Die Bundesbildungsministerin will nicht in Online-Lehre investieren – und legt ein preiswerteres Programm zur KI-Förderung auf.
NACH EINER OFFIZIELLEN ABSAGE kann man bislang lange suchen. Intern aber kam sie prompt – und fiel deutlich aus. Einen Digitalpakt Hochschule? Werde sie nicht machen, sagte Anja Karliczek (CDU) Ende Mai. Da war die Forderung der Landeswissenschaftsminister, 500 Millionen aus dem Corona-Konjunkturprogramm für die digitale Ausstattung der Hochschullehre fließen zu lassen, gerade ein paar Tage alt. Es gebe bereits die milliardenschweren Hochschulpakte von Bund und Ländern, hieß es aus Karliczeks Bundesbildungsministerium, die grundlegende Computerausstattung der Hochschulen sei Aufgabe der Länder.
Intern fiel sogar das Wort von einer "Abwrackprämie" für alte Hochschul-Technik, zu deren Zahlung Karliczek nicht bereit sei. Was einige ihrer Länderkollegen dann doch als ziemlich schroff empfanden. Allerdings nur als "Nein"-Sagerin wollte die Ministerin nicht dastehen und schlug als Alternative ein "Bund-Länder-Programm für die "Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung" vor. Viel zielgerichteter und zukunftstauglicher sei eine solche Förderinitiative, hieß es aus dem BMBF.
Inzwischen allerdings ist klar, dass das Programm aus Sicht von Karliczek noch einen erheblichen Vorteil hat: Geht es nach ihren Plänen, wird es sie deutlich billiger kommen.
100 Millionen für KI
in der Lehre...
Die entsprechende Verwaltungsvereinbarung wird gerade in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern ausgehandelt, darin ist von insgesamt gerade einmal 100 Millionen Euro die Rede, die der Bund zu geben bereit ist: bis 10 Millionen für 2021, jeweils bis zu 30 Millionen für die Jahre 2022 bis 2024, und nochmal bis zu 20 Millionen für 2025. Wieviel die Länder drauflegen, ist Verhandlungssache und noch offen. Mit dem Geld soll erstens "KI als Studieninhalt" implementiert werden, zweitens soll die Initiative "Qualität, Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit" der Hochschullehre insgesamt verbessern. Bei der GWK-Sitzung im November müsste die Vereinbarung geschlossen werden, damit die Ausschreibung dem Entwurf zufolge noch 2020 starten könnte.
Ziel eins soll über die einmalige Unterstützung von Hochschulen oder Hochschulverbünden bei der Erarbeitung von Studien- und Qualifizierungsangeboten im Bereich KI erreicht werden, konkret für "die Entwicklung neuer oder die Weiterentwicklung bestehender KI-bezogener Studienangebote (wie zum Beispiel Studiengänge, Module Kurse) bzw. von KI-Kursen zur Integration in bestehende Studien- und Qualifizierungsangebote oder für KI-bezogene Berufungen zur Erreichung" der genannten Ziele.
Ziel zwei wollen Bund und Länder ebenfalls durch einmalige Zuschüsse für Hochschulen oder Verbünde verfolgen – "bei der Gestaltung von Lern- und Prüfungsumgebungen", "KI-basierten kollaborativen Lehr- und Lernnetzwerken von Studierenden", "bei KI-gestützter Lernprozessunterstützung, KI-gestützter Kurs- und Modul(weiter)entwicklung sowie bei der Entwicklung KI-gestützter Studienberatung" für Studieninteressierte und "Maßnahmen KI-gestützter (Selbst-)Organisation des Studiums". Dies schließe auch die Qualifizierung von Hochschulmitarbeitern zum KI-Einsatz in der Hochschullehre mit ein.
Ein breites Spektrum, ein ambitioniertes und durchdachtes Programm – vor dem die vom BMBF angebotenen 100 Millionen umso schmaler erscheinen, die dann auch noch in einem Wettbewerbsverfahren, entschieden von einem eigens bestellten Auswahlgremium, über die Hochschullandschaft verteilt werden sollen. Da es pro erfolgreichem Antrag bis zu zwei bzw. für Verbünde bis zu fünf Bundesmillionen geben soll, kann man die Zahl der potenziell erfolgreichen Hochschulen schon mal ausrechnen. Zumal unwahrscheinlich ist, dass der Eigenanteil der Länder besonders großzügig ausfallen wird.
...aber 200 Millionen
für KI in der Forschung
Weshalb die Länder derzeit auch nicht so laut aufschreien, wie man vielleicht erwarten könnte. Der Bund könnte ihre Kritik mit dem Verweis auf ihre eigene finanzielle Zurückhaltung relativ leicht kontern.
Außerdem hat Karliczek ja noch geschätzte weitere 200 Millionen für die KI-Förderung im Köcher – allerdings nur für jene ausgewählten Bundesländer, in denen sogenannte KI-Kompetenzzentren eingerichtet wurden. Sie dienen vor allem der Forschung und befinden sich in Berlin (BIFOLD – Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data), Baden-Württemberg (TUEAI – Tübingen AI Center), Bayern (MCML – Munich Center for Machine Learning), Nordrhein-Westfalen (ML2R - Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr) und in Sachsen (ScaDS.AI – Center for Scalable Data Analytics and Artificial Intelligence in Dresden/Leipzig). Hinzu kommt eine Förderung für das seit langem bestehende Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit Hauptsitz im Saarland.
Im Gegensatz zum DFKI sind alle anderen Kompetenzzentren derzeit nur auf Zeit eingerichtet, sie sollen mit der versprochenen zusätzlichen Bundeshilfe zu Dauereinrichtungen ausgebaut werden – einer der allerersten Anwendungsfälle des erst vor wenigen Jahren geänderten Grundgesetzartikels 91b, der eine Dauerförderung von Wissenschaftseinrichtungen durch den Bund ermöglicht.
Kein Wunder, dass die betreffenden Bundesländer besonders an einem baldigen Abschluss mit dem Bund interessiert sind – und nicht den großen Grundsatzstreit vom Zaun brechen werden – weder wegen des abgesagten Digitalpakt Hochschule noch angesichts des allzu knappen Ersatzprogramms für KI in der Hochschullehre. Andere Landeswissenschaftsminister tragen dagegen gerade die Faust in der Tasche, auch in den Regierungsfraktionen im Bundestag beobachtet man die geplante Anwendung des 91b mit Skepsis.
SPD-Brandbrief an
die Bildungsministerin
Vor allem der Koalitionspartner von Anja Karliczek ist unzufrieden. Der forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, hat vergangene Woche in einem Brandbrief an die Ministerin eine "zukunftsfähige Lösung" gefordert. Die SPD orientiere sich an der "Zielsetzung einer ausgewogenen Förderung der künstlichen Intelligenz in Spitze und Breite", heißt es in dem Schreiben, das mir vorliegt. Der Mittelansatz für KI-Hochschullehre sei "zu niedrig, wenn im Verhältnis dazu die Verstetigung der KI-Kompetenzzentren mit bis zu 200 Millionen Euro und mehr für die nächsten vier Jahre diskutiert wird." Für ein ausgewogenes Verhältnis sei es notwendig, dass das BMBF für die Hochschullehre mindestens so viel Geld pro Jahr zur Verfügung stelle wie für die Kompetenzzentren. Auch das DFKI müsse "aufgrund seiner langfristigen Erfahrungen" auch in Zukunft eine angemessene Förderung erhalten.
Schließlich fordert die SPD von Karliczek auch eine KI-Forschungsförderung unterhalb der Kompetenzzentren. Diese sei nötig, damit die KI-Forschungslandschaft über die Verstetigung der Kompetenzzentren hinaus "so bewegungsfähig und flexibel" bleibe, dass "ein Maximum an wissenschaftlicher Kompetenz aufgebaut werden kann".
Kaczmarek fürchtet offenbar ebenfalls, die Länder könnten sich vom Bund auseinanderdividieren lassen, und erinnert die Ministerin in seinem Schreiben daran, dass dass Grundgesetz im Artikel 91b bewusst die Einstimmigkeit der Länder bei Bund-Länder-Förderprogrammen in der Wissenschaft zur Voraussetzung gemacht habe, "um Ungleichgewichten vorzubeugen. Daher sind unsere Anregungen auch dazu geeignet, das gesamtstaatliche Interesse zu wahren." Wer darin die implizite Drohung hineinliest, einzelne (SPD)-Länder könnten die Pakete sonst ablehnen, könnte richtig liegen.
Ein Sprecher von Anja Karliczek sagte auf Anfrage, "zu Briefen dieser Art" beziehe das BMBF grundsätzlich nicht öffentlich Stellung.
In der CDU-/CSU-Fraktion ist man sich dagegen noch uneinig, was man von dem Vorstoß der Sozialdemokraten halten soll. Der Bildungspolitiker Stefan Kaufmann, seit kurzem einflussreicher Innovationsbeauftragter der Bundesregierung für den "Grünen Wasserstoff", sagte auf Anfrage, er teile die Forderung aus der SPD-Fraktion nicht. "Unsere Verfassung sieht die Verantwortung für die Hochschulen bei den Ländern." Die 100 Millionen Euro Bundesmittel für die KI-Hochschullehre seien "ein Anreiz", der aber könne und sollte das Engagement der Länder nicht ersetzen. "Die Sozialdemokraten sollten hier nicht nur auf den Bund schauen, sondern auch die Länder in die Pflicht nehmen."
Der digitalpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tankred Schipanski, sagte dagegen: "Die Debatte ist angestoßen und wir erwarten Vorschläge." Karliczek habe ohne das Parlament entschieden, die KI-Kompetenzzentren zukünftig über den Grundgesetz-Artikel 91b finanzieren zu wollen. "Sinn dieser Verfassungsreform ist ausweislich der Gesetzesbegründung und der damaligen Bundestagsdebatte, Exzellenz in der Spitze und Breite zu fördern. Es soll somit eine Unwucht im Wissenschaftssystem vermieden werden." Nun gelte es, die gesamtstaatlichen Interessen zu wahren. "Das heißt denklogisch, dass die Bundesländer, die von einer Bundesförderung in der Spitze nicht profitieren, einen Ausgleich erhalten müssen. Was sich das BMBF und die GWK diesbezüglich vorstellen, ist dem Bundestag bisher noch nicht bekannt."
Womöglich prägt ja auch bei den beiden CDU-Politikern die Herkunft die Position? Kaufmann stammt aus Baden-Württemberg (ein KI-Kompetenzzentrum), Schipanski aus Thüringen (kein KI-Kompetenzzentrum). Es dürfte also noch spannend werden in den nächsten Wochen.
Dieser Artikel erschien heute auch in gekürzter Fassung im Tagesspiegel.
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Klaus Diepold (Donnerstag, 05 November 2020 11:56)
Nach der Lektüre dieses Blog-Eintrages und während des Verdauens der darin enthaltenen Information hat sich in mir ein explosionsartig ausbreitender Impuls geformt, einen Kommentar zu formulieren. Allein, meine Gedanken dazu stolpern gewissermaßen übereinander und verhindern es, dass ich mich hier geordnet äußern kann. Das muss ich wohl etwas zeitlich verschieben, bis ich etwas geordnet bin.
Dennoch will ich nicht versäumen auszudrücken, für wie fehlgeleitet ich diese Initiative insgesamt finde. Ja, die Bildung in unserem Land braucht neues Denken und neue Ansätze, um uns erfolgreich in die Zukunft zu katapultieren. Aber ich denke dabei nicht an KI-Unterstützung in der Bildung. Mir wäre mehr an zusätzlichen Investitionen in die entsprechende natürliche Intelligenz gelegen.
Diese umfassende und zum Teil unreflektierte Hysterie um die KI-Förderung (in der Bildung) geht mir selbst als einem in diesem Themenbereich Arbeitenden und Lehrenden gewaltig auf die Nerven. Diese Aktion lenkt von den Themen ab, um die es eigentlich gehen sollte. Das Fehlen einer adäquaten digitalen Infrastruktur im Bildungsbereich können wir derzeit jeden Tag am eigenen Leib spüren. .
ok, mehr dazu evtl. andermal.