Heute treffen die Kultusminister erneut Kanzlerin Merkel zu einem informellen Schulgipfel. Im Gepäck haben sie ambitionierte Digital-Konzepte, deren Umsetzung Milliarden kosten würde. Doch: Das Geld wäre es wert.
Die Kanzlerin bittet zum Gespräch: Bundeskanzleramt in Berlin. Foto: Pixabay/JensG.
DIESMAL SIND alle Kultusminister eingeladen, und fast alle werden auch dabei sein, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend um 18 Uhr den zweiten inoffiziellen Bund-Länder-Schulgipfel eröffnet.
Das Gremium, das es in keiner Verfassung gibt, hatte sich zum ersten Mal am 14. August getroffen, neben Merkel, SPD-Chefin Saskia Esken und Bundesbildungsministerin Anja Karlcizek (CDU) saß damals jedoch nur eine Abordnung der Kultusministerkonferenz mit am Tisch. Und diese Abordnung erreichte: Beim nächsten Mal dürfen alle Kultusminister kommen.
Weil sie alle spüren: Hier geht etwas. Es kommt etwas in Bewegung jenseits der im Grundgesetz festgeschriebenen Zuständigkeiten, die dem Bund bei Schulfragen nur eine Beobachterrolle zuschreiben. Vor allem Merkels beharrlich-freundliches Nachfragen, frei von jeder Wichtigtuerei, habe sie beeindruckt, berichteten mehrere Kultusminister im Anschluss an das Treffen im August.
Ärger über Doro Bär,
Respekt für Angela Merkel
Weniger erfreut waren die Landesbildungspolitiker zuletzt von Merkels Staatsministerin, der Beauftragten der Bundesregierung für Digitalisierung Dorothee Bär (CSU), und ihren Einlassungen zur Kultushoheit der Länder.
Nachdem eine repräsentative Studie des Digitalverbands Bitkom den Schulen bescheinigt hatte, nur "mangelhaft" auf digitalen Unterricht im Falle erneuter Schulschließungen vorbereitet zu sein, hatte Bär den Bildungsföderalismus mit "16 unterschiedliche(n) Kultusministerien mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und manchmal auch einem unterschiedlichen Verständnis, was dringend notwendig ist", verantwortlich gemacht. Und Bär sagte weiter: "Obwohl wir theoretisch nicht verpflichtet wären, haben wir als Bund eine große moralische Verpflichtung, weil wir uns nicht an unseren Kindern versündigen wollen." Man sehe an Umfragen, "dass alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands den Wunsch haben, dass auch bestimmte Grundparameter in der Bundespolitik festgelegt werden und dass die Entscheidungen dann an den Schulen vor Ort getroffen werden".
Viele Kultusminister haben das als unfreundlichen und noch dazu überheblichen Akt empfunden. Offenbar wolle Bär ihnen jetzt erklären, wie sie ihren Job zu machen hätten. Doch sagen dieselben Kultusminister auch, dass vor dem erneuten Treffen mit Merkel solche Befindlichkeiten zurückstellen wollten – zumal die Bundeskanzlerin selbst solche Töne gerade nicht angeschlagen habe.
Wie geht es weiter mit
Lehrer-Laptops und Schüler-Flatrate?
Der Pragmatismus der Kultusminister hat mehrere Gründe. Die zwei wichtigsten: Sie wollen Klarheit. Und sie wollen Geld.
Klarheit wollen sie, wie es mit den am 14. August verabredeten Digital-Projekten weitergehen soll. So hatten Merkel und Esken den Ländern 500 Millionen Euro für die Ausstattung aller Lehrer mit Laptops versprochen. Doch inzwischen ist klar: Das Geld, das aus dem EU-Wiederaufbaufonds kommen soll, wird dieses Jahr nicht mehr aus Brüssel nach Deutschland fließen, realistisch sei erst das zweite Quartal 2021, heißt es aus der EU-Kommission.
Ende August hatte Anja Karliczek zu Protokoll gegeben, sie könne nicht sagen, wie lange es dauern werde, bis die ersten Geräte angeschafft werden könnten. Sie sprach aber von "einem zeitnahen Verfahren", das "mit Hochdruck" geführt werde. Für die Kultusminister heißt das: Wenn die EU-Gelder erst nächstes Jahr kommen, muss der Bund zwischenfinanzieren. Es sei schlicht nicht vermittelbar, wenn die Anschaffung der Laptops erst nach dem bevorstehenden voraussichtlich heißen Corona-Winter stattfinden könne.
Verwirrung gibt es auch um die im August vereinbarte Bildungs-Flatrate. Für rund zehn Euro im Monat sollen die Telekommunikationskonzerne für alle Schüler einen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen, für die ärmeren Schüler sollen die Kosten übernommen werden. Aber was heißt das genau? Mit ihrem wenig später vorgestellten "Education"-Tarif hatte die Deutsche Telekom hauptsächlich neue Fragen ausgelöst, da er einige der Ankündigungen bereits umsetzte – andere dagegen nicht. Die Länder erwarten jetzt Aufklärung vom Bund, wie genau die gemachten Versprechungen erfüllt werden sollen.
Auch die möglichst schnelle Breitbandanbindung aller Schulen steht wieder auf der Tagesordnung. Und dann sind da drei weitere große Digital-Vorhaben, zu denen die Kultusminister der Bundeskanzlerin konkrete Konzepte auf den Tisch legen wollen, in Rekordtempo erarbeitet von ihren Ministerialbeamten.
1. Deutsches Zentrum für digitale Bildung
Bestehen soll es aus einzelnen, "landesspezifischen" Instituten, die die "phasenübergreifende digital gestützte didaktische Aus- und Fortbildung von tätigen und zukünftigen Lehrkräften" im
Bereich der Digitalisierung organisieren sollen. Diesen Instituten hat die KMK den Arbeitstitel "Digital Experience Labs for Teaching Aspects – DELTA" gegeben.
Das länderübergreifende Zentrum soll die wissenschaftliche Forschung und Unterstützung für die einzelnen Institute koordinieren und zugleich für ihre Vernetzung zuständig sein. "Ein Zentrum mit landesspezifischen Instituten würde der Entwicklung der digitalen Schule einen enormen Schub geben", heißt es in dem Konzeptentwurf. "Dabei gilt es die Zusammenarbeit aller in der Lehrkräftebildung Tätigen zu vernetzen und ihnen den strukturierten und wissenschaftlich begleiteten Austausch zu initiieren und zu verstetigen." Die verschiedenen Phasen und Perspektiven der Lehrkräftebildung müssten so miteinander vernetzt werden, dass Wissenschaftler und Schulpraktiker "in einen gemeinsamen Prozess der Zusammenarbeit kommen und damit zwar ihr professionelles Verständnis erweitern, aber nicht ihren professionellen Hintergrund dauerhaft verlassen müssen - eine systematische Interaktion von Forschung, Praxis und Transfer."
Digitales und digital unterstützter Unterricht würden durch die Verknüpfung zur (fachspezifischen) Didaktik nicht als "Extra" in die Schule getragen, sondern als "Basic". Angehende Lehrer könnten genauso wie langjährige Lehrkräfte neue Konzepte entwickeln und erproben, gegebenenfalls sogar mit Schülern, "ohne Versagensängste im Schulbetrieb haben zu müssen". Studierende und Referendare könnten sich die Teilnahme an Kursen in einem DELTA im Rahmen ihrer Ausbildung anrechnen lassen.
Das Deutsche Zentrum wiederum könne übergreifende, praxisrelevante Forschungsfragen behandeln, etwa zur Lernstandsdiagnostik mithilfe von KI und Data Science – unter Einbindung von Bildungsforschungsinstituten, Fachgesellschaften und außerschulischen Partnern. So könne ein Begleitforschungs- und Evaluationsverfahren durch das Zentrum über alle Institute koordiniert werden.
Ein faszinierender Plan, der wirklich den langersehnten inhaltlich-didaktischen Sprung für die Digitalisierung von Schule und Unterricht bringen könnte – allerdings auch zu einem ordentlichen Preis, wenn in jedem Bundesland ein Standort entstehen soll. Für den Aufbau veranschlagt die KMK einmalig zwischen 320 und 480 Millionen Euro, für den Betrieb weitere 80 bis 160 Millionen – pro Jahr, finanziert über ein gemeinsames Bund-Länder-Vorhaben.
2. Ein Bund- Länder-Förderprogramm für Kooperationsprojekte zur Entwicklung Intelligenter tutorieller Systeme (ITS)
Das KMK-Konzept beschreibt ITS als "Softwarelösungen, die beim selbstständigen Lernen zu Hause intelligentes Feedback geben". "Intelligent" bedeute, "dass die Rückmeldung über ein bloßes richtig/falsch hinausgeht sowie dass die Software z. B. passende Aufgaben vorschlägt". Ähnliche Systeme bieten –zumindest in Ansätzen – bereits Firmen wie Bettermarks an.
Von der Entwicklung neuer ITS erwartet die KMK einen weiteren "enormen Schub" für die digitale Schule und für die Chancengerechtigkeit, weil dann das Feedback beim Distanzlernen nicht mehr von den Kompetenzen der Eltern abhänge. Auch könnten ITS, indem sie bei Diagnose und Korrektur unterstützen, Lehrkräfte zu entlasten und ihnen mehr Kapazitäten für individuelle Förderung zu lassen.
Da ihre Entwicklung so kost- und knowhow-intensiv sei, seien einzelne Länder oder Bildungsverlage nicht in der Lage, ITS für die wichtigsten Fächer und Jahrgangsstufen zu erstellen. Mit einem Bund-Länder-Programm unter Einbindung der Universitäten könne dies gelingen. Kostenpunkt laut Konzept: 500 bis 750 Millionen Euro bei einer Laufzeit von zehn Jahren, verteilt analog zur Qualitätsoffensive Lehrerbildung an alle universitären Standorte mit Informatik und Lehrkräfteausbildung.
3. Programm zur zentralen Entwicklung von Open Educational Resources (OER) für den Unterrichtsgebrauch
Da die Beschaffung von analogem wie digitalem Lehr- und Lernmaterial für die Schulträger mit erheblichem Kosten verbunden sei, würde das Angebot von OER für alle Schulträger eine wesentliche Kostenentlastung bedeuten, schreiben die KMK-Ministerialbeamten. Die gemeinsame OER-Initiative müsse qualitätsgesichert sein, einen gemeinsamen Kern abbilden, "aber regional, lokal und curriculumbasiert angepasst und ergänzt werden können".
Ziel des Projektes sei, für alle Jahrgangsstufen und möglichst alle wesentlichen Fächer der allgemeinbildenden Schulen "ein unmittelbar nutzbares Grundgerüst herzustellen, das dann durch die Eigenleistungen der Länder und Kommunen sowie z. B. auch durch die privaten Schulträger als Anpassung auf ihre speziellen Unterrichtskonzepte ergänzt und spezialisiert werden kann, aber nicht muss".
Die Verbreitung solle über das im Aufbau befindliche länderübergreifende Bildungsportal "sodix" geschehen und zusätzlich über ländereigenen Lernmanagementsysteme.
Ein Riesenvorhaben – und auch wenn die KMK betont, es finde "kein Markteingriff" statt, dürften die Bildungsverlage die Bund-Länder-Pläne äußerst skeptisch beäugen. Nur für die allgemeinbildenden Schulen veranschlagt das erste KMK-Konzept das OER-Programm grob mit 75 bis 250 Millionen Euro.
Auch über die Schutz- und Hygienemaßnahmen in den Schulen will man am Montagabend im Kanzleramt reden – und hoffentlich auch über den gesellschaftlichen Umgang mit Kitas und Schulen in einer zweiten Corona-Welle. Vor allem aber geht es erneut um viel Geld im Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Kultusministern. Das Ermutigende dabei ist: Die KMK-Pläne zeigen einen bildungspolitischen Ehrgeiz, der – bei allen offenen Fragen im Detail – Belohnung verdient. Auch durch den Bundesfinanzminister.
Was Merkel, Esken und die Kultusminister
vor ihrem Treffen sagen
KMK-Präsidentin Stefanie Hubig sagte vor dem Treffen im Kanzleramt, Bund und Länder würden am Montag "in der besonderen Situation der Corona-Pandemie ihre gemeinsame Verantwortung für die Weiterentwicklung der Digitalisierung unserer Schulen wahrnehmen". Aus Sicht der Länder stelle sich "die Herausforderung, aber auch die Chance", die Bildungseinrichtungen nicht nur für die Krise zu stärken und zu ertüchtigen, sondern auch für die Zeit nach der Krise, "auf mittlere Sicht", sagt Hubig, die zugleich SPD-Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz ist, laut einer KMK-Pressemitteilung.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-Kultusminister koordiniert, betonte, um der Bildungsgerechtigkeit willen sei es besonders wichtig, Schüler aus bildungsbenachteiligten Haushalten gezielt zu fördern. "Die Corona-Krise hat uns verdeutlicht, dass alle Schülerinnen und Schüler über gleiche Zugangsvoraussetzungen in digitalen Lernumgebungen verfügen müssen." Womit Rabe auf das 550 Millionen Euro schwere Schüler-Endgeräte-Sofortprogramm anspielt, das Bund und Länder als Ergänzung zum Digitalpakt Schule vereinbart haben und dessen Gelder schon fast vollständig von den Schulen beantragt sind.
Rabes Pendant auf CDU-Seite, Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann sagte, Bund und Länder verfolgten "intensiv das Ziel, die digitale Bildungsinfrastruktur in den kommenden
Jahren auf ein auch im internationalen Vergleich hohes Niveau zu bringen und den Schülerinnen und Schüler den Zugang zu einer digitalen Lernumgebung zu ermöglichen."
Erst am 14. September hatte die KMK das Medienportal MUNDO freigeschaltet, das Unterrichtsmaterialien kostenfrei zur Verfügung stellt – qualitätsgeprüft unter Beachtung aller geltenden Lizenzen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in ihrem Video-Podcast, während der Schulschließungen sei deutlich geworden, wie wichtig das Lernen mit digitalen Medien. Merkel sprach von einer "hohen Dynamik". Es habe sich aber auch gezeigt, "was alles noch nicht funktioniert." Darum müsse die Digitalisierung mit Hochdruck vorangetrieben werde. Die Zuständigkeit für Bildung liege richtigerweise bei den Ländern. "In diesen außergewöhnlichen Zeiten geht es jetzt aber darum, dass Kinder und Jugendliche nicht die Verlierer der Pandemie sind." Dies sei ihr auch persönlich ein Anliegen.
SPD-Chefin Saskia Esken schlug derweil kostenlose Nachhilfe für bildungsbenachteiligte Schüler vor, finanziert aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. "Warum eröffnen wir den Schülerinnen und Schülern nicht ein Abonnement auf einer qualitätsgeprüften Nachhilfeplattform, anstelle der Kosten für das Schullandheim, das in diesem Schuljahr ohnehin ausfallen dürfte?", sagte Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Kommentar schreiben