Bildungsfinanzierung: Warum der Bund nicht die Lösung ist. Und das Reden darüber sogar zum Gegenteil führen könnte

Foto: Conne Island (CC BY 2.0)
Foto: Conne Island (CC BY 2.0)

Es gibt zwei Irrtümer, die einem immer wieder begegnen in der Debatte um die Zukunft der Bildungsfinanzierung. Jeder von beiden ist für sich genommen gefährlich. Zusammen schaffen sie eine vermeintliche Stimmigkeit, die zu völlig falschen Schlussfolgerungen und damit zu kontraproduktiven politischen Entscheidungen führen könnte.


Diese zwei Irrtümer lassen sich im folgenden Glaubenssatz zusammenfassen: Die Schuldenbremse, die die Länder von 2020 an zwingt, komplett ohne neue Kredite auszukommen, führt fast zwangsläufig zu Einsparungen an Schulen und Hochschulen. Da der Bund finanziell besser da steht als die Länder, muss er seine Bildungsausgaben massiv steigern, und damit er auf Dauer helfen darf, muss das so genannte Kooperationsverbot auch für den Schulbereich fallen.

Wie, sagen Sie, stimmt doch alles? Dann schauen wir mal näher hin. 

 

Irrtum 1: Die Schuldenbremse trifft automatisch die Bildung.
Gerade erst wieder hat ihn der Vorsitzende des Wissenschaftsrats (WR), Manfred Prenzel, im DSW Journal formuliert, Zitat: "Die Studierendenzahl würde nicht weiter wachsen, und die beschlossene Schuldenbremse der Länder treffe auch die Hochschulen. Das System Hochschule sei spätestens dann gefordert, zu zeigen, wie durch gemeinsame Nutzungskonzepte bei teuren Einrichtungen oder in der Lehre Gelder einzusparen sind." Prenzel zählt meines Erachtens zu den klügsten Vorsitzenden, die der WR seit vielen Jahren hatte, doch an dieser Stelle geht er einer Weisheit auf den Leim, die in keiner problembewussten Rede über unser (Hoch-)Schulsystem fehlen darf und daher von fast allen schon fast automatisch wiederholt wird.

 

Die Fakten: 

Werfen wir einen Blick in die Daten des Statistischen Bundesamts, und zwar aufs Finanzierungssaldo der öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2016. Während die Gemeinden (-3,0 Milliarden Euro) und die Sozialversicherung (-1,3 Milliarden Euro) Miese gemacht haben, sprich: ihre Ausgaben über den Einnahmen lagen, schaffte der Bund ein Plus von 4,5 Milliarden Euro. Und die Länder: 4,1 Milliarden. Die Schuldenbremse: Gesamtstaatlich gesehen also kein Problem derzeit. 

 

Allerdings der Fairness halber zwei Einschränkungen, die wichtig sind. Erstens: Die Halbjahresbetrachtung darf man nicht einfach so aufs ganz 2016 hochrechnen, weil verschiedene Einnahmen und Ausgaben nicht gleichmäßig übers Jahr verteilt anfallen. Wobei das zweite Halbjahr meist noch mehr Geld in die Kassen spült als das erste. Zweitens: Das Plus von 4,1 Milliarden bei den Ländern verteilt sich sehr regional sehr unterschiedlich.

 

Daher zu erstens noch ein Blick aufs Finanzierungssaldo fürs Gesamtjahr 2015: Da schaffte der Bund einen Überschuss von 3,6 Milliarden, und die Länder kämen auf 1,7 Milliarden Plus.

 

Und zu zweitens ein Blick auf die Entwicklung der Schulden in den 16 Bundesländern: Diese sanken zwischen dem 31. Dezember 2014 und dem 31. Dezember 2015 um rund 1,2 Milliarden Euro (nicht wundern, dass das nicht ganz identisch mit dem obigen Wert ist). Aber eben nur in neun Bundesländern. Und auch lediglich neun Bundesländer haben Anfang des Jahres angekündigt, 2016 keine neuen Schulden zu machen. Im Umkehrschluss meldeten sieben auch für dieses Jahr neue Defizite an, und zwar Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Bremen und Saarland. Zum Vergleich, weil es so erstaunlich ist, nochmal der Gegenschnitt der Überschuss-Länder: Bayern hat zwischen Ende 2014 und 2015 seinen Schuldenstand um satte zehn Prozent gesenkt, Sachsen um 27 Prozent und sogar das Land Berlin um 1,6 Prozent oder in absoluten Zahlen eine knappe Milliarde. 

Belassen wir es an der Stelle und steigen nicht tiefer hinab in die Abgründe der Finanzpolitik, wo wir auf die unterschiedlichen Auswirkungen staatlicher Hilfen für Banken und andere Subventionen stoßen würden, die die Länderhaushalte betreffen und die Ergebnisse nach unten oder oben verzerren. Auch die Diskussion über den Länderfinanzausgleich sollte woanders geführt werden, obgleich es schon paradox erscheint, dass mittlerweile Nehmerländer wie Berlin Überschüsse erzielen, langjährige Geberländer wie Hessen aber Defizite. 

Die Schlussfolgerung:

Es ist falsch, von einer grundsätzlichen Gefahr durch die Schuldenbremse für die Bildungsfinanzierung der Länder zu sprechen. Für die Mehrheit der Länderhaushalte sind Schulden schon heute kein Thema mehr. Für einige aber schon. Und darum wäre es viel passender, das zunehmende Auseinanderklaffen der Länderbudgets und damit auch potenziell der Bildungsfinanzierung zu thematisieren. Beispiel: Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen, um nur drei zu nennen. Sie alle überweisen ihren Hochschulen ein sattes, ein dauerhaftes Plus. Beispiel Saarland oder Bremen (auch das keine erschöpfende Liste): Sie geben ihren Hochschulen nicht mal einen Inflationsausgleich. Wobei selbst bei den Noch-Defizitländern kein Automatismus zwischen gegenwärtiger Neuverschuldung, der bevorstehenden Schuldenbremse und zumindest den Hochschulfinanzen besteht. Gerade erst habe ich von den Plänen Nordrhein-Westfalens berichtet, bis 2021 und damit über 2020 hinaus seinen Hochschulen einen großen Extra-Schluck zu gönnen.

Irrtum 2: Der Bund kann es richten.

Einer, der keine Gelegenheit auslässt, um auf das vermeintliche Problem aufmerksam zu machen, ist Kai Gehring, der Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung der grünen Bundestagsfraktion. "Bildungsblockade endlich auflösen!", forderte er zuletzt am am 8. September in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau. Deutschland investiere seit Jahren zu wenig in Bildung und seine Infrastrukturen, so Gehring: "Exzellente Hochschulen kann es nicht ohne gute Kitas und Schulen geben –  sie sind das Fundament einer Wissensges­ellschaft. Deshalb fordern wir nicht nur eine Beteiligung des Bundes an der Grundfinanzierung der Hochschulen und auch wieder am Hochschulbau, sondern auch deutliche Investitionen in schulische und frühkindliche Chancen­gerechtigkeit für alle." Der Bund als der Helfer, der die Misere der Länder richten soll. Wieder gilt: Ein außerordentlich kluger Wissenschaftspolitiker denkt zur Abwechslung mal, allerdings an wichtiger Stelle, zu kurz.

 

Die Fakten:

2014 haben Bund und Länder laut vorläufigen Zahlen des Statistischem Bundesamts 120,4 Milliarden Euro für die Bildung ausgegeben. Der Anteil der Länder: 86,7 Milliarden. Der Anteil des Bundes: 9,1 Milliarden. Frappierend sind indes auch die Wachstumsraten der Bildungsausgaben in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten: Zwischen 2000 und 2014 steigerten die Länder ihr Bildungsausgaben um 46 Prozent (bei den scheinbar hohen Werten nicht die Inflation vergessen!), der Bund aber erhöhte sein Bildungsbudget um unglaubliche 181 Prozent. Warum? Weil der Ausgangswert so niedrig war. Und weil die Bundesregierung in den vergangenen 15 Jahren dem Haushaltsposten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine höhere Priorität eingeräumt hat als fast allen anderen. 2017 soll das BMBF 17,6 Milliarden ausgeben dürfen, für Bildung und für Forschung. Zum Vergleich die BMBF-Zahlen von 2005: 8,5 Milliarden. 

 

Die Schlussfolgerung:
Obwohl der Bund seine Bildungsausgaben in den vergangenen 15 Jahren historisch stark gesteigert hat, geben die Länder immer noch neunmal mehr aus. Wenn also irgendwer das Argument einsetzen könnte, dass es irgendwann mal mit den außergewöhnlichen Zuwächsen für Bildung vorbei zu sein habe, dann wären das sicherlich die Verkehrs-, die Verteidigungs- oder sogar die Wirtschaftspolitiker im Bund. Was sie hinter vorgehaltener Hand ja schon längst versuchen. Und selbst wenn sie (hoffentlich) nur eine Minderheit stellen und sich der erstaunliche Anstieg des BMBF-Budgets nochmal zehn Jahre fortsetzen sollte, käme der Bund vielleicht auf ein Sechstel des Länderanteils. 

 

Gefährliche Irrtümer
Was Irrtum 1 und 2 nun so gefährlich macht: Sie spielen beide den Finanzpolitikern in den Ländern in die Hände. Und zwar jenen, die ohnehin der Meinung sind, dass es Schulen und besonders den Hochschulen längst zu gut geht. Die sich daran gewöhnt haben, Überweisungen des Bundes einzustreichen, sie aber (wie beim Bafög)  nur teilweise an die Hochschulen weiterzureichen oder (wie beim Hochschulpakt) sich um ihren eigenen Finanzierungsanteil herumzumogeln. Natürlich tun das nicht alle und nicht in allen Ländern – siehe oben. Doch die Schere zwischen den Bundesländern in der Bildungsfinanzierung geht auf, und sie wird noch weiter aufgehen, wenn die Vertreter von Schulen und Hochschulen in vorauseilendem Gehorsam beim Sparen mithelfen. Indem sie den Glaubenssatz von der Schuldenbremse ungeprüft nachbeten, obwohl er nachweislich für die Mehrheit der Bundesländer nicht gilt. Oder indem sie sogar, wie der WR es etwa im Auftrag des Saarlandes getan hat, Bundesländern mit Sparplänen bei deren Ausbuchstabierung helfen.

 

Kurzum: Trotz Schuldenbremse haben die Länder den Spielraum für eine auskömmliche Bildungsfinanzierung. Ihre Haushaltsituation hat sich dank des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre genau wie die des Bundes enorm verbessert. Ob sich diese Entwicklung fortsetzt, hängt allein davon ab, ob die Konjunktur gut bleibt oder irgendwann doch mal abschmiert. Betet man jedoch das Argument nach, die Länder hätten nur die Wahl zu sparen, weil die Schuldenbremse drückt, dann sagen die Finanzpolitiker dankeschön, und die Wissenschafts- und Bildungspolitiker stehen auf verlorenem Posten. Erst recht, wenn dann noch Irrtum 2 um die Ecke kommt: Die Länder haben kein Geld, aber der Bund, der hat es. Wie die oben zitierten Zahlen nahelegen, handelt es sich um eine Scheinlösung, die da präsentiert wird. Erst recht, wenn, wie Kai Gehring, es fordert, die Schulen und Kitas in die Gleichung mit hineingenommen werden. Auf sie entfallen 70 Prozent der Bildungsausgaben in Deutschland, auf die Hochschulen: 22 Prozent. Was soll der Bund denn da spürbar machen?

 

Und damit meine ich nicht, dass keine klugen neuen Bund-Länder-Programme denkbar und möglich wären – zum Beispiel zum Stimulieren von Schulsanierungen oder eines echten Ganztags, gern auch langfristig. Womit die Abschaffung des Kooperationsverbots für den Schulbereich durchaus ihren Sinn hätte. Auch die Entfristung des Hochschulpakts und damit ein Stückweit Dauerfinanzierung der Hochschulen durch den Bund ist unverzichtbar – aber sie wird das Geld, das der Bund den Ländern bereits bezahlt, nur im System halten. Magisch vermehrt wird es dadurch nicht. 

 

Am Ende ist der Befund eindeutig: Der Bund kann und wird nicht die unzureichende Bildungsfinanzierung der Länder kompensieren. Und die Länder müssen aufhören, sich hinter den angeblichen Auswirkungen der Schuldenbremse zu verstecken. Wer einen neuen Glaubenssatz für die Debatte um die Zukunft der Bildungsfinanzierung sucht, sollte es mal mit diesem versuchen. 

 
Sie sehen das anders? Sie denken, ich habe etwas übersehen? Beteiligen Sie sich mit der Diskussion mit einem Kommentar. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Marco Patriarca (Donnerstag, 06 Oktober 2016 04:33)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,
    Ihren Hinweis auf den geringen Ausgangswert des Bildungsbudgets des Bundes halte ich für wichtig. Erst so lässt sich verstehen, wie außerordentlich hoch weitere Steigerungen ausfallen müssten, um relativ zum Gesamtvolumen tragend werden zu können.
    Sie betonen das Vorhandensein von Überschüssen. Sie verweisen dennoch auch auf die unterschiedlichen Finanzkräfte der Länder. Unter der Prämisse "allgemein guter Kassenlage" würde ich Ihren Folgerungen weitestgehend zustimmen.
    Ich bin jedoch der Ansicht, dass die "gute Kassenlage" nur eine fragile Momentaufnahme darstellen könnte. Wie beurteilen Sie bspw. folgendes Zitat:

    "Flossen nach der deutschen Einheit bis 2002 unter dem Strich noch 65 Milliarden Euro in den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, hat der Trend längst gedreht. Alle Regionen zusammengenommen geben seitdem keinen einzigen Euro mehr für neue Infrastrukturprojekte aus. Schlimmer noch: Die ausgebliebenen Ausgaben zum Erhalt von Straßen, Gebäuden oder Brücken summieren sich seit 2003 auf fast 70 Milliarden Euro. ... Die staatliche Förderbank KfW ermittelt jedes Jahr den Investitionsbedarf in den Kommunen: Mittlerweile sind es 136 Milliarden Euro – allein 35 Milliarden Euro entfallen auf Straßen und den Verkehr, 34 Milliarden auf Schulgebäude"? (https://goo.gl/PtUKqQ)

  • #2

    GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:13)

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