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Wie geht es nach dem 10. Januar an den Schulen weiter?

Viele Länder vermeiden die Beantwortung dieser Frage noch.
Dabei stellen Schulen und Eltern sie sich schon jetzt. Ein Plan aus Niedersachsen gibt Anhaltspunkte.

SICHERLICH LÄSST SICH viel auch gegen das Corona-Krisenmanagement von Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) vorbringen. Wie alle seine Kollegen bundesweit wurde auch er von Lehrer- und Elternverbänden dafür gescholten, dass er trotz steigender Corona-Zahlen die Schulen im Land unbedingt im vollen Präsenzbetrieb halten wollte – ohne Abstandsregel, ohne Gruppenteilungen. Allerdings gab es auch nicht wenige Lehrer, viele Eltern und noch mehr Bildungsforscher, die die Entschlossenheit der Kultusminister richtig fanden – weil sie sich um die Bildungs- und Teilhaberechte vor allem sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher sorgten. Oder aber weil sie die während der Frühjahrs-Schließungen erfahrenen großen beruflichen Nachteil für Eltern und insbesondere für Mütter nicht noch einmal erleben wollten.

 

Der Streit der vergangenen Wochen war heftig, doch gehörte gerade Tonne zu den Bildungspolitikern, die von ihren Finanzministern zumindest ein zusätzliches Corona-Schutzpaket für die Schulen loseisen konnten: 25 Millionen Euro für rund 5000 pädagogische Hilfskräfte und 20 Millionen für zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Plexiglasschutzwände, FFP2-Masken für Lehrkräfte oder auch ("besonderen in Ausnahmefällen") für Luftfilteranlagen. Doch auch hier folgten wie immer in der Corona-Krise gleich mehre Abers: Die Ankündigung kam erst im November und damit viel zu spät, vor allem bei den Schutzmaßnahmen war das Paket zu schmal – und dann meldete sich auch noch der Gesamtpersonalrat der Landesschulbehörde zu Wort und bezeichnete die Maßnahmen so kurzfristig als nicht umsetzbar. 

 

Weil die Vorschläge der Fachminister fehlten, wurden die
Bund-Länder-Beschlüsse schwammig und widersprüchlich

 

Vergangene Woche dann die Dezember-Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK), in der Tonne und seine Kollegen beschlossen, dass sie nichts beschlossen zu den bevorstehenden Schulschließungen. Dabei wäre das die Gelegenheit gewesen, durch eigene Vorschläge den spürbaren Drang ihrer Regierungschefs zu kanalisieren. Den Drang, mit dem harten Lockdown auch die Schulen in die Präsenz-Pause zu schicken. Das hätten die Kanzlerin und Ministerpräsidenten am Sonntag so oder so getan – aber wie sie es taten, weil ihnen klare und abgestimmte Vorschläge der Fachminister fehlten, war derart schwammig und zum Teil widersprüchlich formuliert, dass das Kommunikationschaos bei der Umsetzung bis heute anhält. Und dass jedes Landes  bei der Schließung und/oder Betriebseinschränkung von Kitas und Schulen ein wenig anders macht.

 

Die Unsicherheit für die Lehrkräfte, für die Schüler und Eltern ist jedoch nicht nur groß, was die paar Tage bis zu den regulären Weihnachtsferien angeht, die lassen sich noch überbrücken, und mancherorts scheint das Distanzlernen dank des Engagements vieler Schulen besser angelaufen zu sein als befürchtet. Die viel entscheidendere Frage, die sich alle stellen, lautet: Was ist nach dem 10. Januar – dann, wenn die jetzt beschlossenen Schließungen offiziell auslaufen, obwohl schon heute keiner damit rechnet, dass dann die bundesweiten Neuinfektionen derart gesunken sein werden, dass der Lockdown vorbei ist?

 

Auch hier haben die Kultusminister vergangene Woche ärgerlicherweise versäumt, ihren Chefs Vorschläge vorzulegen, wie es im Januar und Februar weitergehen kann. Sie hätten es natürlich tun können, ja tun müssen – auch auf die Gefahr hin, dass die Realität sie an der einen oder anderen Stelle überholt hätte. Doch sie trauten sich nicht – wohl aus Angst vor dem Gesichtsverlust, wenn die Ministerpräsidenten ihre Pläne verwerfen. Doch jetzt stehen die Kultusminister vollkommen planlos da und laufen, solange sie keine eigenen Pläne kommunizieren, in die nächste Chaos-Runde Anfang Januar hinein. Nein, nicht nur sie. Die Schulen, die von den Entscheidungen der Ministerien abhängen, gleich mit. 

 

Das größte Plus an Tonnes Plan ist,
dass es ihn überhaupt schon gibt

 

Womit ich wieder bei Grant Hendrik Tonne angekommen bin. Der hat nämlich gestern doch bereits einen Plan für die Zeit ab 11. Januar vorgelegt, der mehr bedeutet als ein einfaches – und nicht sehr realistisches – "Dann geht alles weiter wie vor dem Lockdown". Tonnes Plan soll bis Ende Januar gelten und sieht vor, dass alle Schüler ab Klasse fünf in geteilten Klassen und im Wechsel zwischen Schule und zu Hause unterrichtet werden. Die Klassen 1 bis 4 sollen dagegen im täglichen Präsenzbetrieb erscheinen – mit Maskenpflicht im Unterricht. Und die Grundschulen müssen sofort in den Wechselunterricht switchen, wenn das zuständige Gesundheitsamt auch nur eine Klasse in Quarantäne schicken muss – unabhängig von der Inzidenz vor Ort. Der Abiturjahrgang soll geschlossen in Präsenz unterrichtet werden, auch hier mit Maskenpflicht im Unterricht. Hier verweist das Ministerium auf die "vielfach kleineren Kurse". 

 

Tonnes Plan ist in mehrfacher Hinsicht beispielhaft. Erstens und am wichtigsten: Weil er überhaupt schon einen vorgelegt hat, der sich auf ein für Januar erwartbares Pandemie-Szenario bezieht. Damit bietet er den Schulen wichtige Anhaltspunkte, worauf sie sich vorzubereiten haben. Und auch die Eltern erhalten ein Stückweit Orientierung. Nein, keine Planungssicherheit, aber die kann es zurzeit nicht geben. Aber immerhin das Signal, dass der Kultusminister nicht einfach zuwartet, was sein und die anderen Regierungschefs Anfang Januar entscheiden. Sondern dass er diese Entscheidung durch seine Vorschläge ein Stückweit mitprägt. Und dass so die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es so oder ähnlich auch kommen wird.

 

Zweitens: Er differenziert zwischen den Altersstufen. Tonnes Plan erkennt an, dass jüngere Schüler mehr Betreuung und Anleitung benötigen als ältere. Das war im Frühjahr, bei den ersten Schulschließungen, noch anders, und als seit Ende April geöffnet wurde und zuerst die oberen Klassen zurückkehren durften, sogar  andersherum. 

 

Drittens:  Die Vorschläge sind konsequent. Indem Tonne den Präsenzbetrieb an den Grundschulen im Januar unter einen starken Vorbehalt stellen will, erhöht er die Wahrscheinlichkeit, dass es auch so kommen wird. Dass sein Plan wegen der absehbaren Fortsetzung des sonstigen Lockdowns nicht automatisch kassiert wird. 

 

Natürlich wäre es besser gewesen, wenn Tonne und seine Kollegen bereits vergangene Woche in der KMK ein ähnliches Konzept beschlossen hätten. Als gemeinsamer Beschluss hätte es mehr Wumms gehabt und, siehe oben, womöglich schon beim Einstieg in den Lockdown die Entscheidungen der Regierungschefs kanalisieren und damit das aktuelle Chaos mindern können. Jetzt aber sollten Tonnes Kultusminister-Kollegen sich ein Beispiel an den niedersächsischen Plänen nehmen und Vergleichbares auf den Tisch legen. Zumindest überhaupt mal überall etwas auf den Tisch legen. Natürlich: In Niedersachsen sind die Corona-Zahlen niedriger als in vielen anderen Bundesländern. Das macht es einfacher. Aber als Entschuldigung für eine weitere Planlosigkeit taugt das nicht.



Was dieses Mal besser läuft

 

Es ist nicht leicht, an den aktuellen Schul- und Kitaschließungen und vor allem an ihrer chaotischen Umsetzung Positives zu finden. Selbst Ministerpräsidenten kamen anfangs durcheinander, was jetzt wie gilt. Schulen mussten wegen fehlender oder fehlerhafter Kommunikation durch die zuständigen Behörden bis zu dreimal neue Mitteilungen an die Eltern herausgeben, bis halbwegs klar war, wie es zumindest in dieser Woche weitergeht. Da, wo freiwilliger Präsenzbetrieb und Distanzlernen gleichzeitig laufen sollen, wird am Ende beides kaum funktionieren. Nicht einmal mehr Infektionsschutz bietet die Umsetzung der Beschlüsse, wenn jetzt vielerorts Gruppen zusammengelegt werden. Weil noch dazu der Druck auf Eltern, ihre Kinder ab sofort zu Hause zu lassen, schon am Montag oft schon so groß war, dass ihnen Knall auf Fall nur das Einspannen der Großeltern als Alternative übrigblieb. Überhaupt dass viele Entscheidungen auf die Eltern und ihr "Gewissen" abgewälzt wurden, geht gar nicht. 

 

Schuld haben die  vielen Kultusministerien, die sich vergangene Woche ohne Plan in die absehbaren Schließungen hineingewartet haben.

 

Und doch, es gibt Hoffnungsschimmer: Die Kitas bleiben in vielen Bundesländern offen, und nicht überall ist es ein Pseudo-Offensein, das nur dadurch bedingt ist, dass man die Notbetreuungs-Regeln nicht so schnell scharfgestellt bekommt. Es gibt Bundesländer, die ganz bewusst ein Signal senden: Die Kleinsten dürfen im Lockdown weiter teilhaben. Natürlich vor allem, aber nicht nur um der Entlastung der Eltern willen. Zu diesem Signal gehören auch Ankündigungen wie die Grant Hendrik Tonnes, als erstes die Grundschulen wieder in den Präsenzbetrieb lassen zu wollen. Und auch das Versprechen unter anderem von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), dass die Kitas und Schulen zuletzt in den Lockdown gegangen seien und als erstes wieder herauskommen sollen, ist ein wenig skurril, weil die Bildungseinrichtungen ja nachweislich nicht die letzten im Lockdown waren. Aber doch ist jedes öffentliche Commitment hochrangiger Politiker für Kitas und Schulen derzeit wichtig. Und in der Zusammenschau zeigt sich: Dieses Land scheint doch etwas aus dem Frühjahr gelernt zu haben.

 

Und auch wenn die Digitaltechnik an vielen Schulen auf sich warten lässt, auch wenn sich zehn durch die Politik verpennte Jahre und eine noch länger anhaltende Unterfinanzierung des Bildungssystems nicht in zehn Monaten Bund-Länder-Digital-Offensive wiedergutmachen lassen, so steigen die Schulen, so scheint es, mancherorts doch besser in die neue Phase des Distanzlernens ein als befürchtet. Weil sie sich trotz allem vorbereitet haben. Anderswo – etwa in Bayern – scheint es dagegen maximal schlecht anzulaufen. Außerdem droht bundesweit die Kluft zwischen den unterschiedlich gut ausgestatteten Schulen und zwischen sozial besser und schlechter gestellten Schülern  sogar noch größer zu werden. 

 

Es ist nicht alles schlecht in der Woche der Schulschließungen. Allerdings bleibt es ein eher schwacher Trost.

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Kommentare: 2
  • #1

    Working Mum (Mittwoch, 16 Dezember 2020 13:23)

    Die Sache mit dem "Gewissen" ist sogar noch perfider. Für Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundes gibt es nämlich eigentlich Sonderurlaub bei Betreuungsproblemen aufgrund von Corona. Bedingung für die Inanspruchnahme ist aber, dass die Betreuungseinrichtungen tatsächlich geschlossen sind. Das sind sie in der derzeitigen Situation nicht und mir ist keine Regelung des BMI bekannt, nach der der Sonderurlaub in der gegenwärtigen Lage in Anspruch genommen werden könnte.

  • #2

    Lehrerin A. Konter (Freitag, 18 Dezember 2020)

    Äußerungen von Herrn Lauterbach gestern in Illners Runde verstand ich so, dass es nun belastbare Studien gibt, die das Mantra SchülerInnen seien keine Treiber der Pandemie, aushebeln.