmiserable bezahlt wird. Die Personalfluktuation in der Verwaltung, insbesondere bei Rechtsabteilungen ist inzwischen grotesk.

    Wie sieht es eigentlich mit der Befristung bei MPI, FhG etc aus? Ist es da genauso wie in den Hochschulen?