Das neue EU-Forschungsprogramm steuert auf ein
empfindliches Kürzungsszenario zu. Ausgerechnet
das Aushängeschild der europäischen Forschungsförderung
würde besonders heftig getroffen. Was jetzt passieren muss.
Ein Gastbeitrag von Jan Wöpking.
Jan Wöpking ist Geschäftsführer des Universitätsverbands German U15. Foto: privat.
75,9 MILLIARDEN EURO – das ist die Zahl, die der jüngste Haushaltsentwurf des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, für Europas Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe vorsieht. Das sind ganze fünf Milliarden Euro weniger als noch im letzten Vorschlag. Und, nebenbei bemerkt, auch weit weniger als die 120 Milliarden, die das Europäische Parlament im November 2018 gefordert hatte.
Inmitten der Jahrhundertkrise der Corona-Pandemie, für deren Bewältigung Forschung essenziell war und ist, soll das reguläre europäische Forschungsbudget für die nächsten sieben Jahre also nicht wachsen, sondern schrumpfen. An diesem Freitag und Samstag beraten die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten darüber.
Dieses Kürzungsszenario stimmt sorgenvoll. Es könnte insbesondere auch das Flaggschiff europäischer Forschungsförderung treffen, den Europäischen Forschungsrat bzw. den European Research Council (ERC). Denn Horizon Europe soll zwar auch zusätzlich zu den 75,9 Milliarden weitere 13,5 Milliarden aus "Next Generation EU", dem Wiederaufbaufond der Europäischen Union, erhalten. Aber diese Zusatz-Milliarden sollen nicht gleichmäßig auf alle Programmsäulen verteilt werden. Ausgerechnet der ERC und die Marie Skłodowska-Curie Actions (MSCA), im Kern die Förderung besonders exzellenter Nachwuchsforscher, gehen hier nach derzeitiger Planung leer aus.
Die Erfolgsgeschichte begann mit
einer deutschen Ratspräsidentschaft
Dabei ist der ERC das strahlendste Aushängeschild europäischer Forschungsförderung: International beachtet, stand er vielfach Modell für nationale Forschungsförderinstitutionen. Diese Erfolgsgeschichte beginnt im Jahr 2007 und zwar unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft und unter deutscher Leitung des ERC (Ernst-Ludwig Winnacker).
Heute kommt es darauf an, die Weichen für die Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte zu stellen. Und wie der Zufall spielt, hat erneut Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. 2007 war der ERC eine Innovation in der EU-Forschungsförderung, für dessen Entstehung hart gestritten wurde, nicht zuletzt von deutscher Seite (die DFG, deren Ex-Präsident Winnacker war, und ihr Leibniz-Preis hatten hier als Vorbilder gedient).
Von Anfang an war die Zielsetzung maximal ambitioniert. Bundeskanzlerin Merkel selbst formulierte sie in ihrer Rede anlässlich der ERC-Gründung so: Der Rat solle zur "Champions League" für die exzellente Forschung in den Mitgliedsstaaten werden. Das Ziel wurde erreicht. In den wenigen Jahren seit seiner Gründung wurden ERC-Geförderte mit insgesamt sieben Nobelpreisen, vier Fields-Medaillen und fünf Wolf-Preisen ausgezeichnet.
Der ERC ist zum Talentmagneten geworden –
und steht trotzdem vor Herausforderungen
Regelmäßige, unabhängige Studien belegen, dass die von der ERC zur Förderung ausgewählten Vorhaben wesentliche wissenschaftliche Fortschritte oder gar bahnbrechende Ergebnisse erbracht haben – was entscheidend mit den hoch kompetitiven ERC-Auswahlverfahren zusammenhängt. Der ERC ist zu einem Talentmagneten geworden und zieht jedes Jahr tausende Spitzenforscherinnen und –forscher an, denen die Förderung eine attraktive Karriere in Europa eröffnet. ERC-Grantees, viele jünger als 40 Jahre, werden von Universitäten und Forschungseinrichtungen stark umworben.
Trotz dieser Erfolge steht der ERC heute vor Herausforderungen. Die Stichworte lauten: Budget, Exzellenz, Freiräume und starke Partner. Der ERC braucht einen Budgetaufwuchs, eine Sicherung seines Profils und auch künftig starke Partner außerhalb der EU. Der Reihe nach:
1. Budget
Der ERC braucht ein starkes, ambitioniertes Budget – als Teil eines substanziellen Aufwuchses für Horizon Europe. Das galt bereits vor der Pandemie. Und ist jetzt umso mehr richtig, da die forschungsgeleitete Bewältigung der Pandemie längst nicht geschafft ist. Themenoffene exzellente Grundlagenforschung hat wesentlich dazu beigetragen, dass in kürzester Zeit enorme wissenschaftliche Ressourcen für den Kampf gegen die Pandemie mobilisiert werden konnten. Ein wichtiger Faktor dabei war auch, dass es bereits vorher Forschung zu Themen wie Corona-Viren gab, zu neuartigen Impfstoffmechanismen, zu lokalen und globalen Ausbreitungsmechanismen, zu sozialem Zusammenhalt, zu juristischen wie philosophischen Bedingungen für Grundrechteeinschränkungen, zu volks- und betriebswirtschaftlicher Resilienz und vielem mehr. Exzellente Grundlagenforschung in voller Breite hat eine wichtige Vorsorgefunktion. Deshalb ist es auch wichtig, die 13,5 Milliarden aus dem Next Generation Fond auf alle drei Säulen von Horizon Europe zu verteilen. Ausgerechnet den ERC (und die MSCA) auszuschließen, ist unverständlich und kontraproduktiv.
2. Exzellenz
Das Exzellenzprimat des ERC ist immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen. Denn ERC-Förderungen gehen bisher überwiegend nach Nord- und Westeuropa. Es steht außer Frage, dass Europa enorm profitiert, wenn es auch wissenschaftlich noch enger zusammenwächst. Doch eine Aufweichung des Exzellenz-Primats wäre dafür genau der falsche Weg und würde die Reputation des ERC und die Qualität der geförderten Forschung und ihrer Ergebnisse in Mitleidenschaft ziehen.
3. Freiräume
Im April 2020 ist der damalige Präsident des ERC, Mauro Ferrari, nach nur drei Monaten im Amt zurückgetreten. Ursache war auch ein Konflikt über Ferraris Anliegen, den ERC auf ein Großprogramm für Corona-Forschung zu fokussieren. Doch so wichtig eine gezielte Förderung von Covid-19-Forschung ist, so wenig entspricht es der Mission des ERC, Forschungsthemen top-down vorzugeben. Dafür sind andere Formate besser geeignet (und diese wurden dann auch gewählt). Der ERC aber lebt gerade von bottom-up und Neugier getriebener Forschung. Aus diesen Freiräumen erwächst sein Erfolg. Auch dies hat die Bundeskanzlerin in der Rede zur Gründung des ERC auf den Punkt gebracht: "Forschung braucht Freiheit. Das wissen wir. […] Wir wissen, Exzellenz kann durch Politik, durch Rahmenbedingungen, gefördert werden. Aber Politik darf den Erfindergeist, den Pioniergeist von Wissenschaftlern nicht einschränken."
4. Starke Partner
Mit Großbritannien und der Schweiz sind jetzt zwei Kraftzentren europäischer Forschung nicht Mitglied der EU. Ob ihre Assoziierung zu Horizon Europe gelingen wird, ist – Stand heute – offen. Schon jetzt wird in Großbritannien über Alternativen diskutiert. Es ist von einem eigenen Flaggschiffprogramm für internationale Spitzenforschung die Rede, orientiert am Vorbild des ERC. Verlierer einer solchen Entwicklung könnten am Ende beide Seiten sein. Denn gerade jetzt, inmitten eines globalen Rennens um einen Corona-Impfstoff, wird deutlich, wie wichtig künftig ein starker und ungeteilter Forschungsstandort Europa ist. Der ERC und Horizon Europe im Ganzen gewinnen durch starke Partnerländer.
Die Europäische Union steht vor der der größten Herausforderung seit ihrer Gründung. Die Pandemie fordert hohe Opfer, zwingt zu harten Einschränkungen und hält die Weltwirtschaft im Würgegriff. Forschung spielt eine ebenso große Rolle für die Bewältigung der Pandemie wie für den Neustart nach der Krise. Dafür braucht es jetzt auch in Europa klare, zukunftsweisende Entscheidungen. Angefangen bei einem substanziellen Budgetaufwuchs für den ERC und für Horizon Europe. Die nächste Chance dafür ist der Gipfel der EU-27 Regierungschefs am Freitag und Samstag, auf dem sie über den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen und den Wiederaufbaufond beraten. Für Europas Forschung geht es dabei um viel.
Der Gastbeitrag von Jan Wöpking basiert auf dem ebenfalls von ihm verfassten Text "Die Champions League der Forschungsförderung: Vier Empfehlungen zur Zukunft des Europäischen Forschungsrats", der heute in der Reihe "Analysen & Argumente" der Konrad-Adenauer-Stiftung erscheint.
Nachtrag am 14. Juli, 15 Uhr:
15 Europäische Hochschulverbände, die zusammen mehr als 800 Universitäten in Europa repräsentieren, haben heute unter dem Titel "#EUInvestInKnowledge" ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem sie für ein "ambitious long-term EU budget for research, innovation and education" plädieren.
Der Haushaltskommissar der EU, Johannes Hahn, kommentierte auf Twitter, Kürzungen bei Erasmus und Horizon genügten nicht den Ansprüchen der EU.
Später meldete sich auch der ERC selbst zu Wort. In einem Statement des Scientific Council heißt es, man sei über den Vorschlag des Ratspräsidenten "bestürzt". In der Folge listet das ERC-Gremium eine Reihe von Gründen dafür auf, warum Europa nicht nur ein höheres Budget brauche, sondern auch eine gute Balance zwischen "investigator-led excellence [sprich: ERC], and more focused, mission-oriented research".
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