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"Wir brauchen einen Expertenrat für die Bevölkerungsgesundheit"

Warum Deutschland in Sachen "Public Health" lange hinterherlief, warum Länder wie Großbritannien so viel mehr testen und sequenzieren – und warum die Politikberatung in der Pandemie endlich systematisiert werden muss: ein Interview mit Charité-Dekan Axel Radlach Pries.

Herr Pries, warum ist die Public Health in Deutschland immer noch so schwach aufgestellt?

 

Ich finde nicht, dass man das heute noch so sagen kann. In den vergangenen zehn Jahren waren die Fortschritte groß. Richtig ist aber, dass eine Beschäftigung der Medizin mit globalen Fragen erst in jüngerer Zeit wieder stärker in den Fokus genommen wurde.

 

Woher kommt das?

 

Ich glaube, dass diese Entwicklungen eine langfristige Nachwirkung der Zeit des Nationalsozialismus spiegeln. Nach der Nazi-Zeit wollten viele Mediziner auf maximalen Abstand zur Politik gehen. "Pure Science", die grundlegende

Erforschung körpereigener Mechanismen und die kurative Medizin waren politisch unbelastet. Dass Medizin sich immer auch in einem gesellschaftlichen und damit politischen Umfeld bewegt, das wiederum Rückwirkung auf die Gesundheit der Menschen hat und gestaltet werden muss, wurde lange ausgeblendet – aber das ändert sich zunehmend. Hierzu hat auch die gestiegene Übernahme von internationaler Verantwortung durch die Bundesregierung beigetragen.


Axel Radlach Pries ist Mediziner, Professor für Physiologie und Dekan der Charité-Universitätsmedizin in Berlin. Seit diesem Jahr ist er außerdem Präsident der in Berlin ansässigen internationalen Gesundheitskonferenz World Health Summit.
 Foto: Wiebke Peitz Charite Universitätsmedizin Berlin.
 


Großbritannien ist Deutschland bei den Corona-Testkapazitäten oder der Sequenzierung des Viruserbguts weit voraus, wie kann das sein?

 

Aktuell ist das so, aber das ist ein Momentbild in einer sehr dynamischen Entwicklung, und zu Beginn der Pandemie war Deutschland in Bezug auf Testkapazitäten eindeutig Vorreiter. Aber  es stimmt es schon: Die Briten konnten sehr schnell umsteuern, weil das Zusammenspiel zwischen Politik und Wissenschaft gut klappte und weil es in Großbritannien eine wirklich herausragende biomedizinische Forschung gibt. Pro Kopf der Bevölkerung wird dieses Wissenschaftsfeld in Großbritannien oder skandinavischen Ländern mit sehr viel mehr Geld als in Deutschland gefördert. Die Pandemie hat aber sehr deutlich gezeigt, dass ein größeres Engagement für Gesundheitsforschung notwendig ist – und sich auch ökonomisch "lohnt".

 

Wie verbessern wir auch in Deutschland das Zusammenspiel von Medizin und Politik?

 

Dazu braucht es mehreres. Weitere Investitionen in "Public und Global Health" und in die technische und personelle Aufrüstung der Gesundheitsbehörden, in ihre Vernetzung untereinander und mit der Wissenschaft sind das seine. Das andere ist, dass wir einen breit aufgestellten Expertenrat für die Bevölkerungsgesundheit brauchen, ähnlich wie wir ihn für die Wirtschaft in Form des Sachverständigenrates längst haben. Die Politikberatung für Gesundheit in der Pandemie, aber auch danach, muss endlich systematisch organisiert werden.    

 

English version of the interview >>>




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