Bedienungsstress und Pannen: "Hochschulstart.de" hat nie gut funktioniert. Die geplante Lösung kostet die Länder erneut Millionen.
Bild: pxfuel.com - cco./Maike Bollmer.
DIE SOFTWARE, mit der "Hochschulstart.de" jedes Jahr hunderttausende Bewerber auf Studienplätze verteilt, entspreche "nicht mehr dem Stand der Technik". Sie sei "fragil", "schwer wartbar" und "auf Dauer nicht ökonomisch betreibbar". Was die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) neulich den Wissenschaftsstaatssekretären der Länder in Berlin präsentierte, war nicht weniger als ein amtlicher Offenbarungseid.
Überraschend kam das Gutachten nicht, das der von der Stiftung berufene IT-Beirat intern erstmals im Oktober 2019 vorgestellt hatte. Jedenfalls nicht für all die Studiensekretariate an den Hochschulen, die sich seit Jahren Zulassungsverfahren von "Hochschulstart.de" herumschlagen. Wissenschaftspolitisch bedeutsam ist der Bericht dafür umso mehr, denn nach jahrelanger Hinhaltetaktik und Kleinreden benennt die Stiftung damit erstmals offensiv die Schwächen des Systems.
Die neue Software sollte die
Studienplatzvergabe revolutionieren
2009 mit Millioneninvestitionen gestartet, sollte das "Dialogorientierte Serviceverfahren" (DoSV) die Studienplatzvergabe in Deutschland revolutionieren. Vor allem die potenziellen Studienanfänger sollten profitieren: Anstatt drei, fünf oder mehr Einzelbewerbungen an Hochschulen im ganzen Land zu verschicken und vorher entsprechend viele unterschiedliche Formulare ausfüllen zu müssen, sollte künftig eine einzige Online-Anlaufstelle reichen. Nutzerfreundlich sollte das DoSV sein, leicht verständlich und handelbar für die Bewerber und dazu mit einem Riesenvorteil für die Bildungsgerechtigkeit.
All die Einzelbewerbungen hatten nämlich dazu geführt, dass einige Erstsemester im Extremfall mit fünf oder mehr Zulassungsbescheiden überschüttet wurden, von denen sie natürlich nur einen annahmen. Doch das erfuhren die anderen Hochschulen ja nicht – und mussten die Studienplätze deshalb erstmal freihalten. Mit dem Ergebnis, dass viele Nachrücker erst im Laufe des Semesters mitgeteilt bekamen, dass sie doch einen Platz hatten. Und selbst mehrere Vergaberunden konnten nicht verhindern, dass am Ende tausende Plätze freiblieben.
Das DoSV sollte all das ändern, in Echtzeit das Angebot und die Nachfrage nach Studienplätzen koordinieren, bundesweit. Doch konnte die Hochschulstart.de die hohen Erwartungen nie erfüllen. Nach zehn Jahren beteiligen sich zwar die meisten in Frage kommenden Hochschulen am DoSV, aber nur mit zwei Fünfteln der möglichen Studiengänge. Denn eines hat die Stiftung bis heute technisch nicht richtig in den Griff bekommen: die Administration sogenannter Mehrfachstudiengänge, also zum Beispiel praktisch aller Lehramtsprogramme. Auch bei den Einzelfächern hakte es immer wieder. Währenddessen schlugen sich die Bewerber mit einer Benutzeroberfläche herum, die alles andere als leicht verständlich und handelbar ist.
Mehrfach mussten der Politik und den Hochschulen versprochene Meilensteine bei der Ausbreitung von DoSV verschoben werden, doch das Fass zum Überlaufen brachte erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende 2017. Die Medizin-Studienplatzvergabe, befanden die Richter, sei teilweise verfassungswidrig. Die Länder wurden verpflichtet, bis Ende 2019 ein neues Zulassungsverfahren umzusetzen.
Die Wissenschaftsminister haben die
Probleme jahrelang verschleppt
Nun gehört die Bearbeitung der Bewerber für die bundesweiten NC-Fächer Human-, Tier- und Zahnmedizin sowie Pharmazie zum Kerngeschäft von "Hochschulstart.de", das einst aus der berühmt-berüchtigten Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) – ihre Kritiker sprachen schon mal von einer durch die ZVS betriebenen "Kinderlandverschickung" – entstanden war. Doch obgleich Kerngeschäft, hatte es die Stiftung bis 2017 immer noch nicht geschafft, Medizin & Co auch ins DoSV zu integrieren. Diese Studiengänge liefen auf einer alten, noch unpraktischeren Software nebenher – mit dem entsprechenden Kleinklein für die Hochschulen.
Jahrelang hatten die Wissenschaftsministerinnen und -minister der Länder die immer neuen Vertröstungen durch Hochschulstart.de hingenommen, niemand hatte wirklich Lust, die überfällige Aufräumaktion im Stiftungsmanagement in Angriff zu nehmen. Es lief ja auch irgendwie. Doch spätestens mit dem Druck der Verfassungsrichter ging das Wegducken nicht mehr länger, und tatsächlich wagte die Politik die überfällige Flucht nach vorn.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Stiftung für Hochschulzulassung grundlegend umstrukturiert, der langjährige Geschäftsführer musste gehen. Für die Umsetzung des Medizin-Urteils wurde erst einmal ein technisches Provisorium zusammengestrickt, das die wichtigsten Vorgaben der Verfassungsrichter so weit berücksichtigt, dass das Verfahren legal ist – verbunden mit dem Versprechen, dass nach zwei Jahren eine Dauerlösung kommen sollte. Und schließlich wurden mit dem fünfköpfigen IT-Rat endlich unabhängige Informatik-Experten beauftragt.
Mit deren Gutachten hat die Stiftung es nun schwarz auf weiß: Das DoSV ist am Ende. Nicht die Idee, aber die Software dahinter. Und noch brisanter: Das Medizin-Provisorium, das nur zwei Jahre laufen sollte, wird voraussichtlich fünf Jahre dauern. Eben weil parallel dazu ein neues DoSV hermuss. Von einer "Zwei-Wege-Strategie" ist deshalb die Rede. Auch eine erste Schätzung, was die zusätzlichen "Transformationskosten" angeht, liegt inzwischen vor. Rund 17 Millionen Euro will die Stiftung von den Ländern erbitten.
Jetzt braucht die Stiftung viel
Geld für ihren Neustart– dringend
"Das ist nicht besonders viel, wenn man bedenkt, dass allein das Studierendenportal an meiner Universität pro Jahr fast eine Million Euro kostet", sagt der Siegener Universitätspräsident Holger Burckhart, der zugleich einer von zwei Vorsitzenden des SfH-Stiftungsrates ist. "Nehmen Sie die Summe mal 272 Hochschulen pro Jahr, dann haben Sie das Geld, das wir brauchen, ins richtige Verhältnis gesetzt."
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass das jahrelange Herumdoktern am bisherigen DoSV ebenfalls einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen hat, so genau weiß das keiner. Unschöner Fakt ist auch, man sich in den vergangenen Jahren von einem einzigen Software-Dienstleister in grenzwertiger Weise abhängig gemacht hat – bis zu personellen Verschränkungen in die Stiftung hinein. Künftig, so verspricht die Stiftung, soll das aufhören, man wolle echte Ausschreibungen machen und für die unterschiedlichen Teilaufträge unterschiedliche Anbieter finden.
Eine Abordnung der Stiftung hat das ernüchternde Gutachten des IT-Beirates vorvergangene Woche offiziell den Amtschefs der Wissenschaftsministerien vorgestellt – und dazu die Ideen, mit der die Stiftung aus dem Schlamassel herauskommen will. In der Kultusministerkonferenz haben sich daraufhin einige gewundert, warum die Stiftung extra zu ihrer Sitzung kommt, wenn doch die Vertreter der Länder ohnehin im Stiftungsrat sitzen. Doch Burckhart sagt: "Wir wollten unsere Botschaft mit Nachdruck rüberbringen." Die Spitzen der Ministerien sollen sich nicht wieder wegducken so wie früher. Und die Stiftung braucht das Geld. Dringend.
Die Stiftung will mehr, als nur
mit der Vergangenheit aufzuräumen
Die Vision, die Burckhart und sein Ko-Vorsitzender Oliver Grundei (CDU), Amtschef im schleswig-holsteinischen Wissenschaftsmisterium, den Ländern im Gegenzug präsentieren, ist im Grunde wieder die alte von vor zehn Jahren: Möglichst alle Hochschulen mit allen infrage kommenden NC-Studiengängen ins DoSV bringen, das dann richtig gut funktionieren soll und in dem eine Bewerbung keine Schlacht mit unübersichtlichen Links, Eingabemasken und Bürokratendeutsch bedeutet.
Also ein neuer Anlauf mit alten Zielen? Nicht nur. Tatsächlich will der Stiftungsrat, nachdem er endlich angefangen hat, mit der Vergangenheit aufzuräumen, noch mehr: Eine moderne Service-Plattform für die Hochschulen stelle er sich vor, sagt Burckhart, in der diese auch die Studienplatzvergabe für ihre Nicht-NC-Fächer verwalten können. In der sie auch alle Studienleistungen ihrer Studierenden speichern können, in die sich diese jederzeit einloggen und ihre Notenlisten, sogenannte Transcripts, ausdrucken können. "Die Studierenden werden dabei gar nicht merken, dass sie auf der Seite der Stiftung sind, sondern die Hochschulen nutzen unser Angebot als Teil ihres eigenen Auftritts."
Bevor die Hochschulen bereit wären, dabei mitzumachen oder die Wissenschaftsministerien, sie dazu zu verpflichten, müsste die Stiftung indes noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Und vor allem in einem ersten Schritt mal die Medizin-Studienvergabe hinbekommen. Den guten Willen wolle man den neuen Chefs gar nicht absprechen, sagt zum Beispiel Torsten Preuß, Leiter des Studierendensekretariats der Universität Köln. "Aber uns interessiert das konkrete Handeln mehr."
Die Mitarbeiter schieben Wochenendschichten,
aber das Medizin-Provisorium hält
Immerhin: Das von einigen prophezeite Chaos beim neuen Medizin-Zulassungsprovisorium ist bislang ausgeblieben. Die Stiftungsmitarbeiter mussten einige Wochenend-Schichten einlegen, das Portal musste ein paar Mal überraschend offline gestellt werden. Doch bis zum Bewerbungsschluss am 15. Januar konnten laut Stiftung alle Bewerbungen erfolgreich verarbeitet werden, auch die Erstellung der Ranglisten und die Zuteilung der Studienplätze habe hingehauen, sagt Burckhart – letzteres allerdings mit drei Tagen Verspätung.
"Im Großen und Ganzen hat das geklappt", bestätigt auch Torsten Preuß. "Aber es ist ärgerlich, dass die Stiftung uns Hochschulen beim Auftreten von Problemen immer noch so zögerlich informiert." Ganz offenbar fahre die Stiftung auf Sicht. Immerhin hat die Stiftung neulich eine Mischung aus Info- und Dankesbrief geschrieben, dessen nichtamtlicher Tenor noch vor zwei, drei Jahren kaum denkbar gewesen wäre und entsprechend gut an den Hochschulen ankam.
Doch einige große Fallstricke kommen erst noch. Nicht nur ärgert sich die Stiftung weiter mit dem ungelösten Problem der Mehrfachstudiengänge herum. Vor allem beginnt jetzt die Verteilung der bislang nicht angenommenen Studienplätze zum Sommersemester. Oliver Herrmann, der administrative Geschäftsführer von "Hochschulstart.de", sagt: "In allen Tests hat die Software funktioniert, aber das sind natürlich kleinere Fallgruppen."
Die Hochschulen klagen derweil, es habe viel zu wenig Tests gegeben, außerdem seien die Tests zu spät angelaufen. Und richtig spannend wird es im Wintersemester, wenn statt jetzt zehn medizinischen Fakultäten über 30 an den Start gehen – mit einer Vielzahl an Studienplätzen und Bewerbern. "Das ist eine völlig andere Hausnummer", räumt auch der Stiftungsratsvorsitzende Burckhart ein und sagt, zur Not werde man die nötige Rechenkapazität in externen Rechenzentren einkaufen.
Fast scheint es, als seien die laufenden Baustellen zu groß, um parallel die Generalsanierung der Studienplatzvergabe zügig angehen zu können. Doch die Stiftung muss es jetzt packen, damit "Hochschulstart.de" endlich richtig an den Start gehen kann.
Dieser Artikel erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung im Tagesspiegel.
It is so easy (Freitag, 28 Februar 2020 07:22)
"Künftig... wolle man echte Ausschreibungen..."?
Heißt das, dass es bislang keine Ausschreibungen gab? Gab es da keine Aufsicht? Und wer garantiert, dass sich das ändert, wenn das Personal das gleiche bleibt?
Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 27 Februar 2020 17:36)
Liebe Leserinnen und Leser,
wie immer vielen Dank für Ihr Interesse! Ausnahmsweise möchte ich Sie bitten, insofern Sie in einem Kommentar konkrete Personen in der Stiftung erwähnen wollen, mir vorher per Mail an post@jmwiarda.de Ihren eigenen Klarnamen zu nennen. Natürlich gebe ich Ihre Identität nicht weiter! Konkret betrifft meine Bitte zwei noch nicht freigeschaltete Kommentare.
Vielen Dank für Ihr Verständnis und viele Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
EmCe² (Donnerstag, 27 Februar 2020 07:45)
...und jetzt wo sich die positiven Auswirkungen, was Umgang, Transparenz und Durchsetzungskraft gerade zeigen, läuft bald die kommissarische Geschäftsleitung aus. Es wäre zu wünschen, man könnte Hr. Herrmann für ein weiteres Engagement gewinnen. Es hat der Stiftung gutgetan... neben all den Unwägbarkeiten, nenne man Sie "Baustellen" oder "Kriegsschauplätze" wäre hier sicher eine Form von Beständigkeit und Rückendeckung, das was die Stiftung nun benötigt - nicht ein weiterer Umbruch.
Läuft... rückwärts und bergab, aber läuft.