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Wo die armen Kinder zur Schule gehen

Alle Kinder sollen die gleichen Bildungschancen haben – unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern. Daten aus Berlin zeigen, wie stark die soziale Spaltung an den Schulen der Hauptstadt tatsächlich ist. Ein Gastbeitrag von Daniela von Treuenfels.

ARME KINDER IN BERLIN gehen vor allem in den Bezirken Kreuzberg-Friedrichshain, Neukölln und Mitte zur Schule. Die Hauptlast der gesellschaftlichen Segregation tragen hauptsächlich die Grundschulen, gefolgt von den Förderschulen und den Sekundarschulen. Gymnasien kennen Kinderarmut in größerem Umfang eher selten. Auch die Privatschulen entziehen sich größtenteils einer gesellschaftlichen Verantwortung.

 

Das geht aus der Antwort einer parlamentarischen Antwort der Senatsbildungsverwaltung hervor, die Joschka Langenbrinck, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die SPD, gestellt hatte. Der Neuköllner Parlamentarier hatte in den vergangenen Wochen bereits für Wirbel gesorgt: seiner Initiative ist es zu verdanken, dass die Berliner Ergebnisse der bundesweiten Vergleichstests transparent gemacht wurden. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wollte dem Abgeordnetenhaus eine Auskunft darüber verweigern.

 

Dass jetzt eine Auflistung der Zahlen der Kinder mit Lernmittelbefreiung veröffentlicht wird, ist neu. Die sogenannte lmb-Quote misst die Zahl der Kinder aus Haushalten mit Sozialhilfebezug. Diese Köpfe sind deshalb zählbar, weil diese Familien von der Zuzahlung für die Lernmittel befreit sind. Böse Zungen behaupten, dass die Lernmittelfreiheit deshalb wieder eingeführt werden soll, weil so viel Transparenz unbequem ist - aber das steht auf einem anderen Blatt. 

 

Tatsache ist jedenfalls, dass Joschka Langenbrinck nur eine teilweise Antwort erhielt. Gefragt hatte er nach den genauen Daten pro Schule – den staatlichen und privaten allgemeinbildenden Schulen, den staatlichen Berufsschulen und den beruflichen Schulen in freier Trägerschaft. Dem Parlament und damit auch der Öffentlichkeit liegen zwar nun die Zahlen vor, aber anonymisiert. Das heißt, einzelne Schulen sind nicht identifizierbar.

 

Was nicht bedeutet, dass diese Informationen nicht ungeheuer interessant wären: Es gibt in Berlin zehn allgemeinbildende Schulen mit einer lmb-Quote über 90 Prozent, darunter sechs Grundschulen und vier Förderschulen. Alle sind in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Insgesamt gibt es 58 Schulen, in denen weniger als 20 Prozent Kinder lernen, deren Eltern keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten. Darunter sind eine Schule in freier Trägerschaft und drei Gymnasien.

 

Ebenso interessant ist ein Blick auf das untere Ende der Tabelle. Es gibt 33 Schulen, die kein einziges armes Kind unterrichten, darunter vier öffentliche: eine Grundschule, eine Sekundarschule und zwei Gymnasien, der Rest sind Schulen in freier Trägerschaft. Regionale Schwerpunkte sind Steglitz-Zehlendorf (acht Schulen) und Charlottenburg-Wilmersdorf (11). 

 

Insgesamt gibt es 194 Schulen mit einer komfortablen lmb-Quote von unter zehn Prozent, das sind ein Viertel aller allgemeinbildenden Einrichtungen. In der Hälfte der Schulen lernen bis zu ein Drittel Kinder, deren Familien staatliche Transferleistungen erhalten.

 

30 Prozent ist ein Wert, den Experten und Schulpraktiker als Grenzwert bezeichnen. Wenn mehr als ein Drittel der Schüler einer Klasse einen besonderen Förderbedarf haben, droht die Lernatmosphäre in der Klasse zu kippen, lautet die Faustregel. Nun ist arm nicht automatisch gleichzusetzen mit bildungsfern und sozial auffällig, und auch wohlstandsverwahrloste Zehlendorfer Eleven stellen eine pädagogische Herausforderung dar. Doch der Zusammenhang zwischen finanzieller Armut und geringem Bildungserfolg ist durch zahlreiche Forschungen gut belegt und wird von niemandem ernsthaft bestritten. Eine bessere Durchmischung der Schülerschaft wird zwar oft gefordert, den Stein der Weisen hat bisher aber noch niemand gefunden. Vor allem, weil es gleich ans Eingemachte ginge: Wer ernsthaft etwas erreichen will, müsste das Recht auf freie Schulwahl beschränken und einen kostenlosen Zugang zu Privatschulen ermöglichen. Gegen beide Ideen laufen Interessengruppen Sturm. Zaghafte Versuche einzelner Bezirke, Einzugsbereiche so zu ordnen, damit Schülerströme im Sinne einer sozialen Mischung gesteuert werden können, werden sofort von durchsetzungsstarken Eltern massiv bekämpft. 

 

Dass arme Kinder in Berlin weniger erfolgreich in der Schule sind, zeigen auch die Auswertungen der lmb-Quoten getrennt nach Schulformen. Von den 54 Förderschulen haben 20 eine lmb-Quote von 70 Prozent und höher, der niedrigste Wert liegt bei 11,7. Von den 126 Sekundarschulen arbeiten nur rund 30 unter der magischen Grenze von 30 Prozent Kinder aus finanzschwachen Familien. Mehr als die Hälfte der Sekundarschulen haben Armutsquoten von über 50 Prozent, zehn liegen bei über 80 Prozent. Ganz anders die Gymnasien: Von 81 Schulen liegen 30 in der "Komfortzone", unterrichten also weniger als zehn Prozent arme Kinder. Nur 14 Gymnasien arbeiten oberhalb des Grenzbereichs von 30 Prozent. In zwei Einrichtungen ist der Anteil armer Kinder größer als 80 Prozent.

 

Die Privatschulen: Von 129 Einrichtungen haben nur 48 eine höhere lmb-Quote als zehn Prozent. Und in nur sieben beziehen mehr als die Hälfte der Kinder Sozialleistungen. Ähnlich sieht es bei den beruflichen Schulen aus: Von 68 Privatschulen haben 40 gar keine armen Schüler in ihren Klassen. Dafür gibt es hier drei Schulen, in denen ausschließlich Jugendliche aus Familien mit Sozialleistungsbezug lernen. 

 

Die Antwort der Bildungsverwaltung auf die Anfrage des Abgeordneten Langenbrinck ist hier nachzulesen.

 

Daniela von Treuenfels ist freie Journalistin in Berlin und ist Mitbetreiberin von berlin-familie.de.

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