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Eine andere Lernkultur, auch nach der Krise

Kinder und Eltern brauchen jetzt eine Perspektive, wie es in Kita
und Schule weitergeht. Klar ist: Der Unterricht wird lange
anders laufen als vor Corona. Doch in der unvermeidbaren Digitalisierung liegt auch eine besondere Chance. Ein Gastbeitrag
der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken.

Saskia Esken. Foto: Thomas Imo / Photothek.

FAMILIEN MIT KITA- UND SCHULKINDERN sind von den Auswirkungen der Corona-Krise besonders betroffen. Neben den Sorgen um Gesundheit und Zukunft entstehen durch Jobverlust oder Kurzarbeit massive finanzielle Einbußen, auch bei Selbständigen brechen die Umsätze ein. Wer als Eltern Arbeit hat, muss sie – so gut es eben geht – mit der Betreuung der Kleinen und der Begleitung der Schulkinder im Home Schooling zusammenbringen. Eigentlich undenkbar – und dennoch wird es millionenfach geleistet. 

 

Insofern ist es wichtig, dass Eltern jetzt eine Perspektive bekommen, wie es mit Kita und Schule weitergehen könnte, auch wenn wir die genaue Zeitabfolge der Öffnung noch nicht kennen. Die meisten Eltern sind sich längst darüber im Klaren, dass es eine Rückkehr zu Kita und Schule, wie wir sie kennen, noch sehr lange Zeit nicht geben wird. Umso drängender verlangen sie nach einer Vorstellung davon, wie eine eingeschränkte, aber verlässliche Betreuung aussehen könnte, wie gute und gerechte Bildung in Zeiten von Corona gewährleistet werden soll und wie dabei die Gesundheit der Kinder so weit wie irgend möglich geschützt werden kann. 

 

Unterricht in Schichten, an Vor- und
Nachmittagen
und eventuell auch am Samstag

 

Für den Gesundheitsschutz ist es wichtig, dass Kitas und Schulen in klar definierten Kleingruppen arbeiten, die die Anzahl der Kontaktpersonen so gering wie möglich halten. In der Kita sind offene Konzepte deshalb derzeit nicht möglich. Auch in den Schulen sollten die Kleingruppen nur von wenigen unterschiedlichen Lehrkräften unterrichtet werden. Ein solcher Unterricht kann wegen der begrenzten Anzahl vorhandener Räume und Lehrkräfte nur in Schichten organisiert werden. Dafür müssen Vor- und Nachmittage genutzt werden, und auch der Samstag kommt als regelmäßiger Unterrichtstag in Frage.

 

Damit alle genug lernen, muss dieser Schichtunterricht in Kleingruppen durch digitale Lernangebote und –aufträge begleitet werden, die die Schüler*innen von zu Hause aus bearbeiten. Viele Schulen, viele Lehrkräfte haben solche digitalen Formate schon seit langem im Einsatz, andere haben erst in den vergangenen Wochen während der vollständigen Schulschließungen die ersten Gehversuche damit gemacht. 

 

Der Idee des Inverted Classroom, der die gewohnten Rollen von Schulstunde und Hausarbeit umkehrt, den Vortrag als Video nach Hause verlegt und dessen Besprechung mitsamt Übung in die Lerngruppe, kommt jetzt besondere Bedeutung zu. Vorteil des Vortrags per Video: Die Schüler können ihn mehrfach anschauen, unterbrechen, unklare Begriffe nachschauen oder bei einem Mitschüler erfragen. Vorteil des Übens in der Lerngruppe: Die Lehrkräfte können ihre Schüler viel gezielter unterstützen, die Interaktion der Schüler untereinander und mit den Lehrkräften vertieft den Lernerfolg.

 

Gerechte Bildungsteilhabe
in digitalen Zeiten

 

Uns Sozialdemokrat*innen kommt es ganz besonders darauf an, dass alle Kinder, alle Menschen einen gleichen und gerechten Anspruch auf eine zeitgemäße Bildung und auf gute Entwicklungschancen haben. Doch wie sieht es aus mit der gerechten Bildungsteilhabe in digitalen Zeiten?

 

Spätestens jetzt, wenn ein solcher digital gestützter Unterricht die Regel wird, müssen wir dafür sorgen, dass alle Schüler*innen an diesem Unterricht in vollem Umfang teilhaben können. Dazu benötigen die Schüler*innen geeignete Endgeräte, sie brauchen Kompetenzen im Umgang mit Geräten und Formaten. 

 

Viele Eltern sind finanziell nicht in der Lage, ihre Kinder mit geeigneten digitalen Endgeräten auszustatten, nicht zuletzt in Zeiten von Corona, wo die Einkommen unter Druck geraten. Wir haben uns deshalb in der Bundesregierung dafür eingesetzt, ein Ausstattungsprogramm für digitale Endgeräte (Tablets) für bedürftige Schüler*innen mit einem Volumen von 500 Millionen Euro aufzulegen, das jetzt sehr schnell ausgerollt werden muss. Dafür sollten wir den Digitalpakt aufstocken und so eine bereits etablierte Vereinbarung von Bund und Ländern nutzen. 

 

Für jeden Schüler und jede Schülerin, die über kein geeignetes Endgerät verfügt, wird ein Betrag von 150 Euro zur Verfügung gestellt. Die Beschaffung der Geräte sollte möglichst zentral erfolgen, weil auf diesem Weg bessere Konditionen mit den Herstellern und/oder Händlern erreicht werden können. Die Entscheidung über den Bedarf der Schüler*innen ebenso wie die Ausgabe, die Administration und die Wartung der Geräte sollten die Schulträger bzw. die Schulen übernehmen.

 

Auch die Internetprovider könnten
einen Beitrag zum Bildungserfolg leisten

 

Für gleiche Teilhabe ebenso wie für einen digitalen Kompetenzerwerb im Sinne Humboldtscher Weltaneignung muss besonders darauf geachtet werden, dass die Schüler*innen die Geräte im wahrsten Sinne "besitzen", dass sie also auch im Privaten frei darüber verfügen. Die Ausleihe der Geräte muss deshalb dauerhaft erfolgen, und am Ende der Nutzungszeit sollten die Schüler*innen das Gerät für ein geringes Entgelt vollständig erwerben können.

 

Für einen hinreichend schnellen und stabilen Zugang zum Internet müssen wir an die Internetprovider und Mobilfunkanbieter appellieren, für Schüler*innen einen kostengünstigen und mit hinreichend Geschwindigkeit und Datenvolumen ausgestatteten Zugang anzubieten. Sie könnten so einen verantwortungsvollen Beitrag zum Bildungserfolg in Deutschland leisten!

 

Beim guten, souveränen und kompetenten Umgang mit Geräten, mit Lernangeboten und mit der weiten Welt des Wissens benötigen Schüler*innen ebenso Unterstützung, wie die Lehrkräfte auf Orientierung angewiesen sind bei der Auswahl oder Erstellung von digitalen Lernangeboten und –aufträgen. Beiden Seiten helfen dabei Tutorials, Webinare und Erklärvideos – und eine große Portion Geduld miteinander, inklusive der Bereitschaft, voneinander zu lernen. Auch in diesem Sinne liegt in der Digitalisierung eine besondere Chance, die Lehr- und Lernkultur nachhaltig zu verändern.

 

Saskia Esken ist seit Dezember 2019 Bundesvorsitzende der SPD. Die staatlich geprüfte Informatikerin und Softwareentwicklerin war stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirates Baden-Württemberg und ist seit 2013 Mitglied des Bundestages. Dort machte sie sich zunächst als Digitalpolitikerin einen Namen.



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Kommentare: 6
  • #1

    buchhaim (Dienstag, 28 April 2020 12:18)

    Ich sehe hier ein großes, nicht adressiertes Problem: wer soll das leisten? Meine letzte Klasse hatte 33 Schülerinnen und Schüler. Das sind mindestens drei Kleingruppen. Also dreimal so viele Präsenzstunden, dazu auch Unterricht in Fächern, die ich nicht studiert habe. Das bedeutet zusätzlich mehr Vorbereitungszeit. Zusätzlich muss noch Material für den Fernunterricht vorbereitet und korrigiert werden. Auch wenn man das kollaborativ macht, muss es doch auf die eigene Lerngruppe angepasst werden.

    Privat kümmere ich mich um meine eigenen Kinder, die auch ein Recht auf ihre Mutter haben.

    Wie soll das funktionieren?

  • #2

    Elternteil (Dienstag, 28 April 2020 18:52)

    Auch aus Sicht der Eltern: wer soll das leisten? Eltern mit mehreren Schulkindern sollen Ihre Kinder dann in verschiedenen Schichten zur Schule bringen/abholen, den Überblick behalten, wer wann wohin muss, zu Hause zum Üben motivieren und gleichzeitig selbst im Homeoffice verfügbar sein, am besten per Videokonferenz - oder bei der Arbeit präsent? Während die Kinder, die gerade keine Schule haben oder nicht im Kindergarten sind, dann wo betreut werden? Wieder einmal wird komplett ohne die Eltern geplant. Von der Effektivität von all den digitalen Methoden mal abgesehen. Hier verweise ich auf Henning Beck, *Das neue Lernen heißt Verstehen*, der genau erklärt, warum die meisten digitalen Methoden nur alter Wein in neuen Schläuchen sind, so auch der flipped classroom: "hier wird Wissensvermittlung nicht wirklich umgekehrt.... Man bricht zwar chronologisch mit der klassischen Form der Wissensvermittlung, man stellt sie aber nicht inhaltlich auf den Kopf." (S. 218) Immer noch wird erst erklärt und dann geübt - das ist keine neue Methode, egal ob digital oder analog.

  • #3

    Walter (Samstag, 06 Juni 2020 10:36)

    Das geht. Aber nicht von heute auf morgen. Kinder müssen von Anfang an an selbständiges Arbeiten herangeführt werden - Eltern als Hausaufgabenwächter oder -antreiber war schon immer eine Bankrotterklärung von Lehrenden und Schule. Es gibt viel Erfahrung in manchen Schulen mit Wochenplanarbeit, wo die Kinder ihren Plan machen und von Lehrern erfahren, wie man den überwacht und reagiert, wenn er nicht gepasst hat. Eltern sind für andere Aufgaben da: Geborgenheit liefern, Anteil nehmen, aber nicht dirigieren oder der Schule sogar in die Quere gehen, weil sie es seinerzeit anders gemacht haben. Und schon gar nicht zur Schule bringen. Kinder können selber zum Bus und vom Bus in die Klasse! Und auch Schulranzen tragen. Ehrlich. Ausprobieren.

  • #4

    M. Schikora (Mittwoch, 15 Juli 2020 09:53)

    Die Grundidee ist uneingeschränkt zu befürworten. Das Ganze kann aber nur funktionieren unter der Bedingung einer erheblichen Entlastung der ohnehin bereits vor Corona überlasteten Lehrkräfte. Hierzu kann ich als aktiver Pädagoge allen Politikern das Buch ‚Lehrer werden!?‘ von Rainer Löwe empfehlen (ISBN 9783750479739; eBook: 9783751963695). Besser kann man den dringlichen Investitionsbedarf in die angestrebte ‚Bildungsrepublik Deutschland‘ – nicht nur, aber auch in die Digitalisierung – nicht begründen.

  • #5

    Elternteil (Mittwoch, 15 Juli 2020 18:31)

    Wer bei Grundschülern weiterhin Schichtsystem fordert hat die Problematik nicht verstanden.
    Grade hier wurden die Eltern einfach im Stich gelassen.

  • #6

    Angela Lueder (Donnerstag, 16 Juli 2020 22:18)

    Ja, so kann es gehen. Sollte aber nur als Übergang zur Ganztagsschule verstanden werden, denn die Schüler/ innen gehören in die Schule, weil sie die Lehrkräfte jederzeit als Ansprechpartner und die anderen Schülerinnen und Schüler zum Diskurs brauchen.
    Ich war sehr dankbar, dass ich nach einer 1 1/2 -jährigen Fortbildung in einem ersten Schuljahr den Unterricht so organisieren konnte, dass die Kinder individuell und selbständig mit entsprechendem Material lernen konnten. Die fehlende Zeit der Halbtagsschule versuchte ich dadurch zu kompensieren, dass die Kinder am Ende des Vormittags sich selber die Hausaufgaben festlegten, deren Ergebnisse sie dann am nächsten Vormittag in der Runde vorstellten und besprachen.
    Das gelang den Kindern am Besten, die auch Zuhause selbständig arbeiten durften.
    Die Zufriedenheit der Kinder beim Lernen und Darstellen des eigenen Lernprozesses war hoch.
    Die Lernergebnisse am Ende des Schuljahres waren für mich beeindruckend - verglichen mit den 5 oder 6 anderen 1. Schuljahren, die ich schon unterrichtet hatte.
    Natürlich braucht man eine kleine Klasse, aber das ist ja machbar, wenn der politische Wille da ist. Und es braucht Lehrerinnen, die respektvoll ihre Schülerinnen und Schüler begleiten wollen. Aber auch das kann man lernen.