Seit anderthalb Jahrzehnten sperrt sich die Universitätsmedizin gegen eine tiefgreifende Reform der Promotion – und damit gegen das Votum fast aller Experten. Schluss damit.
WENN ES EINEN Titel gibt, der einer ganzen Berufsgruppe ihre Aura verleiht, dann ist das der „Dr. med.“ Kommt der „Herr Doktor“, stehen vielerorts immer noch die Patienten stramm. Zwei Drittel der angehenden Ärzte promovieren, fast jede vierte Promotion geht aufs Konto der Mediziner.
Wenn es einen Doktortitel gibt, der die Sinnkrise des deutschen Promotionswesens in einer geradezu absurden Überspitzung in sich trägt, dann ist allerdings auch das der „Dr. med.“. Häufig ist die dazu gehörige Dissertationsschrift nur ein paar Dutzend Seiten lang, zum großen Teil entstanden in wenigen Monaten parallel zum Studium. Allzu viele Arbeiten kratzen folglich wissenschaftlich an der Oberfläche, bestenfalls. Umso produktiver erweisen sich die Mediziner in anderer Hinsicht: Von insgesamt 183 auf der Plattform VroniPlag Wiki dokumentierten Plagiatsfällen bei Dissertationen und Habilitationen stammen 100 aus der Medizin oder Zahnmedizin. >>
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>> Wem das noch nicht erstaunlich genug ist: Der Europäische Forschungsrat hält den „Dr. med“ für so minderwertig, dass der Titel allein nicht zur Teilnahme an seinen Förderprogrammen berechtigt. Der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, drängt seit 13 (!) Jahren auf ein Ende der Dünnbrettbohrerei: Den echten Doktor sollten nur noch diejenigen Absolventen bekommen, die eine echte, mehrjährige Forschungsleistung vorweisen können, die übrigen eine Art Berufsdoktorat, etwa mit der Bezeichnung „Medizinischer Doktor“ (MD). Vergangene Woche meldeten sich auch die Wissenschaftsakademien zu Wort und forderten dieselbe „tiefgreifende Reform“, möglichst in einer Verschränkung von Doktorarbeit und Facharztausbildung.
Und was macht der Medizinische Fakultätentag (MFT)? Das, was er immer macht, wenn sich wieder mal ein Expertengremium an ihm die Zähne ausbeißt. Antwortet: Nicht nötig. Wollen wir nicht.
Das Medizinstudium und die folgende Facharztausbildung seien lang genug. Darum müsse es weiter erlaubt sein, im Studium mit dem Promotionsprojekt zu beginnen. Weil der MFT aber selbst weiß, dass das Studiendauer-Argument unter Qualitätsgesichtspunkten etwas schlicht ausfällt, ermutigt er seine Mitglieder demonstrativ, „ausreichende Freiräume und Qualifikationen“ in der zweiten Studienhälfte zu schaffen und flächendeckend strukturierte Promotionsprogramme einzurichten. Und dann schickt der MFT eine Forderung hinterher, die er offenbar für eine Revolution hält: ganze neun Monate reine Forschungszeit pro Doktorarbeit, mindestens.
Am Ende zwei Feststellungen und eine Frage. Erstens: Den meisten Patienten dürfte es egal sein, ob ihr Arzt einen Dr. med. oder "nur" einen MD trägt, solange er sein Handwerk versteht. Zweitens: Solange die Mediziner das Berufsdoktorat ablehnen, leidet nicht nur die Integrität der Wissenschaft als Ganzes, sondern auch die Vielzahl derjenigen Promovenden, die tatsächlich großartige Doktorarbeiten abliefern und dafür einen zweifelhaften Titel bekommen. Drittens: Wann, liebe medizinischen Fakultäten, springt ihr wirklich mal?
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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McFischer (Montag, 31 Juli 2017 12:25)
Ein altbekanntes Thema... aber aus meiner (Lebens-)Erfahrung absolut notwendig. Die Promotionen meiner Bekannten aus der Medizin sind lächerlich gegenüber denen z.B. aus den Sozial- und Geisteswissenschaften (meinem eigenen Bereich). Dauer, Umfang, Methodenkompetenz, wissenschaftlicher Anspruch usw. - da liegen Welten dazwischen. Für letztere Gruppe ist das Dissertationsthema oft auch der Einstieg in eine akademische Karriere in einem bestimmten Feld, d.h. es werden daraus Artikel, Konferenzvorträge, man führt Lehrveranstaltungen in dem Bereich durch etc. Man macht sich also einen Namen in der akademischen Welt und entsprechend benötigt man auch ein akademisches Niveau in der Promotion. Bei Medizinern ist es immer eher eine 'Promotion to go', so nebenher erledigt.
Nicht dass dies als allgemeine Schelte junger Mediziner/innen zu verstehen ist: deren Arbeitsbelastung ist oftmals weitaus höher als in anderen Disziplinen, gerade in der Nach-Examensphase auf dem Weg zum Facharzt und wer noch Forschungsambitionen hat, muss dies abends oder am Wochenende machen, weil Stationsschichten, OP, Nachtdienste etc. schon alle Zeit fressen.
Kurzum: Eine Splittung in 'MD' als regulärer Abschluss und "Dr. med.) als wissenschaftlicher Promotionsabschluss wäre m.E. absolut empfehlenswert und würden allen dienen.
Jakob Wassink (Montag, 31 Juli 2017 22:31)
Was spricht eigentlich dagegen, den Dr. med als Berufsdoktorat anzusehen? Diejenigen, die tatsächlich forschen wollen können auch als Mediziner einen Dr. rer. nat., Dr. rer. medic oder - was an einigen Hochschulen bereits jetzt schon möglich ist - sogar einen PhD erwerben. Diese Grade gilt es dann qualitativ zu schützen!
tutnichtszursache (Dienstag, 01 August 2017 14:24)
@Jakob Wassink: Ihr Vorschlag erscheint mir sinnvoll. Zur konsequenten Umsetzung müsste dann der "Dr. med." im Deutschen Qualifikationsrahmen auf Stufe 7 - wie Master, Staatsexamen etc. - einsortiert werden, und nur die "richtige" medizinische Forschungspromotion mit 3-4 Jahren Dauer käme wie alle anderen Promotionen auf Stufe 8.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:28)
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