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Wie es nach den Corona-Beschlüssen an Kitas und Schulen weitergehen sollte: Fünf Schritte und ein Ausblick

Die Länder sind wieder allein verantwortlich für die Öffnung von Kitas und Schulen. Jetzt müssen sie ihrer Verantwortung aber auch durch kluge Beschlüsse gerecht werden.

SCHON BALD KANN ES an Kitas und Grundschulen losgehen: Die Politik hat die Sonderrolle von Bildungseinrichtungen durch die Corona-Beschlüsse vom Mittwoch wiederhergestellt. Dafür erntet sie allerdings auch viel Kritik. Die einen fürchten, schon die vorsichtigen ersten Schritte würden die befürchtete dritte Welle beschleunigen. Die anderen empfinden die angekündigten Lockerungen als Feigenblatt, da es an den Schulen zunächst lediglich Unterricht, teilweise sogar nur im Wechselmodell, für jüngere Schüler geben soll. Sollen die Älteren noch wochenlang zu Hause sitzen, während parallel dann bereits Geschäfte wieder öffnen?, fragen sie. Ist das wirklich die behauptete Priorität von Bildung?

 

Klar ist: Die Beschlüsse gestern waren nur ein Einstieg. Und die Länder, die von der Kanzlerin gestern die alleinige Verantwortung für die Öffnung von Kitas und Schulen ausgehändigt bekamen, müssen schnell und konkret sagen, wie es weitergeht. Ein paar Vorschläge.



1. Verlässliche Stufenpläne für die Schulen

Nachdem die Regierungschefs den für die gestrige Sitzung versprochenen gesamtgesellschaftlichen Stufenplan, die "sichere und gerechte Öffnungsstrategie", schuldig geblieben sind, wohl aus Unsicherheit über die Auswirkungen der Virusmutationen, müssen die Länder kurzfristig zumindest eigene Stufenpläne für die Schulen vorlegen. Diese müssen zwei Komponenten umfassen: einen Einstiegs- und einen Dauermodus. Nur so erhalten alle Schulformen und Jahrgänge, alle Schüler, Eltern und Lehrer Planungssicherheit, soweit dies in der momentanen Lage möglich ist. Der Einstiegsmodus muss klar die nächsten Schritte und den Umfang der Öffnungen benennen. Der Dauermodus muss beschreiben, ab welchen Schwellenwerten Bildungseinrichtungen wieder ihren Betrieb einschränken müssten. Länder wie Schleswig-Holstein oder Thüringen haben hier schon vorgearbeitet. Andere Länder können und sollten sich daran orientieren.

 

2. Transparenter Einstiegsmodus

Die Länder sollten unmittelbar in die Öffnung von Kitas und unteren Klassenstufen bis einschließlich Klasse 6 einsteigen. Kitas: eingeschränkter, täglicher Regelbetrieb. Grundschulen bzw. bis Klasse 6: mindestens Wechselunterricht mit mindestens 50-prozentiger Präsenz. Darüber hinaus sollte der Einstiegsmodus vorsehen: Ab einer stabilen (also mehrtägigen) Inzidenz von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen müssen die 1. bis 6. Klassen verpflichtend zum eingeschränkten täglichen Regelbetrieb zurückkehren, also in voller Klassenstärke, aber nach Kohorten getrennt.

 

Hier bietet die "S3-Richtlinie" (Szenario "hohes Infektionsgeschehen") klare Anhaltspunkte. Der Grund ist, dass Wechselunterricht bei kleineren Kindern deutlich weniger effektiv ist und zusätzlich zur dann weiterlaufenden Notbetreuung kaum durchgehend realisierbar ist. Sachsen hat den täglichen Betrieb schon jetzt – bei einer höheren Inzidenz – für Grundschulen beschlossen. 

 

Ab einer Inzidenz von unter 35 sollten die weiterführenden Schulen zunächst in den Wechselunterricht starten und zwei Wochen später, sollte die Inzidenz weiter unter 35 liegen, in den eingeschränkten täglichen Regelbetrieb gehen – also entsprechend dem Szenario "mäßiges Infektionsgeschehen" der S3-Richtlinie. 

 

3. Klarer Dauermodus

Wenn der Betrieb in den Bildungseinrichtungen wieder gestartet ist, sollte der geforderte verlässliche Stufenplan nach unten wie oben Klarheit schaffen. Die Abfolge der einzelnen Klassenstufen und Altersgruppen hat die Kultusministerkonferenz bereits festgelegt.

 

In der Tat ist es sinnvoll, wiederum stärker zwischen jüngeren und älteren Schülern zu differenzieren – aufgrund ihrer Bedürfnisse, aber aufgrund ihrer offenbar unterschiedlichen Rolle im Infektionsgeschehen). Das Robert-Koch-Institut hat hier mit seinen Empfehlungen schon vor Monaten Anhaltspunkte gegeben, die in Verbindung mit der "S3-Richtlinie" eine Orientierung bieten.

 

Konkret: Sinkt die Inzidenz längere Zeit unter 10, gilt das als "geringes Infektionsgeschehen", womit es bis auf eine Maskenpflicht außerhalb des Unterrichts keine Einschränkungen des Betriebs mehr gibt. Zwischen 10 und 35 gibt es eine Maskenpflicht für ältere Schüler und Lehrkräfte auch im Unterricht, ab 35 auch für Grundschüler. Steigt die Inzidenz länger über 10, müssen feste Kohorten gebildet werden, auch an den Kitas. Steigt die Inzidenz längere Zeit über 35, müssen an den weiterführenden Schulen konkrete Vorbereitungen für den Wechselunterricht getroffen werden. Ab einer Inzidenz von 50 aufwärts müssen die weiterführenden Schulen dann in den Wechselunterricht gehen. Grundschulen können dann noch im täglichen Präsenzbetrieb bleiben. Ab einer Inzidenz von 100 aufwärts müssen die weiterführenden Schulen in den kompletten Distanzunterricht, die Grundschulen bleiben im Wechselunterricht und die Kitas gehen in einen verkürzten Regelbetrieb. 

 

Eine Anmerkung: Die Inzidenzwerte sind hier beispielhaft genannt. Vermutlich müssen sie um weitere Faktoren (R-Wert, Zahl der Krankenhauseinweisungen) ergänzt werden. Auch hierzu gibt es in den Ländern Vorarbeiten.

 

4. Testen, Testen, Testen

Es ist ein Offenbarungseid für die Politik von Bund und Ländern, dass die Zahl der Tests von Kindern und Jugendlichen im Lockdown auf ein Minimum gesunken ist. Die Kita- und Schulöffnungen müssen von einer Veränderung der nationalen Teststrategie begleitet werden, die Bildungseinrichtungen priorisiert. Da andere gesellschaftliche Bereichen langsamer öffnen werden, ist dies auch gut leistbar. Eine wichtige Rolle wird darüber hinaus die schnelle Einführung regelmäßiger Selbst-Schnelltests für Lehrkräfte und für Schüler spielen, wie sie in Österreich bereits angekündigt wurden.

 

Es ist absehbar, dass die Kinder und Jugendlichen mit einer höheren relativen Inzidenz aus dem Lockdown kommen werden, als sie hineingegangen sind. Soll heißen: Ihr Anteil an allen gemeldeten Neuinfektionen liegt schon heute höher als im Dezember, natürlich auf insgesamt stark reduziertem Niveau (die bemerkenswerte Tatsache, dass relativ gesehen zumindest jüngere Kinder seit dem Lockdown wieder eine größere Rolle im Infektionsgeschehen spielen, sollte man sich noch einmal genauer anschauen). Wenn die Testhäufigkeiten wieder auf den Ausgangswert verdreifacht werden, ist ein weiterer Sprung absehbar. Wundern sollte der dann keinen, auch keine sofortige Dynamik daraus konstruieren. Wichtig ist, die Testhäufigkeiten dann dauerhaft hochzuhalten, um Trends erkennen zu können. 

 

5. Ein Milliardenpaket für die Bildung

Was auf keinen Fall mehr geht: dass die Ministerpräsidenten großartige Plädoyers für die Bildung halten, dann aber die geöffneten Kitas und Schulen im Regen stehen lassen. Das massenhafte Testen wird viel Geld kosten. Ebenso all die anderen Maßnahmen, die die Kultusminister am Montag in ungewohnter (und deshalb umso erfreulicherer) Deutlichkeit von ihren Chefs und vom Bund gefordert haben, darunter massive Investitionshilfen für die Schulträger, um die Unterrichtsräume für einen besseren Infektions- und Gesundheitsschutz auszustatten. Die Kultusminister müssen als nächsten Schritt hier schleunigst einen klaren und detaillierten und auch finanziell bezifferten Forderungs- und Maßnahmenkatalog vorlegen, um die Regierungschefs unter Zugzwang zu setzen.

 

Viel Geld muss auch sehr schnell fließen, damit die Kommunen (zum Beispiel in der "S3-Richtlinie" geforderte) Entzerrung des Schülerverkehrs durch zusätzliche Busse etc. bezahlen können. Das war auch im Herbst schon einmal von Bund und Ländern versprochen worden – passiert war wenig bis nichts. Auch die Ankündigung, Lehrkräfte und Erzieher beim Impfen vorzuziehen, darf nicht nur wohlklingendes Gerede bleiben, sondern Bundeskanzlerin Merkel muss unmittelbar darauf drängen, dass Gesundheitsminister Spahn die nötigen Schritte einleitet. 

 

Es wäre jedenfalls schräg, wenn das Kanzleramt im Lockdown so sehr auf Schließung von Kitas und Schulen gedrängt hätte, um sich nun, wenn die nötigen Investitionen für einen möglichst sicheren Präsenzbetrieb anstehen, mit dem Verweis auf die Länderzuständigkeiten aus dem Staub zu machen.

 

Schließlich muss sich die Bundesregierung schon jetzt festlegen, ärmeren Schülern nicht nur kurzfristig in der Pandemie, sondern auch danach über das Bildungs- und Teilhabepaket die nötigen digitalen Endgeräte zu finanzieren.

 

6. Und die Gefahren?

Auch das gehört zur Wahrheit: Die Virusmutationen machen es schwer, klare Aussagen zu treffen, wie gefährlich die Öffnung von Bildungseinrichtungen tatsächlich ist. Wobei das eigentlich weniger an den Virusmutationen liegt als am fortgesetzten Versagen der deutschen Politik und Wissenschaft beim Monitoring der PandemieDeshalb muss zum Beispiel dringend sehr viel mehr getestet werden, und die Unterrichtsräume müssen sicherer gemacht werden.

 

Ein paar Vorsichtsmaßnahmen sind freilich in die oben genannten Vorschläge eingebaut. Vor allem wird eine Inzidenz von unter 35 ganz sicher nicht vor dem 10. März unterschritten sein und dauerhaft nicht vor dem 20. März. Erst dann würde, laut gestrigem Plan gemeinsam mit den ersten Öffnungen im Einzelhandel, der Präsenzunterricht an den weiterführenden Schulen starten. Da die meisten Experten davon ausgehen, dass eine dritte Welle, sollte sie tatsächlich durch die Virusmutationen bereits angelegt sein, spätestens Anfang März sichtbar würde, besteht also nicht die Gefahr eines voreiligen Einstiegs. Gleichzeitig würden die Länder den Schulen und allen Akteuren schon jetzt klare Ansagen machen, wie und unter welchen Umständen es weitergeht.

 

Die Rückkehr der alleinigen Zuständigkeit für die Öffnung von Kitas und Schulen in die Länder bedeutet eine große Verantwortung für die Landesregierungen und zugleich eine große Chance für die zuständigen Bildungsminister. Sie müssen jetzt, wie sie es am Montag bereits begonnen haben, möglichst abgestimmt die nächsten Schritte hin zu mehr Präsenz formulieren und von den Ministerpräsidenten einfordern.

 

Klar ist auch: Die Risiken des Präsenzunterrichts müssen sie offen ansprechen, sie müssen von ihren Chefs das nötige Geld zur Risikominimierung verlangen. Und sie müssen darauf pochen (und auch das ihre dafür tun!), dass es parallel endlich ein vernünftiges Monitoring des Infektionsgeschehens (gerade, aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen) gibt. Dass es das bislang nie gab, gehört – sie oben – zu den großen Versäumnissen der gesamtgesellschaftlichen Corona-Politik.

 

 

Nachtrag am 11. Februar, 15 Uhr:

 

Innerhalb weniger Stunden haben zahlreiche Bundesländer angekündigt, am 22. Februar in den den Präsenzbetrieb an Grundschulen und Kitas zu starten. Teilweise, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein, soll es in Landkreisen mit niedrigerer Inzidenz bereits wieder Unterricht in kompletter Klassenstärke geben. Sachsen hatte dies bereits vor der Corona-Treffen der Regierungschefs für den 15. Februar beschlossen.

 

Anderswo, in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen oder in Bayern etwa, geht es am 22. Februar mit Wechselunterricht los. Berlin will an diesem Tag nur mit den ersten drei Klassenstufen starten. Sachsen-Anhalt bleibt bei seinem Plan, erst am 1. März Kitas und Schulen nach und nach zu öffnen.

 

Bis morgen dürften alle Bundesländer ihre Öffnungspläne konkretisiert haben. Mecklenburg-Vorpommern teilte bereits mit, dass es am 8. März, wenn die Infektionslage es zulässt, auch die älteren Schüler in den Wechselunterricht holen will.

 

Einen anderen Weg geht derweil Hamburg. Die Hansestadt will den Distanzunterricht für alle Klassen bis zum Beginn der Hamburger Märzferien am 26. Februar fortsetzen. Womit die Schulen bis Mitte März bis auf die bestehende Notbetreuung und ein paar weitere Ausnahmen (etwa zur individuellen Prüfungsvorbereitung) komplett geschlossen bleiben. Die Kitas bleiben ebenfalls "zunächst bis Anfang März" in der Notbetreuung.



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