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Der Mut zur Veränderung reichte nur für einen neuen Namen

Die zur Strategie umgetaufte Exzellenzinitative geht heute in ihre entscheidende Wettbewerbsrunde. Die Universitäten reichen fürs Schaufenster aufgehübschte Antragsprosa ein. Genau das hatten wir mit unseren Reformvorschlägen verhindern wollen. Eine Bilanz von Dieter Imboden.

Tom Thistlethwaite: "KTM - Exzellent" Bike Decal, CC BY-NC 2.0

GEMÄSS EINER KÜRZLICH veröffentlichten Umfrage stehen Assistenzärzte am Universitätsspital Zürich im Mittel nur anderthalb Stunden ihres mindestens 10-stündigen Arbeitstages im direkten Kontakt mit Patienten. Die restliche Zeit verbringen sie an Sitzungen oder vor dem Bildschirm, wo sie aufschreiben, was sie tun wollen oder getan haben.

 

Das ist traurig – für die Ärztinnen und Ärzte genau so wie für die Patienten. Durch Schreiben werden Menschen nicht gesund. Ärzte hätten Wichtigeres zu tun und könnten ihr Wissen sinnvoller einsetzen. Doch sie sind nicht die einzigen Berufsleute, welche sich durch Fremdbestimmung immer weiter von jenen Dingen entfernen, für die man sie eigentlich auf ihren Posten gewählt hat. Auch Forscherinnen und Forscher erleiden dieses Schicksal. Wer erfolgreich forscht, endet am Schreibtisch, schreibt Forschungsanträge, deren Durchführung später andern überlassen werden muss, und sieht das Labor nur noch, wenn ein Gast zu Besuch kommt. 

 

Die Situation ist nicht neu; sie besitzt als Ausdruck der akademischen Selbstverwaltung immerhin eine gewisse Logik. Doch während der vergangenen zwei, drei Jahrzehnten wurde es immer schlimmer. Das rasante Wachstum der Universitäten und der Forschungsmittel forderte seinen Tribut. Ginge es nicht auch anders?

Dieter Imboden, 74, ist Physiker und war bis 2012 Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds. Im Auftrag von Bund und Ländern leitete er von 2014 bis 2016 die "Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative".
Dieter Imboden, 74, ist Physiker und war bis 2012 Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds. Im Auftrag von Bund und Ländern leitete er von 2014 bis 2016 die "Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative".

Bis heute, 12 Uhr, erwartet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Anträge für jene 88 Exzellenzcluster, welche im Herbst 2017 die erste Selektion überlebt haben. Man kann sich die Anspannung und Hektik an den betroffenen Instituten lebhaft vorstellen: Statt um aktive Forschung ging es in den vergangenen Wochen – wie schon im vergangenen Sommer – um Forschungspläne und Versprechungen. Die Gewinnchancen sollen bei etwas mehr als 50 Prozent liegen.

 

Das Pläneschmieden mag hie und da nützlich sein, solange noch Zeit bleibt die Pläne auch wirklich auszuführen und die Labors nicht zu veröden drohen. Auch große und langfristige Forschungsprogramme können der Forschung in einem bestimmten Gebiet entscheidende Schübe vermitteln. Aber lassen wir uns nicht täuschen. Die wirklichen innovativen Durchbrüche ereignen sich mehrheitlich überraschend, das heißt ungeplant. Es sind, wie bei Kolumbus, die unverhofften Entdeckungen von neuen "Kontinenten", welche die Forschung entscheidend weiterbringen. Den Entdeckern folgen die fleißigen Landvermesser, welche den neuen Kontinent bis ins letzte Detail ausleuchten. Sie braucht es auch in der Forschung, aber wenn es keine Entdecker mehr gibt, werden über kurz oder lang auch die Vermesser arbeitslos. Forschungsprogramme sind gut für die Landvermesser, aber taugen weniger für einen Kolumbus oder einen Einstein. >>


Welche Universitäten will sich um den Status einer "Exzellenzuniversität" bewerben und welche nicht? Wer geht allein, wer schließt sich einem Verbund an? Hier finden Sie die Übersicht


>> Noch nervöser als die Cluster-Antragsteller mögen in diesen Tagen die Präsidenten und Rektorinnen der betroffenen Universitäten sein, hängt doch ihr Schicksal vom Erfolg ihrer Exzellenz-Kapitäne ab. Nur jene Universitäten, welche zwei – bei Verbundclustern gar drei – erfolgreich über die zweite Runde bringen, dürfen in der zweiten Förderlinie zum Wettbewerb um die Exzellenzuniversität antreten. Diese Regelung ist die folgerichtige Konsequenz eines missglückten Ansatzes.

 

Die Idee, nicht nur einzelne hervorragende Forschungsprogramme zu belohnen, sondern auch Konzepte ganzer Universitäten, mag zu Beginn der ersten Exzellenzinitiative ja noch ihren innovativen Reiz gehabt haben. Doch mit Aktionen auf Zeit, welche unter dem hehren Namen "Zukunftskonzepte" angepriesen wurden, löst man das Problem der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten nicht. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass daraus kaum permanente Veränderungen entstanden sind. Die so möglich gewordenen Sonderaktivitäten hängen – wie Patienten auf der Notfallstation – quasi am Tropf. Versiegt der Tropf, verflüchtigt sich die Wirkung.

 

Leider haben die Architekten der neuen Exzellenzstrategie aus der Vergangenheit nur die halbe Lehre gezogen. Da man die Zukunft nicht alle zehn Jahre neu erfinden kann, musste ein neuer Name her: "Exzellenzuniversität". Doch nach dem Namenswechsel verschwanden Mut und Wille zur Veränderung. Tatsächlich beruht die Exzellenz einer Universität auf einer Vielzahl herausragender Persönlichkeiten, Forschungsleistungen und Lehrkonzepten. Exzellenz am Erfolg einzelner Forschungsprogramme festzumachen und andere Leistungen, wie die Einwerbung anderer Drittmittel, persönliche Auszeichnungen einzelner Forscherinnen und Forscher (Leibniz-Preis, ERC und andere) zu vernachlässigen, bringt ein Element der Zufälligkeit in den dringend nötigen Prozess der Hochschuldifferenzierung. Die wissenschaftliche Evaluation ist leider keine exakte Wissenschaft; der Auswahlprozess EINZELNER Projekte ist bis zu einem gewissen Grad zufällig. Dies trifft hingegen dank des statistischen Prinzips der "großen Zahl" weit weniger für die Gesamtheit von Erfolgen einer Universität zu. Daher hat die internationale Evaluationskommission in ihrem Bericht vorgeschlagen, als Grundlage für die Verteilung von Exzellenzprämien die vergangene Gesamtleistung der Universität ("past merit") zu verwenden.

 

Die Politik hat anders entschieden. Immerhin hat sie gemerkt, dass ohne zusätzliche Einschränkung wahrscheinlich die überwiegende Mehrzahl aller deutschen Universitäten zum Kampf um den Exzellenzpreis in die Arena einmarschieren würde, denn dazu braucht es lediglich ein bisschen Gespür für die aktuellen gesellschaftlichen und hochschulpolitischen Themen, eine gute PR-Agentur und Hochglanzpapier, welches Versprechungen, deren Einlösung Jahre entfernt liegt, geduldig akzeptiert. Dieses Spiel könnte sich jede Universität leisten; das nötige Wissen ist öffentlich, die externen Kosten sind tragbar und die internen Aufwendungen leisten die Universitätsleitungen (siehe oben), vielleicht zähneknirschend, aber motiviert durch eine gewisse Erfolgschance. 

 

Um bei der zweiten Förderlinie eine Antragsschwemme zu verhindern, verfielen die Architekten der neuen Strategie auf die erwähnte Regel, eine Universität dürfe sich nur dann dem Wettbewerb um die Exzellenzuniversität stellen, wenn sie zwei – bei Verbundprojekten drei – Cluster unter Dach und Fach hat. Diese Bedingung verkennt jedoch erstens das, was eine Universität exzellent macht, und verwechselt zweitens Quantität mit Qualität, denn es ist selbstverständlich für eine große Universität einfacher, genügend Clusteranträge ins Rennen zu schicken als für eine kleine. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses "Bremsventil" bereits Kollateralschäden verursacht hat: Einige Spitzenuniversitäten sind bereits jetzt vom weiteren Wettbewerb ausgeschlossen. Es ist zu befürchten, dass im September 2018, wenn der definitive Entscheid über die Exzellenzcluster fällt, es noch weitere prominente Opfer geben wird. 

 

Die Regeln sind gemacht; sie können nicht während des Spiels verändert werden. Ich verstehe daher die Universitäten, wenn sie Ende des Jahres genau so vollmundig zum Wettkampf antreten werden, wie es die Spielplaner zu verlangen scheinen. Das ist ihr gutes Recht. Aber ich bedaure die Mitglieder der Evaluationskommission, welche dereinst aus all den stromlinienförmigen Anträgen eine (nicht politische?) Rangordnung zu erstellen haben. 

 

Kein Zweifel, auch die neue Exzellenzstrategie wird ihre positiven Seiten haben, aber Professorinnen, Rektoren und Präsidentinnen ihrer wirklichen Aufgaben noch weiter entfremden – wie die Zürcher Assistenzärzte. Vielleicht wäre es zielführender, den unterfinanzierten Universitäten künftig – ohne jedes Wenn und Aber – einfach mehr Geld zu geben.


Gestern begründete hier im Blog bereits der Mannheimer Unirektor Ernst-Ludwig von Thadden, warum er die Exzellenzstrategie in ihrer gegenwärtigen Form für einen Fehler hält. Was meinen Sie? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

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Kommentare: 3
  • #1

    Frank A. Stengel (Mittwoch, 21 Februar 2018 16:23)


    In ihren kritischen Kommentaren zur Exzellenzstrategie weisen Ernst-Ludwig von Thadden und Dieter Imboden auf bedeutende Schwächen des Wettbewerbs hin. Auch wenn ich mich zumindest in Teilen anschließen kann, sind v.a. zwei Punkte ergänzungsbedürftig.
    Mein erster Punkt betrifft die Erfolgsmessung, die, auch wenn sie auf der Basis des "past merit" geschieht, problematisch bleibt. Auch wenn die Beobachtung richtig ist, dass Wissenschaftler*innen grundsätzlich schon wüssten, wer in ihrem Gebiet führend ist, wird die Sache in Bezug auf Cluster oder gar ganze Universitäten zunehmend schwieriger. Aus pragmatischen Gründen kann unmöglich erwartet werden, dass Gutachter*innen tatsächlich alle Publikationen aller in der Förderlinie angetretenen PIs lesen, also wird i.d.R. auf Proxies wie Drittmittel, bibliometrische Indikatoren (Anzahl der Publikationen/Zitationen) und Preise zurückgegriffen. Und genau da beginnt das Problem.
    Erstens sind alle genannten Indikatoren methodologisch extrem problematisch. Auch wenn bewilligte Drittmittelanträge i.d.R begutachtet sind (allerdings liegen Welten zwischen Industriemitteln und einem ERC Grant), so hängen sie oftmals von anderen Faktoren ab als von "Exzellenz", z.B. Antragslyrik, Konformität usw. Drittmittel sind keine Forschungsleistungen im eigentlichen Sinne. Ein Buch ist eine Forschungsleistung, ein Antrag dagegen ist ein von Thadden'sches "Schaufensterprojekt". Kurz, wenn Forschungsleistungen mit Bewilligungen gemessen werden, wird die Augenwischerei, die von Thadden zurecht kritisiert, nur eine Ebene vorverlagert. Mindestens genau so problematisch sind bibliometrische Indikatoren, und Preise allein können wohl kaum die Qualität einer Institution bestimmen (zudem liegen auch hier liegen große Universitäten in reichen Bundesländern vorn).
    Zweitens setzen sowohl Drittmittelwahn als auch Bibliometrie falsche Anreize: Erfolgreich ist, wer möglichst viel Geld ranholt und möglichst viele Publikationen ausspuckt - egal, ob das inhaltliche Argument wirklich gut ist. Dadurch setzen sich aber nicht immer die besten Wissenschaftler*innen durch, sondern die besten Verkäufer*innen. Und da im gründlich durchneoliberalisierten Wissenschaftssystem absolut alles wettbewerblich organisiert ist, verstärken sich die Anreize, Quantität über Qualität zu setzen, immer weiter. Das Ergebnis ist, dass nur die Allerdickhäutigsten sich dem noch erwehren und Gedanken zu Ende ausformulieren können, während sich alle anderen, der sogenannten wissenschaftliche "Nachwuchs" voran, im Hamsterrad zu Tode hetzen.
    Damit wären wir bei meinem zweiten Ergänzungspunkt, dem des überwiegend mehr oder minder prekär befristet beschäftigten "Nachwuchses". Grund für die Befristungen ist die "Qualifikation": Während in anderen Ländern die wissenschaftliche Ausbildung mit dem PhD als abgeschlossen gilt, werden Befristungen in Deutschland bekanntermaßen damit gerechtfertigt, dass man/frau sich für eine Professur weiter qualifizieren muss. Nachwuchs impliziert aber, dass man/frau irgendwo hin nachwachsen kann. Tatsächlich hat aber all die Nachwuchs-"Förderung" im Rahmen u.a. der Exzellenzinitiative, aber auch etwa der DFG dazu geführt, dass immer mehr Leute immer länger im System gehalten (und ausgebeutet) werden können, nur um mit etwa Mitte 40 um eine dank weitgehend konstanter Grundhaushalte verschwindend geringe Anzahl von Professuren zu konkurrieren (v.a. in den Geistes- und Sozialwissenschaften). Tatsächlich qualifizieren Qualifikationsstellen heute die überwiegende Mehrheit des "Nachwuchses" für die Arbeitslosigkeit. Die Exzellenzinitiative hat diese Situation nur noch verschärft.
    Dies alles ist eigentlich wohl bekannt, führt aber zu keinerlei Veränderungen. Einen Ausweg hat Imboden selbst schon angezeigt, nämlich eine Einschränkung des endlosen Wettbewerbs zugunsten einer bedingungslosen und unbegrenzten Förderung. Nur so kann ein Unternehmen gelingen, das in nicht unerheblichem Maß von Zeit, Ruhe und Kreativität abhängt.

  • #2

    Carl Wechselberg (Mittwoch, 21 Februar 2018 20:58)

    Ich fand das alte Zöllner-Modell einer verdauerten Exzellenz-Region (ohne weitere Wettbewerbsförmigkeit) umstandslos richtig. Diesen Ausweg hat man mutlos verworfen, nun wird es mühsam und kontraproduktiv. Betrachtet man die Antragslage bei den Clustern kritisch, gibt es viel altbekannte Ein-Punkt-Exzellenz und wenig wirklich raumgreifend Neues. Wo sind die großen geisteswissenschaftlichen Ansätze zum neuen digitalen Kapitalismus? Wo, die innovativen Initiativen zur Nutzung der Potentiale aus der Verbindung von Lebenswissenschaften und IT? Am ehesten wäre ein solcher großer Aufschlag zum Thema „digitale Gesellschaft“ dem Berliner Verbundantrag zuzutrauen - gelingt es dort aber überhaupt, sich auf einen derartigen Rahmen zu verständigen und ihn mit Substanz zu füllen? Sieht man sich auch hier die „Basis“ für den Verbundantrag in Gestalt der Berliner Clusteranträge an, bleibt das doch arg den alten institutionellen Konzepten verbunden. Für sich genommen, natürlich, „sehr gut“, aber auch „atemberaubend, neu und groß“? Wohl kaum. Wo sind bspw. die großen Antragsskizzen in der Bio- und Medizininformatik Berlins? Hier liegt soviel Arbeit am Verbundantrag, dass man den Autor/Innen eine wirklich „glückliche Hand“ wünschen muss. Hoffentlich hat dort jemand einen (guten) Plan...

  • #3

    S. Bernstein (Donnerstag, 22 Februar 2018 09:45)

    Tausenden, wenn nicht gar noch mehr Wissenschaftlern in diesem Land und an Hochschulen ist dieser Wettbewerb herzlich egal. Sie werden dabei nicht bedacht und es interessiert sich auch keiner für ihre Arbeit.
    Gerade dadurch, dass das kleine Deutschland in der Wissenschaft breit aufgestellt war, hat es viele Ideen und Erfindungen gegeben. Wenn man jetzt (und das schon seit Jahren) nur die Großen fördert, dann führt das zu einem Wegfall der kleinen Fächer und einer Verengung der Forschungsthemen. Das Ergebnis der Exzellenz ist doch, dass den Absolventen dieser Universitäten und Einrichtungen die Forschungswelt auf lange Sicht vorbehalten ist und sie logischer Weise an den Themen weiter arbeiten, die sie angefangen haben. Es werden sich also in Zukunft noch weniger Themen tatsächlich beforscht. D.h. die "Leuchtürme" straheln nicht aus sondern saugen Themen ein.