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Neue Regeln für Befristungen und BAföG

Bundesforschungsministerin Karliczek wollte ein "Unterstützungspaket für Studierende und Wissenschaft" vorlegen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um zwei Maßnahmen. Dem Koalitionspartner SPD gehen sie nicht weit genug.

DIE BUNDESREGIERUNG WILL angesichts der Corona-Pandemie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ergänzen und bei den bereits beschlossenen BAföG-Erleichterungen nachbessern. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) teilte heute Vormittag mit, das Bundeskabinett habe ihren Vorschlag soeben beschlossen. Er soll jetzt dem Bundestag als "Formulierungshilfe" für einen Gesetzentwurf vorgelegt werden.

 

Karliczek sagte, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz solle um eine zeitlich befristete Übergangsregelung ergänzt werden. "Die Höchstbefristungsdauer für Qualifizierungen wird pandemiebedingt um sechs Monate verlängert", erläuterte die Ministerin ihre Initiative. Dadurch hätten die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen als Arbeitgeber die Möglichkeit, die Arbeitsverträge etwa für Promovierende und Habilitanden über die bisherigen Höchstbefristungsgrenzen hinaus fortzusetzen – "zum Beispiel, wenn sich ein Forschungsprojekt aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation verzögert."

 

Beim BAföG will die Bundesregierung jetzt doch den Hinzuverdienst aus allen "systemrelevanten Branchen und Berufen" komplett von der Anrechnung auf die Auszahlungssumme ausnehmen. Wer in der aktuellen Krise "unsere Gesellschaft unterstützt, behält damit auch die volle BAföG-Förderung", sagte Karliczek. 

 

Ende März hatte die Bundesregierung zunächst beschlossen, das zusätzliche Gehalt solle nur noch die BAföG-Zahlungen in denjenigen Monaten schmälern, in denen die jungen Leute tatsächlich arbeiten. Studierendenverbänden ging diese Lösung indes nicht weit genug. In ihrem Protest verwiesen sie auf die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 23. März, wer im Kampf gegen das Virus anpacke, "dem wird seine Entlohnung, die er dafür bekommt, nicht auf das BAföG angerechnet". Die geforderte Nachbesserung hat die Bundesregierung jetzt geliefert. 

 

Karliczek: BAföG-Ämter entlasten, damit sie sich prioritär
um die von der Pandemie Betroffenen kümmern können

 

In der begleitenden Pressemitteilung betonte Karliczek heute, durch die Änderung würden auch die BAföG-Ämter entlastet. "Sie sollen sich aktuell prioritär darum kümmern, Änderungs- und Neuanträge von denjenigen schnell zu bearbeiten, denen durch die Pandemie ihr eigenes Einkommen oder das der Eltern weggebrochen ist."

 

Beide Änderungen sollen als "Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz (WissStudUG)" rückwirkend zum 1. März in Kraft treten. Zugleich verwies Karliczek erneut auf die bereits in den vergangenen Wochen getroffenen Anpassungen: Die BAföG-Geförderten erhielten ihre Ausbildungsförderung bis auf Weiteres auch, wenn der Hochschulbetrieb oder der Schulbetrieb zeitweilig ausgesetzt sei. Die Ministerin betonte: "In der aktuellen Krise gerade auch unser Wissenschaftssystem flexibel und leistungsfähig zu halten, das ist mir persönlich sehr wichtig. Wir sehen ja gerade wie unter einem Brennglas, wie wertvoll die Arbeit der Wissenschaft für unsere gesamte Gesellschaft ist." 

 

Die Bundesregierung schaue derzeit kontinuierlich, ob zusätzliche Anpassungen nötig seien. "Das aktuelle Paket ergänzt unsere bereits unternommenen Schritte." Sie werde nun im Bundestag aktiv dafür werben, dass die neuen Maßnahmen beschlossen würden.

 

SPD: Weitere drängende Fragen zur sozialen Lage der
Studierenden und Auszubildenden bleiben unbeantwortet

 

Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte, Karliczeks Vorschlag greife zwei wichtige Punkte auf. "Er beantwortet aber nicht weitere drängende Fragen zur sozialen Lage der Studierenden und Auszubildenden in der Corona-Krise." Wer akut in Not gerate, weil die Eltern in Kurzarbeit müssten oder weil der eigene Nebenjob verloren gehe, müsse schnell und vereinfacht Zugang zum BAföG oder zu einem Härtefallfonds bekommen. Auch dürfe das Sommersemester 2020 nicht auf die Förderhöchstdauer beim BAföG angerechnet werden. Die SPD-Fraktion habe diese und weitere Maßnahmen in einem umfassenden Aktionsplan für Ausbildung und Bildung beschrieben. "Wir brauchen jetzt ein entschlossenes Signal, dass Auszubildende und Studierende ihre Ausbildung erfolgreich fortsetzen können und dass wir dafür alles tun, dass keine sozialen Notlagen für die Fachkräfte von morgen entstehen."

 

Der Studierendenverband "fzs" kommentierte, das Bundesbildungsministerium bleibe grundsätzliche Antworten schuldig. Vorstandsmitglied Jacob Bühler nannte die vorgestellten Maßnahmen richtig. "Wir brauchen aber ein Hilfspaket für Studierende in viel größerem Ausmaß, in dem so etwas nur eine Randnotiz wäre. Ein Hilfspaket, das tatsächlich Studierenden in finanzieller Not hilft." Nur etwa 12 Prozent der Studierenden erhielten BAföG, betonte der "fzs", von denen wiederum könne nur ein Bruchteil in systemrelevanten Branchen jobben und von der Regelung profitieren. Demgegenüber stünden aber zwei Millionen Studierende, die mit Arbeit ihren Lebensunterhalt finanzierten und von denen vielen ihre Jobs weggebrochen seien. 

 

Die FDP argumentierte ähnlich wie der "fzs". Der Vorschlag der Ministerin sei "ein schönes Signal an BAföG-Empfänger, die sich in der Krisenbewältigung engagieren", sagte der hochschulpolitische Sprecher Jens Brandenburg. "Er greift aber viel zu kurz." Das größte Finanzierungsproblem hätten nun diejenigen, die gar kein BAföG erhalten. 40 Prozent der Nicht-BAföG-Empfänger seien bisher schon auf umfangreiche Nebenjobs von mehr als zehn Wochenstunden angewiesen. "Sie fallen beim BAföG durchs Raster, weil sich Frau Karliczek einer strukturellen Reform verweigert hat." Hartz IV sei für Studierende keine Lösung. Nötig sei ein unbürokratischer Härtefallfonds, über den die Studentenwerke in Not geratenen Studierenden mit Zuschüssen und Darlehen helfen könnten. "Das Geld steht bereit. 900 Millionen Euro der BAföG-Mittel wurden letztes Jahr nicht verausgabt. BAföG-Ansprüche sollten im vereinfachten Verfahren schnell neu berechnet werden."

 

HRK: "Ein starkes,
ermutigendes Signal"

 

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt sagte dagegen, sollte der Bundestag dieses Gesetz verabschieden, "dann setzt er ein starkes, ermutigendes Signal". Hoch qualifizierte Forschende bildeten die Basis für die Leistungsfähigkeit der Hochschulen und des Wissenschaftssystems insgesamt. "Und die Befähigung zum gesellschaftlichen Engagement ist aus Sicht der Hochschulen ein ganz wesentliches Ziel jedes Hochschulstudiums. Es ist sehr wichtig, dass der Bund dies hier honoriert."

 

Der GEW-Vizevorsitzende und Hochschulexperte Andreas Keller twitterte, die Verlängerung der Höchstbefristungsdauer sei ein "wichtiger Schritt. Statt Option brauchen wir aber Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung. Nachteilsausgleich darf nicht von Willkür der Hochschulen abhängen!"

 

Die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Katja Becker, verwies am Morgen auf eine Reihe von Maßnahmen, mit der die DFG die finanziellen und zeitlichen Auswirkungen der Pandemie auf von Wissenschaftlern und Projekte möglichst abfedern wolle. "Die kostenneutrale Verlängerung haushaltsjahrgebundener Projekte gehört ebenso hierzu wie Ausgleichs-, Überbrückungs- und Auslauffinanzierungen oder die Verlängerung von Ausschreibungen, Stipendien und Anstellungsverträgen von Doktorandinnen und Doktoranden." Weitere kostenwirksame Maßnahmen seien in Vorbereitung.

 

Etwas verwirrend äußerte sich im Laufe des Tages der Deutsche Hochschulverband (DHV). Wenige Stunden vor Karliczeks Statement hatte die Professorenvereinigung sich per Pressemitteilung  "für eine Änderung" des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, "aber gegen eine Abschaffung des Befristungsrechts für die Wissenschaft" ausgesprochen. "Die stetige personelle Erneuerung ist das Schwungrad der Wissenschaft. Wer Universitäten zerstören will, muss nur alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Promotion bis zur Altersgrenze unbefristet beschäftigen", gab DHV-Präsident Bernhard Kempen zu Protokoll. Schuld an der in der Tat "unbefriedigenden Befristungslage" seien die "Fetischisierung von Drittmitteln" und die gleichzeitige chronische Vernachlässung der Grundfinanzierung, nicht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, betonte Kempen – fast so, als fürchte er, Karliczek werde heute dessen Ende verkünden.

 

Am späten Nachmittag dann schickte der Hochschulverband eine zweite Pressemitteilung heraus und begrüßte die heute beschlossene Ergänzung des Gesetzes. "Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt, der die Sorgen vieler befristet beschäftigter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konstruktiv aufnimmt", sagte Kempen und betonte, der DHV habe bereits vergangene Woche dafür plädiert, dass es bei befristeten Verträgen eine Corona-bedingte zusätzliche Verlängerung geben müsse.



Nachtrag am 8. April, 15 Uhr

 

Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bezeichnete die angekündigte BAföG-Änderung als einen ersten richtigen Schritt, der aber "bei weitem" nicht ausreiche. "Die Studierenden brauchen jetzt dringend pragmatische Lösungen, insbesondere einen Nothilfefonds des Bundes." Im Bundeshaushalt sei mehr Geld eingestellt, als tatsächlich für BAföG abgeflossen sei. Diese Mittel sollten eingesetzt werden, um durch die Corona-Krise unter Druck geratenen Studierenden zu helfen – mindestens über ein zinsloses Darlehen. "Letztendlich geht es also um eine Erweiterung der BAföG-Idee im Notfall. Die Abwicklung könnten die Studierendenwerke bedarfsgeprüft übernehmen."

 

Die Wissenschaftsministerien der Länder hatten vergangene Woche in einem gemeinsamen Beschluss angekündigt, sie würden sich beim Bund dafür einsetzen, dass "beim BAföG, dem Kindergeld, der Krankenversicherung und ähnlichem flexible Regelungen gefunden werden, die den Lebenswirklichkeiten der Studierenden in Zeiten der Corona-Pandemie gerecht werden".

 

Theresia Bauers Parteifreund Kai Gehring, Sprecher der grünen Bundestagsfraktion für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, sagte, fast 90 Prozent der Studierenden hätten nichts von Karliczeks Unterstützungspaket, das deshalb  mit dem Sticker "Return to sender" versehen werden müsse. Zudem sei es wichtig, Forschern mit befristeten Arbeitsverträgen Beschäftigungssicherheit zu geben und ihre Verträge entsprechend der pandemiebedingten Verzögerungen zu verlängern.  "Auch Projektfristen, Ausschreibungsverfahren, Zielvereinbarungen und Laufzeiten von Qualifikationsstellen und Tenure-Track-Professuren müssen angepasst werden."

 

Die hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der linken Bundestagsfraktion, Nicole Gohlke, sprach von einem "Armutszeugnis" der Ministerin. Die vom BMBF geplanten Maßnahmen seien "das Mindeste, aber insgesamt viel zu wenig. Die Bundesbildungsministerin scheint die Vielzahl von Problemlagen bei den Studentinnen und Studenten sowie beim wissenschaftlichen Personal nicht verstanden zu haben."

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