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Der ungeklärte Fall der Kanzlerin

Die Kanzlerin der Freien Universität Berlin darf schon lange ihre Amtsgeschäfte nicht mehr führen. Doch das Verfahren um die Personalie läuft noch immer – mit Folgen für alle Beteiligten.

SEIT 15 MONATEN ist die Kanzlerin der Freien Universität (FU) Berlin nicht im Dienst. Doch ganz weg ist sie auch nicht, denn bezahlt wird sie offenbar weiterhin. Der Fall ist schwebend – die ungeklärte Lage belastet alle Beteiligten.

 

Wie ist es dazu gekommen? Die damalige Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hatte Ende Februar 2022 verfügt, dass Kanzlerin Andrea Bör, seit 2016 an der FU, "mit sofortiger Wirkung für die kommenden drei Monate" ihre Amtsgeschäfte nicht wahrnehmen dürfe. Vorangegangen war ein jahrelanger Streit mit FU-Präsident Günter M. Ziegler, der im Herbst 2021 eskalierte.

 

Damals stand die Präsidentschaftswahl im Februar 2022 an. Ziegler wollte eine zweite Amtszeit, was Bör und eine Gruppe von Professoren unbedingt verhindern wollten. Recherchen des Tagesspiegel ergaben, dass Bör an allen Unigremien vorbei eine Personalagentur damit beauftragt hatte, Gegenkandidaten zu finden. Das Manöver führte zu tiefen Verwerfungen an der FU – auch wenn der Auftrag später zurückgezogen wurde. Da war jedoch bereits eine fünfstellige Honorarsumme aus FU-Haushaltsmitteln geflossen.

 

Akademischer Senat sprach Misstrauen aus

 

Der Akademische Senat sprach Bör seine Missbilligung und mit knapper Mehrheit sogar das Misstrauen aus, das Verhältnis war auch aus anderen Gründen zerrüttet. Zunächst leitete die Wissenschaftsverwaltung ein Disziplinarverfahren gegen Bör ein. Nach einigem Hin und Her untersagte schließlich Senatorin Gote der Kanzlerin die Ausübung ihrer Amtsgeschäfte. Kurz zuvor war Ziegler deutlich wiedergewählt worden. Spätestens damit war Börs Rückkehr kaum vorstellbar.

 

Doch rechtlich scheint sich die Sache anders darzustellen. Im Mai 2023 steht auf der FU-Homepage zwar unter Kanzlerin: „Andrea Güttner“. Doch in Klammern heißt es: "mdWdAb", die amtliche Abkürzung für "mit der Wahrnehmung der Geschäfte betraut". Weiter ist zu lesen, Bör nehme ihre "Amtsgeschäfte zurzeit auf Veranlassung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung nicht wahr".

 

Das "Zurzeit" dehnt sich

 

Das "Zurzeit" dehnt sich an der FU immer weiter – und kostet. Die Kanzlerin bezieht offenbar weiter ihr Gehalt, Stufe B5, was knapp 10.000 Euro monatlich entspricht. Noch schlimmer aber ist die Ungewissheit, in der sich die FU-Verwaltung, das Präsidium, aber auch die Kanzlerin selbst befinden. Wie lange wird das so weitergehen?

 

Zieglers Sprecher Goran Krstin sagt auf Anfrage, das Verbot der Amtsführung, gesetzlich zunächst auf drei Monate begrenzt, sei per Mitteilung der Wissenschaftsverwaltung auch über den 23. Mai 2022 verlängert worden. "Aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes können wir uns zu weiteren Details in dieser Personalangelegenheit nicht äußern", fügt Krstin hinzu. "Sämtliche Verfahren bezüglich der Tätigkeit von Bör" würden durch die zuständige Senatsverwaltung geführt. "Verfahren" wohlgemerkt im Plural. Welche das im Einzelnen sind?

 

Die Senatsverwaltung teilte am 26. April mit, zur Causa Bör "im Einzelnen keine Auskunft" geben zu können, "da es sich um eine Personaleinzelangelegenheit handelt und das Verfahren noch läuft".

 

Allerdings befindet sich seit dem 27. April die neue Senatorin Ina Czyborra (SPD) im Amt. Wird sie die Beendigung des Schwebezustands zur Chefinnensache machen? Wissenschaftspolitisch wird die Angelegenheit auch deshalb immer brisanter, weil nach dem Regierungswechsel jetzt kurzfristig die Verhandlungen um die neuen Hochschulverträge abgeschlossen werden müssen. Dabei spielen die Kanzler eine wichtige Rolle, denn es geht um die Finanzierung der Unis. Ein strategisches Handicap kann sich die FU insofern schon jetzt nicht mehr leisten.

 

Andrea Bör würde sich wohl gern äußern, darf aber nicht. Auf Anfrage verwies sie darauf, dass ihr für eine öffentliche Stellungnahme keine Zustimmung der Senatsverwaltung vorliege.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel.


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Kommentare: 9
  • #1

    Joachim Kaufmann (Freitag, 12 Mai 2023 22:24)

    Schau an: Es gibt Probleme mit hauptamtlichen Personen im Präsidium der Universität nicht nur in Göttingen.

  • #2

    hmm (Sonntag, 14 Mai 2023 11:26)

    Frau Bör war vor Berlin als Kanzlerin in Passau. Ihre Art, die Amtsgeschäfte zu führen, hat auch dort nicht gerade zu Begeisterung geführt, und viele waren erstaunt, dass sie es danch an die FU Berlin geschafft hat. Dass ihr schliesslich die Ausübung der Amtsgeschäfte in Berlin bis auf Weiteres untersagt wurde, erstaunt allerdings niemanden.

  • #3

    oh je (Sonntag, 14 Mai 2023 13:50)

    Frau Bör wird wohl an keiner deutschen Hochschule mehr eine leitende Position bekleiden. Hoffentlich.

  • #4

    Grramsci (Montag, 15 Mai 2023 20:51)

    Andrea Güttner vertritt die FU erstklassig als amtierende Kanzlerin.

  • #5

    Edith Riedel (Dienstag, 16 Mai 2023 11:33)

    Es ist doch bezeichnend, dass es eine Gruppe von Professor*innen im Akademischen Senat der FU gab, die von der Beauftragung der Personalagentur wussten, oder sie sogar in Auftrag gegeben hatten: https://furios-campus.de/2022/08/03/affaere-um-fu-kanzlerin-boer-veroeffentlichte-dokumente-geben-neue-einblicke/
    Natürlich kann man Frau Bör ankreiden, etwas zu forsch vorgesprescht zu sein, aber es sieht doch schon sehr danach aus, dass sie nun als Bauernopfer vorgeschoben werden soll.

  • #6

    hmm (Dienstag, 16 Mai 2023 13:29)

    @Edith Riedel:

    sehr einleuchtend, Ihre Version der Geschichte. Bestimmt war es so, dass die arme Frau Bör missbraucht wurde von einer Gruppe intriganter Professoren. Da lacht man in Passau.

  • #7

    Sattelberger (Mittwoch, 17 Mai 2023 21:37)

    Ein klarer Akt von Illoyalität. Mit der Kanzlerin i.R. habe ich kein Mitleid. Dass so etwas überhaupt zu Diskussionen führt, zeigt die Qualität von Compliance Strukturen in Wissenschafts Organisationen

  • #8

    Edith Riedel (Freitag, 19 Mai 2023 09:19)

    @hmm
    Da ich nicht über Insiderinformationen verfüge, ist das nicht "meine" Version der Geschichte. Wie unter dem oben aufgeführten Link aufgeführt, zeigen inzwischen veröffentlichte Dokumente, dass Teile des AS informiert waren. Was ist denn so abwegig an der Vorstellung einer Gruppe intriganter Professor*innen? Für mich ist es eher abwegig, dass hier ein Alleingang vorliegt, von dem niemand Kenntnis gehabt haben soll.

  • #9

    @Edith Riedel (Freitag, 19 Mai 2023 20:34)

    Abwegig ist Ihre Vorstellung, dass Frau Bör Opfer ist.