Was sagen Politik und Wissenschaftsszene über den WissZeitVG-Entwurf aus dem BMBF? Eine erste Übersicht von Kommentaren und Reaktionen.
DER FORSCHUNGSPOLITISCHE SPRECHER der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Seiter, sagte, der BMBF-Entwurf reize "die Möglichkeiten des WissZeitVG aus".Er erfülle die Vereinbarungen aus dem Ampel-Koalitionsvertrag unter Berücksichtigung der vielfältigen Meinungen aus der Wissenschaftscommunity. "Das Einende in der Koalition muss auch mit dem überarbeiteten WissZeitVG das Streben nach wissenschaftlicher Exzellenz bleiben." Hervorzuheben sei eine verbesserte Planbarkeit durch Schaffung von Mindestvertragslaufzeiten. "Dies gibt jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausreichend Zeit, das Promotionsverfahren voranzubringen." Eine weitere Verkürzung der Postdoc-Phase auf unter vier Jahre würde dagegen der akademischen Realität nicht gerecht "und hätte zu einer starken zeitlichen Belastung des Wissenschaftsnachwuchses geführt". Seiter sprach von "teils unvereinbaren Erwartungen aus der Wissenschaftscommunity", die von Anfang an "nicht einzig und allein" in dieses Gesetz hätten gegossen werden können, das nur die Befristungspraxis im Wissenschaftssystem regele. "Das WissZeitVG kann nur Regeln zur Befristung von Stellen leisten. Reformen, die darüber hinausgehen, bedürfen mehr Engagement der Länder."
Zwar seien in den WissZeitVG-Verhandlungen alle Seiten engagiert auf der Suche nach guten Lösungen und kompromissbereit gewesen, sagte die wissenschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Nina Stahr. "Dass wir jetzt trotz der bereits sehr langen Verhandlungen noch kein abschließendes Ergebnis haben, bedauern wir, aber der letzte Vorschlag des BMBF war für uns Bündnisgrüne noch nicht konsensfähig." Vor allem hätten die grünen Bedenken nicht ausgeräumt werden können, dass das vom BMBF vorgeschlagene Postdoc-Befristungsmodell den Druck auf individuelle Wissenschaftler*innen nicht noch verstärken werde. "Darum haben wir uns insbesondere dafür stark gemacht, den Geltungsbereich des Gesetzes noch klarer auf die wirkliche, wissenschaftliche Qualifizierung zu begrenzen, die Rolle der Tarifpartner zu stärken, gemeinsam mit den Ländern zusätzliche Dauerstellen zu schaffen und Befristungshöchstquoten zu verankern." Doch auch der insgesamt noch nicht geeinte Referentenentwurf erhalte bereits gute Ansätze und grüne Verhandlungserfolge, fügte Stahr hinzu: "von der Verankerung von Mindestvertragslaufzeiten bis zur Ausweitung der familienpolitischen Komponente auf viele Drittmittelbeschäftigte". Deshalb sei man zuversichtlich, "dass in der weiterhin kollegialen Zusammenarbeit aus dem Entwurf des BMBF bald ein gemeinsames Gesetz wird, das unser Wissenschaftssystem insgesamt stärkt".
Die SPD-Wissenschaftspolitikerin Carolin Wagner zählte ebenfalls "viele Verbesserungen für Beschäftigte" auf, die man in den WissZeitVG-Verhandlungen vereinbart habe, darunter die Mindestvertragslaufzeiten Promovierte, das Aufbrechen der Tarifsperre, die Regelungen für Studentische Hilfskräfte und die Ausweitung des Nachteilsausgleichs für Drittmittelbeschäftigte in der Qualifizierungsphase. Auch in der Postdoc-Phase habe man sich mit der Anschlusszusage "auf ein neues Werkzeug" geeinigt", wobei der SPD wichtig gewesen sei, dass dieses einen individual-arbeitsrechtlichen Charakter habe und die vereinbarten Ziele und der Evaluationsmechanismus im Arbeitsvertrag festgelegt würden. "Ausschlaggebend ist aber für uns die Frage, wann das neue Werkzeug der Anschlusszusage greift – unserer Ansicht nach muss dies zügig nach der Promotion erfolgen." Die SPD-Fraktion könne deshalb den vorgelegten Entwurf wegen der darin enthaltenen "4+2-Regelung" für die Postdoc-Phase nicht mittragen. "Hier fehlen uns verlässliche Perspektiven für die Beschäftigten, dass dies zu einem Wandel in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen hin zu mehr entfristeten Stellen führt." Von Seiten der SPD habe es bei dieser Frage "an Vorschlägen nicht gemangelt", betonte Wagner. "Wir wollten über eine wirklich kurze Orientierungsphase von maximal zwei Jahren das sogenannte Personalkarussell abbremsen. Danach hätte eine weitere Befristung in unseren Augen nur mehr mit Anschlusszusage erfolgen dürfen. Dieser Vorschlag aber wurde kategorisch abgelehnt, auch für den Fall scharf umrissener Ausnahmeregelungen für besonders gelagerter Fälle."
Die Koalition sei beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz zerstritten und demonstriere offen ihre Handlungsunfähigkeit, kommentierte der forschungspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek. CDU/CSU gingen "der Verantwortung in dieser komplizierten Situation" nicht aus dem Weg. "Wir bieten auch auf Basis dieses Referentenentwurfs die Zusammenarbeit für eine pragmatische und konstruktive Mehrheit an." Die Zeit der Planungsunsicherheit in Wissenschaft und Forschung solle schnellstmöglich beendet werden. "Unser Ziel ist über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hinaus eine Mittelbaustrategie zu formen, die zu mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit führt und gleichzeitig Anreize für eine Modernisierung und Professionalisierung von Strukturen setzt." Damit einhergehen müsse auch die Verankerung klarer Standards der Personalentwicklung und -begleitung.
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, sagte: "Der nach einem intensiven und transparenten Beratungsprozess lange erwartete Text wird helfen, die Diskussion über die angemessene Ausgestaltung des notwendigen Sonderbefristungsrechts in der Wissenschaft und über flankierend sinnvolle Maßnahmen, die aber nicht Gegenstand des Gesetzes sind, weiter zu versachlichen." Hinter den weitgehend unstreitigen Reformvorschlägen des BMBF sollten sich alle Akteur:innen vereinen können, "die die unterschiedlichen Interessen in der Wissenschaft konstruktiv gegeneinander abwägen". Die Hochschulen, so Rosenthal, begrüßten den Vorschlag einer Postdoc-Phase mit einer Befristungsmöglichkeit nicht unter vier Jahren: "Nur so kann es den Postdoktorandinnen und Postdoktoranden in vielen Fächern gelingen, nach der Promotion einen neuen Schwerpunkt in Forschung und Lehre und ein eigenständiges wissenschaftliches Profil zu entwickeln. Ob eine dauerhafte Karriere in der Wissenschaft – oder außerhalb – möglich und aussichtsreich ist, entscheidet sich in dieser Qualifikationsphase." Auch die Mindestlaufzeiten für Erstverträge von Promovierenden und Postdocs stießen auf Zustimmung der HRK, die vorgesehene Tariföffnung berge dagegen das Risiko mangelnder Verlässlichkeit und Transparenz für die Mitarbeitenden, auch die Mobilität zwischen den Ländern, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen werde dadurch beeinträchtigt.
Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGA Wiss) bemängelte, dass der Referentenentwurf "in einem Pressegespräch hinter verschlossenen Türen" vorgestellt worden
sei. Inhaltlich habe das BMBF weitestgehend die Position der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen übernommen. Damit gebe das Ministerium "nun vollständig einen
eigenständigen Gestaltungsanspruch auf", sagte Lisa Janotta vom Koordinationskreis NGA Wiss. "Die geringfügig neu zugeschnittenen Zeiten lassen die Situation einer überbordenden
Befristung bei weitestgehend fehlenden klaren Berufsperspektiven unberührt." Dass die Hochschulen Promovierte nun über vier statt sechs Jahre bedingungslos befristet beschäftigen dürften,
werde sie nicht dazu bewegen, an den bestehenden Personalstrukturen etwas zu ändern, "sie werden weiterhin versuchen, sich durchzumogeln". Weiter kritisierte NGA Wiss, der überregionale
Zusammenschluss von Mittelbauinitiativen und Einzelpersonen aus dem akademischen Mittelbau, dass die Tarifsperre nur in Teilen fallen solle. "NGAWiss fordert eine Normalisierung des Arbeitsrechts
in der Wissenschaft in Belangen der Vertragsgestaltung sowie des Streikrechts."
Die Gewerkschaft ver.di warf Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger vor, sämtliche gegen die WissZeit-VG vorgebrachten Argumente und Proteste zu ignorieren. "Hoch qualifizierte Beschäftigte, die nach ihrem Studium auch die Promotion abgeschlossen haben, sollen weiterhin auf Jahre hinaus befristet sein, weil sie sich angeblich noch qualifizieren müssen. Das ist absurd", sagte ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die auch künftig zulässige sachgrundlose Befristung nach der Promotion werde den Druck auf die Beschäftigten absehbar nur weiter erhöhen. Die im Koalitionsvertrag zugesagte Planungssicherheit und attraktive Berufswege in der Wissenschaft würden so nicht erreicht. "Nun ist der Bundestag gefragt, den Entwurf deutlich nachzubessern." Positiv sei dagegen das Vorhaben, Mindestvertragslaufzeiten festzuschreiben, allerdings müsse bei deren Länge noch nachgebessert werden.
HRK-Vizepräsidentin Anja Steinbeck, Sprecherin der Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz, twitterte hingegen, es sei ein "Irrglaube anzunehmen, 2 Jahre Postdoc-Befristung führten zu einem 'Systemwechsel'". An der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, deren Rektorin Steinbeck ist, hätten zur Zeit 38 Prozent der promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter Dauerstellen, eine Erhöhung auf bis zu 50 Prozent sei geplant. Der Bedarf in den Fakultäten sei allerdings sehr unterschiedlich. Daran, so Steinbeck, würde auch Höchstbefristungsgrenze von zwei Jahren nichts ändern. "Effekt wäre, dass in dieser kurzen Zeit die Bildung eines eigenen wissenschaftlichen Schwerpunkts und damit Qualifizierung für eine Juniorprofessur auf Haushaltsstellen nicht mehr möglich wäre."
Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller warf dem BMBF vor, dass es bei der Neuregelung der Postdoc-Befristung "eins zu eins" dem Ansatz der Allianz gefolgt sei. "Die Ampelkoalition muss den Entwurf stoppen und auf einen fairen Interessenausgleich statt eines Kotaus vor den Arbeitgebern pochen." Die Mitinitatorin von "#IchbinHanna", Amrei Bahr, twitterte, dass mit SPD und Grünen zwei von drei Ampelfraktionen sich klar gegen die vierjährige Postdoc-Befristung ohne Perspektive positionierten, "zeigt, wie wichtig es ist, dass #IchBinHanna #IchBinReyhan #ProfsFürHanna #ProfsFürReyhan laut sind & es bleiben. Wir werden gehört. Also weiter so!"
Der Vorstandsvorsitzende des Universitätsverbundes German U 15, Georg Krausch, nannte die Postdoc-Befristungsregelung im vorgestellten Referentenentwurf unterdessen "deutlich besser als die drei Jahre, die das Eckpunktepapier vom 17. März vorgesehen hat". Zugleich sei klar: "Karrierewege nach der Promotion werden zukünftig anders aussehen als bisher. Universitäten sind in der Verantwortung, diese Transformation aktiv zu gestalten, mit dem Ziel, attraktive Arbeitsbedingungen und verlässliche Karrierewege zu gewährleisten."
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