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Wie ich mir den Nationalen Bildungsrat vorstelle

Jetzt ist die Zeit für Bund und Länder, in die Verhandlungen um das neue Gremium einzusteigen. Welche Struktur soll der Rat bekommen, wie Beschlüsse fassen? Und wer könnte drinsitzen? Ein Gastbeitrag von Anja Karliczek.

Anja Karliczek. Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann
Anja Karliczek. Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann

 "TRANSPARENZ, QUALITÄT UND VERGLEICHBARKEIT" – diese Stichworte markieren im Kern die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an ein modernes und leistungsfähiges Bildungssystem. Eltern mit schulpflichtigen Kindern verlangen bei einem Umzug von Düsseldorf nach München oder von Stuttgart nach Berlin zu Recht, dass Schulwechsel ihrer Kinder unter normalen Umständen stattfinden können. Abiturientinnen und Abiturienten erwarten zu Recht, dass ihre Reifezeugnisse bundesweit den gleichen Wert haben und vergleichbare Karrierechancen bieten. Und die Wirtschaft verbindet zu Recht beim Abschluss eines Ausbildungsvertrags schulische Zeugnisse mit klaren Leistungserwartungen. Abschlüsse sollen ein vergleichbares Leistungsniveau garantieren. Tatsächlich aber sind die Anforderungen häufig sehr unterschiedlich. Das alles verringert das Vertrauen in unser Bildungssystem – bei Kindern, Eltern, in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Vielfalt der Bildungsgänge und Anforderungen sollte nicht zum Stolperstein in der Bildungsbiographie werden. Schließlich verlangen Gesellschaft und Arbeitsmarkt heute von allen immer mehr Mobilität und Flexibilität.

 

"Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit" sind deshalb die Stichworte für ein zentrales Projekt im Bildungskapitel des Koalitionsvertrages: Denn um die Bildungschancen in Deutschland zu verbessern, sollen Bund und Länder gemeinsam einen Nationalen Bildungsrat einrichten. Der Rat soll auf Basis der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung und genau unter der Maßgabe von Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit Vorschläge zur inhaltlichen und strukturellen Gestaltung unseres Bildungswesens machen. Er soll dazu beitragen, sich über Ziele und Entwicklungen zu verständigen. Er soll helfen, die Zusammenarbeit der beteiligten politischen Ebenen zu verbessern und dabei die Gestaltung von Bildungsangeboten über die gesamte Bildungsbiographie in den Blick nehmen.

 

Um das Projekt "Bildungsrat" zum Erfolg zu führen, braucht es einen langen Atem, Mut und guten Willen bei allen Beteiligten – und vor allem eine Struktur, die tragfähig ist. Deshalb verweist der Koalitionsvertrag auch auf den erfolgreichen Wissenschaftsrat, der 1957 gegründet wurde und gewissermaßen  als Blaupause für einen künftigen Nationalen Bildungsrat dienen soll.

 

Mein Vorschlag für diese Struktur: Wie der Wissenschaftsrat sollte der Bildungsrat aus zwei (gleichberechtigten)] Kommissionen bestehen, die nebeneinanderstehen, aber nicht unabhängig voneinander wären: einer Bildungskommission und einer Verwaltungskommission. Der Bildungskommission als Expertengremium würden Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, aber auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und ausgewiesene Bildungspraktiker angehören. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass eine engagierte Schulleiterin oder ein engagierter Schulleiter die Perspektive der Praxis in den Rat einbringt. Die Verwaltungskommission würde sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern und kommunalen Vertretern zusammensetzen. Beschlüsse fasst der Nationale Bildungsrat nur gemeinsam in seiner Vollversammlung.

 

Aber: Brauchen wir überhaupt einen Nationalen Bildungsrat? Reicht denn eine Kultusministerkonferenz, wie wir sie seit 70 Jahren in Deutschland haben, nicht aus? Machen wir die ohnehin schon komplexe Struktur im Bildungsföderalismus durch ein neues Gremium nicht noch komplexer? Ich meine, der Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen liegt in dem Mehrwert, den ein Nationaler Bildungsrat hervorbringen würde.

 

Der Bildungsrat könnte, losgelöst vom Kleinklein des politischen Tagesgeschäfts, Bildungsthemen grundsätzlich und mit der gebotenen Distanz und Expertise aufgreifen, sie abwägen und diskutieren – und zu Ergebnissen gelangen, die Perspektiven jenseits eingefahrener Wege aufzeigen. Die Verständigung zwischen Wissenschaft und Praxis einerseits sowie zwischen den politischen Ebenen andererseits sollte garantieren, dass solche neuen Perspektiven auch realistisch sind. Seine Empfehlungen, wissenschaftlich fundiert und getragen von den Beteiligten, könnten Wirkung durch ihre Überzeugungskraft entfalten, auch wenn der Nationale Bildungsrat selbstverständlich kein Entscheidungsgremium ist – anders als die Kultusministerkonferenz. Gerade darin liegt aber die Chance. Die positiven Erfahrungen mit dem Wissenschaftsrat in Deutschland stimmen mich sehr optimistisch, dass das auch bei einem Nationalen Bildungsrat so sein könnte.

 

Um dahin zu kommen, müssen wir uns gemeinsam mit den Ländern auf den Weg machen: Wir müssen uns verständigen, wie Struktur und Arbeitsweise  organisiert sein sollen. Die Bundesseite hat hierzu ihre Vorstellungen entwickelt, und die Länder sind gerade dabei, die Eckpunkte ihrer Vorstellungen zusammenzutragen. In einem nächsten Schritt werden Bund und Länder verhandeln. Abgesehen von grundsätzlichen strukturellen Fragen müssen wir uns etwa auch verständigen, wie wir die Expertinnen und Experten für den Bildungsrat rekrutieren und welche inhaltlichen Schwerpunkte wir zunächst setzen wollen: Schließlich spannt die Vorgabe des Koalitionsvertrages – Bildungsangebote über die gesamte Bildungsbiographie – einen weiten Bogen.

 

Hier sind zweifellos im Dialog mit den Ländern noch Herausforderungen zu meistern. Unumstritten ist indes, dass wir länderübergreifend und bundesweit Impulse für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungsbereich brauchen. Das sind wir den Zukunftschancen unserer Kinder schuldig, und das erwarten gerade die Eltern von der Politik. Deshalb müssen nicht nur die Länder im Sinne ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung noch stärker kooperieren, sondern auch der Bund gleichberechtigt seinen Beitrag dazu leisten – ausgestattet mit einem Kompass von Wissenschaft und Praxis. Ich bin davon überzeugt, dass ein Nationaler Bildungsrat einen substanziellen Beitrag zu besseren Bildungschancen, zu mehr Bildungsqualität und zu einer größeren Bildungsgerechtigkeit in Deutschland leisten könnte. Ein erfolgreicher Bildungsrat lässt Eltern, die häufig umziehen müssen, aufatmen.

 

Anja Karliczek (CDU) ist seit 14. März 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung. 


Wie die Diskussion um den Bildungsrat weitergeht: Eine  aktuelle Zusammenfassung der Reaktionen auf Karliczeks Vorschlag und eine Analyse der Knackpunkte in den anstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern finden Sie hier.


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Kommentare: 6
  • #1

    Aswan (Donnerstag, 03 Mai 2018 17:31)

    Intelligent - wir haben Bildungsföderalismus, wo die Bildungsministerin selbst nichts zu melden hat. wir haben die KMK, die Länderminister - wo jeder sein eigenes Ei nach seinem Gedünken malen will. Und dann brauch man zur sinnlosen Geld- und Zeitverschwendung noch einen Rat, der alle anderen ad absurdum führt. Wozu bitte?

  • #2

    Lena (Donnerstag, 03 Mai 2018 19:08)

    „Abiturientinnen und Abiturienten erwarten zu Recht, dass ihre Reifezeugnisse bundesweit den gleichen Wert haben [...]“

    Den haben sie doch mittlerweile: gar keinen.

  • #3

    FS (Freitag, 04 Mai 2018 09:00)

    Wenn der Bildungsrat "auf Basis der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung [...] Vorschläge zur inhaltlichen und strukturellen Gestaltung unseres Bildungswesens machen" soll, erscheint mir das eine sehr eindimensionale, aber leider symptomatische Erwartung der Bildungspolitik zu sein.

    PS: Der kursive Zusatz am Artikelende, dass Anja Karliczek (erst) seit 14. März 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung ist, wirkt fast entschuldigend. Vielleicht liegt das aber auch nur an der (und ihrer) Kommentierung der Amtsübernahme in den vergangenen Wochen...

  • #4

    Detlef Wagner (Freitag, 11 Mai 2018 11:21)

    Ich finde es nicht ganz so passend, den zweifellos einigermaßen verkorksten Bildungsföderalismus ausgerechnet dort zu kritisieren, wo jemand versucht, gegenzusteuern. Es soll ja durchaus ergebnisorientierte Gremien geben, auch in der Bildung. Die Richtung, z.B. gegen das Kooperationsverbot etwas zu unternehmen (notfalls trotz KMK), scheint aus meiner Sicht zu stimmen.
    Mich würde interessieren, welche Probleme in welcher Reihenfolge besprochen werden sollten und wie dieser Rat zusammengesetzt werden soll. Parteiübergreifend ist dabei wohl das Selbstverständlichste. Wenn das an der Praxis vorbei geht, kann man dann massiv und berechtigt kritisieren.

  • #5

    Frank Mertens (Montag, 04 Juni 2018 18:10)

    Vor dem Hintergrund gravierender Veränderungen im Berufsalltag ( Mobilität) sollten nicht nur die Abiturstandards vereinheitlicht werden, sondern auch die Anerkennung von Studienabschlüssen. Solange eine Lehramtsstudierende aus z.B. Berlin niemals Ihr Referendariat in Bayern ausüben kann, wird das wohl nichts. Der föderalistische Flickenteppich in Gestalt der KMK bzw. der HRK hat und wird dies aus Eigeninteresse zu verhindern wissen.
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  • #6

    Manfred Hampp (Mittwoch, 27 Juni 2018 16:13)

    Vielleicht lese ich mir den Beitrag mal durch.