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Warum wir eine Deutsche Transfergemeinschaft brauchen

Deutschland hat ein vorbildhaft arbeitsteiliges Wissenschaftssystem. Doch machen wir zu wenig aus dieser Stärke, solange die Innovationsforschung neben der Grundlagenforschung nicht auch die politische Unterstützung erhält, die ihr gesellschaftlich zusteht. Ein Gastkommentar von Marcus Baumann.

Marcus Baumann. Foto: FH Aachen
Marcus Baumann. Foto: FH Aachen

"FORSCHUNG? DAS IST doch nichts für Fachhochschulen." Sie wären erstaunt, wie oft ich solchen Sätzen noch begegne. Das ist dann immer der Augenblick, in dem ich zu einer längeren Erklärung ansetze, um ein paar grundsätzliche Dinge geradezurücken.

 

Das Missverständnis fängt bei manchen Leuten schon beim Begriff "Forschung" an. Für sie ist Forschung das, was vor allem die Universitäten machen. Es ist ja richtig: Das Neue kommt in die Welt, weil am Anfang eine brillante Idee steht, eine einzigartige Erfindung oder Entdeckung, eine noch nie da gewesene Versuchsanordnung, die völlig neue Erkenntnisse bringt. Das klingt nach Naturwissenschaften, aber natürlich sind es die Geistes- und Sozialwissenschaften genauso, die neue Einfälle, Erfindungen und Erkenntnisse produzieren. Und das ist die Grundlagenforschung. 

 

Doch wer glaubt, damit sei die Forschung zu Ende, der hat das Wort nicht zu Ende gedacht. Denn eine neue Erkenntnis, eine neue Erfindung macht noch kein neues Produkt. Im Gegenteil: Die eigentliche Innovationskette fängt dann erst an. Ihr erstes Glied ist die Applikationsidee, also die Antwort auf die Frage: Was kann ich mit der neu gewonnenen Erkenntnis praktisch anfangen? Doch auch eine Applikationsidee ist noch nicht das Produkt, obgleich es manchem in der Begeisterung des Augenblicks erstmal so erscheinen mag. Erst die Applikationsidee löst die Innovationsentwicklung aus - diesen unverzichtbaren und besonders langwierigen Schritt. Am Ende der Innovationsentwicklung haben Sie ein fertiges Produkt (oder eine innovative Dienstleistung), aber dieses Produkt haben Sie immer noch nicht verkauft oder etabliert. Erst muss Ihnen noch der Transfer in den Markt oder die Gesellschaft gelingen. All diese Schritte, von der Grundlagenforschung bis zum Technologie- und Wissenstransfer gehören zusammen, bedingen einander und ergeben nur im Zusammenspiel Sinn. 

 

Unser Wissenschaftssystem in Deutschland bildet diese Innovationskette eigentlich hervorragend ab. Für die Grundlagenforschung haben wir die klassischen Universitäten. Selbstverständlich betreiben wir sie auch an den Fachhochschulen, doch wenn wir ehrlich sind, ist das nicht unsere Kernaufgabe. Unser Fokus als Fachhochschulen liegt an dem Punkt, an dem wir die Innovationen auf die Kette bringen. Das tun wir sehr erfolgreich – mit der Großindustrie, vor allem aber mit den kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU). Das sind die natürlichen Partner der Fachhochschulen. Und im Übrigen sind sie das Herzstück der deutschen Wirtschaft.

 

Warum das so ist und sein muss, kann man schon an ein paar Zahlen ablesen. 99,6 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland sind klein oder gehören zum Mittelstand. 58,5 Prozent aller sozialversicherten Beschäftigten in Deutschland arbeiten bei einem KMU. Und 35 Prozent der Wirtschaftsleistung entsteht abseits der Großindustrie. 17 Millionen Euro an Drittmitteln für die Innovationsforschung hat allein die Fachhochschule Aachen in den vergangenen Jahren eingeworben. Ein erheblicher Betrag. 

 

Doch bei allem Respekt für die Unternehmen, die uns mit diesem Geld ermöglichen, Innovationen zu entwickeln: Natürlich ergibt sich durch diese Art der Forschungsfinanzierung eine Vorauswahl dessen, was wir beforschen. Wer die Musik bestellt, sagt auch, was gespielt wird. So einfach ist das. Und deshalb gibt es viele Applikationsideen, viele Erkenntnisse, aus denen Innovationen entstehen könnten, die wir nicht realisieren können, weil uns in Deutschland etwas fehlt, was andere europäische Länder längst haben: eine staatlich finanzierte Innovationsforschung in einer Dimension, die dieser Bezeichnung wirklich gerecht wird. Dabei sind sich alle Experten einig, dass die Innovationsentwicklung nur durch eine kräftige staatliche Förderung die Stärke und gedankliche Unabhängigkeit erhält, um gesellschaftliche Innovationssprünge zu fördern. 

 

Zugegeben: Es gibt eigene staatliche Forschungsprogramme für die Fachhochschulen, den böse Zungen bisweilen "den geschützten Bereich" nennen. Und ich sage ganz deutlich: Wir brauchen diesen geschützten Bereich, um Innovationsforschung zumindest in Ansätzen vorantreiben zu können. Doch reicht dieses Geld bei weitem nicht aus, weil wir bei kleinen Unternehmen regelmäßig draufzahlen. 

 

Wenn Sie mit den Chefs kleiner Unternehmen reden, dann werden die Ihnen sagen: Für eine eigene Innovationsforschung fehlt uns die Zeit. Neben unserem Tagesgeschäft kommen wir nicht dazu, all jene Ideen zu verfolgen, die wir haben und von denen wir wissen, dass wir sie eigentlich dringend auf die Innovationskette bringen müssten. 

 

Große Konzerne wie BMW oder Siemens haben da kein Problem, sie leisten sich ihre eigenen Forschungsabteilungen, sie können aufgrund einer Idee sechs- oder siebenstellige Summen riskieren. Und wenn dann aus der Idee nichts wird, ist es auch nicht schlimm. Dann machen sie halt mit dem nächsten Produkt weiter. Aber kleine Unternehmen und Mittelständler können das nicht. Und so kommen wir als Fachhochschulen ins Spiel. Dafür nutzen wir die knappen Mittel, die wir haben.

 

Doch wenn wir die Innovationsforschung weiter professionalisieren wollen, wenn wir mit unserem Innovationssystem Anschluss finden wollen an andere Länder, dann braucht es mehr als unseren "geschützten Bereich". Deshalb kämpfen wir Fachhochschulen für eine neue Institution. Deshalb brauchen wir eine Deutsche Transfergemeinschaft (DTG) analog zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Nur mithilfe der DTG wird wissenschaftsgeleitete Innovationsforschung die Bedeutung erhalten, die ihr gesellschaftlich zusteht. Und nein, eine DTG wäre kein weiterer Schutzbereich für uns Fachhochschulen, sie wäre ein klares politisches Bekenntnis für die Innovationsforschung und stünde damit auch den Universitäten offen, allen voran den Technischen Universitäten, die wie wir stark anwendungsorientierte Forschung betreiben.

 

Dem daraus folgenden Wettbewerb stellen wir Fachhochschulen uns gern. Aber bitte lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verlieren.

 

Marcus Baumann ist Professor für Biotechnologie und Rektor der Fachhochschule Aachen.

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