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Altersgrenzen-Starrsinn

Spätestens Ende 60 fällt das Karriere-Fallbeil: Fähige und produktive Forscher werden gegen ihren Willen in Pension geschickt. Damit muss Schluss sein.

Nietzschedenkmal auf dem Holzmarkt in Naumburg.   Foto: Harald Henkel/Flickr/ CC BY-NC 2.0.

AUCH IN DER WISSENSCHAFT gibt es alte weiße Männer, viele sogar, deren Pensionierung keinen großen Verlust bedeuten wird.

 

Es sind Professoren, die am liebsten hätten, dass alles so bliebe, wie es immer war. Männergeprägte Hierarchien halten sie für den Ausdruck akademischer Exzellenz, Diversität nennen sie einen Modebegriff. Und sie arbeiten sich an Jugendlichen ab – speziell solchen, die an der Spitze von Fridays for Future stehen und zu Recht auf die dramatischen Versäumnisse der Älteren hinweisen.

 

"Alter weißer Mann"
ist eine Geisteshaltung

 

Daraus sollte man freilich nicht schließen, dass die jüngeren Forscherinnen und Forscher automatisch schlauer sind. Der Terminus "alter weißer Mann" beschreibt, so verstehe ich ihn, eine Geisteshaltung, die zwar mit dem entsprechenden demografischen Zustand korreliert, aber eben keineswegs perfekt. Anders formuliert: Es arbeiten auch an den Hochschulen zum Glück jede Menge weltoffene Alte und leider erstaunlich beschränkte Junge.

 

Warum ich das so betone: Weil die Wissenschaft aufpassen muss, dass sie das so wichtige Ziel Diversität in all seinen Dimensionen lebt. Der Mangel an transparenten Aufstiegsmöglichkeiten für junge Forschende ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem. Er führt auch dazu, dass einige der besten Leute der Wissenschaft den Rücken kehren.

 

Doch so, wie sie die Jungen häufig geringschätzt, verfährt sie auch mit den Alten. Zwischen 65 und 68 fällt für Professoren und Professorinnen immer noch erbarmungslos das Karriere-Fallbeil. Dabei wollen viele von ihnen länger arbeiten. Dabei könnten viele von ihnen länger arbeiten. Sie haben sich ihre Neugier bewahrt und ihre Offenheit. Setzt das System Wissenschaft sie vor die Tür, geht nicht nur ein enormer Erfahrungsschatz verloren. Auch die Diversität leidet.

 

Andere Länder bekommen
es besser hin

 

Andere Länder bekommen das besser hin, an beiden Karriereenden. Tenure Track und Professorinnen um die 30 sind dort ebenso alltäglich wie Wissenschaftler, die noch mit 75 in Hörsälen und Laboren stehen. Und zwar mit attraktiven Verträgen, nicht auf meist mit ein paar hundert Euro im Monat dotierten Seniorprofessuren, von denen es ohnehin viel zu wenige gibt. Die Alten sollten nicht die Stellen für die Jungen verstopfen, wird in Deutschland gern argumentiert. Was kurios klingt in einem Wissenschaftssystem, das sich ansonsten, siehe oben, nicht gerade vor Sorge um die Perspektiven seiner Nachwuchswissenschaftler überschlägt.

 

Gerade hat der bekannte "Autoprofessor" Ferdinand Dudenhöffer laut Handelsblatt bekanntgeben, in die Schweiz zu wechseln, weil er dort "nicht aufs Altenteil" geschoben werde. An seiner bisherigen Universität Duisburg-Essen, sagt der 68 Jahre alte Dudenhöffer, ein entschiedener Verfechter der Elektromobilität, hätte er keine vernünftigen Arbeitsbedingungen mehr gefunden. Ein prominentes, ein plakatives Beispiel für einen der vielen blinden Flecken der deutschen Hochschulpolitik.

 

Exzellenz in der Wissenschaft bedeutet immer seltener das Genie im stillen Kämmerlein. Exzellenz entsteht, wo kluge Leute mit unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, Lebenswegen und Erfahrungen aufeinandertreffen. Die starre Altersgrenze für Professoren muss endlich weg.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will`s Wissen" im Tagesspiegel.

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Kommentare: 7
  • #1

    Philonous (Montag, 17 Februar 2020 11:39)

    Entzückend, dass der Artikel mit einem Bild von Nietzsche aufwartet - der im Alter von 55 verstarb und bereits seit Mitte 40 in geistiger Umnachtung vor sich hin dämmerte. Wieso nicht Gadamer? †102

    Schönen Gruß
    Philonous

  • #2

    Karlchen Mühsam (Montag, 17 Februar 2020 21:44)

    Lieber Herr Warda!
    Ich glaube weder, dass die nordrhein-westfälischen Hochschulen geringschätzig gegenüber ihren an der Schwelle zur Pensionierung stehenden Professoren verfahren, noch dass das durch eine in meinen Augen schamlose Pressemitteilung öffentlich bekannt gewordene Vorgehen der Universität Duisburg-Essen gegenüber Herrn Dudenhöffer Anlass für grundsätzliche Kritik bieten können.

    M.E. sollte folgendes bedacht werden.
    1. Professoren sind überwiegend Beamte. Sie werden aus Steuergeldern finanziert und müssen im öffentlichen Interesse konkrete Dienstaufgaben wahrnehmen. Sie haben aber auch allerhand Annehmlichkeiten, die es in anderen westlichen Ländern nicht gibt.
    2. Auch nach der Pensionierung bleiben die Professoren Mitglieder iher Hochschule. Sie dürfen also weiterhin forschen, lehren und prüfen. Sie haben aber keine Dienstpflichten. Für die Versorgung kommt weiterhin der Steuerzahler auf.
    3. Seniorprofessuren drücken ein beamten- und haushaltsrechtlich hohes Maß an Wertschätzung aus. Die zusätzliche Vergütung muss anders als die Pensionen aus dem Budget der Hochschule bestritten werden, ohne dass hier belastbare im öffentlichen Interesse stehende Gegenleistungen eingefordert werden (können).

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 18 Februar 2020 09:36)

    @Philonous: Sie haben natürlich Recht. Ich fand aber das Denkmal optisch so passend und entschied mich dafür – in der Erwartung, dass irgendwer einen Kommentar dazu machen würde. :) Gadamer wäre in der Tat ein sehr guter Kandidat gewesen, ich habe ehrlich gesagt gar nicht nachgeschaut, ob es ein passendes Bild gegeben hätten.

    Beste Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #4

    Klaus Diepold (Dienstag, 18 Februar 2020 17:09)

    Mein Doktorvater ist nach dem 68. Geburtstag und zum Zeitpunkt der Pensionierung nach Brasilien umgesiedelt,
    wo er weiterhin aktiver Prof. ist.

    Gil Strang hält am MIT mit 85 Jahren noch Vorlesungen zur Linearen Algebra für Naturwissenschaftler und Ingenieure.

  • #5

    Peppa Wutz (Mittwoch, 19 Februar 2020 12:33)

    Die über das Ruhenstandsalter hinausreichende Weiterbeschäftigung von Professoren (mehr als überwiegend in der männlichen Form) wird an den Hochschulen keineswegs selten praktiziert. Sie führt aber ebenso regelmäßig dazu, dass wichtige Strukturreformen und Veränderungen in akademischen Suborganisationen herausgezögert und/oder verunmöglicht werden, weil trotz aller wissenschaftlichen Offenheit die Offenheit für die Akzeptanz von Machtverschiebungen, um es so deutlich zu sagen, dann doch nicht gegeben ist. Zugleich werden Wissenschaftler*innen, die längst kein Nachwuchs mehr sind, in ihrem Gestaltungsfreiraum eingeschränkt. Insofern finde ich, dass das hier vorgebrachte Plädoyer doch sehr zweischneidig ist.

  • #6

    Gast aus Niedersachsen (Donnerstag, 20 Februar 2020 09:28)

    Interessant sind zum einen die je nach Bundesland sehr unterschiedlichen Regelungen. So können Professorinnen und Professoren in Niedersachsen über den 68. Geburtstag hinaus bis höchsten 71 verlängern, allerdings nur im Einvernehmen mit der Universität.
    Interessant finde ich aber zum anderen, dass es hier "nur" um diese Gruppe geht. Sollten wir nicht in Deutschland ganz grundsätzlich eine Debatte über das "man muss nicht zwingend in Rente gehen" (ja, bei Beamten heißt es Pension, ich weiß) führen. Oder anders: Allen Berufstätigen soll es zustehen, ab Alter X zu gehen, das ist klar (und bei körperlich sehr fordernden Tätigkeiten z.B. früher als bei anderen), aber die Gesellschaft sollte es nicht quasi erwarten.

  • #7

    In Wartehaltung (Donnerstag, 20 Februar 2020 13:39)

    Da man in Deutschland als Nachwuchswissenschaftler im Regelfall warten muss, bis ein Professor oder eine Professorin pensioniert wird, wenn man eine Chance auf eine Professur haben will, kann man sich nur gluecklich schaetzen, dass mit Ende 60 "das Fallbeil faellt". Sonst kann naemlich schnell inmitten der wissenschaftlichen Karriere Schluss sein. Vielleicht sollte man erstmal diese Problematik behaben, bevor man Massnahmen ergreift, die das Problem nur noch verschaerfen.