Während alle über den Digitalpakt reden, sitzen die Kultusminister an zwei anderen Großprojekten. Der KMK-Staatsvertrag entsteht in mühevoller Detailarbeit, beim Bildungsrat ist die Einigung mit dem Bund schon in erstaunliche Nähe gerückt.
Macht der Bildungsrat die Bildung besser? Foto: wiki – cco.
HEUTE UND MORGEN treffen sich die Kultusminister zu ihrer Frühjahrskonferenz, und die Schlagzeilen in den Zeitungen werden nur ein Thema kennen: den Digitalpakt. Den wollen die Ressortchefs zusammen mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) voraussichtlich am Freitagmittag mit einer Pressekonferenz zelebrieren (siehe Kasten). Unbeachtet von einer breiten Öffentlichkeit werden die Minister derweil an zwei weiteren Großprojekten weiterarbeiten, die weitaus langfristigere Konsequenzen als der Digitalpakt haben könnten.
Beide Projekte hängen eng miteinander zusammen: der Nationale Bildungsrat, dessen Gründung die Große Koalition vergangenes Jahr in ihrem Vertrag angekündigt hat, und der Bildungs-Staatsvertrag, den die Kultusminister schließen wollen.
Nachdem Anja Karliczek Anfang Mai 2018, nur wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt, mit ersten Vorschlägen zum Bildungsrat vorgeprescht war, hatten die Länder zunächst heftig protestiert, und dann kam offiziell lange nichts mehr.
Ein Steckbrief in 33 Absätzen
Bis jetzt. Denn in ihrer heutigen Sitzung bekommen die Minister von den Amtschefs aus Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen erstmals das Konzept erläutert, das die obersten Beamten der Ministerien in den vergangenen Monaten zusammen mit dem Bund ausgearbeitet haben. Das dazu gehörende Eckpunkte-Papier ist erstaunlich weit gediehen. In 33 Absätzen listet es die Mission, Kompetenzen und die Zusammensetzung des Bildungsrates auf, wie Bund und Länder sie sich vorstellen.
Ziele des Gremiums seien "Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit", heißt es in der Vorlage. Es gehe um die Erarbeitung "übergreifender, praktikabler" Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems und für mittel- und langfristige Strategien für gesamtgesellschaftlich relevante Bildungsthemen. Die Empfehlungen sollen nicht auf die Schule beschränkt sein, sondern die gesamte Bildungsbiographie in den Blick nehmen. Die Arbeit des Bildungsrates soll "zusätzlichen Nutzen gegenüber bestehenden Strukturen und Institutionen" schaffen, womit unter anderem die Kultusministerkonferenz und der Wissenschaftsrat gemeint sind. >>
Digitales für Schule und Hochschule
Wenn sich die Kultusminister und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wie geplant am Freitagmittag vor die Presse stellen, sollte der Bundesrat aller Voraussicht nach gerade die im Vermittlungsausschuss vereinbarte Grundgesetz-Änderung durchgewunken haben. Womit der Weg für den Digitalpakt auch juristisch frei wäre. So werden Karliczek und ihre Länderkollegen denn auch eine schlichte Botschaft in die Republik hinaussenden, und die lautet: "Mission erfüllt!" Nach zweieinhalb Jahren Hin und Her um Digitalpakt, dessen Finanzierung und (zuletzt) Grundgesetz-Änderung wollen sie zugleich die nächste Phase einläuten: die der Umsetzung. Einen kleinen Haken hat der Presse-Auftritt allerdings: Formal besiegelt ist der Pakt noch nicht, dazu muss die Vereinbarung erst alle Landeskabinette und Parlamente passieren.
Die Kultusministerkonferenz rechnet intern damit, dass dies in den nächsten vier Wochen geschafft sein dürfte. Und auch wenn theoretisch noch Querschläger aus den Länderparlamenten möglich wären, wahrscheinlich sind sie nicht. Dabei wäre es übertrieben zu behaupten, dass alle Beteiligten mit der Endfassung der Vereinbarung glücklich wären. Einige Ländern, aber auch zahlreichen Bundestagsabgeordneten unterschiedlicher Fraktionen stören sich daran, dass die Grundgesetz-Änderung nun zwar Bundesmittel für Wartung und (in Maßen) für Personaleinsatz ermöglicht, der Pakt aber nicht. Denn wie berichtet haben sich Bund und KMK darauf verständigt, die Vereinbarung nicht noch
einmal so grundsätzlich aufzumachen. Aus Sicht einiger Länder notgedrungen: Zu unwägbar erschien ihnen, ob sie dann in neue Grundsatzdebatten geraten könnten, unter anderem auch mit den Haushaltspolitikern des Bundes.
Absehbar ist indes, dass Schulen und Opposition diesen (in ihrer Perspektive) Makel des Digitalpakts in den nächsten Tagen und Wochen wiederholt thematisieren werden. Spannend ist insofern auch, ob und wie Karliczek und die Landesminister in ihrer Pressekonferenz das Thema ansprechen. Derweil warten die Schulen jetzt gespannt auf die ersten Überweisungen. Werden diese wirklich, wie Karliczek diese Woche auf der BMBF-Bildungsforschungstagung sagte, noch in diesem Herbst kommen? Dazu morgen mehr.
Ein weiteres Thema, mit denen sich die Kultusminister auf ihrer Sitzung befassen, sind die von der KMK erarbeiteten Empfehlungen zur Digitalisierung in der Hochschullehre. So ähnlich wie vor einigen Jahren bei der KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt", deren Weiterführung auch die Hochschul-Empfehlungen sind, hatten die Kultusminister auch diesmal mit vielen Akteuren aus Didaktik, Politik, IT und Forschung beraten und dazu unter anderem drei Tagungen veranstaltet. Die Empfehlungen sind nun das Ergebnis dieses Dialogs. Ein erneut bemerkenswert offenes Vorgehen.
>> Allerdings werden seine Empfehlungen nicht bindend sein, was den Ländern besonders wichtig war, weil sie andernfalls einen Eingriff in ihre Kultushoheit fürchten. Auch sind Bund und Länder sich einig, dass sie sich in dem Gremium gegenseitig nicht werden überstimmen können. Über dieses Veto-Recht können beide Seiten auch verhindern, dass ihnen unliebsame Themen als Empfehlungen in die Öffentlichkeit eingespielt werden, denn das Arbeitsprogramm des Nationalen Bildungsprogramms soll jährlich von der Vollversammlung des Rates beschlossen werden. Was durchaus sinnvoll ist, denn Empfehlungen, die von einer Seite überhaupt nicht gewollt wären, würden in der politischen Realität schnell hintertrieben werden.
Die Verbände sollen außen vor bleiben
Der Bildungsrat wird dem Eckpunkte-Entwurf zufolge keine eigene Forschung betreiben, kann aber an Wissenschaftseinrichtungen Forschungsaufträge erteilen. Seine Empfehlungen richten sich an die Bundesregierung und an die Regierungen der Länder, je nach Thema auch an Fachministerkonferenzen, Bundes- und Landesministerien und an die kommunalen Spitzenverbände. Hier liegt denn auch die eigentliche – informelle – Macht des Organs: Seine Empfehlungen werden keine rechtliche Bedeutung haben, dafür aber eine umso höhere Sichtbarkeit.
Von seiner geplanten Zusammensetzung lehnt sich der Bildungsrat wie bereits im GroKo-Vertrag angedeutet an den Wissenschaftsrat an: Es wird zwei Kammern geben, eine sogenannte Bildungskommission und eine Verwaltungskommission, die gemeinsam die Vollversammlung bilden.
Ganz wichtig: Die Mitglieder der Bildungskommission (Wissenschaftler, "Praktiker" und "Personen des öffentlichen Lebens") sollen allesamt "ad personam" benannt werden, es wird also kein Vorschlagsrecht von Verbänden geben, und die Mitglieder sprechen auch nicht für Organisationen. Arbeitgeber und Gewerkschaften hatten wiederholt eine Repräsentation im Bildungsrat gefordert, doch Bund und Länder sind sich einig, dass sie diese nicht wollen. Es ist zu hoffen, dass sie dem Druck bis zum Schluss standhalten. Die wissenschaftlichen Mitglieder sollen aufgrund "objektivierte(r) Auswahlverfahren" durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Zusammenspiel mit den Forschungsorganisationen vorgeschlagen werden, um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten. Die "Praktiker" und "Personen des öffentlichen Lebens" wollen Bund und Länder über eine neue Findungskommission bestimmen. Alle Mitglieder der Bildungskommission sollen dann – wie im Wissenschaftsrat – vom Bundespräsidenten berufen werden.
Der Verwaltungskommission gehören Vertreter von Bund, Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden an.
Aber was ist mit der Stimmenverteilung?
Natürlich soll der Bildungsrat auch eine Geschäftsstelle haben mit laut Eckpunkte-Entwurf zunächst bis zu 20 Mitarbeitern, und er soll zunächst auf fünf Jahre eingerichtet werden – inklusive Überprüfung der Wirksamkeit, bevor über sein Weiterbestehen entschieden wird. Wie genau diese Überprüfung ablaufen soll, dürfte spannend werden.
Nun zum eigentlich einzigen noch wirklich offenen Punkt: der Stimmenverteilung. Sie war von Anfang an so umstritten, dass Bund und Länder sich nach dem Ärger zum Auftakt darauf einigten, das Thema ganz an den Schluss zu stellen. Und da steht es nun. Klar ist laut dem Eckpunkte-Entwurf, dass die beiden Kammern stimmenmäßig gleich stark sein sollen und dass Bund und Länder sich wie erwähnt nicht überstimmen lassen wollen. Auch sollen Beschlüsse in Analogie zum Wissenschaftsrat zunächst in beiden Kammern eine Zweitdrittelmehrheit erfordern und dann eine erneute Zweidrittelmehrheit in der Vollversammlung. Aber wie viele Stimmen bekommt nun der Bund? Wie viele die Länder? Wie viele die Kommunen?
Bei dieser Frage hat es seit Ende Januar keinen Fortschritt gegeben und auch in der heutigen Sitzung der Kultusministerkonferenz ist damit wohl nicht zu rechnen. Was auf den ersten Blick nicht wirklich einleuchtet, denn so groß die sonstigen Sicherungen sind, dass keine Seite überstimmt wird, dürfte die konkrete Stimmenzahl zumindest für Bund und Länder gar nicht mehr die entscheidende Rolle zu spielen. Selbst wenn man die symbolische Bedeutung (wer hat an meisten) bedenkt, müsste es also eigentlich längst vorangehen.
Die Stoffsammlung zum KMK-Staatsvertrag
ist 50 Seiten lang
So könnte der wahre Grund, warum es nicht vorangeht, woanders liegen: Beim zweiten großen Thema der KMK, das eng mit dem Bildungsrat verknüpft ist. Das Ziel der Kultusminister ist es eigentlich, dass ihr Staatsvertrag (oder Vereinbarung, falls es kein Staatsvertrag wird) zuerst fertig ist. Fürchten sie, unbeweglich und zu langsam zu wirken, wenn der Bildungsrat vorher an den Start angeht? Wollen sie den Erwartungsdruck vermeiden, der so entstehen könnte, und drücken deshalb beim Thema Stimmenzahl auf die Bremse?
Der Staatsvertrag selbst liegt bislang nur in Ansätzen vor, als unübersichtliche, 50 Seiten lange Themensammlung. Zu 12 Oberthemen (von "Standards für den Primarbereich" bis zur "Bezeichnung der Schularten im Sekundarbereich I") hat die KMK ihre erstaunliche umfangreiche Beschlusslage aufgelistet, dazu gegebenenfalls erhobene Statistiken, und für jedes Thema hat dann ein federführendes Land (manchmal auch mehrere Länder) Vorschläge für eine Staatsvertrags-Vereinbarung aufgeführt, die dann wiederum von den anderen Ländern kommentiert werden können.
Ein gründlicher und an sich sinnvoller Prozess, der aber logischerweise kleinteilig ist und Zeit kostet. So viel Zeit, dass die sogenannte Arbeitsebene in den Ministerien lange vor sich hinwerkelte, bevor nun die Minister über das weitere Vorgehen diskutieren werden.
Sie sollen über die Form entscheiden, in die die umfangreichen Ideen gegossen werden, damit sie inhaltlich handhabbarer werden. Und über den Zeitplan bis dahin. Ziel ist auf jeden Fall, bis zur Sitzung der Kultusminister im Juni einen übersichtlichen Entwurf zu haben. Dann nämlich soll die Entscheidung fallen, ob daraus ein Staatsvertrag wird (der durch alle Länderparlamente müsste) oder eine Ländervereinbarung, die geringere Hürden hätte und mehr ins Detail gehen könnte – aber natürlich auch eine geringere Wirkung nach außen hätte. Als am wahrscheinlichsten gilt derzeit eine Kombination aus beiden. Ein komplexer Prozess, was bei einem so grundsätzlichen und potenziell bedeutenden Vorhaben, das die föderale Bildungspolitik auf Jahrzehnte bestimmen könnte, auch gar nicht anders geht. Hier gilt Gründlichkeit als eine Tugend.
Und doch ist das zähe Vorankommen beim KMK-Staatsvertrag für die Länder ein Problem, wenn parallel der Bund beim Bildungsrat absehbar aufs Gas drücken wird. Denn die Kapazitäten hat Karliczeks Ministerium jetzt, nachdem der Digitalpakt durch ist, wieder.
Fotonachweis: Sir James/ Wikimedia - cco.
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