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So weit sind die Startchancen-Verhandlungen

Worauf sich die Verhandlungsführer von Bund und Ländern geeinigt haben, welche Streitfragen bleiben und was das alles für den geplanten Programmstart bedeutet.

ZUERST DER VERHANDLUNGSSTAND. Bei der KMK-Amtschefkonferenz hat die informell als "4+1" titulierte Startchancen-AG, bestehend aus vier Landesstaatssekretären und ihrer BMBF-Kollegin Sabine Döring, am Donnerstag präsentiert, wie weit man gekommen ist. 

 

Am wichtigsten: Die Verteilung und Gestaltung der drei Programmsäulen. Säule I ("Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und ansprechende Lernumgebung") soll mit 40 Prozent kleiner ausfallen als bislang vom Bund gefordert. Es ist zugleich die einzige Säule, deren Mittel nach einem neuen Schlüssel verteilt werden sollen: 20 Prozent negatives Bruttoinlandsprodukt (=wirtschaftsschwächere Länder bekommen mehr), 40 Prozent Anteil Schüler mit Migrationshintergrund, 40 Prozent Armutsgefährdungsquote. 

 

Säule II ("Chancenbudgets für bedarfsgerechte Lösungen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung) und Säule III ("Mehr Personal zur Stärkung mutiprofessioneller Teams", nicht mehr "Sozialarbeit") sollen je 30 Prozent umfassen, das Geld soll über Umsatzsteuerpunkte verteilt werden.


60 Prozent des Geldes sollen
bedarfsunabhängig fließen

 

Das bedeutet: Einerseits gesteht der Bund zu, dass jetzt sogar 60 Prozent der Gelder nach traditionellen, nicht wirtschaftlich-sozialen Gesichtspunkten an die Länder vergeben werden würden. Andererseits weichen die Länder-Verhandler wie vom BMBF gefordert von dem Verteilungsschlüssel ab, auf den sich im März alle 16 Länder geeinigt hatten.

 

Losgehen soll es zum Schuljahr 2024/25, gegebenenfalls gestaffelt. Während der Bund eine Milliarde pro Jahr über eine Laufzeit von zehn Jahren zusagt, gibt es an mehreren Stellen noch Diskussionen über die Ausgestaltung des 50-Prozent-Kofinanzierungsanteil der Länder. Etwa ob diese Kofinanzierung zwischen den Säulen weitgehend hin- und hergeschoben werden kann und wie genau der Eigenanteil der Länder in der ersten, der Bau-Säule, bemessen wird, die über den Finanzhilfe-Artikel 104c im Grundgesetz abgewickelt werden soll.

 

Oder was die Anrechenbarkeit bestehender Ausgaben in den Ländern betrifft, die in Richtung Startchancen-Ziele gehen: Hier ist eine Art Positivliste im Gespräch, in der Bund und Länder gemeinsam festlegen würden, welche vorhandenen Länder-Maßnahmen auf die Kofinanzierung einzahlen, außerdem sind bilaterale Vereinbarungen des Bundes mit jedem Land geplant. Der Bund gesteht den Ländern zu, dass sie einen Teil ihrer Kofinanzierung auch für die Programmdurchführung (=Overhead) ausgeben – wieviel, da ist man sich noch nicht einig. 

 

Genauso hakt es bei der Frage, über welchen Zeitraum die Investitionsmittel in der Bausäule eingesetzt werden dürfen (die Länder sagen: auf jeden Fall überjährig, sonst kann man kaum bauen) und ob das nicht die Einrichtung eines Sondervermögens erfordern würde. 

 

Dafür ist man sich in vielen weiteren Punkten einig. Etwa dass rund eine Millionen sozial benachteiligte Schüler durch das Programm erreicht werden sollen, was etwa zehn Prozent entspräche. Dass 60 Prozent Grundschulen sein sollen und 40 Prozent weiterführende und berufsbildende Schulen (und da die Berufs- und Ausbildungsvorbereitung). Und dass die Auswahl der Schulen in den Ländern mindestens auf der Basis der Dimensionen Armutsgefährdung und Migrationshintergrund erfolgen muss – was bedeutet, dass die Länder ohne bestehenden Schul-Sozialindex zumindest einen einfachen werden entwickeln müssen. 

 

Bund will Umsatzsteuer-Finanzierung
zunächst auf fünf Jahre befristen

 

Auf der Grundlage einer datengestützten Schulentwicklung soll in den Ländern eine Begleitstruktur für die Startchancen-Schulen aufgebaut werden, zum Beispiel in Form von Fortbildungen für Schulleitungen, Schulaufsicht und Lehrkräfte. Ein Konzept für eine Evaluation und wissenschaftliche Begleitung  soll erarbeitet werden, wobei die Evaluation als "unabhängige Erfolgskontrolle hinsichtlich Wirksamkeit, Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit" definiert wird. 

 

Die Länder sollen jährlich Rechenschaft ablegen, dass die die Startchancen-Gelder zweckentsprechend ausgegeben haben – womit ein weiterer offener Punkt erreicht ist: Der Bund will die im Finanzausgleichsgesetz abgesicherte Überlassung von Umsatzsteueranteilen für die Säulen II und III zunächst auf fünf Jahre befristen und von einer Prüfung besagter zweckentsprechender Mittelverwendung in den Ländern abhängig machen. Die Länder sehen eine solche Befristung bislang kritisch und verweisen auf den Fachkräftemangel, der es schwierig mache, mit zu kurz befristeten Arbeitsverträgen qualifiziertes Personal zu finden. 

 

Noch strittiger ist die rechtliche Umsetzung. Die Länder pochen auf einer Verwaltungsvereinbarung plus Anpassung des Finanzausgleichsgesetzes, das BMBF will zusätzlich ein Finanzhilfegesetz, was bedeuten würde, dass das noch das gesamte parlamentarische Verfahren durchlaufen werden müsste. Den Bundestagsfraktionen dürfte das gefallen, sie fordern eine stärkere Einbindung. Während die Länder gegenhalten, damit gehe die Augenhöhe der Partner verloren, denn ihre Parlamente seien außen vor. Das passte nicht zur vom Bund geforderten 50-50-Finanzierung. Und was würde ein Gesetzgebungsverfahren für den Zeitplan bedeuten, wenn man wie geplant zum August 2024 starten will? 

 

Fragen, die jetzt dringend
geklärt werden müssen

 

Die Länder drängen darauf, dass das Eckpunkte-Papier spätestens bei der Kultusministerkonferenz Mitte Oktober beschlossen wird. Was extrem sportlich ist, denn nur weil die vier verhandelnden Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen und das BMBF sich angenähert haben, heißt das nicht, dass die übrigen zwölf Länder in allen Punkten ohne Weiteres mitzugehen bereit sind. Deren Interessenlagen unterscheiden sich teilweise deutlich – abhängig von dem Geld, das sie durch die gewählten Verteilungsschlüssel zu erwarten haben – aber auch hinsichtlich der Überzeugung in den Ministerien, wie dringend es ein solches föderales Brennpunkt-Förderprogramm überhaupt braucht. 

 

Sollte der Oktober-Beschluss gelingen, würde es weitere Wochen dauern, bis die Vereinbarung so ausgefeilt wäre, dass ein Gesetzgebungsverfahren überhaupt beginnen könnte – und sich voraussichtlich deutlich ins nächste Jahr zöge. Wieviel Zeit bliebe dann noch für die Auswahl der Schulen, das Aufstellen von Konzepten und die Einstellung von Personal?

 

Fragen, die Bund und Länder werden miteinander klären müssen. Ein weiteres Problem: Die wichtigste Sollbruchstelle in den Startchancen-Verhandlungen hat gar nichts mit dem Eckpunkte-Papier zu tun. Dazu heute später mehr.




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