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Das sieht gut aus

Damit hat keiner gerechnet: Trotz Corona-Krise steigt die Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland offenbar auf Rekordhöhe, berichtet der DAAD. Wie lässt sich das erklären?

TROTZ CORONA-KRISE, verschärften Einreiseregeln und Digitalstudium haben sich zum Wintersemester kaum weniger internationale Studienanfänger an deutschen Hochschulen neu eingeschrieben als ein Jahr davor. Und insgesamt stieg die Zahl der aus dem Ausland stammenden Studierenden sogar auf ein neues Allzeithoch. Das hat eine Hochrechnung ergeben, die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) gestern auf der Basis der Rückmeldungen von 161 Hochschulen veröffentlicht hat. 

 

Als "internationale Studierende" bezeichnet der DAAD Studierende mit ausländischer Staatsbürgerschaft und einer Hochschulzugangsberechtigung aus dem Ausland. Von ihnen dürfte es demnach aktuell rund 330.000 an deutschen Hochschulen geben – 11.000 oder drei Prozent mehr als Ende 2019. Gleichzeitig immatrikulierten sich rund 78.000 internationale Studierende erstmals in Deutschland – lediglich ein Prozent weniger als vor einem Jahr, wobei es gravierende Verschiebungen innerhalb dieser Gruppe gab. 

 

So berichteten die Hochschulen an den DAAD, dass die Zahl der neuen Gast- und Austauschstudierenden um mehr als die Hälfte (12.000 bzw. 54 Prozent) eingebrochen sei – während jetzt knapp 10.000 ausländische Studienanfänger mehr als 2019 einen regulären Abschluss in Deutschland anstrebten (+17 Prozent).

 

Gaststudierende schieben ihre Pläne auf, Regelstudierende
zieht es derweil verstärkt nach Deutschland

 

Ob und wie genau beide Entwicklungen zusammenhängen, ist laut Jan Kercher, DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken, Spekulation. Er vermutet allerdings: eher nicht. "Austauschaufenthalte lassen sich verschieben, und viele internationale Studierende scheinen genau das im Angesicht der Pandemie getan zu haben", sagt Kercher. Woraus sich in den nächsten Jahren ein Nachholeffekt ergeben könne. "Demgegenüber scheint Deutschland bei Studierenden, die dauerhaft im Ausland studieren wollen, deutlich an Attraktivität gewonnen zu haben, gerade auch im Vergleich zu Ländern wie den USA."

 

Kercher verweist auf eine Umfrage unter international mobilen Studierenden weltweit, demzufolge die Vereinigten Staaten derzeit als deutlich weniger sicher und weniger weltoffen gelten als andere englischsprachige Staaten – und noch dazu für ihre Corona-Politik extrem schlechte Bewertungen erhalten. Deutschland wiederum schneidet in einer Befragung des Ranking-Anbieters QS sehr positiv ab – auch weil es unter den wichtigsten Gastländern für internationale Studierende die niedrigsten Studien- und Lebenshaltungskosten habe – was laut Kercher nach der Corona-Krise vermutlich ein noch entscheidender Faktor sein werde als vorher.

 

Und wie kann es sein, dass zwar (trotz allem) etwas weniger internationale Studienanfänger kommen, gleichzeitig aber die Zahl der internationalen Studierenden insgesamt so deutlich steigt? Die Vermutung des DAAD: Wahrscheinlich sind mehr internationale Studierende als in den Vorjahren hiergeblieben, um ihr Studium fortzusetzen. "Zum Beispiel, weil es aufgrund der pandemiebedingten Umstellungen zu Verzögerungen im Studienverlauf kam oder weil – anders als ursprünglich geplant – ein Masterstudium direkt an ein Bachelorstudium angeschlossen wurde", sagt Kercher.

 

Die meisten internationalen Studierenden
sind trotz Digitalstudiums vor Ort

 

Im Sommer warben Deutschlands Hochschulen ja auch noch damit, dass die Bundesrepublik ein vergleichsweise sicherer Hafen im internationalen Infektionsgeschehen sei – was sich in der Zwischenzeit durch die zweite, immer noch nicht gebrochene Corona-Welle stark relativiert hat.

 

Überraschend ist auch, dass sich die allermeisten internationalen Studierenden tatsächlich vor Ort zu befinden scheinen – trotz der seit Ende Oktober absehbaren neuen Corona-Einschränkungen und eines Studiums, das inzwischen deutschlandweit praktisch vollständig digital abläuft. "Knapp 40 Prozent der Hochschulen, die hierzu eine Aussage treffen können, gehen davon aus, dass 90 bis 100 Prozent der neu eingeschriebenen internationalen Studierenden bereits vor Ort am Hochschulstandort sind", kommentieren die DAAD-Statistiker um Jan Kercher. Nur 15 Prozent der Hochschulen schätzten laut DAAD, dass dies für weniger als die Hälfte der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger gelte. Besonders hohe Anwesenheitsquoten berichteten vor allem die Kunst- und Musikhochschulen, besonders niedrige die Technischen Universitäten.

 

Die DAAD-Umfrage lief von Anfang bis Mitte Dezember, der DAAD erhielt von 161 der 270 in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) organisierten Hochschulen Rückmeldungen. An diesen 161 Hochschulen seien rund 60 Prozent der internationalen Studierenden in Deutschland eingeschrieben, teilte der DAAD mit – ausreichend als Basis einer Hochrechnung für alle deutschen Hochschulen.

 

Ist die Lage besser

als die Stimmung?

 

In der Umfrage wurden die Verantwortlichen sowohl um die aktuellen Statistiken als auch um ihre subjektive Einschätzung der Lage gebeten. Dabei fällt auf, dass vor allem an den großen Volluniversitäten die Lage offenbar negativer beurteilt wird, als die objektiven Zahlen es hergeben. So berichteten 12 von 23 befragten Volluniversitäten mit über 20.000 Studierenden, sie hätten deutlich (über zehn Prozent) weniger neue Regelstudierende aus dem Ausland als vor einem Jahr. Während die tatsächlich gemeldeten Zahlen nur bei drei großen Universitäten ein entsprechendes Minus auswiesen – und die großen Unis insgesamt sogar auf überdurchschnittliche 28 Prozent mehr internationale Regel-Neueinschreibungen kamen. "Die Stimmung scheint also schlechter als die Lage zu sein", sagt Kercher. Den vorliegenden Statistiken zufolge mussten allein die kleineren Universitäten (unter 20.000 Studierende) bei den neuen internationalen Studierenden insgesamt ein deutliches Minus von gut einem Fünftel erfahren. Die Fachhochschulen hingegen haben sogar zusätzliche internationale Anfänger hinzugewonnen, ebenso die Technischen Universitäten, und am meisten im Plus mit 20 Prozent lagen die Kunst- und Musikhochschulen. 

 

Dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten würden und erstaunlich viele junge Menschen trotz Corona zum Studium nach Deutschland kommen wollten, hatte sich bereits im Sommer abgezeichnet. Ende August hatte die Arbeits- und Servicestelle für internationale Studienbewerbungen ("uni-assist") gemeldet, dass sie 59.250 ausländische Bewerbungen für einen Studienplatz verzeichnet hatte – knapp 20 Prozent weniger als im Wintersemester 2019/20, aber mehr als 2017/18 und in sämtlichen Jahren davor. Tatsächlich war die Menge der internationalen Studienbewerber sogar noch größer, da nicht alle Hochschulen an "uni-assist" angeschlossen sind. Noch im Mai hatte der stellvertretende DAAD-Generalsekretär Christian Müller, gewarnt: "Wir wissen nicht, ob wir mit 10, 20, 50 oder gar 80 Prozent weniger internationalen Studienbewerbern rechnen müssen."

 

Angesichts der vielen Bewerber hatten sich DAAD und HRK gegenüber dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium für die Lockerung der zwischenzeitlich sehr rigiden Einreiseregeln für internationale Studierende eingesetzt. Auch warnte HRK-Präsident Peter André Alt im Sommer, "dass in vielen Ländern durch nur eingeschränkt tätige oder gar geschlossene deutsche Konsulate erhebliche Probleme bei der Beantragung und Bewilligung von Visa entstehen werden." Aus Sicht der HRK sei es daher wichtig, die hierfür "notwendigen Ressourcen" bereitzustellen. Immerhin: Die Regeln wurden gelockert, doch die Engpässe bei unter anderem bei der Visabearbeitung blieben.

 

Mukherjee: Deutsche Hochschulen konnten
durch Digitalisierung punkten

 

Jetzt sagt DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee, die gestern veröffentlichten Zahlen seien "ein sehr gutes Zeichen für die Attraktivität Deutschlands bei internationalen Studierenden. Sie zeigen zudem, wie stark die Hochschulen in Deutschland durch Digitalisierung auch im Corona-Studienjahr punkten konnten."

 

Das kann man so sagen. Oder man könnte auch einräumen: So richtig erklären können sich die Hochschulen, abgesehen von allerlei mehr oder minder gesicherten Vermutungen, die Zahlen derzeit auch nicht. Aber ein Lichtblick sind sie allemal. 

 

Und ein Grund für eine Warnung. Sie kommt vom Deutschen Studentenwerk (DSW). Dessen Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde sagt: "Die neuen Zahlen des DAAD bestätigen unsere Einschätzung, dass die Nachfrage der Studierenden nach bezahlbarem Wohnraum auch in der Pandemie anhält. Nun haben wir es Schwarz auf Weiß, dass dies für die ausländischen Studierenden wie vor der Pandemie weiterhin gilt." Ausländische Studierende, gerade solche aus Nicht-EU-Staaten seien zwingend auf die Wohnheime der Studentenwerke angewiesen. Nötig sei wie seit langem gefordert ein Bund-Länder-Hochschulsozialpakt zum Ausbau und zum Erhalt der Wohnheimplätze. 

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