Erstmals seit Pandemiebeginn übersteigt die Corona-Inzidenz die 300. Und die Dynamik bleibt hoch. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer.
ES IST EIN EINZIGES AUFWÄRTS und zugleich ein Auf und Ab. Das einzige Aufwärts betrifft die immer neuen Rekorde bei den bundesweiten Corona-Inzidenzen. Erst vergangenen Montag wurde die 200 überschritten, heute Morgen berichtete das Robert-Koch-Institut (RKI) zum ersten Mal seit Pandemiebeginn eine Inzidenz von über 300 – genauer: 303.
Hinzu kommt: Es lässt sich kein eindeutiger Trend beim Wachstum ableiten. Das geht rauf und runter. Vor zwei Wochen sank es von gut 50 auf rund 20 Prozent im 7-Tages-Vergleich. Dann stieg es wieder auf zwischenzeitlich 70, 80 Prozent. Heute Morgen lagen die Inzidenzen knapp 51 Prozent höher als am vergangenen Montag. Ein Auf und Ab, das jede Prognose schwierig macht. Weshalb aber eigentlich nur eine Schlussfolgerung bleibt: Derzeit müssen Bund und Länder von der denkbar schlechtesten Entwicklung bei den Meldeinzidenzen ausgehen.
Hoffnungsschimmer bei den Älteren
Und weil das so ist, ist es zwar eine positive Nachricht, dass die Zahl der Corona-Patienten weiter deutlich langsamer steigt als die Meldeinzidenzen. Doch schraubt sie sich, mit deutlicher Distanz, eben doch weiter nach oben. So meldete das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gestern bundesweit 3034 Intensivpatienten, das waren 502 bzw. 19,8 Prozent mehr als vor einer Woche. Und immerhin noch 291 weniger als vor genau einem Jahr – obwohl damals die 7-Tagesinzidenz nicht 300, sondern 141 betrug. Die Wirkung der Impfkampagne, keine Frage.
Zumindest auf Bundesebene gibt es einen weiteren Hoffnungschimmer. Der Blick auf die bundesweit gemeldeten Neuinfektionen in der gestern zu Ende gegangenen Kalenderwoche 45 zeigt: Die Corona-Fälle bei den sehr Alten, den über 80-Jährigen nehmen nach monatelang starker Dynamik erstmals spürbar langsamer zu als im Schnitt der Bevölkerung. Eine Auswirkung verbesserter Schutzmaßnahmen in den Heimen, eines stärkeren Risikobewusstseins bei den Betroffenen oder der Fahrt aufnehmenden Booster-Kampagne? Hauptsache, es handelt sich nicht um einen statistischen Ausreißer. Auch bei den 60- bis 79-Jährigen entwickelten sich die registrierten Neuinfektionen in der vergangenen Kalenderwoche erfreulicherweise etwas unterdurchschnittlich.
Besonders starke Zunahme bei 5- bis 14-Jährigen
Zu den konkreten Zahlen: Bundesweit weist die RKI-Datenbank heute für die Kalenderwoche 228.461 Neuinfektionen aus, 28,8 Prozent mehr als in der Vorwoche. Der Prozentwert sagt noch nichts aus, weil es im Laufe des Montags und (teilweise) des Dienstags noch zu massiven Nachmeldungen kommt. Aussagekräftig ist aber der Vergleich zu den einzelnen Altersgruppen: 60- bis 79: +23,8 Prozent. 80 und älter: 9,0 Prozent.
Die Kehrseite ist, das bei den größtenteils ungeimpften Schulkindern zwischen 5 und 14 die Inzidenzen stark überdurchschnittlich gestiegen sind: schon jetzt um 51,2 Prozent zur Vorwoche. Und wie gesagt, das wird noch mehr. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil seit Mitte August fast in jeder Woche der Anstieg bei den Kindern und Jugendlichen unter dem der über 60-Jährigen lag.
In den Krankenhäusern wenige Kinder und sehr viele Alte
In den Krankenhäusern dagegen setzt sich der bekannte Trend bislang fort. Soll heißen: Der Anteil älterer Patienten nimmt weiter zu. Die jüngsten Statistiken, die das RKI hierzu vorzuweisen hat, stammen allerdings aus Kalenderwoche 44, die schon am Sonntag vor einer Woche zu Ende gegangen ist. Und da erreichte der Anteil der über 80-Jährigen Patienten unter allen Krankenhauseinweisungen einen traurigen Rekord: 34,6 Prozent nach 30,3 Prozent in Kalenderwoche 43.
Während der Anteil der 60- bis 79-Jährigen immerhin stagnierte: bei 34,4 Prozent nach 34,5 Prozent eine Woche davor. Insgesamt liegt der Anteil der über 60-Jährigen unter allen stationär behandelten Corona-Patienten mit 66 Prozent so hoch wie (fast) noch nie. Zum Vergleich: Selbst vor genau einem Jahr waren es nur 64,9 Prozent. Und diesen Juli nur 43,4 Prozent.
Jetzt der Gegenschnitt: Die enorm hohen Meldeinzidenzen bei 0- bis 14-jährigen Kindern führten in der Kalenderwoche 44 zu einem Anteil von 3,5 Prozent an allen Hospitalisierungen – nach 2,8 Prozent eine Woche davor.
Große Bandbreite zwischen den Bundesländern
Die größte Herausforderung fürs Gesundheitssystem besteht in der ungleichen Verteilung der vierten Corona-Welle. Sachsen erreichte heute Morgen eine 7-Tages-Inzidenz von 754,3. Thüringen kam auf 543,2. Bayern auf 525,7. Dann kommt lange nichts, bevor Baden-Württemberg mit 386,0 folgt, dann Brandenburg mit 376,1, Berlin mit 306,2 und Sachsen-Anhalt mit 304,9. Dann wieder eine große Lücke. Nächstes Land in der Corona-Inzidenzliste ist dann das Saarland mit 190,1. Hessen: 184,9, Mecklenburg-Vorpommern: 176,4. Rheinland-Pfalz 167,6. NRW: 167,0. Hamburg: ebenfalls 167,0. Niedersachsen: 132,8. Bremen: 113,4. Und Schleswig-Holstein: 98,4.
Sachsens Inzidenz ist also achtmal so hoch wie die von Schleswig-Holstein. Aber auch das Wachstum im Freistaat liegt aktuell mit 53,5 Prozent im Wochenvergleich fast doppelt so hoch wie das im nördlichsten Bundesland.
Tatsächlich ist auch die Zweiteilung bei der Corona-Dynamik auffällig. Bis rund 30 Prozent verzeichneten Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Hessen – und erfreulicherweise Thüringen. Fast alles also Bundesländer im Norden und Westen, wo auch die erreichten Inzidenzwerte tendenziell niedriger sind. Für Thüringen bedeutet das abflachende Wachstum angesichts der sehr hohen absoluten Zahlen einen besonderen Hoffnungsschimmer.
Umgekehrt liegen sieben Bundesländer bei Wachstumsraten von deutlich über 50 Prozent. Sachsen: 53,5 Prozent – was umso dramatischer ist, weil der Freistaat schon jetzt mit Abstand Inzidenz-Spitzenreiter ist. Berlin: 57,4 Prozent. Brandenburg: 61,8 Prozent. Sachsen-Anhalt: 62,1 Prozent. Baden-Württemberg: 64,2 Prozent. Bayern: 66,3 Prozent. Saarland: 72,0 Prozent. Bayern dürfte schon in der laufenden Woche Thüringen auf dem zweiten Platz der Inzidenz-Liste ablösen.
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