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Schulen und Corona: Was die Länder jetzt vorhaben

Erstmals schließen die Kultusminister auch Hybrid-Unterricht
für ältere Schüler nicht mehr aus. Derweil läuft die Debatte über Schnelltests, Dunkelziffern und die Rolle von Schulen in der Pandemie auf Hochtouren.

Foto: Marc Thele / Pixabay.

MORGEN SIND DIE Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Corona-Spitzengespräch verabredet. Als relativ gesichert gilt, dass danach die Schulen weiter offenbleiben. 

 

Im Entwurf der Beschlussvorlage, mit der die Länder in die Vorgespräche mit dem Bund gehen wollen, ist vorgesehen, dass grundsätzlich von Klasse sieben an eine Maskenpflicht auch im Unterricht gelten soll – wenn in der betreffenden Region zuvor sieben Tage lang deutlich mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner festgestellt wurden. 

 

Auch weitergehende Maßnahmen schließen die Länder für "besondere Infektionshotspots" nicht aus, womit vor allem Teilschließungen mit Hybridunterricht gemeint sind – allerdings nur an weiterführenden Schulen, zunächst nur ab Klasse elf und nur dann, wenn die Lage sich nicht verbessert, langsam absteigend. Abschlussklassen (etwa der Abiturjahrgang) sollen davon ausgenommen sein. Umstritten ist unter den unions- und SPD-regierten Ländern offenbar noch, ob die Weihnachtsferien etwas früher beginnen sollten*.

 

Insgesamt aber wollen sich die Ministerpräsidenten offenbar überwiegend an die Vorschläge halten, die ihre Kultusminister ihnen vorgelegt hatten. Ohne konkrete Schwellenwerte zu nennen, zählte die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrem Beschluss vom vergangenen Freitag "zusätzliche Maßnahmen der Länder zur Verstärkung der Infektionsabwehr von Schulen in Hotspots" auf. 

 

"Rollierender Präsenzunterricht", also ein Hybrid aus Unterricht in der Schule und Lernen zu Hause, könne in verkleinerten Lerngruppen ab Jahrgangsstufe elf erfolgen und im zweiten Schritt auf Klassenstufen der Sekunderstufe I der betroffenen Schule erweitert werden, schlug die KMK vor – mit der erwähnten Ausnahme für Abschlussklassen. Bis einschließlich Klasse 6 soll nach dem Willen der Kultusminister grundsätzlich Präsenzunterricht stattfinden. 

 

Darüber hinaus könne der Unterrichtsbeginn gestaffelt werden, um die Infektionsgefahr im öffentlichen Nahverkehr zu reduzieren. Die KMK bittet die Kommunen, zusätzlich die Kapazitäten des speziellen Schülertransports auszuweiten, Schülerfahrten und der internationale Austausch sollen weiter ausgesetzt werden.

 

An von Infektionen betroffenen Schulen sollten "vermehrte, zeitnahe Testungen" durchgeführt werden, haben die Kultusminister außerdem beschlossen – was gut zu dem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) passt, Schnelltests an den Schulen einzusetzen und bei Auftreten eines Infektionsfalls umgehend die betroffene Klasse in die häusliche Quarantäne zu schicken. Bisher ist das teilweise nicht oder nur bei den unmittelbaren Sitznachbarn von Infizierten der Fall. "Nach negativen Schnelltests am fünften Tag könnten die Schülerinnen und Schüler wieder in die Schule zurückkehren", sagte Spahn laut dpa.

 

Elterninitiativen fordern noch weitergehende Schritte. Ein gut durchdachtes Testkonzept mit Antigen-Schnelltests könne, zusätzlich zu den organisatorischen Hygienemaßnahmen, eine hohe Sicherheit für Schulen und Kitas bieten und einen zuverlässigen Präsenzunterricht und frühkindliche Bildung unter Pandemiebedingungen ermöglichen, heißt es in einer Stellungnahme von "Familien in der Krise", "Kinder brauchen Kinder" und "RapidTests.de". Wissenschaftliche Studien legten nahe, dass regelmäßige proaktive Testungen maßgeblich zur Reduktion von Viruseintragungen in Schulen und zur Unterbrechung von Infektionsketten beitragen könnten. 

 

Die KMK beschloss unterdessen zu prüfen, wie ein Testsystem in allen Ländern umgesetzt werden könne, das neben dem schnellen Eingreifen beim Auftreten von Infektionen auch wissenschaftliche Erkenntnisse (im Rahmen der sogenannten B-Fast-Studie) generieren könne. 

 

Derweil setzt sich die Debatte um die Rolle von Schulen in der Pandemie fort. Während die KMK in ihrem Beschluss erneut betonte, dass Schulen "in der Regel" keine Hotspots seien, wurden weitere Masseninfektionen an Schulen bekannt. In einer Grundschule in Sachsen wurden vergangene Woche nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung nach einem Massentest 63 Infektionen bei Schülern und Lehrkräften festgestellt. In einer Hamburger Stadtteilschule registrierte das Gesundheitsam sogar fast 100 Infektionen. 

 

Die offiziellen RKI-Zahlen zu den Neuinfektionen unter Kindern und Jugendlichen zeigen demgegenüber ein uneinheitliches Bild mit einem starken Rückgang bei den 15- bis 19-Jährigen – wobei diese Zahlen aufgrund der geänderten bundesweiten Teststrategie zurückhaltend interpretiert werden sollten. 

 

Unterdessen verursachte eine Anfang der Woche vorgestellte Studie unter Beteiligung von 105 der bundesweit 245 Kinderkliniken Debatten. Die Ergebnisse von 116.000 Kindern und Jugendlichen, die im vergangenen halben Jahr bis zum Stichtag 18. November in diesen Kliniken stationär aufgenommen und auf Corona getestet worden waren, flossen in die Auswertung ein. Demnach waren zum Zeitpunkt der Tests im Schnitt 0,53 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit dem Coronavirus infiziert. Einen Unterschied in der Positivrate von Kindern über 12 Jahre und jüngeren fanden die Kliniken nicht. Die Positivrate stieg seit September von 0,23 auf 1,4 Prozent.

 

Die Süddeutsche Zeitung zitierte Peter Walger vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene mit dem Satz, das Ergebnis sei "ein ganz dicker Stein im Mosaik: Es gibt keine relevante Untertestung bei Kindern, die uns jetzt noch irgendwelche Geheimnisse offenbart". Also keine hohe Dunkelziffer?

 

Allerdings blieb unklar, auf welche offizielle Vergleichszahl sich diese Aussage bezog. Das RKI etwa gab für die vergangenen zwei Wochen eine kumulierte Infektionsinzidenz von über 300 pro 100.000 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren an, das entspräche gut 0,3 Prozent dieser Altersgruppe und damit weniger als einem Viertel der von den Klinika erfassten Fälle. 

 

Seit langem wird darüber diskutiert, ob die Dunkelziffer bei Kindern und Jugendlichen höher liegt als bei Erwachsenen. Das Problem ist, dass es auch zur Dunkelziffer-Rate unter Erwachsenen keine umfassenden Erkenntnisse gibt. Laut einer groß angelegten Antikörperstudie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität hatten sich bis Juni mehr als viermal so viele erwachsene Münchner infiziert wie offiziell erfasst. Forscher des Helmholtz-Zentrums München wiederum kamen zu dem Ergebnis, dass sich in Bayern fast sechsmal so viele Kinder und Jugendliche mit dem Virus angesteckt hatten wie von den Behörden registriert.  

 

"Wesentlich ist wirklich zu betonen, dass Kinder und Jugendliche am Infektionsgeschehen teilnehmen", twitterte Matthias Keller, der Ärztliche Direktor der Kinderklinik Dritter Orden in Passau. "Ihre Infektionsraten steigen parallel zur Allgemeinbevölkerung." Umstritten sei gewesen, ob es darüber hinaus eine hohe Dunkelziffer gebe und ob der Ort der Infektion die Schule oder das außerfamiläre Umfeld sei. "Die Daten der deutschen Kinderkliniken zeigen, dass in großem Umfang Kinder gescreent werden und dass deshalb eine hohe Dunkelziffer unwahrscheinlich ist. Über den Ansteckungsweg gibt es keine große Aussage." Allerdings betonte Keller auch, bei insgesamt 612 erfassten positiven Fällen habe es nur bei acht Kindern und Jugendlichen "Hinweise auf Infektion in der Schule" gegeben. Für Keller gilt: Die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung müsse runter, "dann sinkt auch die Rate in den Schulen."

 

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schrieb zur Studie, schon die aktuell bei 1,3 Prozent liegende Prävelenz positiver PCR-Tests sei hoch. "Wahrscheinlich ist sie höher, da Kinder mit Krankheit oft vorher schon nicht in der Schule waren. Aber auch so: in jeder 3. Schulklasse etwa ein Kind positiv." Lauterbach betonte: "Besser Unterricht mit Maske, geteilte Klassen, 5 Tage Klassenquarantäne und Testung als im Blindflug die baldige Schließung ganzer Schulen zu riskieren." Die Gesundheit der Kinder, Eltern und Lehrer verlange "vollen Einsatz auch der Homeschooling Möglichkeiten".

 

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Heinz-Peter Meidinger kritisierte vor dem Treffen der Regierungschefs "das Fehlen klarer Richtlinien für den Umgang von Schulen mit der Pandemie bei steigenden Infektionszahlen". Schulen könnten sich von stark gestiegenen Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung nicht abkoppeln. "Wir müssen die Balance zwischen Bildungsauftrag und Gesundheitsschutz neu finden." Notwendig sei nach Auffassung des DL bei fehlender Abstandswahrung eine bundesweite Maskenpflicht auch im Unterricht zumindest an weiterführenden Schulen sowie eine Wiedereinführung des Abstandsgebots an Schulen in Hotspot-Gebieten. Dafür müssten die Bundesländer Hygienestufenpläne in Kraft setzen, "die klar regeln, ab welchen Inzidenzzahlen in einer Region Handlungsbedarf besteht, also zum Beispiel der Mindestabstand im Unterricht wieder eingeführt werden muss."

 

Genau solche exakten Inzidenzzahlen wollen die Kultusminister indes vermeiden. Dafür versprachen sie in ihrem Beschluss vom vergangenen Freitag eine "Verbesserung der Datengrundlage". Die KMK werde künftig regelmäßig und zunächst wöchentlich die Daten aller Länder zu Neuinfektionen und Quarantänefällen zusammenstellen. Auch wolle man die bereits von den Ländern erhobenen Daten zum Pandemiegeschehen auswerten lassen. Die Kultusminister haben zudem eine Metastudie zur Auswertung der Vielzahl der vorhandenen Studien zu Schule, Schülern, Lehrkräften und sonstigem Personal an Schulen in Auftrag gegeben, darüber hinaus eine Studie, die die Infektionsrisiken an Schulen im Vergleich zu den Risiken in anderen Lebensbereichen "präzise analysieren" soll. Beauftragen will die KMK Forscher um Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und um Jörg Dotsch von der Kinderklinik der Uniklinik Köln.

 

Klingt gut. Allerdings: Die wöchentlich angestrebten Zahlen hat die KMK zum bisher ersten und letzten Mal zum Stichtag 12. November geliefert – also vor fast zwei Wochen. Doch, so war aus Kreisen der Kultusministerkonferenz zu hören, soll es bald offizielle neue Statistiken geben – und dann wirklich jede Woche. Die neuen Zahlen gibt es bereits, und sie sind inoffiziell bereits durchgesickert. Demnach waren am 20. November 118 Schulen deutschlandweit komplett geschlossen, zwölf mehr als vor einer Woche. 20.158 Schüler waren nachweislich infiziert – etwa zehn Prozent mehr als in der Vorwoche. Einen Rückgang gab es offenbar bei den Lehrkräften: Am 12. November wurden 3798 aktuelle Infektionen gezählt, am 20. November 3168.

 

*Aktualisierung am 24. November abends, 20 Uhr

In einer aktualisierten Fassung der Beschlussvorlage der Länder für morgen steht der Vorschlag, die Ferien bundesweit auf den 16. Dezember vorzuziehen. Die Vorlage sei nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa bereits mit Kanzleramtschef Helge Braun abgesprochen, berichtet Spiegel Online. Zuvor hatten mehrere Bundesländer mit Unions-Regierungsbeteiligung bereits eigenständig ein Vorziehen des Ferienbeginns angekündigt. Der Verein "Familie in der Krise" hatte bereits am Vormittag getwittert: "In Bayern werden die Weihnachtsferien früher beginnen. Zeitgleich mit dieser Ankündigung erklärte  (Kultusminister) Michael Piazolo, dass die Erfahrung der vergangenen Monate zeige, dass nicht so sehr der Schulbesuch, sondern eher die Ferienzeiten zu zahlreichen Infektionen beigetragen hätten." 

 

*Aktualisierung am 24. November abends, 20.45

Ein Hin und Her: Jetzt berichtet der Tagesspiegel, die Vorschläge für einen vorgezogenen Ferienbeginn am 16. Dezember seien "nicht geeint mit den Bundesländern", stattdessen habe man sich auf den 19. Dezember als bundesweiten Weihnachtsferienbeginn geeinigt, "um vor dem Weihnachtsfest mit vielen Kontakten die Infektionsrisiken durch Schüler zu reduzieren". Eine interessante Formulierung im Übrigen, weil sie einmal mehr einseitig Kinder und Jugendliche als besonders ansteckend darstellt. Ob die Infektionsrisiken für Schüler in den Ferien signifikant niedriger sind, ist darüber hinaus weiter fraglich



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