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So könnte es gehen

Wie Deutschlands Universitäten den Sprung aus der Lehrstuhl-Erstarrung schaffen könnten: Die Junge Akademie veröffentlicht ein lesenswertes Plädoyer für den Siegeszug der Department-Struktur.

Abbildung: Junge Akademie

DIE TRAUEN SICH WAS. Fünf Mitglieder der Jungen Akademie nehmen es mit der geballten Macht der deutschen Lehrstuhlinhaber auf. In ihrem Papier, das heute veröffentlicht wird, fordern sie erneut "die Schaffung einer modernen Departmentstruktur" oder griffiger: "Departments statt Lehrstühle!" Man kann sich das Augenrollen der arrivierten Hochschullehrer vorstellen, ihre verschränkten Arme, ihr Achselzucken, bevor sie antworten: "Das lassen wir mal lieber. Ist doch alles gut, wie es läuft."

 

Ist es eben nicht. Oder zumindest nur für eine Minderheit – eben jene Glücklichen, die es auf einen Lehrstuhl geschafft haben. Allein das wäre Grund genug, über die Zukunftsfähigkeit eines Organisationsprinzips nachzudenken, dass sich aus längst vergangenen Jahrhunderten herübergerettet hat, aus Universitäten, an denen nur ein paar hundert Studenten eingeschrieben waren, um "bei Professor Soundso" zu studieren. Aber der deutsche Sonderweg des Lehrstuhls gefährdet auch die Zukunftsfähigkeit des zuletzt so oft gepriesenen Forschungsstandortes Bundesrepublik.

 

Übrigens will ich das mit dem Augenrollen zurücknehmen. Ich bin davon überzeugt, dass auch unter den Lehrstuhlinhabern von heute viele sind, die genau wissen, dass die Strukturreform überfällig ist. Die nur nicht wissen, wie sie anzustellen wäre.  

 

Wo wieder der Vorstoß von Jule Specht, Christian Hof, Julia Tjus, Wolfram Pernice und Ulrike Endesfelder ins Spiel kommt. Die Junge Akademie hat schon 2013 vorgerechnet, wie bei Abschaffung des haushaltsfinanzierten Mittelbaus die Zahl der Professuren in Deutschland kostenneutral verdoppelt werden könnte. In ihrem aktuellen Vorstoß sagen die fünf von der "AG Wissenschaftspolitik" nun, was die Umstellung wem bringen und wie genau sie funktionieren könnte. 

 

Im Kern läuft ihre Beschreibung auf den Verlust symbolischen Kapitals für künftige Professoren hinaus, die anders als die gelegentlich als "Sonnenkönige" bezeichneten Lehrstuhlinhaber keine eigenen Sekretärinnen mehr hätten, keine eigenen haushaltsfinanzierten Mitarbeiter und keine eigenen Forschungsgeräte. All das müssten sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen teilen, würde doch die gesamte Infrastruktur dem Department gehören und nicht mehr ihnen persönlich. Was mancher als schmerzhafte Statusaufgabe empfinden mag, würde den Druck (oder besser: die Motivation) zur Kooperation und zum gemeinsamen Nachdenken über Forschung und Lehre erhöhen.

 

Ein Trost für die Drittmittelkönige: Sie könnten ihre projektfinanzierten Doktoranden und Postdocs behalten, doch würden sich wahrscheinlich auch diese viel stärker integriert fühlen in einem Department. Gewonnen wäre also nicht nur ein stärkeres Miteinander, ein größeres Wir-Gefühl über bisherige Lehrstuhlgrenzen hinweg, sondern auch mehr Dynamik in Forschung und Lehre – und mehr Karrierechancen, weil im Department-System nur noch Professoren mit Karriereperspektiven (was nicht zwangsläufig und in jedem Fall Entfristung bedeuten darf!) arbeiten würden. 

 

Die fünf Autoren der Jungen Akademie wissen freilich, dass sie nicht nur ihre eigenen Vorteile als Professoren der nächsten Generation in den Vordergrund stellen dürfen, wenn sie eine breite Unterstützung für ihren Vorstoß aktivieren wollen. Darum verwenden sie einen Großteil ihres Papiers darauf, die Auswirkungen, sprich: Vorteile, für die einzelnen Statusgruppen auszubuchstabieren. Das Lockmittel für die Professoren: mehr Zeit für Forschung und Lehre, weniger Aufgaben in Management, weil sich die administrative Last auf mehr professorale Schultern verteilen würde. Dem derzeitigen Mittelbau versprechen die Autoren: Ihr seid diejenigen, die in einer Department-Struktur eher auf eine Professur hoffen können; und falls es damit nicht klappt, bleiben ja die bisherigen Drittmittelstellen bestehen.

 

Das Ganze versieht die Junge Akademie mit einer nett anzusehenden Grafik (siehe oben). Erstens die Lehrstuhlstruktur: schön hierarchisch, ein paar oben, sehr viele von Abhängige unten. Zweitens die Department-Struktur: ein zumindest optisch ausbalanciertes Verhältnis zwischen Profs und drittmittelfinanzierten Wissenschaftlern.

 

Den Studenten versprechen die Autoren bessere Betreuungsverhältnisse, wobei das ein wenig schön gerechnet ist, denn ob die Lehre besser ist, wenn sie künftig nur noch von Professoren anstatt von wissenschaftlichen Mitarbeitern kommt, ist fraglich. Eine wundersame Vermehrung von Lehrpersonen insgesamt bringt zumindest auch die Department-Struktur nicht. 

 

Den Universitätspräsidien wiederum stellt die Junge Akademie in Aussicht, dass sie dank der Reform neue strategische Spielräume erhielten, weil die vergrößerte Professorenschaft eine "flexiblere, breitere und differenzierte Forschungsausrichtung" zulasse. Und, ganz wichtig, an der Einstellung von Professoren sind die Präsidien immer beteiligt – also ein Machtgewinn für die Chefs? Sogar die Drittmittel, sagen die fünf Autoren, könnten steigen, weil es ja dann mehr potenzielle Antragsteller gebe. Zuletzt die Ansage an die Politik: Die Department-Struktur mache die deutschen Hochschulen "international sichtbar und konkurrenzfähig", die Profilbildung der Universitäten werde unterstützt. 

 

In der Summe eine Menge Segnungen, die die Junge Akademie allen Beteiligten verspricht, so viele, dass es schon zu dick aufgetragen wirkt. Womöglich ist es ja gar nicht nötig, dass alle profitieren, um eine Reform in der Summe sinnvoll zu machen? In jedem Fall ist es ein Verdienst der Autoren, einmal alle Argumente pro Department zusammengetragen zu haben. 

 

Ebenso lesenswert ist der Abschnitt, in dem die Autoren beschreiben, wie die Umstellung weg vom Lehrstuhl-Prinzip zeitlich gestaffelt ablaufen könnte, nach dem Motto: Jeder Lehrstuhl, dessen Inhaber in Pension geht, fließt mit seiner Ausstattung ins Department. Ergänzend (die Autoren schreiben "alternativ") könnte die Umwandlung natürlich mit zusätzlichen Finanzspritzen beschleunigt werden. Zu Recht weist das Papier darauf hin, dass das gegenwärtige Kapazitätsrecht mit der Reform unvereinbar wäre, weil die scheinbare Verbesserung der Lehrkapazität durch mehr Professoren zu mehr Studienplätzen führen würde, was wiederum eine reale Verschlechterung der Lehrqualität zu Folge hätte. 

 

Weitere Details im Papier, etwa die Folgen für die Förderregularien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, können an dieser Stelle unerwähnt bleiben, sind aber für die konkrete Umsetzung des Department-Prinzips grundlegend und werden daher richtigerweise von der Jungen Akademie ausgeführt.

 

Beeindruckend ist die Zahl der Kommentatoren, die die Sprecherin der Jungen Akademie, Jule Specht, und ihre Mitstreiter im zweiten Teil ihres Papiers zu Wort kommen lassen, darunter der Mannheimer Unirektor Ernst-Ludwig von Thadden, der neue schleswig-holsteinische Wissenschaftsstaatssekretär Oliver Grundei, die sächsischen Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) und die Bundestags-Hochschulexperten Stefan Kaufmann (CDU) und Kai Gehring (Grüne). Nicht alle rufen "Hurra", einige sagen "Ja, aber", doch sie alle zeigen, dass es Zeit ist, die Debatte über das Ende des Lehrstuhl-Prinzips neu zu führen. Und zwar jetzt. Ideal wäre, wenn am Ende wirklich mal ein Ergebnis stehen würde. Ein mögliches – ein inspirierendes! – hat die Junge Akademie mit ihrem Debattenbeitrag geliefert.

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Kommentare: 6
  • #1

    Myrle Dziak-Mahler (Donnerstag, 12 Oktober 2017 08:40)

    Ein interessanter Denkansatz! Sicher auch ein bisschen auf Provokation angelegt, aber darum nicht schlecht. Im Gegenteil: Veränderungsnotwendigkeiten meinungsstark und zugespitzt vorzubringen, ist ein probates Mittel eine Diskussion in Gang zu bringen, die lange überfällig ist. Das Hadern der Universitätsangehörigen mit einem Organisationsprinzip, das in vielfacher Hinsicht nicht mehr zeitgemäß ist, ist allerorts spürbar.

  • #2

    Hmm (Donnerstag, 12 Oktober 2017 09:23)

    Forschungsgeräte werden vielerorts bereits gemeinsam genutzt und das ist absolut sinnvoll, aber geteilte Sekretärinnen und Sekretäre sind in weiten Teilen bereits ebenfalls Realität und meiner Beobachtung nach alles andere als ein Segen. Ich bin selbst Teil der Verwaltung und meiner Wahrnehmung nach scheint mir das geteilte Sekretariat vielfach dazu zu führen, dass Professoren mehr und mehr Verwaltungs- bis hin zur Sacharbeit (idR bei der Drittmittelverwaltung) selbst übernehmen und dies ihnen Zeit für Studierende, Lehre und Forschung raubt.

  • #3

    Klaus Diepold (Samstag, 14 Oktober 2017 09:15)

    @Hmm
    Die von Ihnen erwähnten Situation sind mehr als real in dem Sinne, dass die Zeit, die ich als Prof. für Verwaltungsaufgaben aufbringen muss Jahr für Jahr inkrementell zunimmt. Ich kann mich nicht erinnern jemals ein Rundschreiben erhalten zu haben, in dem mit mitgeteilt wird, dass diese oder jene Verwaltungsvorschrift entfällt. Digitalisierung ist auch ein Fremdwort, so das Dienstreiseanträge und -abrechnungen nur auf Papier erfolgen dürfen. Auch kann ich praktisch keine Unterschriftberechtigung delegieren - der Prof. wird zum Bottleneck. Diese Vorgänge haben aber wenig Zusammenhang mit geteilten Sekretariaten. Eine Sekretärin oder ein Sekretär an einer Uni wird soo miserabel bezahlt (TV-L 6), dass ich eigentlich von diesen Personen nicht einmal gesteigerte Anforderungen bzgl. Fremdsprachenkenntnisse oder PC-Kenntnisse erwarten kann. Die doch inzwischen recht komplexen Anforderungen bzgl. Personal- oder Finanzverwaltung kann ich immer weniger über ein Sekretariat abwickeln.

    Es macht also durchaus Sinn innerhalb einer Fakultät beispielsweise die Funktionen wie Personalverwaltung oder Finanzverwaltung (Stichwort SAP) auf wenige, kompetente Personen zu bündeln, als 10 halb-kompetente Personen an 10 Lehrstühle sitzen zu haben. In diesem Sinne erscheint eine Umstrukturierung in Richtung Department und eine entsprechende Professionalisierung mehr als angemessen. Wenn es dann noch Fortschritte in der Digitalisierung der Verwaltung gäbe, nicht auszudenken welche Arbeitskapazizäzrn für Forschung und vor allem für Lehre entstehen könnten.

  • #4

    Oliver Günther, Präsident U. Potsdam (Samstag, 14 Oktober 2017 18:35)

    Ich kann die Forderung der Jungen Akademie zur „Abschaffung“ des Lehrstuhlsystems nur sehr eingeschränkt nachvollziehen. In vielen, vor allem empirisch arbeitenden Fächern, ist der Lehrstuhl – auch wenn er inzwischen selten mehr als drei Mitarbeiterstellen umfasst – ein echter Wettbewerbsvorteil beim Ringen um die besten Köpfe. Gerade im Vergleich zu dem aus den USA bekannten Departmentsystem erlaubt ein Lehrstuhl langfristige Planungssicherheit und Forschungsfreiheit, ohne ständig um das nächste Drittmittelprojekt kämpfen zu müssen. So manche Wissenschaftler(innen) kommen gerade deshalb nach Deutschland, weil sie hier einen Lehrstuhl bekommen können und anderswo nicht. Warum also Abschaffung? Schon jetzt steht es Professorinnen und Professoren frei, ihre Mitarbeiterstellen zu poolen, den Mitarbeitern hohe Autonomie zu gewähren, verstärkt Juniorprofessuren einzuführen (aber bitte mit Tenure-Track!) und so de facto ein Departmentsystem zu schaffen. Aber „Abschaffung“? Warum schon wieder allen vorschreiben, was vor Ort getan werden soll? Warum alles über einen Kamm scheren? Lasst viele Blumen blühen! Der Wettbewerb der Systeme wird zeigen, was für ein spezifisches Fach, eine spezifische Hochschule, eine spezifische Forscherpersönlichkeit der beste Weg ist.

  • #5

    Chiarasofie (Sonntag, 15 Oktober 2017 10:03)

    Eine Departmentstruktur bietet sicherlich, wenn in dieser Weise umgesetzt, in vielen Bereichen Chancen für das deutsche Hochschulsystem. Voraussetzung wäre jedoch m.E. eine detaillierte Diskussion unter Einbezug aller Statusgruppen und Stellenprofile. Was mir jedoch in o.g. Vorschlag (wieder einmal) zu kurz kommt, ist die Qualität der Lehre in der Einheit von Forschung und Lehre: Gute Lehre, Beratung, Prüfung und mittlerweile auch weite Teile des Lehr- und Prüfungsmanagements hängen (in einigen Fachbereichen mehr als in anderen) von einem großartigen, engagierten Mittelbau - und dort vor allem von den Lehrkräften für besondere Aufgaben (LfbA) - ab. Genügend feste Stellen im Mittelbau, vor allem in der Lehre, wären daher in einer Departmentstruktur ebenso mitzubedenken wie Transparenz und (echte) Partizipation im Sinne der akademischen Mitbestimmung.

  • #6

    Laubeiter (Mittwoch, 18 Oktober 2017 10:37)

    Ich stimme Herrn Prof. Günther zu, dass die Rekrutierung von Wissenschaftlern aus dem Ausland, die dort viele Mitarbeiter haben, mit den Ideeen des Department-Papiers der JA nicht zusammengehen. Ich erinnere an den Fall von Tuschl, den die FU nicht von der Rockefeller holen konnte, weil er vier feste Mitarbeiter mitbringen wollte.
    Mir gehen drei weitere Aspekte durch den Kopf:
    1 Abgehobenheit: Die Beispiele LSE (London) und Janelia des HHMI (Ashburn, USA), die das JA Papier für bereits funktionierende Departments nennt, sind an Institutionen angesiedelt sind, die über Mittel verfügen, die es in Deutschland abgesehen von der MPG nirgendwo gibt. Eine durchschnittlich ausgestatte Fakultät hat so viel weniger Geld als LSE und HHMI, dass die Umstellung echte Einbussen verlangen würde.
    2 keine Kostenneutralität: Das Papier erkennt, dass Forscher aus drittmittelschwachen Fächern nach einer Einführung von Departments es schwerer hätten, Mittel für ihre Doktoranden zu bekommen, und es schlägt vor, deshalb mehr Graduiertenschulen oder Pools zu schaffen. Damit wäre eine Umstellung aber nicht mehr kostenneutral, sondern würde bei der DFG und anderen höhere Budgets für diese Graduiertenschulen und Pools dringend erfordern.
    3 pro domo Argumente: Die JA als ein Klub von Habilitierten und Juniorprofessoren, fände es gut, wenn Geld statt in die Verstetigung von Mittelbaustellen in neue tenure track Assistant Professorships und Associate Professorship flösse. Immerhin sagen sie, dass beides nicht geht. Aber ist es nicht ein Unterschied, ob ich sage, ein Department-System wäre für unser berufliches Fortkommen gut, oder sage, ein Department wäre für alle gut?