Bei weiter sinkenden Infektionszahlen sollen zuerst die Grundschüler zurückkehren, dann auch ältere Schüler. In ihrem Beschluss erheben die Bildungspolitiker auch finanzielle Forderungen an die Bundesregierung.
AM MITTWOCH WIRD BUNDESKANZLERIN Angela Merkel (CDU) erneut per Videokonferenz mit den 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Schon vorher forderten die Kultusminister einstimmig die schrittweise Wiedereröffnung der Schulen zum 15. Februar – wenn, wie KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD) am Dienstag betonte, "die gute Entwicklung der Inzidenzwerte anhält. Dies geben wir der Ministerpräsidentenkonferenz mit auf den Weg."
Am Montagabend hatte die Kultusministerkonferenz per Videokonferenz getagt. In ihrem Dienstagmittag veröffentlichten Beschluss heißt es, die negativen Folgen von Schulschließungen für die Bildungsbiographien und die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen müssten begrenzt werden. Unter der Bedingung, dass sich der Abwärtstrend der Infektionszahlen fortsetze, sprächen sich die Kultusminister daher "nachdrücklich" dafür aus, schon in der zweiten Februarhälfte über die Abschlussklassen hinaus auch die unteren Jahrgänge in den eingeschränkten Regelbetrieb "gemäß den Vorschriften des jeweiligen Landes, z. B. in den Wechsel- oder Präsenzunterricht" gehen zu lassen.
Außerdem fordern die Kultusminister, dass die weiteren Jahrgänge entsprechend ihres Anfang Januar beschlossenen Stufenplans in die Schule zurückkehren können, sobald weitere Lockerungen möglich
werden. Und sie plädieren für eine ausreichende "Planungssicherheit für alle Beteiligten" und daher "Perspektiven für Schulbetriebsmodelle anzustreben, die bis Ostern Gültigkeit
haben".
Was Angela Merkel
vorhat
Auch die Jugend- und Familienminister von Bund und Ländern hatten zuletzt über eine möglichst baldige Rückkehr zum eingeschränkten Kita-Regelbetrieb beraten. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte zu diesem Zweck eine sogenannten Corona-Ampel vorgeschlagen: ein Drei-Stufen-System, das sich an der Anzahl infizierter und in Quarantäne befindlichen Kinder und Beschäftigter in jeder Einrichtung orientiert.
Kanzlerin Merkel stellte ihrerseits am Montag eine längerfristige Strategie für Schulen und Kitas als Ergebnis der Gespräche in Aussicht. So berichtete es zuerst die Nachrichtenagentur dpa: Man wolle bei den Beratungen am Mittwoch eine solche Strategie auf den Weg bringen, sagte Merkel demzufolge nach Informationen von Teilnehmern von Online-Beratungen des CDU-Präsidiums.
Was an sich nichts Neues ist, denn auf ihrem letzten Corona-Krisentreffen am 19. Januar hatten die Regierungschefs von Bund und Ländern bereits beschlossen, dass bis zum nächsten Mal "ein Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie" erarbeitet werden sollte.
Ebenfalls am Montag hatten Vertreter wissenschaftlicher Fachgesellschaften einen gemeinsam mit Gesundheitsbehörden, Schüler-, Lehrer-, Eltern- und weiteren Vertretern erarbeiteten Leitfaden für Unterricht unter Corona-Bedingungen vorgestellt. Das besondere an den darin enthaltenen Empfehlungen ist nicht deren Neuigkeit (sie sind allesamt bekannt), sondern dass sich mehr als 30 einschlägige Fachgesellschaften und weitere gesellschaftliche Organisationen in bislang einzigartiger Weise auf sie als Konsens verständigen konnten. Konkret sieht der Leitfaden vier vom Infektionsgeschehen abhängige Stufen vor und ordnet ihnen jeweils unterschiedliche Maßnahmen zu. Die Grenzwerte zwischen den Stufen nennt die sogenannte "S3-Leitlinie" nicht, was unter anderem Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger laut Tagesspiegel kritisierte.
Doch würde ein gesamtgesellschaftlicher Corona-Stufenplan, wie ihn das von den Regierungschefs versprochene Öffnungs-Konzept enthalten müsste, voraussichtlich auch Grenzwerte für Schulen benennen. Wobei unklar ist, anhand welcher Kriterien diese zusätzlich zu den 7-Tages-Inzidenzen sich diese berechnen würde. Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder am Dienstag Thüringen haben hierzu bereits Vorschläge gemacht.
Merkels Ziel für Mittwoch ist jedenfalls erkennbar: Sie will kurzfristige Lockdown-Lockerungen ausbremsen, bis klarer ist, wie stark und wie schnell sich die zuerst in Großbritannien (B.1.1.7) und Südafrika (B.1.351) festgestellten Virusmutationen auch in Deutschland ausbreiten. Insofern strebt sie eine Verlängerung der Corona-Maßnahmen bis mindestens Ende Februar (möglichst sogar bis Mitte März) an, weiß aber, dass sie die bei deutlich gesunkenen Infektionsmeldungen nur bekommen wird, wenn sie jetzt die mittelfristige Aussicht auf Erleichterungen in Form besagter Strategien mitträgt. Daher die Ankündigung am Montag – die aber eben auf Öffnungen von Kitas und Schulen erst ab 1. März abzielt.
Erster Regelunterricht wohl
frühestens ab 22. Februar
In den Ländern diskutiert wird indes, den angestrebten gesamtgesellschaftlichen Stufenplan zwar erst Anfang März in Kraft zu setzen, den Kitas und Schulen aber schon kurzfristig erste Öffnungsschritte zu ermöglichen.
Wobei es so aussieht, als würden die meisten Länder ohnehin frühestens am 22. Februar, andere erst zum 1. März hin mit dem Wiedereinstieg in den Regelunterricht planen. Sachsen allerdings will schon ab 15. Februar die Grundschulklassen wieder täglich, allerdings in festen Kohorten und ohne Präsenzpflicht öffnen, auch die Kitas sollen wieder begrenzt starten, beschloss das Dresdner Kabinett. Nächste Schritte für die mittleren Klassen sollten wahrscheinlich ab 8. März folgen, sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) laut MDR.
Die Kanzlerin mahnte derweil laut dpa, die Infektionswelle sei gebrochen, aber noch kein Bundesland liege unter der Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche. Zudem gebe es nur eine sehr langsame Reduzierung des R-Wertes.
Bereits Ende vergangener Woche hatte die Bundesregierung noch einmal vor den Virusvarianten gewarnt. Die B.1.17-Variante sei "ansteckender und erschwert die Pandemiebekämpfung", betonte das Bundespresseamt und fügte mit Verweis auf Lothar Wieler, den Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) hinzu, auch die immer noch stark belasteten Intensivstationen sowie die hohe Zahl an Todesfällen zeigten, dass "die Situation noch lange nicht unter Kontrolle" sei.
Das RKI hatte den Anteil der Mutante vergangene Woche mit fast sechs Prozent angegeben, wobei Experten dies für eine deutliche Unterschätzung halten. Auch die Dynamik der Ausbreitung ist aufgrund der nur langsam anlaufenden Virus-Sequenzierungen unklar.
Kultusminister fordern gemeinsame
Anstrengung von Bund und Ländern
Bemerkenswert am Beschluss der Kultusminister vom Montagabend ist, dass sie forscher als bislang zusätzliche Finanzmittel für die Schulen reklamieren. Dass es diese für den Infektionsschutz anderer gesellschaftlicher Bereiche gegeben hatte, bislang aber kaum einmal für Bildungseinrichtungen, war in der Vergangenheit wiederholt von Lehrer- und Elternverbänden kritisiert worden. Und erst am Dienstag schrieb der Bildungsjournalist Christian Füller: "Es sagt alles über die Bildungsrepublik, wenn bei -20° über Lüften in Schulklassen als Anti-Corona-Hilfe diskutiert wird. Ende." Die KMK, so Füller, schaffe sich ab.
Unter dem wachsenden Druck gehen die Kultusminister jetzt in die Offensive und fordern ein deutlich größeres finanzielles Engagement des Bundes für die Schulen als bislang, und zwar sowohl was den Infektionsschutz angeht, als auch um die negativen Folgen der Schulschließungen zu kompensieren.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte bereits die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Bund-Länder-Förderprogramm für dieses und nächstes Jahr signalisiert. Damit sollten zum Beispiel zusätzliche Nachhilfe- und Förderangebote in den Ferien und am Nachmittag finanziert werden, um die entstandenen Lernrückstände auszugleichen, führen die Kultusminister aus. Außerdem solle der Ausbau von Schulsozialarbeit durch eine finanzielle Unterstützung des Bundes an der Schnittstelle zur Jugendhilfe flankiert werden.
Zur Begleitung der Schulöffnungen fordern die Kultusminister von Bund und Ländern "umfangreiche Schnelltestungen" und eine "verbindliche Teststrategie", um künftig sicherzustellen, "dass in regelmäßigen Abständen alle an Schulen Beschäftigten getestet werden können". Bei jeder Infektion eines Schulbeteiligten sollten sofort die jeweilige Lerngruppe sowie alle weiteren Kontaktpersonen getestet werden. Und im Rahmen der Nationalen Impfstrategie sei das schulische Personal innerhalb der Gruppe 3 vorrangig zu impfen.
Auch bei nötigen Investitionen in den Infektions- und Gesundheitsschutz in den Klassenräumen soll der Bund helfen, verlangt die KMK, und der nötige Einsatz zusätzlicher Schulbusse zur (zum Beispiel in der S3-Leitlinie geforderten) Entzerrung des Schüleraufkommens bedürfe ebenfalls zusätzlicher Unterstützung "auch von Seiten des Bundes".
Schließlich fordern die Kultusminister die Bundesregierung auf, ärmeren Schülern nicht nur kurzfristig in der Pandemie, sondern auch danach über das Bildungs- und Teilhabepaket die nötigen digitalen Endgeräte zu finanzieren.
Kommentar schreiben