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"Wir müssen aufpassen, nicht überfahren zu werden"

Heute Vormittag haben die EFI-Wissenschaftsweisen der Kanzlerin ihr Jahresgutachten überreicht. Der Kommissionsvorsitzende Uwe Cantner sagt, was drinsteht zu Ostdeutschland, China und der Cybersicherheit – und warum den deutschen Kernindustrien nicht mehr viel Zeit bleibt, sich selbst zu reformieren.

Der EFI-Vorsitzende und Volkswirt Uwe Cantner.  Foto: David Ausserhofer.

Herr Cantner, steht in dem Gutachten, das Sie gerade an Bundeskanzlerin Merkel überreicht haben, auch etwas Positives drin?

 

Sehr viel sogar. Deutschland gibt so viel Geld für Forschung und Entwicklung aus wie nie zuvor. Die Wissenschaftsorganisationen haben durch den neuen Pakt für Forschung und Innovation ein hohes Maß an Planungssicherheit – bis 2030 – erhalten, und der Bund beteiligt sich dauerhaft an der Finanzierung der Hochschullehre. Auch das begrüßen wir.

 

Währenddessen ist Apple an der Börse erstmals mehr wert als alle deutschen DAX-Unternehmen zusammen, Deutschlands Automobilkonzerne hinken bei der Batterietechnologie hinterher, und Deutschlands Hochschulen, Unternehmen und Verwaltungen leiden unter massiven Cyberattacken. Haben wir die Zukunft verschlafen?

 

Das ist mir zu hart. Dass die Vereinigten Staaten mit ihrem IT-Sektor in einer ganz anderen Liga spielen als der Rest der Welt, ist unbestritten. Diese riesengroßen Konzerne von Google/Alphabet bis Facebook, die da entstanden sind mit Geschäftsmodellen, die so gefestigt sind, dass dem höchstens noch die amerikanische Politik beikommt. Die Anfänge dieser Entwicklung liegen Jahrzehnte zurück, doch erst jetzt verstehen wir in der Forschung die Netzwerkeffekte dahinter, wie in Kalifornien eine Firma die andere beflügelt hat und am Ende eine einzigartige Innovationslandschaft entstanden ist. Das war nicht zu überblicken, als es losging, insofern wurde da auch nichts verschlafen. Es ist aber richtig und sehr zu begrüßen, dass Bundesregierung, Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen mit GAIA-X jetzt eine eigene Dateninfrastruktur aufbauen wollen, eigene europäische Cloud-Dienste, um die Technologie selbst zu beherrschen und nicht irgendwann vollends von anderen abhängig zu werden. Viel mehr Sorge macht mir, dass seit kurzem eine Dynamik die andere ablöst.

 

Was meinen Sie?

 

In Sachen IT war Deutschland – von einigen wenigen Unternehmen abgesehen – nie an der Weltspitze, hatte dort nie eine Kernkompetenz. Insofern lief die Entwicklung von Apple oder Google ein bisschen neben dem Erfolg unserer eigenen Volkswirtschaft her. Doch jetzt beobachten wir, wie die digitale Transformation die deutschen Kernindustrien erfasst, den Automobil- und Maschinenbau. Wie sie in ihren Grundfesten erschüttert werden. Damit wird es erstmals tatsächlich gefährlich. Jetzt müssen wir aufpassen, nicht überfahren zu werden. Sonst verlieren wir unsere Kernindustrien.

 

"Tesla hat einen enormen Vorsprung auf einem Gebiet, das Domäne von Mercedes, BMW oder VW sein sollte."

 

Tesla sorgt Sie also mehr als Apple?

 

Zumindest hat Tesla einen enormen technologischen Vorsprung auf einem Gebiet, das eigentlich Domäne von Mercedes, BMW oder Volkswagen sein sollte. Tesla ist nicht nur Marktführer bei einer alternativen Antriebstechnologie, sie lernen auch den Rest unheimlich schnell. Die Karosserie ordentlich zusammenzuschrauben zum Beispiel oder Fragen der passiven und aktiven Fahrzeugsicherheit. Es ist auch nicht so, dass sie all das neu erfinden und lernen müssten. Sie kaufen sich einfach die Ingenieure aus Deutschland dafür ein. Was als Reaktion aus Ingolstadt, Stuttgart oder München kommt, wirkt demgegenüber unheimlich träge. Volkswagen baut immerhin ein eigenes Batteriewerk in Salzgitter, Opel eines in Kaiserslautern – während die anderen sich eher in Schweigen hüllen.

 

Oder mit der Technologie-Offenheit argumentieren. Man dürfe jetzt nicht blind dem Batterie-Hype hinterherlaufen, warnen manche – und die eigenen Stärken so ohne Not preisgeben.

 

Aber die Not ist doch da. Natürlich weiß keiner, was die Zukunft bringt. Aber dass fossile Antriebstechnologien in ihr keine entscheidende Rolle mehr spielen werden, liegt auf der Hand. Der Wettbewerbsdruck durch Tesla & Co ist in dem Zusammenhang übrigens nur ein Aspekt. Hinzu kommt der Zustand von Umwelt und Klima. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, in die alte Richtung zu marschieren. Wer Technologieoffenheit postuliert, kann deshalb eigentlich nicht mehr den Verbrennungsmotor meinen. Es mag ja sein, dass all das Nachdenken und die deutsche Gründlichkeit in den Chefetagen der Automobilkonzerne am Ende zum Ziel führt. Aber viel Zeit bleibt uns nicht mehr.

 

Was heißt Technologieoffenheit für Sie?

 

Elektro, Brennstoffzellen, womöglich weitere alternative Antriebstechnologien. Wahrscheinlich wird es am Ende ein Mix werden aus neuen Technologien und den ebenfalls dringend benötigten sozialen Innovationen, die der Technologie erst ihren Siegeszug ermöglichen werden.

 

Das mit den sozialen Innovationen betonen Sie auch im EFI-Gutachten mehrfach. Was genau meinen Sie damit?

 

Bleiben wir beim Beispiel Mobilität. Das Durchschnittsauto steht 90 Prozent der Zeit herum. Bei allen Umsetzungsproblemen, die es derzeit noch beim autonomen Fahren gibt: Stellen Sie sich vor, die Autos würden selbstständig von Nutzer zu Nutzer zirkulieren. Auf die Weise kämen wir vielleicht mit einem Viertel oder Drittel der heutigen Zahl aus. Wodurch sich plötzlich auch die Frage nach dem Umfang der nötigen Elektrosäulen-Infrastruktur anders – machbarer – stellen würde. Solch ein Szenario beinhaltet viel mehr als die Technologie mit alternativen Antrieben und selbstfahrenden Autos. Die soziale Innovation bestünde darin, dass sich parallel unser Verständnis von Mobilität grundsätzlich wandelt.

 

Wollen die Leute das? Kein eigenes Auto mehr? Der Verzicht auf den sozialen Status, der damit einhergeht?

 

Mir scheint, das ist mehr ein Thema für die ältere Generation. Meiner Tochter etwa ist es total wurscht, ob sie ein eigenes Auto hat oder nicht. Sie nutzt Carsharing wenn sie ein Auto braucht. Als Zeichen der eigenen Individualität und des sozialen Status gibt es heute andere Ausdrucksmöglichkeiten.

 

"Das Ost-West-Denken taugt
in der Förderpolitik nicht mehr."

 

Zu den Schwerpunkten im diesjährigen Gutachten zählt Ostdeutschland. Wobei die Lektüre etwas verwirrt, denn die Kommission kommt selbst zu dem Ergebnis: Der Fokus allein auf Ostdeutschland ist 30 Jahre nach der Wende nicht mehr angemessen.

 

Das eine ist die Analyse. Die haben wir mit Blick auf Ostdeutschland begonnen, um dann festzustellen: Die Grenzziehung, wenn wir über Innovation sprechen, ist heute eigentlich eine andere. Und zwar zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen, egal in welche Himmelsrichtung sie sich in Deutschland bewegen.


Uwe Cantner, 59, ist seit Mai 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An der Universität Jena hat er eine Professur für VWL/Mikroökonomie, seit 2014 ist er Vizepräsident seiner Universität.

 

Die EFI wurde 2006 per Kabinettsbeschluss eingerichtet und legt der Bundesregierung jedes Jahr ein Gutachten zur "Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands" vor. Die weiteren Kommissionsmitglieder sind Irene BertschekHolger BoninChristoph BöhringerCarolin Häussler und Katharina Hölzle Foto: FSU/ A. Günther.


Genauso also, wie die Bundesregierung ihre Förderpolitik ausrichten will.

 

In der Hinsicht geben wir ihr vollkommen Recht. Das Ost-West-Denken taugt nicht mehr.

 

Gleichwohl haben Hochschulratsvorsitzende ostdeutscher Universitäten erst neulich einen flammenden Appell an Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit gerichtet. Die Resultate der Exzellenzstrategie und anderer Wettbewerbe zeigten deutlich, wie stark Ostdeutschlands Hochschulen noch hinterherhinken. Eine Debatte von gestern?

 

Nun komme ich von einer der ostdeutschen Universitäten, die einen Exzellenzcluster einwerben konnte. 


Insofern spreche ich mit einer gewissen Zurückhaltung. Aber ja, mir scheint der Aufruf der Hochschulratsvorsitzenden etwas überzogen zu sein, zu stark auf Ostdeutschland fokussiert. Im Westen gibt es etliche Universitäten mit ähnlichen Problemen, denen ebenfalls die kritische Masse fehlt, eine ausreichend große Zahl herausragender Forscherinnen und Forscher oder auch das nötige Umfeld innovativer Forschungseinrichtungen und Unternehmen.

 

Sie sagen: Die Vorsitzenden hätten etwas überzogen. Dran ist also schon was an der Analyse?

 

Richtig ist: Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg allein haben mehr große Universitäten als die neuen Bundesländer zusammengenommen. In Thüringen zum Beispiel haben wir ein, zwei größere Universitäten und dann etliche Spezialhochschulen, von denen viele gar nicht erst Anträge eingereicht haben. Auch dass die Finanzausstattung der ostdeutschen Hochschulen insgesamt vergleichsweise bescheiden ist, stimmt. Der Hochschulpakt, der den West-Hochschulen bei der Expansion geholfen hat, war im Osten auf Bestandssicherung ausgelegt. Viel Raum zum Experimentieren, zum Entwickeln neuer Strukturen, blieb da nicht. So hingen die Erfolge bei der Exzellenzinitiative stärker am Engagement einzelner Spitzenforscher und am Vorhandensein langfristiger Hochschulstrategien. Wer versucht, zwei Jahre vor der Deadline irgendwie ein Cluster zusammenzuschustern, der muss scheitern.

 

"Die Botschaft lautet: Eine große Chance
für Ostdeutschland, bitte vergeigt sie nicht."

 

Eben haben wir darüber geredet, wie schwer sich die bisher so erfolgreichen Industrien in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen tun mit der großen Transformation. Liegt vielleicht genau darin die große Chance für die strukturschwachen Regionen?

 

In der Tat ist das meine Hoffnung. Wenn Sie als Unternehmen eine bestimmte Technologie sehr erfolgreich fahren, wird es mit dem Verändern sehr, sehr schwer. Der Punkt, an dem sich der Wechsel hin zu neuen Produkten theoretisch lohnen würde, lässt sich berechnen. Doch die Klebeeffekte sind groß: Man kennt sich aus mit dem, was man bisher gemacht hat. Das Neue bedeutet demgegenüber Unsicherheit, man kann auch verlieren. Umgekehrt ist es, wenn Sie von außen kommen, wenn Sie wissen, in die tradierten Technologien brauchen Sie gar nicht erst zu investieren, da drücken die Marktführer Sie sowieso an die Wand. Dann sind Sie nahezu gezwungen, sich etwas Neues auszudenken. Das ist die Chance für Ostdeutschland und für manche strukturschwachen Gebiete. Und sie wird bereits an einigen Stellen genutzt. Schauen Sie sich die Liste der kürzlich im Auftrag des Bundesforschungsministerium ausgewählten Zukunftscluster an. Da war Ostdeutschland überdurchschnittlich erfolgreich – mit klugen Ideen, deren Potenzial wir noch nicht abschätzen können.

 

Mit dem Ergebnis, dass Deutschland die Transformation nicht trotz der heute strukturschwachen Gebiete besteht, sondern ihretwegen?

 

Ich glaube fest daran, dass wir in 20, 30 Jahren im Osten eine wunderbare Industrielandschaft haben werden, geprägt von neuen Technologien. Und manche westdeutsche Region, die heute noch stolz auf die da drüben hinunterschaut, wird froh sein, wenn sie sich auf Augenhöhe wiederfindet. Voraussetzung angesichts der demografischen Entwicklung ist freilich, dass Wanderungsbewegungen aus West nach Ost und aus dem Ausland nach Deutschland nicht nur toleriert, sondern gewollt sind. Manche Leute hören das nicht gern, aber anders wird es nicht klappen. Die Botschaft lautet also: Eine große Chance für Ostdeutschland, bitte vergeigt sie nicht.

 

Wie könnte man es denn sonst noch vergeigen?

 

Nehmen wir als Beispiel noch einmal die Zukunftscluster. Wenn die Politik strukturschwache Regionen unterstützen möchte, ist es richtig, zunächst überwiegend lokal agierende Verbünde zu prämieren. Aber bei der weiteren Förderung muss man darauf achten, dass die Verbünde nicht lokal bleiben, sondern sich flott über die nächste Regionalgrenze und darüber hinaus öffnen. Sonst wird es irgendwann schwer, Partner für die Umsetzung und Vermarktung der Ideen zu finden.

 

Das zweite große Thema im EFI-Bericht ist dieses Jahr die Cybersicherheit. Kurz vor Weihnachten hat zum Beispiel ein großer Hackerangriff die IT-Infrastruktur der Universität Gießen lahmlegt. Waren Deutschlands Firmen und Forschungseinrichtungen bisher zu naiv?

 

Solange sie so einen Hack nicht persönlich erleiden mussten, denken manche womöglich: Das betrifft mich nicht, die Schutz-Software, die ich habe, reicht. Es fehlt an der Sensibilität. Bislang existiert nur für kritische Infrastrukturen und Telekommunikationsdienste eine Meldepflicht. Wir wissen also gar nicht, welchen Unternehmen was widerfährt. Viele trauen sich nicht, Meldung zu machen, weil sie denken, das fiele auf sie zurück und verunsichere Kunden.

 

"Bei der Cybersicherheit darf keine technologische Abhängigkeit von den USA, China oder Israel entstehen." 

 

Was schlagen Sie vor?

 

Auch wenn eine zusätzliche Meldepflicht einen hohen organisatorischen Aufwand mit sich brächte, sollte die Politik sie zumindest in Erwägung ziehen. Mindeststandards und Zertifizierungen insbesondere auf der europäischen Ebene sollten entwickelt werden. Noch wichtiger ist aber, dass das Bewusstsein und die Kenntnisse um Cybersicherheit in Wirtschaft und Wissenschaft wachsen. Dazu brauchen wir ganz sicher mehr Forschung auf diesem Gebiet.

 

Und was ist mit der groß angekündigten Cyberagentur von Bundesinnen- und Verteidigungsministerium?

 

Von der neuen Cyberagentur der Bundesregierung erwarte ich nicht in erster Linie bahnbrechende neue Forschungsansätze, sondern ein Hochfahren des Sicherheitsniveaus in Deutschland auf breiter Front. Auf der Grundlage der bereits bestehenden Technik, zuerst sicherlich für die sicherheitsrelevanten Bereiche, aber auch darüber hinaus. Ziel muss sein, dass hier keine technologische Abhängigkeit von Ländern wie den USA, China oder Israel entsteht. Sonst begeben wir uns irgendwann völlig in deren Hand, weil nur noch sie uns die nötigen Sicherheitstechnologien liefern können.

 

Apropos China. Der Wissens- und Technologieaustausch mit der Volksrepublik steht ebenfalls im Fokus der Kommission. Gibt es auch da gerade ein böses Erwachen?

 

Das hört man immer so. Wir haben versucht, einmal wissenschaftlich zu untersuchen, ob die Vorwürfe zutreffen: dass die Chinesen in Deutschland und anderswo Unternehmen aufkaufen, um das Wissen und die Technologie abzuschöpfen – während das Wohl dieser Unternehmen ihnen ansonsten egal ist. Um es kurz zu machen: Ob Patente, Umsatz, Zahl und Behandlung der Beschäftigten oder die Höhe der F&E-Ausgaben: Nirgendwo lassen sich nach einem Aufkauf negative Effekte messen. Die Unternehmen leiden nicht. Und mal ehrlich: Dass die Chinesen bei Firmen, die sie übernommen haben, auch die Patente mit nach Peking nehmen, kann ich nicht unredlich finden. Das wird von nicht-chinesischen Investoren genauso praktiziert.

 

Die EFI-Botschaft lautet also: Regt euch mal ab?

 

Mit Blick auf die Quantität chinesischer Unternehmenskäufe in Deutschland kann man schon sagen, entspannt euch zumindest ein bisschen. Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in China ist elf Mal so groß wie der Bestand chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland. Wir haben uns für das Gutachten auch den Output des chinesischen Innovationssystems angeschaut. Die Statistiken sind ja immer erstmal furchteinflößend, Geld und Personal sind in riesigen Quantitäten vorhanden. Aber wenn man sich die Qualität der Produkte anschaut, die dabei entstehen, relativiert sich diese vermeintliche Übermacht. Trotzdem müssen wir natürlich vorsichtig sein bei einem Mitspieler, der so riesig ist und scheinbar keine Finanzrestriktionen hat, der im Zweifel die Notenpresse anschmeißen und weltweit alles aufkaufen kann, was ihm technologisch interessant erscheint. Und das auch systematisch tut. Hier liegt das eigentliche Problem chinesischer Unternehmenskäufe: Chinesische Investoren agieren nicht frei, sondern können staatlich gesteuert werden. Der chinesische Staat kann somit Unternehmen in Deutschland und anderen Ländern aufkaufen und auf deren Know-how zugreifen. Die Gefahr ist: Wenn erstmal ein gewisser Schwellenwert überschritten ist, könnte so ein riesiges Land die Patente zurückhalten. Und so andere einfach austrocknen.

 

"Wenn es mit China einen Spieler gibt, der die Regeln für sich umdefiniert, dann müssen die anderen das auch tun."

 

Was folgt daraus?

 

Wir müssen anfangen, Aktionen mit Gegenaktionen zu beantworten. Wenn die Chinesen die deutschen Unternehmen in China stärker kontrollieren, müssen wir das mit den chinesischen in Deutschland machen. Wenn die Chinesen für bestimmte Branchen den Aufkauf einheimischer Unternehmen beschränken, sollten wir ihn ebenfalls beschränken. Das ist alles nicht marktwirtschaftlich, das ist schnöde Industriepolitik. Aber wenn es einen Spieler gibt, der die Spielregeln für sich umdefiniert, dann müssen die anderen das auch tun.

 

Dürften wir das denn überhaupt? Verbietet uns das nicht das EU-Recht?

 

In solchen Fragen haben die Nationalstaaten relativ viel Autonomie. Die Kommission nimmt zu ausländischen Investitionen in den Mitgliedsländern Stellung, aber diese können mit Begründung von etwaigen Empfehlungen abweichen. Ich rede hier übrigens nicht nur von sicherheitsrelevanten Technologien, sondern von allen Unternehmen, die den Kern unserer industriellen Innovationsfähigkeit ausmachen. Und damit von unserer technologischen Souveränität.

 

Bislang haben Sie von der Wirtschaft geredet. Was ist mit dem akademischen Austausch mit China?

 

Das ist auch ein kritischer Bereich. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen sehr naiv nach China. Mit derselben Naivität und Offenheit empfangen sie hierzulande ihre chinesischen Gäste. Sorgen machen sich die wenigsten. Warum auch? Wir sind es doch von der Zusammenarbeit mit Franzosen, Briten oder Amerikanern gewöhnt, dass wir offen über wissenschaftliche Fragen diskutieren und wissenschaftlichen Daten und Ergebnisse teilen können. Woran wir nicht denken: dass viele der chinesischen Wissenschaftler eben nicht unabhängig agieren können wie wir, sondern dass sie gesteuert werden von der chinesischen Zentralregierung.

 

Woran machen Sie das fest?

 

Viele Wissenschaftler, die mit China zusammenarbeiten haben, kennen das: Da kommt eine Delegation, man sitzt sich pari pari gegenüber, doch dann sitzen da noch ein paar Leute mit am Tisch. Die sind die ganze Zeit dabei, gehen abends mit zum Essen, sagen aber nichts, werden auch nur so pro forma vorgestellt.

 

In letzter Zeit gab es verstärkt Kritik an den sogenannten Konfuzius-Instituten, die, obwohl ebenfalls der Pekinger Zentralregierung unterstellt, zum Teil an deutschen Hochschulen angesiedelt sind. Was sagt das über die deutschen Hochschulen aus?

 

Ich möchte allgemeiner antworten. Nach unseren Recherchen ist an amerikanischen Hochschulen die China-Kompetenz ausgeprägter als an deutschen. Auch unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen wissen oft nicht so genau, wie sie sich in Verhandlungen mit chinesischen Partnern verhalten sollen. Deshalb schlagen wir als EFI ein zentrales China-Kompetenz-Center vor, das deutsche Wissenschaftler oder auch KMU berät, wenn sie Kooperationen mit China planen, in der Forschung und in der Lehre.

 

"Es darf mit China keine Zusammenarbeit 

um jeden Preis stattfinden."

 

Mit welchem Ziel?

 

Es geht darum, die nötige kulturelle und politische Sensibilität zu schaffen, über rechtliche Möglichkeiten aufgeklärt zu sein, damit es nicht zu unnötigen Missverständnissen kommt. Wenn ich zum Beispiel ein

Forschungsprojekt zum Gene Sequencing mit einer Universität in Peking plane, was gilt es da zu beachten, rechtlich, von den sozialen Normen her? Und wie gehe ich mit Fragen von Dual Use um? Es geht also auch um die sicherheitsrelevanten Aspekte. Vermutlich fließt am Ende immer noch ungewollt Wissen ab, aber ich bin nicht so unvorbereitet und überlege mir eher, was ich wem erzähle.

 

Muss es rote Linien im Austausch mit China geben?

 

Zumindest darf Zusammenarbeit nicht um jeden Preis stattfinden. Es bedarf klarer Bedingungen für beide Seiten.

 

Und wenn die nicht eingehalten werden?

 

Wenn ich zum Beispiel nach Peking fahre, um meine Kollegen X, Y und Z zu sprechen, und mir wird nur erlaubt, Z zu treffen, dann muss ich sagen: So läuft das nicht.

 

Im Kern arbeiten Sie sich mit Ihrem Gutachten wieder einmal an der Hightech-Strategie der Bundesregierung ab. Wie lautet Ihre Kurz-Zusammenfassung? Passt, aber…?

 

Die Themen sind die richtigen, viele der vorgesehenen Maßnahmen ebenfalls. Die finanzielle Untersetzung könnte großzügiger sein. Das eigentliche Problem ist jedoch ein anderes: Zur Umsetzung bräuchte es Agilität, staatliche wie unternehmerische. Und die fehlt noch.

 

"Ganz sicher nicht richtig ist es, wenn in
den Ministerien Silodenken vorherrscht."

 

Was genau meinen Sie mit "Agilität"?

 

Der Begriff ist schwer greifbar, er meint schnell, aber nicht einfach nur schnell, sondern auch vorausschauend handeln, verschiedene Maßnahmen koordinieren und zum richtigen Zeitpunkt das Richtige tun. Ganz sicher nicht richtig ist es, wenn in den Ministerien Silodenken vorherrscht.

 

Ist es dieses Silodenken, das auch den Start der neuen Agentur für Sprunginnovationen so schwer macht? Zumindest haben Sie sich als Kommission zum wiederholten Male bemüßigt gefühlt, auf deren Unabhängigkeit zu pochen – und auf genug Spielraum für ihren Direktor Rafael Laguna de la Vera.

 

Wenn das politische Ziel lautete, dass da eine Agentur entstehen soll, die möglichst frei agieren kann von politischer Einflussnahme und vom Ressortdenken, dann muss man dem nun auch im praktischen politischen Handeln folgen. Mit der Konsequenz, dass die Politik sich in den Aufsichtsgremien zurückhält, anstatt das letzte Wort zu haben. Und dass die Agentur die volle Finanzhoheit über ihr Budget erhält. Die Freiheit der Agentur bedingt die Unabhängigkeit von Weisungen, aber auch die Unabhängigkeit im Tagesgeschäft.

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Kommentare: 1
  • #1

    Liberaler (Donnerstag, 20 Februar 2020 13:37)

    "Ist es dieses Silodenken, das auch den Start der neuen Agentur für Sprunginnovationen so schwer macht?"

    Durchaus. Aber die Sache liegt komplizierter: Die Agentur hat ein Personalproblem an zentraler Stelle: Laguna ist nur in Teilzeit für die Agentur tätig, weil er parallel sein Unternehmen weiter führt. Auch vom Fähigkeitsprofil ist er der falsche Mann für den Job, denn er hat bisher zwar amerikanische Sprunginnovationen adaptiert, aber nie selbst welche geschaffen und durchgesetzt. Drittens hat er die Standortfindung (Leipzig) unprofessionell betrieben. Vorher war schon das Auswahlverfahren, in dem Launa als Mitglied der Auswahlkommission dann selbst zum Agenturleiter berufen wurde, unterirdisch in seiner Unprofessionalität und Provinzialität. Das alles weckt kein Vertrauen. Große Unabhängigkeit will verdient sein. Einen Freibrief für eine weitere gescheiterte Innovationsoffensive des Bundes darf es nicht geben.