Vergangene Woche habe ich kritisch über die Schüler-Petition "#WirWerdenLaut" geschrieben, die Wechselunterricht und eine Aussetzung der Präsenzpflicht fordert. Ich erntete Entrüstung und Hass. Eine Reaktion.
Überfordert: Viele Kinder sind mit dem Distanzunterricht nicht gut klargekommen. Foto: Pxhere.
JA, ICH HATTE mit Reaktionen gerechnet. Aber nicht mit so einem Sturm der Entrüstung. "Bestürzend" sei das, was ich da verfasst hätte, "Schwurbel, Wissenschaftsfeindlichkeit und Propaganda". Ich sei "unehrlich, ignorant und entbehrlich". "Wenn es den gut geschützten Erwachsenen nicht passt, wie sich Schüler:innen aus der Gruppe mit der höchsten Inzidenz selbst zu ihren Wünschen und Nöten in der Pandemie äußern", schrieb ein von mir geschätzter Professor für Klinische und Kinder- und Jugendpsychologie, dann "werden diese Kinder und Jugendlichen von eben diesen Erwachsenen medial diffamiert und entmündigt". Eine andere Professorin fragte: "Was ist los mit Ihnen?" Und das waren noch die freundlicheren Kommentare.
Ich hatte einen Kommentar über einen offenen Brief von mehr als 100 Schülersprechern geschrieben, dessen begleitende Petition inzwischen über 130.000 Unterschriften erreicht hat. Ich lobte die erfolgreiche Medienkampagne der Jugendlichen und einige ihrer Forderungen. Kritisierte andere. Und hinterfragte dabei zentrale Botschaften auf ihre Plausibilität und Mehrheitsfähigkeit hin.
Ja, es gab auch viel Zustimmung zu meinem Text. Doch die Heftigkeit, die persönlichen Angriffe haben mich getroffen. Warum? Weil sie so gar nicht dazu passen, wie ich selbst meine Arbeit als Journalist und Blogger verstehe. Ich möchte jemand sein, der es sich nicht zu einfach macht, der abwägt und mit Daten und Fakten argumentiert. Der auch mal zuspitzt, dabei aber nicht persönlich wird. Natürlich gelingt mir das nicht immer. Aber ist das diesmal wirklich so gründlich schiefgegangen?
Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich etwas tun, was ich sonst tunlichst vermeide, weil es nicht meinem Verständnis von Journalismus entspricht. Ich möchte von mir erzählen. Ich bin Vater von drei Kindern, drei Jungs zwischen vier und neun. Während ich diesen Text schreibe, liegt der Große allein in seinem Zimmer im Bett. Mit positivem Corona-Schnelltest. Hat er sich in den Ferien beim Judo angesteckt?
Es geht ihm soweit gut, er ist einmal geimpft, nächsten Samstag stand seine Zweitimpfung an. Die Erstimpfung für ihn und seinen sechsjährigen Bruder haben wir machen lassen, sobald die STIKO-Empfehlung dafür vorlag.
Schulschließungen beenden
Nächste Woche werden wir wohl alle hier zu Hause verbringen. Mit Homeschooling, soweit das angeboten wird. Sorgt mich das? Nicht wirklich. Meine Frau und ich sind Freiberufler, wir können uns die Zeit einteilen. Unsere Jungs haben ihr eigenes Zimmer, wir haben einen Laptop für den mittleren, ein iPad für den großen. Im ersten Lockdown, der mittlere ging noch in die Kita, sind wir auch gut klargekommen mit dem Zuhausesein. Wir haben die intensive Zeit als Familie sogar genossen. Trotzdem habe ich als einer der ersten Bildungsjournalisten gefordert, die Schulschließungen zu beenden. Im ersten Corona-Winter plädierte ich (zum Unverständnis vieler Kollegen) dann dafür, die Erwachsenen stärker einzuschränken und die Schulen dafür offen zu lassen.
Ich könnte jetzt zur Begründung alle möglichen epidemiologischen Studien anführen, die Warnungen von Kindermedizinern und Pädagogen. Von denen es schon im Januar 2021 reichlich gab. Die Wahrheit ist allerdings: Es gab genauso viele Studien und wissenschaftliche Expertisen, die für das Zusperren der Schulen sprachen. Ausschlaggebend war für mich etwas anderes.
Unsere großen Kinder besuchen hier in Teltow, in Brandenburg, eine sogenannte Brennpunktschule. Viele ihrer Mitschüler leben in mehr oder minder renovierten Plattenbauten, in kleinen Wohnungen, viele Eltern sind arbeitslos oder haben Niedriglohn-Jobs. Einige sind geflüchtet. Das Einzugsgebiet der Schule umfasst auch unsere Nachbarschaft: Einfamilienhäuser und Gärten, größtenteils Akademiker und Zuzügler aus Berlin. Einige der Kinder gehen in die Klassen unserer Söhne. Viele von ihnen besuchen lieber die evangelische Grundschule ein paar Straßen weiter.
Als unser Großer in den ersten Videokonferenzen saß, fiel auf, dass mehrere seiner Mitschüler nie oder selten auftauchten. Wenn ich dem Unterrichtsgespräch lauschte, redeten da immer nur drei, vier Kinder. Als irgendwann, zunächst tageweise, der Präsenzunterricht wieder startete, war es erschreckend, wie das Lerntempo in der Klasse stecken blieb. Unser Sohn und seine Kumpels aus der Einfamilienhaus-Nachbarschaft lösten Extra-Aufgaben, mit den Übrigen wiederholte die sehr engagierte Klassenlehrerin Stoff von vor sechs Monaten. Während weiter die Hälfte des Präsenzunterrichts ausfiel, die Lücken wuchsen und ständig Kloppereien im Klassenraum und auf dem Schulhof gemeldet wurden. Dann berichtete eine befreunde Lehrerin, dass sich im Lockdown an ihrer Berliner Schule zwei Oberstufenschüler das Leben genommen hatten.
Es ist eine Position
Das hat mich geprägt in meiner Arbeit als Journalist. Nein, das ist nicht objektiv. Aber es passte zu dem, was ich von anderswo hörte und was viele Pädagogen, Soziologen und Psychologen herausfanden.
Aufschlussreich fand ich auch das, was ich beobachtete, seit diesen Herbst hier in Brandenburg die Präsenzpflicht aufgehoben wurde. Ich weiß nicht, ob und wie viele Kinder aus den Plattenbauten abgemeldet wurden. Was ich weiß: Fast alle Eltern aus unserer Gegend schickten ihre Kinder weiter zur Schule. Neun von zehn. Mindestens. Und wer es nicht tat, hatte oft einen praktischen Grund. Zum Beispiel den anstehenden Skiurlaub. Den man sich nicht durch eine mögliche Quarantäneanordnung nach einem Corona-Fall in der Schule gefährden lassen wollte.
Tatsächlich berichteten die Bildungsministerien in Brandenburg und Berlin, dass 95 Prozent und mehr der Schüler auch ohne Präsenzpflicht täglich zur Schule gingen. Die organisatorischen Folgen sind aber für die ganze Schule groß – zusätzlich zum bestehenden Quarantäne-Wirrwarr.
Ich habe all das erzählt, um die Motivation zu erläutern, die mich bei meiner Corona-Berichterstattung treibt. Womit ich wieder beim Ausgangspunkt dieses Artikels angekommen bin, bei meiner Kritik an Teilen des offenen Briefs der Schülersprecher, der unter dem Hashtag #WirWerdenLaut in den sozialen Medien kursiert.
Was ich schrieb, sei "adultistischer Mist", hieß es – so als würde ich die Jugendlichen nicht ernst nehmen. Das mit dem Adultismus habe ich anderen auch schon vorgeworfen, wenn sie von oben herab Fridays for Future und Greta Thunberg als von erwachsenen Aktivisten gesteuert darstellten. Habe ich nun das Gleiche getan? Ich finde: nein. Der wissenschaftliche Konsens zum Klimawandel ist viel eindeutiger als die wissenschaftlich arg umstrittene Erkenntnislage zum richtigen Umgang mit Schulen in der Corona-Pandemie.
Die Jugendlichen haben sich mit ihrem offenen Brief auf eine – nur eine – Seite dieser Debatte gestellt. Als "unterstützende Wissenschaftler" werden führende Vertreter von No-Covid-Positionen genannt. Das schmälert nicht das Engagement und die Eigeninitiative der Schülervertreter, was ich in meinem Artikel auch betonte. Genau deshalb hätte ich mir eine Formulierung sparen sollen, weil sie unnötig raunend klang: "Inwieweit die aufgeführten Wissenschaftler:innen aktiv an den Forderungen der Schüler mitgeschrieben haben, ist unklar." Aber einordnen wollte ich ihre Forderungen schon als Journalist. Weil ich sie ernst nehme. So ernst, dass ich finde: Lasst uns über sie diskutieren. Respekt ist mehr als ein Schulterklopfen.
Am meisten Bauchschmerzen bereitete mir das im offenen Brief der Jugendlichen enthaltene Plädoyer, die Präsenzpflicht zugunsten einer "Bildungspflicht" auszusetzen. Manche Kinder, Jugendlichen und ihre Familien mögen davon profitieren. Viele aber nicht. Weitgehende Einigkeit besteht hingegen bei Kindermedizinern, dass die allermeisten Infektionen von Kindern komplikationslos und ohne Langzeitfolgen verlaufen. Im Gegensatz zum Verlust an Bildung und Teilhabe. Das galt schon vor Omikron und jetzt erst recht.
Hört Schülern keiner zu?
Deshalb gibt es andere Forscher als die als Unterstützer aufgeführten Wissenschaftler – vermutlich sind es nicht weniger –, die die bestehenden Hygiene-Regeln im Unterricht für ausreichend halten. Nicht nur deshalb muss man es hinterfragen dürfen, wenn die Initiatoren des offenen Briefes für sich in Anspruch nehmen, alle Schüler oder nur deren Mehrheit zu vertreten. Die 130.000 oder 150.000 Unterstützer der Petition sind eben nur ein Bruchteil von den drei Millionen Schülern, die die Initiatoren nach eigenen Angaben repräsentieren, bei mehr als zehn Millionen Schülern insgesamt. Zumal unter den Petitionsunterzeichnern offenbar Tausende Lehrkräfte, Eltern und komplett schulfremde Personen sind.
Inzwischen hat auch die Bundesschülerkonferenz (BSK), die ständige Konferenz der Landesschülervertretungen in Deutschland, mitgeteilt, dass sie den offenen Brief begrüße, aber nicht voll unterstützen könne – wegen "klarer Differenzen" in einigen Punkten. Vor allem bei der Debatte um die Aussetzung der Präsenzpflicht, die nach Meinung der BSK die Chancenungleichheit verstärke. Die Reaktion waren zum Teil wüste Beschimpfungen in den sozialen Medien.
Ist denn der im offenen Brief vermittelte Eindruck, es werde nicht mit Schülern geredet, sondern über sie, richtig? Ja, es gibt frustrierende Situationen der Nicht-Kommunikation. Aber es gibt auch regelmäßige Gesprächsformate in vielen Bundesländern. Und diese Woche erste Treffen von Bundes- und Landesschülervertretern mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU) – vereinbart Wochen vor dem offenen Brief. Es handelte sich allerdings womöglich nicht um die Unterzeichner des Briefs, denn zu denen gehörten nur zwei Landesschülervertretungen.
Was ich anerkennenswert finde: Da ist eine Gruppe von Schülersprechern, die sich engagieren, die eine Aktion auf die Beine stellen, woraus sich eine der aktuell größten Petitionen auf change.org entwickelt. Einige Forderungen halte ich für so richtig, wie es bestürzend ist, dass sie noch gestellt werden müssen: die Bereitstellung kostenloser FFP2-Masken, die Aufstockung des pädagogischen und schulpsychologischen Personals, die Entlastung der Abschlussjahrgänge von Leistungsdruck und das Vorhandensein von Echtzeitdaten zum Infektionsstand an den Schulen.
Andere Forderungen, wie die oben erwähnte Aussetzung der Präsenzpflicht, teile ich nicht. Was mich umtreibt: Wie können wir gemeinsam den Blick nach vorn richten? Wie miteinander den Weg finden in eine neue Normalität nach Omikron? Wie können wir die Jugendlichen überzeugen, dass sie, solange sie und ihre Angehörigen gesund, geimpft oder sogar geboostert sind, keine ernstliche Sorge haben müssen im Falle einer Infektion, dass wir den gesundheitlichen Risikogruppen an den Schulen besondere Schutzrechte geben müssen, dass aber für das Gros der Schüler das Fernbleiben von der Schule das größere Risiko darstellt?
Ich würde mir wünschen, dass wir mehr an jene Kinder und Jugendlichen denken, deren Eltern angesichts ihrer wenig privilegierten Lebenssituation das höchste Corona-Risiko tragen, die zugleich am meisten unter den Folgen der Aussetzung der Präsenzpflicht leiden. Die aber in unserem mehrheitlich von Akademikern und Akademikerkindern geprägten Diskurs am wenigsten zu hören sind.
Vor Veröffentlichung dieses Textes bekam ich dann noch das PCR-Ergebnis meines Sohnes. Es ist zum Glück negativ.
Dieser Artikel erschien in einer kürzeren Fassung zuerst im Freitag.
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Nachtrag: Meinem Kommentar von vergangener Woche wurde auch entgegengehalten, der Offene Brief referiere mit seinen Forderungen nach stärkeren Hygienemaßnahmen an den Schulen lediglich den wissenschaftlichen Konsens ("Bundesweite Umsetzung der vom RKI empfohlenen S3-Leitlinie“).
Das ist so nicht richtig. Nicht nur in Hinblick auf die Präsenzpflicht-Debatte. Darüber hinaus führt der Offene Brief die S3-Leitlinie nämlich mit Spiegelstrichen aus, die in dieser gar nicht Enthaltenes postulieren oder Enthaltenes stark vereinfachen. Vor allem die geforderten "Luftfilter für Klassen-, Fach- und Sanitärräume in allen Schulen", deren Sinn und Nutzen wissenschaftlich stark umstritten sind, weshalb sich die Experten für die Leitlinie auf keine Position haben einigen können.
Oder die geforderte "Reduktion der Lerngruppen", die Wechselunterricht bedeutet – der aber laut der Koordinatorin der S3-Leitlinie eben nicht automatisch bei hohen oder sehr hohen Inzidenzen folgen soll.
Beides kann man fordern und darüber streiten, aber es handelt sich nicht um einen wissenschaftlichen Konsens im Umgang mit der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt.
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Michael Becker-Mrotzek (Donnerstag, 10 Februar 2022 12:43)
Lieber Herr Wiarda, danke für Ihren ersten Kommentar und diese Ergänzung. Man kann über Ihre Position inhaltlich streiten (ich teile siezu großen Teilen) und genau das beabsichtigt ja auch ein Offener Brief. In der Form und Ansprache Ihres Kommentars sehe ich überhaupt keinen Anlass zur Kritik. Es hat sixh intensiv und argumentativ mit dem Offenen Brief auseinander gesetzt.
Mir scheint, dass diese Pandemie mit ihren Belastungen für uns alle, mit den ständig neuen Entwicklungen und der damit verbundenen Unsicherheit, was denn nun richtig oder falsch ist, die Kommunikation zu belasten. Vor allem aber ist es die Desinformation und Hetze der radikalen Coronaleugner, die das Klima vergiften. Das sollten sich die übergroße Mehrheit nicht zu eigen machen, sondern respektieren, dass es andere als die eigene Meinung gibt, die sich ebenfalls gut begründen lassen.
Ilja Karl (Donnerstag, 10 Februar 2022 17:37)
"Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd".
Bleistifterin (Donnerstag, 10 Februar 2022 20:17)
Lieber Herr Wiarda,
danke für diesen Beitrag, insbesondere die Transparenz darüber, wie Sie zu Ihrer Position kommen.
Das hat mir gefehlt, und vor allem die jetzt zurückgenommene Formulierung, dass der Offene Brief nicht von den Schülervertreter:innen selbst geschrieben worden sei, fand ich erschreckend.
Und natürlich ziehen die SuS Studien und Expert:innen heran, die ihre eigene Position unterstützen. Studien, die mMn viel zu häufig klein geredet werden. Fakt ist: auch symptomlos infizierte KuJ können andere, vulnerablere Personen infizieren, können selbst mittelfristig (PIMS) und langfristig LongCovid) schwer erkranken. Immunsystem, Gefäßschäden, Autoimmunreaktionen, Neurotrop -- bei unklaren Langzeitfolgen schadet es nicht, besonders vorsichtig zu sein.
Die Forderung, in den Schulen mit denselben Regeln geschützt zu werden, wie die Erwachsenen an ihren Arbeitsplätzen? Völlig nachvollziehbar.
S3-Leitlinien?
Vom RKI empfohlen, auch und gerade für Schulen.
Aussetzung der Präsenzpflicht? Ermöglicht bspw. Vorekrankten oder Angehörigen von solchen, diese zu schützen u per Fernunterricht zu lernen OHNE DAFÜR ABGESTRAFT ZU WERDEN (z.Zt. erhalten sie weder Material noch Unterstützung).
Es geht NICHT um Schulschliessungen.
Es gibt übrigens zahlreiche Konzepte, wie Schulen autonom entscheiden könnten, wer online lernen kann u wer Präsenz braucht, z. B. hier:
https://twitter.com/StompSava/status/1491378616818896900?s=20&t=w7MsWfFv1NZ71tdC50P1AA
https://deutsches-schulportal.de/unterricht/unterrichtsbetrieb-in-der-pandemie-eine-initiative-hat-einen-notfallplan-fuer-schulen-entwickelt/
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 11 Februar 2022)
Liebe Bleistifterin,
danke für Ihren Kommentar. Zu den Punkten S3-Leitlinie (und was drinsteht und was nicht), Präsenzpflicht und Co und den Risiken einer Corona-Infektion für Kinder und Jugendliche habe ich mich ja schon geäußert. Ich freue mich ebenfalls, dass die Debatte sich insoweit geändert hat, dass die Rufe nach totalen Schulschließungen inzwischen die Ausnahme sind. Da gab es zum Glück einen gesellschaftlichen Lerneffekt.
Nur noch zu einem Punkt, der mir wirklich wichtig ist: Ich habe NICHT geschrieben, dass der Brief nicht von den Schülern geschrieben worden sei. Ich habe die Frage aufgeworfen, ob die Wissenschaftler in irgendeiner Form daran mitgewirkt haben – und zugleich die Eigeninitiative der Jugendlichen noch einmal herausgestellt. Das ist etwas Anderes – auch wenn ich mir den Satz wie gesagt hätte sparen können.
Ich bitte aber, nur das zu lesen, was in dem Satz tatsächlich drinsteht.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
Jana (Freitag, 11 Februar 2022 09:28)
Das größte Problem ist derzeit, dass die Differenzierung in der Beurteilung von Gefahren (welche, für wen, wie lösbar) und auch in der Kommunikation bei vielen sich zu dieser Thematik äußernden Menschen fehlt. Genau diese Differenzierung finde ich aber vor allem i. d. R. bei Herrn Wiarda im Gegensatz zu anderen Journalisten. Die beschriebenen Reaktionen auf den besagten Blogbeitrag von Herrn Wiarda beweisen mir eindrücklich meine Beobachtung.
Udo Michallik (Freitag, 11 Februar 2022 12:24)
Lieber Herr Wiarda,
vielen Dank für Ihre engagierten Texte. Diese Zeit ist doch sehr geeignet zu überprüfen, wie es um unsere Streitkultur bestellt ist. Für mich ist es ja sooooo langweilig auf Menschen zu treffen, die mit mir einer Meinung sind. Wie will man da wachsen und sich entwickeln? Ja, auch noch mit Mitte 50 kann man lernen, wachsen und sich entwickeln. Insofern finde ich es gut, dass Sie sich vehement mit der Kritik auseinandersetzen.
Wir brauchen Perspektiven! Das ist das beste Mittel, um dem wachsenden Verdruss junger Menschen zu begegnen. Zu lange argumentieren wir uns mit Angst und Schutzargumenten von Welle zu Welle. Die Pandemiewellen sind ausschließlich gekennzeichnet von Einschränkungen, vor allem für Kinder und Jugendliche. Wenn wir heute schon von der nächsten dramatischen (!) Infektionswelle im kommenden Herbst/Winter fabulieren, dann löst diese unreflektierte Aussage Ängste aus. Ängste vor dem Hintergrund des Erlebten.
Nach vorne schauen, Perspektiven und Sicherheiten erzeugen. Das brauchen junge Menschen jetzt. Das Präsenzstudium, der Präsenzunterricht, Projekte, Spaß, kindliche/jugendliche Ausgelassenheit, fremde Länder im Austausch kennenlernen, die Gewissheit, einen Bildungsabschnitt erfolgreich zu Ende bringen zu können, eine Ausbildung zu beginnen, ins Leben zu starten, frei von Angst. Das sollte die Pflicht von uns Erwachsenen jetzt sein, das den jungen Menschen zurückzugeben. Sie haben ein Recht darauf. Für uns war das alles selbstverständlich und wurde zu unserer Zeit in keiner Weise so in Frage gestellt. Alle, die sich schützen wollen oder auch nicht, dafür hat der Staat alle Möglichkeiten bereitgestellt. Sie sind verfügbar. Ich halte es für verantwortungslos, weiter diejenigen in kollektive Geiselhaft zu nehmen, die kaum von den verheerenden Auswirkungen dieser Pandemie betroffen sind.
Wir sagen immer: "Die Kinder sind unsere Zukunft!" - Wie sieht denn die Zukunft aus, wenn wir so weitermachen würden wie bisher?
Cona (Samstag, 12 Februar 2022 12:27)
"Wie können wir die Jugendlichen überzeugen, dass sie, solange sie und ihre Angehörigen gesund, geimpft oder sogar geboostert sind, keine ernstliche Sorge haben müssen im Falle einer Infektion"
Woher nehmen Sie die Ruhe, dass man sich keine ernstliche Sorge haben müsste?
Aus den Zahlen, dass es nur wenige trifft?
Aus der Zuversicht, dass es sie selbst nur weniger schwer treffen wird?
Was ist mit Menschen, die diese Zuversicht in ihre eigene Gesundheit oder die ihrer Freunde bzw. Familie nicht haben können auf Grund von Vorerkrankungen?
Ab wann ist es für mich erlaubt ernstlich besorgt zu sein? Wenn mein Vater Krebs hat ? Wenn mein Kind eine Herzerkrankung hat ? Wenn eine Freundin Diabetes hat? Wenn ich Personen kenne, bei denen die Impfungen leider nicht gut wirken?
eldo (Mittwoch, 16 Februar 2022 09:48)
Teil 1
Ich finde Ihre Berichterstattung sehr einseitig, auch wenn ich Ihre Position nach dem zweiten Bereicht zumindest um einiges mehr nachvollziehen kann.
Sie berichten von Ihren persönlichen Erfahrungen und ja, ich stimme Ihnen zu, dass es Schulen und Einzugsgebiete gibt, wo Distanzunterricht nicht gut funktioniert. Aber müssen deshalb alle Schüler Deutschlands auf dieselbe Weise lernen, als die, bei denen es nicht anders geht? Würde man bei neu gebauten Schulen vor Inbetriebnahme die Toiletten beschmieren, beschädigen und mit Uringeruch versetzen, nur weil das leider der Zustand von vielen Schultoiletten Deutschlands ist?
Und haben Sie schon mal an die Berufsschüler gedacht? Muss man denen Distanzunterricht verwehren, nur weil das mit Grundschülern noch nicht so gut klappt? Je nach Ausbildungsberuf unterliegen Berufsschüler sogar der Homeoffice-Pflicht; an Berufsschultagen müssen sie aber trotzdem mit 30 Leuten in einem Raum sitzen. Und selbst wenn man davon ausgeht, dass Corona für Kinder harmloser ist, so trifft diese Behauptung spätestens auf erwachsene Berufsschüler nicht mehr zu.
Und hier bei uns wird z.B. an einer weiterführenden Schule seit einigen Wochen randaliert - während dem Präsenzbetrieb, der ja auch in Hochphasen der Pandemie angeblich so gut für die Schüler sein soll. Die Schule kann guten Distanzunterricht leisten und Randalen hat es dort vorher nicht gegeben.
> "Aber ist das diesmal wirklich so gründlich schiefgegangen?"
Leider ja, und das beginnt schon bei der Überschrift. Wenn sich ein fachfremder Bildungsminister hinstellt und darüber spricht, was für Schüler am besten ist, haben Sie da jemals gefragt "Wer redet da eigentlich?"?
> "Die Jugendlichen haben sich mit ihrem offenen Brief auf eine – nur eine – Seite dieser Debatte gestellt."
Das haben Sie selbst doch letztendlich auch. Auch Sie können kaum die Ängste und Sorgen von älteren Schülern einschätzen, die weitaus besser informiert sind, als altersbedingt Ihre eigenen Kinder. Und so passen die Forderungen von #WirWerdenLaut ebenso wenig auf alle Schulen und Schüler, wie das, was Sie beschreiben.
Wenn man dem gerecht werden wollen würde, müsste man deutschlandweit einen Mindestinfektionsschutz festlegen und basierend darauf, jede Schule bitten, ein Konzept auszuarbeiten, das die Mindestanforderungen erfüllt, aber jede Möglichkeit vor Ort mehr Infektionsschutz anzubieten nutzt.
eldo (Mittwoch, 16 Februar 2022 09:49)
Teil 2
> "Deshalb gibt es andere Forscher als die als Unterstützer aufgeführten Wissenschaftler [...] die die bestehenden Hygiene-Regeln im Unterricht für ausreichend halten."
Wobei einige davon, aber auch wenige Fakten vorlegen, um ihre Ausführungen zu untermauern. Sie verkünden einfach, dass es so ist.
> "Aber es gibt auch regelmäßige Gesprächsformate in vielen Bundesländern."
Die Bundesschülerkonferenz hat sich z.B. an der Ausarbeitung der S3-Leitlinie beteiligt (https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/027-076k_Praevention_und_Kontrolle_SARS-CoV-2-Uebertragung_in_Schulen_2021-11.pdf). Nur dass diese nicht umgesetzt wird. Was bringen dann die Gesprächsformate?
> "Wie miteinander den Weg finden in eine neue Normalität nach Omikron?"
Zuerst einmal sollten wir einen Weg finden mit Omikron, denn das ist die aktuelle Situation. Über eine Zukunft zu schwadronieren, von der wir noch gar nicht wissen, wie sie aussehen wird, hilft uns jetzt nicht.
> "Wie können wir die Jugendlichen überzeugen, dass sie, solange sie und ihre Angehörigen gesund und geboostert sind, keine ernstliche Sorge haben müssen wegen einer Infektion"
Was ist mit den ganzen Kindern und Jugendlichen, auf die Omikron (und davor Delta) losgelassen wird, ohne dass sie den vollständigen Impfschutz (Zweifachimpfung), geschweige denn den Booster erhalten konnten, weil der Impfstoff für sie erst später frei gegeben wurde?
> ""Luftfilter für Klassen-, Fach- und Sanitärräume in allen Schulen", deren Sinn und Nutzen wissenschaftlich stark umstritten sind"
Wissenschaftlich so umstritten, dass sie in jedem Regierunsgebäude und vielen Ämtern zum Einsatz kommen. Die, die sie im Schulbetrieb als umstritten aussehen lassen, sind einfach die, die sie für Schulen nicht anschaffen wollen und es deshalb sogar Eltern verweigern, die gemeinsam einen für den Klassenraum ihrer Kinder anschaffen wollen.
Das Aussetzen der Präsenzpflicht ist in meinen Augen übrigens mehr eine verzweifelte Mindestforderung, weil Wechselunterricht, Distanzunterricht und die Dinge, die den Präsenzunterricht sicherer machen würden (Luftfilter) verweigert werden. Außerdem wird von der Initiative statt dessen eine Bildungspflicht gefordert. Für Schüler, die sich aufgrund einer Vorerkrankung von der Präsenz haben freistellen lassen, sollte das ein erheblicher Fortschritt sein, da sie in den meisten Bundesländern keinen Anspruch auf ein Bildungsangebot haben.
Ingrid B. (Mittwoch, 16 Februar 2022 11:25)
Lieber Herr Wiadra,
danke für Ihre Artikel, diese beiden aber auch alle anderen. Ich schätze Ihre Art die Themen aus verschiedenen Richtungen zu betrachten und keine einachen Lösungen zu propagieren, sondern die ungelösten Fragestellungen herauszustellen sehr.
Ich wollte eigentlich keinen Kommentar schreiben, ich mag diese Schriftdiskussionen, in denen die Sätze nicht richtig gelesen, aus dem Zusammenhang gerissen zitiert werden und einige meinen sehr persönlich werden zu müssen, gar nicht. Aber diesmal wollte ich nicht zu der schweigenden Mehrheit gehören und ein Signal der Anerkennung Ihrer Arbeit und Unterstützung senden.
Viele Grüße,
Ihre Ingrid B.
Monika S. (Mittwoch, 16 Februar 2022 12:53)
Lieber Herr Wiarda,
ich möchte mich anschließen. Vielen Dank für Ihre engagierten und überaus differenzierten Texte! Den Vorwurf der Einseitigkeit kann ich nicht teilen.
Im Gegenzug frage ich mich dieser Tage, wie es zu dieser absurd zugespitzten Debatte um Schulschließungen kommen kann, während ganz Deutschland, einschließlich des Kanzlers von Öffnungen spricht sowie deren Umsetzung bereits begonnen hat.
Sind es die inhärenten Mechanismen des Internets, die Extrempositionen immer stärker verbreiten als die gemäßigten Positionen der Mehrheit? Sind es auch die Mechanismen in der gesamten Medienlandschaft, die extremen Positionen mehr Raum gibt? Ist es vielleicht so, dass mit der Akademisierung auch eine höhere "Ängstlichisierung" einhergeht, beispielsweise dass ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann?
In jedem Fall kann ich von diesen extremen Positionierungen in meinem wirklich breit gestreuten beruflichen und privaten Umfeld nichts mehr wahrnehmen, auch bei den ehemals sehr Corona-Ängstlichen nicht. Ein m.E. gesunder Pragmatismus bricht sich seinen Bann, gerade im Umgang mit den Restrisiken dieser Pandemie.
Daher fühle ich mich in der von Ihnen schon verschiedentlich genannten Mehrheit von > 95 % aller Eltern ganz gut aufgehoben, die trotz Aufhebung der Präsenzpflicht ihre Kinder in die Schule schickt. Und sich selten bemüßigt fühlt, darüber Stellung zu beziehen und einen öffentlichen Kommentar zu schreiben.
Beste Grüße
Monika S.
Working Mum (Mittwoch, 16 Februar 2022 16:29)
Ich schließe mich meinen Vorrednerinnen an. Nicht nur bei den anderen Eltern in meinem Umkreis, auch bei befreundeten Lehrkräften kann ich die Vehemenz der Auseinandersetzung, wie sie hier geführt wird, nicht feststellen. Diese sind vielmehr froh um jeden Tag Präsenzunterricht, der realisiert wird. Nicht, weil wir alle unsere Kinder unbedingt betreut haben müssten, sondern weil wir gesehen haben, wie wichtig soziales Lernen und kindgerechte Aktivitäten in Gruppen von Gleichaltrigen für die Entwicklung von Kindern sind.
Dass Frau Prien mittlerweile ihren Twitteraccount gelöscht hat, zeigt, wie erbittert diese Debatte von manchen Seiten geführt wird. Das ist m.E. aber kein Abbild gesellschaftlicher Breite oder gar Mehrheit.
David B. (Freitag, 18 Februar 2022 15:32)
Lieber Herr Wiarda,
ich habe einen Luxus, den Sie sich als Freiberufler und Journalist (leider?) nicht leisten können. Ich bin seit Mai 2020 nicht mehr in sozialen Medien unterwegs. Insofern erlebe ich viele Debatten in meinem persönlichen Umfeld ganz anders, als Sie das oben schildern. In den Klassen meiner Töchter (8, 10 - beide voll geimpft) gehen alle Kinder in die Klasse, niemand macht vom Aussetzen der Präsenzpflicht gebraucht (Berlin - Bez. Tempelhof-Schöneberg). Die Schule ist, wie man so schön sagt, in einem sehr "bürgerlichen" Stadtteil und auch vorsichtige Eltern haben durch die Impfmöglichkeit für ihre Kinder nun eine Neubewertung des Risikos vorgenommen.
Wenn ich mir zusätzlich die Entwicklungen in unseren Nachbarländern anschaue, bin ich sogar der Meinung, dass Sie für mich eher zum "Team Vorsicht" gehören (soll keine Beleidigung sein). Insofern halte ich die Kritik an Ihrem Beitrag nicht nur für ungerechtfertigt, sondern auch für maßlos überzogen.
Ich persönlich hoffe eher, dass wir spätestens im April dort sind, wo die Dänen, Norweger, Briten, Österreicher und einige Schweizer Kantone (die Schweden darf man glaube ich seit 2020 aus "Shitstorm-Gefahr" nicht mehr erwähnen) schon jetzt sind: bei Schulen ohne Masken und Testen. Aber wie gesagt, das ist meine persönliche Meinung. Und die wird in Deutschland vermutlich derzeit von max. 20% geteilt. Viel schlimmer aber: auf Twitter wäre ich dafür vermutlich schon gelyncht worden. Insofern genieße ich weiter den Luxus des Twitter-Facebook-Instagram-etc. Detox.
Ansonsten: Machen Sie weiter so und lassen Sie sich von gefühlten (Twitter-)Mehrheiten nicht verunsichern. Sie sind wirklich eine besonnene und ausgewogene Stimme, die wir in der Debatte benötigen!