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Ihr ganzer Stolz

Kurz vor den Abgeordnetenhaus-Wahlen bringt Rot-Rot-Grün noch das neue Berliner Hochschulgesetz durchs Parlament. Doch ist es tatsächlich der große Wurf mit bundesweiter Strahlkraft, als den die Koalitionäre es feiern?

BERLINS ROT-ROT-GRÜNE KOALITION feiert sich für ihr buchstäblich in letzter Sekunde verabschiedetes neues Hochschulgesetz. Es gibt da dieses Foto vom Donnerstag, aufgenommen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, auf dem die wissenschaftspolitischen Sprecher:innen von "R2G" mit Sekt aus Gläsern und Pappbechern anstoßen. So zelebriert man historische Momente. Und genau einen solchen, so finden die Koalitionäre offenbar, bedeutet ihr Gesetz. Und damit auch die letzten dies verstehen, haben sie ihm auch noch den Namen "Gesetz zur Stärkung der Wissenschaft" gegeben. 

 

Zwei Adjektive rechtfertigt das Werk auf jeden Fall. Es ist umfangreich und ambitioniert. Und fügen wir drittens noch eine Prognose hinzu: Es wird bundesweit für Debatten sorgen.

 

Das mit der Stärkung ist allerdings eine Frage des Betrachters. Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten (LKRP) hatte wiederholt vor einer Schwächung der Berliner Wissenschaftslandschaft durch das neue Gesetz gewarnt. Vor allem, weil es die seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehende "Erprobungsklausel" in eine "Innovationsklausel" abschwächt. Praktisch bedeutet das, dass die Hochschulleitungen an weniger Stellen als bislang eigene Governance-Strukturen schaffen können – und dafür noch dazu die Zustimmung der Akademischen Senate brauchen.  Außerdem sollen unter anderem "Beauftragte für Diversität und Antidiskriminierung" zusätzlich zu den Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten eingeführt werden, die Promovierenden sollen eigene Vertreter in den Hochschul-Gremien bekommen, und die Einführung von Department-Strukturen wird rechtlich abgesichert.

 

Über all das wurde und wird kräftigst diskutiert und gestritten, hier im Blog hatte sich dazu der scheidende Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) ausführlich geäußert

 

Ein bisschen Entfristung

 

Für den Rest der Republik am spannendsten, vor allem vor dem Hintergrund der laufenden "#IchbinHanna"-Debatte, sind aber einige andere Passagen im neuen Gesetz. Die wichtigste übersetzt Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Universität und Gründungsmitglied des "Netzwerk Wissenschaftspolitik von Sozialdemokrat*innen", auf Twitter so: "Stellen für Promovierte werden grundsätzlich entfristet bzw. haben Tenure Track". 

 

Im Original-Gesetzestext klingt das wie folgt: "Sofern die wissenschaftliche Mitarbeiterin oder der wissenschaftliche Mitarbeiter bereits promoviert ist und es sich bei dem im Arbeitsvertrag genannten Qualifikationsziel um eine Habilitation, ein Habilitationsäquivalent, den Erwerb von Lehrerfahrung und Lehrbefähigung oder um sonstige Leistungen zum Erwerb der Berufungsfähigkeit gemäß § 100 BerlHG handelt, ist eine Anschlusszusage zu vereinbaren." 

 

Ist damit eine Kernforderung von "#IchbinHanna" erfüllt? Nun ja. Erstens geht es, wie die R2G-Wissenschaftspolitiker einräumen, nur um Haushaltsstellen. Für aus Drittmittel finanzierte Arbeitsverträge dagegen gilt die Muss-Bestimmung nicht (die faktische Abgrenzung läuft im Gesetz über den Aspekt "Qualifikation"). Zweitens kann deshalb keiner genau sagen, wie viele der Postdocs profitieren werden. Wahrscheinlich mehr als die zehn Prozent, die Mittelbau-Vertreter laut Tagesspiegel vermuten, aber ganz sicher nicht so viele, dass die Gefahr zementierter Personalstrukturen, die die Hochschulleitungen beschwören, demnächst Realität wird. 

 

Ziemlich viel Symbolpolitik steckt auch in einer weiteren Formulierung des Gesetzes. "Mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter oder einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin auf einer Qualifikationsstelle kann vereinbart werden, dass im Anschluss an das befristete Beschäftigungsverhältnis der Abschluss eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses erfolgen wird (Anschlusszusage), wenn die bei der Anschlusszusage festgelegten wissenschaftlichen Leistungen erbracht wurden und die sonstigen Einstellungsvoraussetzungen vorliegen."

 

Im Klartext: Wer promoviert, kann schon die Zusage für eine unbefristete Stelle im Anschluss erhalten. Nur bedeutet "kann" eben zugleich null Verpflichtung für die Hochschulen – was richtig ist. Allerdings hätte man sich die Passage dann auch gleich ganz sparen können. 

 

Tenure Track und HAW-Promotionsrecht

 

Gut ist, dass die einst von Ex-Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) erfundene Juniorprofessur, in den vergangenen Jahren ein häufig angewandtes Personalinstrument Berliner Universitäten, endlich zu dem wird, was sie von Anfang an hätte sein sollen: der Einstieg in einen echten Tenure Track. "In der Regel" müssen neue Juniorprofs künftig zu Beginn ihrer sechs Jahre in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen werden – freilich mit der Bedingung, dass die "bei der Besetzung der Juniorprofessur festgelegten Leistungen erbracht wurden und die sonstigen Einstellungsvoraussetzungen für eine Professur vorliegen". 

 

Bislang endeten Juniorprofessuren allzu oft nach den sechs Jahren trotz positiver Evaluationen einfach, hochtalentierte Wissenschaftler waren deshalb teilweise gezwungen, der Universität den Rücken kehren.

 

Eine Gefahr des neuen Gesetzes aus Sicht von Hochschulleitungen ist allerdings, dass sich hier leistungsschwächeren Juniorprofessoren eine hervorragende Gelegenheit zum Einklagen bietet. Denn eine Leistungsbeurteilung so rechtssicher zu gestalten, dass sie das Versagen einer Entfristung rechtfertigt, ist enorm aufwändig, selbst dann, wenn sie inhaltlich eindeutig geboten wäre. Doch, das zeigt der Blick etwa in die USA, funktioniert ein Tenure-Track-System nur dann, wenn negative Evaluationen häufig durchgezogen werden und auch Akzeptanz bei den Betroffenen finden. 

 

Für diejenigen, die schon promoviert sind und auf befristeten Stellen sitzen, werden die Neuregelungen wohl wenig bringen, denn sie gelten nur für neue Verträge. Im Gegenteil: Eine weitere befristete Verlängerung werden sie zumindest über den Hochschulhaushalt finanziert nicht mehr bekommen können. Und ob ausgerechnet für diese Personen "mehr unbefristete Stellen und Professuren" zur Bewerbung offenstehen werden, wie Jule Specht vermutet, bleibt abzuwarten. Denn darauf dränge ja dann bereits, warnen die Skeptiker, die nächste Generation. 

 

Bei allen Debatten um Entfristungen und Befristungen sollten weitere Reformschritte nicht unbeachtet bleiben. Zum Beispiel die Einführung eines Teilzeitstudiums. Bundesweit Relevanz hat auch, dass Berlin als sechstes Bundesland ein Promotionsrecht für Fachhochschulen einführt, die laut Gesetz nun auch in Berlin "Hochschulen für Angewandte Wissenschaften" (HAW) heißen werden. Allerdings gilt das Promotionsrecht wie anderswo auch in der Hauptstadt nicht für ganze Hochschulen, sondern für forschungsstarke Fachbereiche.

 

Im ursprünglichen vom Senat vorgelegten Gesetzentwurf war davon noch nicht die Rede gewesen, hier haben die empörten HAWs Druck gemacht und schließlich die Parlamentarier Hand angelegt. Nur zeigt der Blick in die übrigen Bundesländer, dass die Ankündigung der Einführung noch nicht gleichbedeutend mit der Umsetzung ist. Realität ist das versprochene Promotionsrecht bislang nur in Hessen und Sachsen-Anhalt.



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Kommentare: 9
  • #1

    Robert Beltzig (Sonntag, 05 September 2021 13:42)

    Wäre ja schön, wenn die Junior-Professur (in Berlin und hoffentlich nicht nur dort) endlich zu dem wird, wofür sie einmal gedacht war. Gibt es dazu nach so vielen Jahren eigentlich seriöse Evaluationen?
    Bei dem Thema Promotion an HAW darf und sollte man skeptisch bleiben. Die Promotion darf nicht inhaltlich versanden.

  • #2

    Jule Specht (Montag, 06 September 2021 09:19)

    @Robert Beltzig: Eine Studie zu Juniorprofessuren haben wir mal in der Jungen Akademie gemacht, ist allerdings schon 6 Jahre her und Tenure Track war damals noch eine Seltenheit. Das ist heute zum Glück anders, aber vielleicht ist unser Text für Sie trotzdem lesenswert: https://www.diejungeakademie.de/fileadmin/Dokumente/JA_Juniorprofessurstudie_2015.pdf

  • #3

    Edith Riedel (Montag, 06 September 2021 09:23)

    "Doch, das zeigt der Blick etwa in die USA, funktioniert ein Tenure-Track-System nur dann, wenn negative Evaluationen häufig durchgezogen werden und auch Akzeptanz bei den Betroffenen finden."

    Geau das ist die Krux mit dem aktuellen deutschen Tenure-Track-System. Ganz offensichtlich traut sich keine Universität zu, hier ein rechtssicheres Verfahren aufzuziehen. De facto ist eine Tenure-Track-Stelle eine feste Stelle. So funktioniert das nicht mit der Bestenauslese.

  • #4

    Robert Beltzig (Montag, 06 September 2021)

    @3: Vielen Dank für den Hinweis auf die Analyse der Jungen Akademie. Wäre noch schöner, etwas Aktuelleres zu haben. Aber leider kommt dazu vom BMBF oder ähnlichen Stellen nichts. Die gute Rolle der GAUG ist mir seit 2001 bestens bekannt. Vielleicht gelingt mit dem neuen Präsidenten und der für Berufungen eingesetzten Vizepräsidentin ja auch ein Sprung in Richtung "tenure-track";

  • #5

    Sigrun Nickel (Montag, 06 September 2021 15:37)

    Lieber Herr Beltzig,
    ja, es gibt eine umfassende Untersuchung mit dem Titel "Die Juniorpofessur - Alte und neue Quzalifizierungswege im Vergleich", erschienen im NOMOS Verlag. Die wesentlichen Ergebnisse sind auch in einem online abrufbaren Artikel nachlesbar: https://www.bzh.bayern.de/archiv/artikelarchiv/artikeldetail/die-juniorprofessur-vergleichende-analyse-neuer-und-traditioneller-karrierewege-im-deutschen-wissenschaftssystem

  • #6

    René Krempkow (Montag, 06 September 2021 22:52)

    Eine Leistungsselektion wäre in der Tat wichtig für das Funktionieren der TT-Professur. Sie kann aber nur gelingen, wenn es hier besser wird als nach einer weiteren, vor drei Jahren veröffentlichten und z.B. im wissenschaftspolitischen Gesprächskeis Hannover intensiv diskutierten Studie zu Juniorprofessuren von Zimmer (2018).[1] Anderenfalls könnte es auch ein sehr ernüchterndes Signal sein. Denn eines der Ergebnisse dieser Studie zu Juniorprofessuren ist, dass zwar rund drei Viertel der Juniorprofessuren den Sprung in eine unbefristete Professur schaffen.[2] Dabei ist aber in Anlehnung an Bourdieu (1992) für den Berufungserfolg v.a. soziales Kapital ein starker Einflussfaktor, und nicht etwa wissenschaftliches Kapital: Wichtige Einflussfaktoren auf den Berufungserfolg sind demnach im Einzelnen v.a. Kontakte in die (Lebenszeit-)Professorenschaft, und Aufenthalt(e) an Universitäten der Ivy League (USA) oder des Golden Triangle (UK). Als wissenschaftliches Kapital bzw. als Leistungskriterien wahrgenommene Einflussfaktoren wie Zeitschriftenartikel mit Peer Review, Drittmittelprojekte, oder Konferenzbeiträge hatten dagegen keine statistisch nachweisbaren Effekte auf den Berufungserfolg (vgl. Zimmer 2018, S. 262).
    Transparent(er)e Verfahren und Kriterien für die Entfristung von Tenure-track-Professuren sind aber durchaus möglich, so wie sie z.B. an der Humboldt-Universität zu Berlin vom Senat beschlossen wurden.[3] Dies wäre schon einmal ein wichtiger Schritt dafür, dass es zukünftig bei TT-Professuren meritokratischer funktionieren könnte als bisher bundesweit bei den Juniorprofessuren.
    ________
    [1] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-22726-5
    [2] Zu ähnlichen Ergebnissen beim Berufungserfolg kam auch die o.g. Studie des CHE und des Institutes für Hochschulforschung – HoF Halle-Wittenberg, sowie die o.g. Studie der deutschen Gesellschaft Juniorprofessur.
    [3] https://gremien.hu-berlin.de/de/amb/2019/1/01_2019_berufungssatzung_hu_druck.pdf

  • #7

    Lothar Mätzig (Mittwoch, 08 September 2021 09:14)

    @6: Es geht wohl vor allem um eine geeignete Förderung und dann auch Selektion in beiden (!) Kategorien "Junior-Professur" und "Tenure-Track-Professur". Erstere haben bereits eine 15 Jahre längere Geschichte, letztere sind
    doch wohl Ergebnis einer jüngeren Bundes-Initiative.
    Wenn mit beiden Kategorien richtig gearbeitet wird (oder würde), kommt man doch gut klar mit der Einschätzung von Reinhard Jahn zur #Ich-bin-Hanna Problematik. Der
    Kern ist einfach die Wahrung des Leistungsprinzips.

  • #8

    David J. Green (Mittwoch, 08 September 2021 23:09)

    Eine recht interessante Gesetzesänderung. Es wird auf jedem Fall spannend sein, zu beobachten, wie verschiedene Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden. Vielleicht wird es dazu eine „Arbeitshilfe“ vom Wissenschaftsministerium geben, nur für den internen Gebrauch.

    Der empfindlichste Punkt ist vielleicht die Anschlusszusage, die bei jeder postdoktoralen Qualifikationsstelle zu vereinbaren ist (§110 Abs. 6). Da die finanziellen Anreize für die Hochschulen unverändert bleiben, bin ich eher skeptisch, ob diese Vorschrift die beabsichtigte Wirkung entfalten wird. Wie Kurt Reumann in der FAZ vom 19.09.1984 schrieb: „Die Universitäten und Wissenschaftsorganisationen übten immer stärker Zurückhaltung bei der Einstellung von Mitarbeitern auf Zeit. Wo man befürchtete, man werde gegen seinen Willen auf Dauer festgelegt, wurden weder Stellen auf Zeit noch Stellen auf Dauer geschaffen. Das beeinträchtigte die Chancen der Nachwuchswissenschaftler wie der Forschung.“

    Aber welche Auswege genau werden die Uni-Leitungen wählen? Die Vorschrift greift nur dort, wo das Qualifikationsziel irgendetwas mit dem Erlangen der Berufbarkeit zu tun hat: werden wir also Mediavist*innen erleben, die sich durch postdoktorale Arbeit für eine Tätigkeit in der Wirtschaft qualifizieren sollen? Vielleicht wird es darauf kommen, dass Nicht-Funktionsstellen lediglich „in der Regel“ als Qualifikationsstellen besetzt werden „sollen“ (§110 Abs. 4). Oder wird man Anschlusszusagen doch ausstellen, aber der Sorte „gewinnen Sie den Leibniz-Preis, dürfen Sie bleiben“? Da die Anschlusszusage erst durch die Ausschussarbeit verpflichtend wurde, hilft uns die detaillierte Gesetzesbegründung nicht weiter, die Begründung ist sogar durch die Änderung hinfällig geworden, denn sie lautet „Der Gesetzgeber will mit dieser […] Regelung […] möglichst vielen befristeten Beschäftigten frühzeitig Perspektiven für eine Dauerbeschäftigung [aufzeigen], soweit seitens der Hochschule ein solcher Bedarf gesehen wird und entsprechende Möglichkeiten bestehen.“

    Umgekehrt führen Krempkows obige Anmerkungen zu Bordieus sozialen Kapital dazu, dass ich den Ermessensspielraum der Hochschulen, Anschlusszusagen dort, wo sie „einen […] Bedarf sehen“, auch an Promovierende auszusprechen, beunruhigend finde: ob die neuen Beauftragten für Diversität und Antidiskriminierung nicht eigentlich verpflichtet wären, bereits zum Dienstantritt anzukündigen, dass sie bei jeden Promovierenden überprüfen wollen, warum eine Anschlusszusage ausgesprochen wird bzw. nicht ausgesprochen wird?

  • #9

    Robert Schmidt (Dienstag, 14 September 2021 15:04)

    Zur Abschaffung von postdoc Stellen aus Haushaltsmitteln (denn das ist es de facto):

    Profitieren werden diejenigen Glücklichen die in den nächsten diese Stellen ergattern und dann die nächsten drei bis vier Jahrzehnte besetzten. Wer danach kommt schaut in die Röhre.

    Nachhaltiger wäre generell die Zahl der Doktoranden zu reduzieren (es gibt eh in praktisch keinen Staat der Erde so viele Doktoranden wie in Deutschland) und die so freigewordenen Mittel für Mittelbaustellen umzuwidmen.