· 

Nicht schlechter ist schon ziemlich gut

Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2018 sind da. Die gefürchtete Negativentwicklung ist insgesamt ausgeblieben. Je nach Bundesland sieht die Entwicklung allerdings sehr unterschiedlich aus.

Screenshot: Titelseite der Studie. 

MANCHMAL KANN AUCH eine Stagnation eine gute Nachricht sein. Die Kultusminister haben heute Morgen die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2018 präsentiert, und die zeigen im Vergleich zwischen 2012 und 2018 wenig Bewegung. Gleichzeitig hat sich jedoch die demographische Zusammensetzung der getesteten Schüler dramatisch verändert. 

 

Das von der KMK getragene Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hat knapp 45.000 Neuntklässler 1462 Schulen in ganz Deutschland auf ihre Kompetenzen in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik getestet. Sie sollten Aufgaben lösen, um zu ermitteln, ob sie die von den Kultusministern für das Ende der 10. Klasse gesetzten Bildungsstandards erreichen. Die Standards definieren, was sich junge Menschen an Fachwissen angeeignet haben sollen und wie gut sie in der Lage sind, neue Erkenntnisse zu gewinnen. 

 

Entscheidend sind das Erreichen des sogenannten Mindeststandards, sozusagen die Untergrenze des Akzeptablen, und des  Regelstandards als wünschenswerte Norm. Insgesamt wurden fünf Kompetenzstufen definiert: unter Mindeststandard, Mindeststandard, Regelstandard, Regelstandard und Optimalstandard. 

 

Auf ganz Deutschland betrachtet zeigen die Ergebnisse in keinem Fach eine statistisch bedeutsame Veränderung in den vergangen sechs Jahren – dafür aber zum Teil stark unterschiedliche Entwicklungen von Land zu Land. Dazu gleich mehr.

 

In Mathe verfehlen 24 Prozent

der Schüler den Mindeststandard

 

Doch zunächst zu den Zahlen auf Bundesebene: In Mathe erreichten 2018 44,9 Prozent der getesteten Schüler mindestens den Regelstandard, 24,2 Prozent verfehlten dagegen sogar den Mindeststandard.  Sie haben also selbst mit basalen Rechenoperationen Probleme. Nur 3,5 Prozent kamen bis zum Optimalstandard. Allerdings weisen die IQB-Forscher darauf hin, dass die getesteten Neuntklässler ja noch ein Jahr Zeit haben, weil die Bildungsstandards für das Ende der 10. Klasse gelten. Insofern würden sich die Werte bis dahin noch  verbessern, in Mathe um rund 12 Prozentpunkte. 

 

Beim Fachwissen Biologie erreichten 70,7 Prozent mindestens den Regelstandard, in Chemie 56,1 Prozent und in Physik 69,3 Prozent. Dass die Werte hier so viel höher liegen als in Mathe, hat allerdings einen simplen Grund: In Mathematik bestand die Stichprobe aus Jugendlichen unabhängig von ihrem angestrebten Schulabschluss, womit Gymnasiasten genauso dabei waren wie Schüler, die einen Mittleren Schulabschluss anstreben oder nur einen Hauptschulabschluss. In den Naturwissenschaften war die Stichprobe dagegen auf Jugendliche beschränkt, die mindestens den MSA anstreben. Diejenigen, die einen Hauptschulabschluss als Ziel haben, blieben draußen – was die Ergebnisse in den Naturwissenschaften hochzieht. Entsprechend niedriger lag auch der Anteil der getesteten Schüler, die den Mindeststandard in den Naturwissenschaften verfehlten: in Bio bei nur 5,4 Prozent, in Chemie bei 16,8 Prozent und in Physik bei 8,8 Prozent (alle Ergebnisse im Detail finden Sie hier). 

 

Warum die bundesweiten Ergebnisse, obwohl sie keinerlei Fortschritt gebracht haben, insgesamt eine positive Nachricht darstellen: Weil die Schülerschaft eine ganz andere geworden ist. Zum ersten Mal bei einem großen Leistungstest wurde die große Welle der 2015 Geflüchteten berücksichtigt. Immerhin stellen die Flüchtlinge nach Angaben des IQB etwa zwei Prozent der Schülerschaft, die die meist ohne Deutschkenntnissen und häufig mit geringer formaler Bildung nach Deutschland gekommen sind. Auch insgesamt hat sich die Schülerschaft in den sechs Jahren dramatisch verändert: 2018 stammten 33,6 Prozent aus Einwandererfamilien, das sind sieben Prozentpunkte (rund ein Viertel) mehr als 2012. Gleichzeitig ist der Anteil der Förderschüler im allgemeinen Schulsystem enorm gestiegen: 2012 lag die Inklusionsquote bei gut 12 Prozent, 2018 bei 32,6 Prozent.

 

Insgesamt haben die Schulen die 

Herausforderungen erstaunlich gut gemeistert

 

In den Naturwissenschaften zeigten Einwandererkinder einen größeren Rückstand als in Mathematik. Jugendliche der zweiten Zuwanderergeneration hätten sich in den Naturwissenschaften allerdings verbessert und seien näher an den Schnitt aller Jugendliche herankommen. Die im Schnitt schwächeren Leistungen der Einwandererkinder ließen sich insgesamt sich zu großen Teilen auf ihren sozioökonomischen Hintergrund zurückführen, teilte das IQB mit. KMK-Präsident Alexander Lorz bezeichnete es als "sehr erfreulich... "dass sich Schülerinnen und Schüler mit und ohne Zuwanderungshintergrund in ihren Schulen gut integriert fühlen."

 

Die Schlussfolgerung: Insgesamt haben die Schulen die Herausforderungen der wachsenden Heterogenität erstaunlich gut gemeistert.  Die Kopplung von sozialem Hintergrund und erreichten Leistungen habe sich nicht verstärkt, betonte die Kultusministerkonferenz heute und versprachen zugleich: "Die Länder werden die Lehrer verstärkt dabei unterstützen, mit dieser Heterogenität konstruktiv und professionell umzugehen."

 

Auffällig ist, dass besonders Schüler an Gymnasien in nahezu allen betrachteten Kompetenzbereichen schwächere Leistungen zeigen – obwohl, auch das ist interessant, der Anteil der Gymnasiasten an der Gesamtschülerschaft seit 2012 stabil geblieben ist. Woraus folgt, dass die Nicht-Gymnasiasten besser geworden sein müssen. Allerdings betont das IQB, dass diese Verbesserung nicht zwangsläufig statistisch signifikant sein müsse. Interessant ist sie trotzdem angesichts des Hypes ums Gymnasium. 

 

Ebenfalls interessant: Obwohl Jungen lediglich im Fach Mathematik bessere Leistungen als Mädchen vorweisen konnten, schätzten sie ihr eigenes Können und ihr Interesse in den Fächern Mathematik, Chemie und Physik höher ein.

 

Besonders in Ostdeutschland
geht der Trend nach unten

 

Jetzt der Blick in die einzelnen Länder. Hierbei fällt auf, dass eine Vielzahl von Ländern zum Beispiel beim Erreichen der Regelstandards schlechter abschneiden als 2012. Besonders die meisten ostdeutschen Länder haben spürbar schwächere Ergebnisse erzielt. In Mathe berichtet das IQB statistisch signifikante Negativ-Trends für Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Wie in Mathe fällt Brandenburg auch in Biologie mit dem größten Minus auf, ebenfalls merklich schwächer in Bio waren die Schüler aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Ein ähnliches Bild in Chemie: Brandenburg mit dem größten Rückgang (hier sind es fast 20 Prozent Schüler weniger, die den Regelstandard beim Fachwissen schaffen), "ungünstige Trends", wie das IQB das nennt, gab es auch in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein. Und schließlich Physik: Hier ging es wiederum in Brandenburg signifikant bergab, außerdem in Sachsen-Anhalt und Thüringen. 

 

Warum die Ergebnisse deutschlandweit trotzdem stabil geblieben sind? Weil einige wenige große Länder die Trends nach oben zogen. Bayern und Baden-Württemberg , teilweise Nordrhein-Westfalen, wobei leichten Zuwächse sind nur teilweise statistisch bedeutsam. Doch schon das reichte, um die Vielzahl der kleineren Länder, die Rückgänge hatten, auszugleichen. 

 

KMK-Präsident Alexander Lorz sagte, die ungünstigen Entwicklungen in einzelnen Ländern sollten die Kultusminister aufrütteln. "Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den negativen Tendenzen bei den Jungen. Als Land, das ganz erheblich vom Forscher- und Erfindergeist seiner Bürgerinnen und Bürger lebt, müssen wir schlicht und einfach zukünftig noch mehr unternehmen, um die Begeisterung unserer Schülerinnen und Schüler für die Naturwissenschaften zu wecken." 

 

Warum es gerade in Ostdeutschland bergab ging, darauf kann das IQB keine Antwort geben. Die Daten lieferten nur Beschreibungen, könnten aber keine Erklärungen für Veränderungen geben, sagte IQB-Leiterin Petra Stanat – wies jedoch zugleich darauf hin, dass ostdeutsche Länder wie Sachsen oder Thüringen von sehr hohen Niveaus gestartet seien, was die Rückgänge relativiere. 

 

Warum ein Länderranking methodisch schwierig
ist und doch alle interessiert

 

Und, wie der Vergleich der absoluten Länderergebnisse zeigt, gerade die ostdeutschen Länder liegen bei den Schülerleistungen trotz der Rückgänge noch gut. Sie möge solche Länderrankings jedoch nicht, betonte Stanat. "Das Ziel des Monitorings ist nicht, den ersten, zweiten oder dritten Platz an die Länder zu verteilen." Eine Bundesliga-Tabelle sei schon deshalb methodisch fragwürdig, weil die demographische Zusammensetzung der Schüler so unterschiedlich sei. Beispiel Schüler aus Einwandererfamilien: In Bremen machen sie 49,9 Prozent der Schüler aus, in Hessen 44,7 Prozent – in Thüringen und Sachsen nur 10, 11 Prozent. Die Inklusionsquote wiederum reicht von 87,8 Prozent in Bremen und 72,5 Prozent in Schleswig-Holstein bis hinter zu 22,7 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 23,3 Prozent in Hessen. Es komme darauf an, dass die Länder jeweils für sich erkennen, wie nah sie an die Bildungsstandards herankommen, fügte Stanat hinzu.

 

Die Kultusminister sehen das indes anders. "Natürlich ist das Ranking für uns wichtig und interessant", sagt zum Beispiel Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD). In Mathe bei dem Regelstandard vorn lagen Sachsen und Bayern. Sachsen war auch das Land mit dem geringsten Anteil der Schüler unterhalb der Mindeststandards: 14,0 Prozent gegenüber 24,2 Prozent im Bundesdurchschnitt. Auch beim Fachwissen in Biologie, Chemie und Physik ragten diese beiden Länder positiv heraus, in Physik darüber hinaus noch Thüringen. Am Ende der Skala befanden sich in Mathematik Bremen und Berlin, wo enorme 40,6 bzw. 33,9 Prozent den Mindeststandard verfehlten. Auch in Biologie, Chemie und Physik scheiterten besonders viele Berliner Schüler an den Mindeststandards. In Chemie lagen die Schüler aus Bremen und Hamburg ähnlich schlecht bei den Mindeststandards – ansonsten aber schaffte es Hamburg erneut, im Gegensatz zu den beiden anderen Stadtstaaten sich solide Plätze im Mittelfeld zu sichern. 


Stimmen zu den Ergebnissen

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) drängte angesichts der IQB-Ergebnisse erneut auf die Umsetzung des Nationalen Bildungsrates. "Insgesamt sind die Ergebnisse stabil geblieben. In einigen Ländern gibt es aber auch Erfolgsmeldungen", sagte Karliczek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Hier wünsche ich mir, dass die Länder voneinander lernen – Vergleichbarkeit, Transparenz und Qualität sind nötig." Sie sei daher überzeugt, dass ein Nationaler Bildungsrat mit dieser Zielrichtung hilfreich wäre."

 

Margit Stumpp, die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, sagte, dass drei bevölkerungsreiche Länder mit guten Ergebnissen die negativen Trends vieler anderer Länder ausgeglichen hätten, könne die Probleme nur kurzfristig überdecken. "Und die Herausforderungen für das Bildungssystem wachsen: Lehrkräftemangel, mehr Heterogenität in den Klassen, Digitalisierung, Inklusion und Integration." Es werde höchste Zeit für einen "modernen Bildungsföderalismus, mit dem sowohl Bund als auch Länder und Kommunen gemeinsam für die beste Bildung und Chancengerechtigkeit sorgen."

 

Ähnlich äußerte sich der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger. Er kritisierte, Stagnation auf akzeptablem Niveau sei kein Erfolg. "Deutschland könnte es besser. Fast ein Viertel der Schüler verfehlt den Mindeststandard in Mathematik, nur drei Prozent erreichen hier den Optimalstandard." Die regional unterschiedlichen Ergebnisse seien "eine Ohrfeige - leider besonders für ostdeutsche Kultusminister." Deutschland brauche jetzt einheitliche Bildungsstandards mit einem Zentralabitur in wichtigen Kernfächern, vor allem MINT-Fächern. Bund und Länder stünden jetzt noch mehr in der Pflicht, den Digitalpakt Schule mit hohen Qualitätsstandards umzusetzen.

 

Der Deutsche Philologenverband (DPhV) betonte in seiner ersten Reaktion, dass die Bundesländer mit stark gegliederten Schulsystemen und einer verbindlichen Grundschulempfehlung im Bundesvergleich vorn lägen. "Dass die erzielten Kompetenzniveaus der Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Bundesländern immer noch so weit auseinanderklaffen, damit dürfen wir uns nicht abfinden", sagte die DPhV-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing. "Bildungspolitisch gilt es, von Bayern und Sachsen lernen: Diese Länder sind mit ihren Schulsystemen dauerhaft erfolgreich."

 

Angesichts der Ergebnisse sei nicht nur Ursachenforschung dringend nötig, "sondern vor allem sind in einem zweiten Schritt endlich auch schul- und bildungspolitische Konsequenzen zu ziehen!" Bei den schwächeren Leistungen der Gymnasiasten zeige sich möglicherweise, dass  neben der notwendigen Fokussierung auf die leistungsschwächeren Schüler auch und gerade auf die spezifischen Förderung der leistungsstärkeren ankomme," die in den letzten Jahren – gewissenmaßen als Selbstläufer – zunehmend aus dem Blick geraten sind", sagte Lin-Klitzing.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Mannheimer Studi (Sonntag, 20 Oktober 2019 10:10)

    "Allerdings betont das IQB, dass diese Verbesserung nicht zwangsläufig statistisch signifikant sein müsse. Interessant ist sie trotzdem angesichts des Hypes ums Gymnasium. "

    Noise ist interessant?