Ungeschwärzte Akten und Chats: ja. Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht für Ex-Staatssekretärin Döring: nein. Wie BMBF-Chef Cem Özdemir Licht in die Fördermittelaffäre bringen will.
Foto: Stephan Röhl, CC BY-SA 2.0.
JETZT SOLL ALLES ganz schnell gehen: Bundesforschungsminister Cem Özdemir will den Bundestagsabgeordneten noch diese Woche den Abschlussbericht der BMBF-internen Revision zur Fördermittelaffäre vorlegen. Außerdem habe der Minister angewiesen, dass die Parlamentarier bereits von Donnerstag an Zugang erhalten zu allen relevanten Unterlagen, die in Zusammenhang mit den aufzuklärenden Vorgängen stünden, teilte ein Ministeriumssprecher dem Wiarda-Blog auf Anfrage mit. Und zwar ungeschwärzt und inklusive der jedoch nur noch in "Teilen und Auszügen" vorhandenen Chat-Kommunikation. Nicht aufheben will Özdemir dagegen die Verschwiegenheitspflicht der von seiner Vorgängerin entlassenen Ex-Staatssekretärin Sabine Döring und des zuständigen Abteilungsleiters Jochen Zachgo.
Damit schafft der Grünen-Politiker Klarheit, wie er mit den Forderungen aus den unterschiedlichen Bundestagsfraktionen und auch Dörings selbst umgehen will. Und das genau eine Woche, bevor Özdemir vor dem Bundestags-Forschungsausschuss erscheinen soll, um zum Stand der ressortinternen Aufklärung zu berichten. In einem Schreiben an den Ausschussvorsitzenden Kai Gehring (ebenfalls Grüne) hatte der neue BMBF-Chef kurz vor Weihnachten zugesagt, dem entsprechenden Wunsch der Obleute zu folgen, weitere Details aber offengelassen.
Druck kam seitdem vor allem von der Unions-Opposition im Bundestag. Den Wechsel an der BMBF-Spitze sehe man als Chance, endlich eine vollumfängliche Sachaufklärung zu erreichen, schrieben die CDU-Wissenschaftspolitiker Thomas Jarzombek und Stephan Albani bereits Anfang Dezember an Özdemir und begrüßten "außerordentlich" die ressortinterne Prüfung, die dieser eingeleitet habe. "Wir bitten Sie darum, den Abschlussbericht zu dieser gründlichen internen
Prüfung und zu personellen wie administrativen Konsequenzen in der Sitzung
des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 29. Januar 2025 vorzustellen. Ferner bitten wir
Sie hiermit darum, Frau Staatssekretärin a.D. Prof. Dr. Sabine Döring für diese
Sitzung von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Darüber hinaus
wären wir Ihnen dankbar, wenn auch der Leiter der Abteilung 4 "Hochschul-
und Wissenschaftssystem; Bildungsfinanzierung", Herr Ministerialdirektor
Dr. Jochen Zachgo, in der Ausschusssitzung die bisher offengebliebenen
Fragen persönlich beantworten würde."
Zusätzlich forderten die CDU-Politiker "zur vollumfänglichen Ausübung unserer
parlamentarischen Kontrollfunktion", den Abgeordneten des Ausschusses "im Vorfeld sowie in geeigneter Weise einen Einblick in sämtliche relevante ungeschwärzte Akten zu den in Kritik stehenden Vorgängen zu ermöglichen".
Özdemir habe seine Entscheidung
"gründlich abgewogen", sagt sein Sprecher
Mit seiner Erwiderung hatte Özdemir sich bis zum heutigen Mittwoch Zeit gelassen. Was dazu führte, dass die Union vergangene Woche in den Angriffsmodus schaltete. Seit anderthalb Monaten warte man nun auf Özdemirs Entscheidung zu Verschwiegenheitspflicht und Akteneinsicht, eine erste Frist zur Akteneinsicht habe der Minister "tatenlos verstreichen lassen", erregte sich Jarzombek vergangene Woche. "Meine Zweifel am Aufklärungswillen von Bundesminister Özdemir zur Fördermittelaffäre wachsen mit jedem weiteren Tag."
Zur Entscheidung, die Verschwiegenheitspflicht von Döring und Zachgo nicht aufzuheben, sagte Özdemirs Sprecher am Mittwoch, der Bundesminister habe "sehr gründlich abgewogen". Grundsätzlich gelte es, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu gewährleisten, "dass innerdienstliche Konflikte und Meinungsverschiedenheiten nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werden sollen. Auch gilt es, Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten im Hause zu schützen."
Natürlich seien auch das Interesse von Ex-Staatssekretärin Döring an einer Äußerung sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu beachten, doch werde das BMBF "diesen Interessen durch die Möglichkeit der Einsichtnahme der Abgeordneten in die ungeschwärzten Akten, die Berücksichtigung einer schriftlichen Stellungnahme von Staatssekretärin a.D. Döring sowie die Aufarbeitung der Vorgänge durch die Interne Revision einschließlich eines ausführlichen Gespräches mit Staatssekretärin a.D. Döring, in dem sie ihre Sicht der Dinge umfassend darstellen konnte, nachkommen." Vor diesem Hintergrund überwögen die Gründe, die gegen eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht sprächen, die "auch immer nur eine Ausnahme" sein könne.
Die CDU machte SPD und
Grünen schwere Vorwürfe
Wird die Union sich damit zufriedengeben? Vergangene Woche hatten Jarzombek und Albani Özdemirs Partei bereits eine Mitschuld an den bisherigen Aufklärungsversäumnissen zugeschoben. SPD und Grüne hätten "in der ganzen Zeit treu an der Seite der damals verantwortlichen Hausspitze" gestanden. "Die systematische Verhinderung einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung konnte nur durch diese Rückendeckung von SPD und Grünen so durchgezogen werden."
Der Minister hätte es sich mit der Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht auch einfach machen können, heißt es derweil aus dem BMBF, zumal die Vorgänge in der Fördermittelaffäre allein unter Verantwortung der damaligen FDP-Hausleitung gefallen seien. Özdemir habe aber "ein ehrliches Interesse an Aufklärung und am BMBF" und wolle seiner Verantwortung für das Haus und seiner Beschäftigten voll nachkommen. Er sei der Auffassung, dass das BMBF durch das Vorgehen damals "einen schweren Vertrauensschaden" erlitten habe. Jetzt wolle er das Vertrauen wieder aufbauen und nicht zulassen, dass "durchsichtige parteitaktische Spielchen von der CDU" die Integrität des Verwaltungshandeln weiter belasteten".
Ob die Abgeordneten der anderen Parteien das genauso sehen wie Özdemir und zufrieden sind mit seiner Aufklärungsstrategie, bleibt abzuwarten. Im September war Döring selbst vor dem Verwaltungsgericht Minden mit ihrem Antrag gescheitert, dass ihre dienstliche Verschwiegenheitspflicht als ehemalige Beamtin trotz der Weigerung Stark-Watzingers aufgehoben wird.
Am frühen Mittwochnachmittag wurden die Ausschussmitglieder jedenfalls über die geplanten Schritte informiert, zusätzlich sollte eine entsprechende Hausmitteilung an alle BMBF-Mitarbeiter gehen.
Bemerkenswert ist an dem Abschlussbericht der Internen Revision schon dessen Zustandekommen. Denn entgegen Stark-Watzingers Beteuerung, bereits alles für eine vollumfängliche Aufklärung getan zu haben, hatte erst ihr Nachfolger die hausintern, aber weisungsunabhängig arbeitenden Beamten mit Ermittlungen beauftragt. In den vergangenen sieben Wochen habe die Interne Revision "die einschlägigen Unterlagen aus den damals mit den Vorgängen befassten Referaten, öffentlich zugängliche Medienberichte, Gerichtsbeschlüsse, Drucksachen des Deutschen Bundestages gesichtet", teilt das BMBF mit, "insgesamt weit über 1.000 Seiten umfassende Dokumente". Zudem seien vertiefende Gespräche mit damals zentralen Akteuren geführt worden und eingeflossen, darunter das bereits erwähnte mit Ex-Staatssekretärin Döring, das mehrere Stunden umfasst habe. Daher, heißt es weiter aus dem Ministerium, sei "die öffentliche Befragung einer einzelnen Person" nicht geeignet, "einen größeren Erkenntnisgewinn zu erzielen."
"Es kann nur vorgelegt werden,
was dem Haus vorliegt"
Besonders gespannt werden die Abgeordneten auch die vom Ministerium vorgelegten Chat-Nachrichten begutachten, hatten doch geleakte Wire-Diskussionen der BMBF-Hausleitung für Aufsehen gesorgt und weitere Fragen aufgeworfen, wer zu welchem Zeitpunkt worüber informiert gewesen war. Dabei lässt die Einschränkung, die Chat-Kommunikation sei nur "in Teilen und Auszügen" vorhanden, aufhorchen. Fehlen entscheidende Passagen womöglich? Aus Özdemirs Ministerium hieß es dazu am Mittwoch auf Nachfrage lapidar: "Es kann nur vorgelegt und ausgewertet werden, was dem Haus vorliegt. Auf private Geräte hat das Haus keinen Zugriff."
Was den Verdacht erhärten könnte, dass die alte BMBF-Hausleitung Teile ihrer Kommunikation auf Privathandys ausgelagert hatte – was in dem Augenblick ein Verstoß gegen die Vorschriften wäre, wo, und sei es nur zum Teil, doch dienstliche Belange und Zwecke diskutiert worden sein sollten.
Die von Özdemir betriebene Aufarbeitung der Affäre habe zwei Säulen, führte sein Sprecher aus. Erstens die Ermittlungen der Internen Revision und zweitens "die Stärkung des Vertrauens in das BMBF durch Dialog, unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft." Der Minister habe dazu mehrere vertrauensbildende Gespräche geführt, die im Zusammenhang zueinander stünden. Konkret traf sich Özdemir mit dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal, mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und mit denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bereits im Mai 2024 der damaligen Hausleitung ein Gesprächsangebot gemacht hatten. Das die aber laut BMBF nie wahrgenommen hatte. Es seien sehr gute vertrauensbildende Gespräche gewesen, heißt es aus dem Ministerium.
Am Abend sprach Özdemir im Spiegel erstmals über seine Entscheidung, Döring und Zachgo nicht vor dem Ausschuss erscheinen zu lassen. "Wenn Aussage gegen Aussage steht, kann ich das nicht auflösen. Und was haben wir davon, wenn wir jetzt noch schmutzige Wäsche waschen? Was hätte die Öffentlichkeit von diesem Theater?"
Nachtrag am 23. Januar
Der SPD-Wissenschaftspolitiker Oliver Kaczmarek kommentierte am Donnerstag, es sei "gut", dass der neue Bildungsminister nun nicht nur den Abschlussbericht der internen Untersuchung vorlegt, sondern auch den vollständigen und ungeschwärzten Zugang zu allen Unterlagen für die Abgeordneten ermöglicht." Das habe auch die SPD lange gefordert und werde die Unterlagen nun in Ruhe auswerten. "Dass die FDP-Ministerin dazu weder Kraft noch Willen hatte, hat in der Wissenschaft viel Vertrauen zerstört." Die politische Einflussnahme auf Prüfverfahren und Förderentscheidungen müsse weiter und auch für die Zukunft vollständig ausgeschlossen werden.
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wie immer sind Sie herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen. Bitte beachten Sie jedoch, dass die Netiquette hier im Blog konsequent zu beachten ist. Das bedeutet: keine persönlichen Angriffe oder Herabwürdigungen, ein wertschätzender Ton auch bei inhaltlichen Differenzen. Zur Sache kritische Kommentare sind sehr willkommen, wobei ich mir im Zweifel vorbehalte, die Verwendung nachvollziehbarer Klarnamen zur Voraussetzung einer Veröffentlichung zu machen.
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Mit bestem Dank und guten Wünschen
Ihr Jan-Martin Wiarda
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Frank Splettstößet (Mittwoch, 22 Januar 2025 16:11)
Viel wichtiger als der erwähnte Beschluss des VG Minden ist der des OVG Münster. Dieser bestätigt den Mindener Beschluss, ist rechtskräftig und auch sonst in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
Zu finden hier: https://openjur.de/u/2498152.html