Hochschulen und Forschungseinrichtungen wird immer wieder vorgeworfen, Steuergelder zu verschwenden. Weil sie Misswirtschaft betreiben – oder weil die Rechnungshöfe zu wenig von der Materie verstehen?
ES KLINGT NACH einem Skandal. Über Jahre hinweg sollen Studiengebühren, die einer staatlichen Hochschule zustanden, rechtswidrig an private Weiterbildungsfirmen geflossen sein, insgesamt 1,5 Millionen Euro. Professoren sollen sowohl für die Hochschule als auch für die Unternehmen gearbeitet haben, ohne dies wie vorgeschrieben anzuzeigen. Von Interessenkonflikten und Begünstigungen schrieb der Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt in seinem Jahresbericht. Er rügte "gravierende Mängel bei der Durchführung von Weiterbildungsstudiengängen an der Hochschule Magdeburg-Stendal".
Doch die Hochschule war nicht einsichtig, sie ging zum Gegenangriff über: Die Vorwürfe seien in Teilen unseriös, ja schikanös. Die Prüfer hätten offenbar keine Ahnung von den Abläufen an Hochschulen. Sogar eine gezielte "Diffamierung der Hochschule" hielt Rektorin Anne Lequy in einem Brief an den Rechnungshof für möglich: "Der Schaden, der schon bisher angerichtet wurde, ist immens."
So wie der Prüfbericht des Rechnungshofes vertraulich war, so war es auch Lequys im November verfasste Protestnote. Dennoch fanden beide ihren Weg in die Öffentlichkeit und warfen Licht auf einen erbitterten Grundsatzstreit, der sonst meist im Verborgenen ausgetragen wird. Auf der einen Seite steht die Wissenschaft – staatliche Hochschulen, die auf ihre im Grundgesetz verbriefte Wissenschaftsfreiheit pochen und doch am Tropf der öffentlichen Haushalte hängen. Ihnen gegenüber stehen jene Ämter, die überprüfen, ob staatliche Gelder regelkonform ausgegeben werden. Während die Hochschulen stets über Unterfinanzierung klagen, halten die Rechnungshöfe sie für ebenso verschwendungsanfällig wie andere Behörden. Doch darf man an die Wissenschaft dieselben Maßstäbe anlegen wie an Polizei, Sozialämter oder Baubehörden?
Zwischen Prüfern und Geprüften herrsche keine
"Waffengleichheit", sagt ein Ex-Finanzbeamter
Martin Winter ist Sprecher des Bundesrechnungshofes. Er sagt: Man darf nicht nur, man muss. "Wir maßen uns ja nicht an, Wissenschaft als solche zu bewerten, sondern schauen, wie die Einrichtungen mit dem Steuergeld umgehen." Klingt nachvollziehbar. Es gibt jedoch Rektoren, die den Rechnungshöfen die Expertise absprechen. Weder verstünden sie, dass man Hochschulen, siehe Wissenschaftsfreiheit, nicht wie Behörden von oben nach unten durchregieren kann, noch sähen sie den internationalen Wettbewerb, in dem die Wissenschaft mithalten müsse. >>
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>> Aber kaum ein Hochschulrektor lässt sich mit derlei Sätzen zitieren. Zu groß ist das Machtgefälle zwischen Geprüften und Prüfern. Zwar haben die Rechnungshöfe formal wenig Einfluss, sie berichten lediglich an Parlamente und Regierungen und können selbst keine Strafen beschließen. Dennoch werden ihre Ermittlungen von Politik und Medien oft wie Tatsachen behandelt. Ein Eindruck, den die Rechnungshöfe durch ihre Kommunikation befördern. So teilt etwa der Sprecher des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen auf Anfrage mit, sein Haus gebe "keine Bewertungen zu politischen Entscheidungen ab und beteiligt sich nicht an Spekulationen, Mutmaßungen oder unbelegten Behauptungen. Seine Aussagen basieren ausschließlich auf Prüfungserkenntnissen."
Es sind Sätze wie diese, mit denen die Prüfer die Geprüften auf die Barrikaden treiben. Als gäbe es keine zweite Perspektive, sagt Helmut Rubin, der über 30 Jahre lang Beamter im NRW-Finanzministerium war, zuständig unter anderem für die Haushaltspläne von Universitäten und Unikliniken. "Da herrscht keine Waffengleichheit zwischen Prüfern, die Jahre später auf die Akten schauen, und den Geprüften, die oft im Augenblick entscheiden mussten."
Dabei kann die Kritik der Rechnungshöfe durchaus berechtigt sein. Wenn etwa Professoren ihre Lehrverpflichtung nicht erfüllen oder eine Universität dem dazugehörigen Uniklinikum über Jahre zu viel Geld überweist. Oder wenn eine Forschungseinrichtung einem Professor für Zehntausende Euro eine neue Küche finanziert, damit er sich nicht abwerben lässt.
Doch sind die Dinge eben nicht immer so eindeutig. In Magdeburg nahm die vermeintliche Affäre ihren Anfang, als die Politik in Sachsen-Anhalt und anderswo Mitte der 2000er-Jahre verfügte: Die Hochschulen sollen künftig nicht nur die klassischen Studenten immatrikulieren, sie sollen auch in die Weiterbildung für Berufstätige einsteigen. Was bedeutete, dass die Hochschulen plötzlich mit privaten Anbietern konkurrierten. Allerdings, so verlangten es die Landesregierungen, durfte für die neuen Weiterbildungsstudiengänge kein einziger Euro an Steuergeld ausgegeben werden. Was bei einer staatlichen Einrichtung wie ein Widerspruch klingt, in jedem Fall aber eine organisatorische Herausforderung ist. Die Lösung in Magdeburg lautete: Wir schließen einen Kooperationsvertrag mit privaten Firmen. Sie übernehmen die Vermarktung unserer Weiterbildungsangebote, organisieren die Prüfungen und zahlen den Professoren ein Extra-Honorar für geleistete Unterrichtsstunden. Denn, siehe oben, ihr normales Gehalt als Staatsdiener und die damit finanzierte Arbeitszeit dürfen ja nicht in die Weiterbildung fließen. Ähnliche Modelle dachten sich Hochschulen überall in Deutschland aus.
Alles richtig gemacht, könnte man denken. Das sah der Rechnungshof anders. Besonders ärgerlich, weil Lequy ihn nach ihrem Amtsantritt selbst um einen Bericht gebeten hatte. Auch um "formale Fehler" auszumerzen, wie sie sagt. Was inzwischen geschehen sei. Mit einem Komplettverriss hatte die Rektorin nicht gerechnet.
Über die Hintergründe des Prüfberichts will sich der Rechnungshof nicht äußern und verweist auf die Vertraulichkeit. Im Gegensatz zu Lequy. Bedenke man die erwähnte Gegenleistung der Unternehmen, hätten die "zu Recht 1,5 Millionen Euro im Zeitraum 2010 bis 2014 aus den von den Studierenden bezahlten Gebühren erhalten", so Lequy. Was sie "richtig ärgert, ist, wenn der Eindruck entsteht, als verdienten sich die beteiligten Professoren eine goldene Nase". Bei 30 bis 70 Euro pro Unterrichtsstunde inklusive Vor- und Nachbereitung könne davon keine Rede sein. "Wenn ihr Engagement so verunglimpft wird, kann ich verstehen, wenn die Professoren die Lust am Engagement in der Weiterbildung verlieren."
Fehlt den Rechnungshöfen wirklich die nötige Empathie für die Wissenschaft? Zumindest mangele es am personellen Austausch zwischen beiden Seiten, sagt Ulrich Steinbach, seit 2016 Amtschef in Baden-Württembergs Wissenschaftsministerium. Wer in der Forschung erfolgreich sei, werde kaum beim Rechnungshof anfangen. Und dass jemand von dort an die Uni wechsle, sei eine vorhandene, aber seltene Ausnahme. "Die meisten Rechnungsprüfer wissen von Hochschule nur das, was sie in ihrem Jura- oder Verwaltungsstudium kennengelernt haben", sagt Steinbach, der selbst vorher Vizepräsident des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz war.
Helmholtz und Co. seien "in Teilen überfinanziert",
kritisierte der Bundesrechnungshof
Wie unterschiedlich Prüfer und Geprüfte ticken, wurde auch vergangenen Sommer deutlich, als der Bundesrechnungshof den vom Bund mitfinanzierten außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz und anderen) vorwarf, sie seien "in Teilen überfinanziert". Innerhalb von vier Jahren hätten sich die Gelder, die nicht im selben Haushaltsjahr ausgegeben wurden, auf eine Milliarde Euro mehr als verdreifacht, rügten die Prüfer. Sie beanstandeten eine "Bugwelle" nicht verbrauchter Steuermittel, die "nicht primär auf wissenschaftsspezifische Gründe" zurückzuführen sei. Anders formuliert: Die "Außeruniversitären" bekommen so viel Geld, dass sie mit dem sinnvollen Ausgeben nicht mehr hinterherkommen.
Was die so Kritisierten natürlich zurückweisen, Franziska Broer zum Beispiel, die Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft. In der Mitverantwortung von Helmholtz entsteht die Teilchenbeschleunigeranlage FAIR, seit 2003 in Planung, mittlerweile rund 250 Millionen teurer als einst vorgesehen und voraussichtlich erst 2025 fertig. Ein vom Bundesrechnungshof gern zitiertes Beispiel für mangelhafte Projektsteuerung durch die Wissenschaft und dafür, dass Steuergelder um Jahre verspätet abgerufen würden. Broer kontert, neuartige Großforschungsanlagen seien eben nicht von der Stange zu haben, viele Komponenten müssten dafür erst entwickelt werden. Und wenn dann noch, auch auf ausdrücklichen Wunsch der Politik, internationale Partner dazukämen, könne es schnell zu Verzögerungen kommen.
Zur Wahrheit zählt aber auch, dass einige Rektorate dem Bundesrechnungshof applaudieren. Denn die Länder halten die Hochschulen seit Jahren deutlich kürzer als der Bund Helmholtz & Co.
In Magdeburg hat derweil die benachbarte Universität als Reaktion auf den Rechnungshofbericht angekündigt, ihren eigenen Kooperationsvertrag mit einer Privatfirma zu überprüfen. Und Anne Lequy, Rektorin der Fachhochschule, berichtete vor zwei Wochen im zuständigen Landtagsausschuss über die Vorgänge. Danach wählte sie ihre Worte deutlich milder. Sie habe den Eindruck gewonnen, dass alle Beteiligten an einem "lösungsorientierten Ergebnis" interessiert seien. Das klingt nach Waffenstillstand in Sachsen-Anhalt.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung.
"Am Ende wird fast immer den Prüfern geglaubt"
Helmut Rubin, der frühere Beamte im NRW-Finanzministerium, geht in seiner Kritik noch weiter. Die Rechnungshöfe seien "deutlich politischer geworden", sagt er. "Ihre Leitungspositionen werden durchgehend nach Parteienproporz vergeben.“ Wer so ins Amt komme, schaue nicht mehr nur auf die innere Logik einer Organisation, sondern "der lässt sich auch treiben von Opposition und nicht immer sauber recherchierten Medienberichten". Die mangelnde Waffengleichheit zwischen Rechnungshöfen und Hochschulen erklärt Rubin anhand eines Beispiels: Wenn zu Semesterbeginn die Schließung eines Hörsaals wegen plötzlich auftretender Baumängel drohe, könne ein Rektorat nicht immer erst eine europaweite Ausschreibung der Sanierung vornehmen. Am Ende, sagt Rubin, gehe es dann in den Rechnungsprüfungsausschüssen der Landtage so ähnlich zu, wie wenn Polizisten vor Gericht aussagten. Obgleich die Rechnungshöfe immer auch die Position der Geprüften in ihren Bericht aufnähmen, "am Ende wird nahezu immer den Prüfern geglaubt."
Exemplarisch festmachen lässt sich das gegenseitige Nicht-Verstehen wiederum an der Hochschule Magdeburg-Stendal: So haben die Prüfer der Hochschule unter anderem auch vorgeworfen, für ihre Weiterbildungsstudiengänge keine Langzeitgebühren zu erheben. Doch wer "Langzeitgebühren" und "Weiterbildung" inhaltlich zusammenbringe, "versteht leider nichts von der Materie", hielt Rektorin Anne Lequy dem Rechnungshof in ihrem Brief entgegen.
In den vergangenen Jahren haben die Konflikte zwischen Prüfern und Geprüften bundesweit noch zugenommen, was auch mit den weitreichenden Reformen in der Wissenschaftspolitik zusammenhängt. Die Autonomie von Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ist enorm gewachsen. Inzwischen agieren sie häufig eher wie Betriebe als wie staatliche Behörden. Hinzu kommt ein weiterer Trend, der offenbar dem Ordnungssinn der Rechnungshöfe widerspricht: Immer öfter arbeiten Bund und Länder zusammen in der Finanzierung auch ihrer Wissenschaftseinrichtungen, politisch und
wissenschaftlich ist das so gewollt. Doch klagte der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller schon vor zwei Jahren in der Welt: "Durch diese Aufgabenvermischung kann der Bundesrechnungshof leider auch die Mittelverwendung häufig nicht mehr prüfen.“
Und dann ist da besagte Sache mit den Selbstbewirtschaftungsmitteln. Das seit 2012 geltende Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das der Bundesrechnungshof schon im Entwurfsstadium kritisiert hatte, erlaubt es den außeruniversitären Forschungsorganisationen explizit, eigentlich für ein Haushaltsjahr gedachte Mittel bei Bedarf erst später auszugeben. Eine Obergrenze gibt es dabei nicht.
Wird das Ausgeben bewilligter Mittel jedoch wie beim Bau der Beschleunigeranlage FAIR wiederholt in die Zukunft verschoben, ruft das den Rechnungshof auf den Plan. „Wenn ein Projekt sich über Jahre verzögert und Mittel immer wieder nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt abgerufen werden, ist das ein Indiz für ein problematisches Projektmanagement“, sagt Martin Winter, Sprecher des Bundesrechnungshofes. Es sei die Aufgabe des Rechnungshofes, darauf hinzuweisen. Was nicht bedeute, dass man kein Verständnis für die Besonderheit der Wissenschaft habe. "Wir sagen ja nicht, dass so ein Projekt an sich unsinnig ist.“ Problematisch sei jedoch, dass einige Wissenschaftseinrichtungen dazu neigten, den Bedarf für Mittel anzumelden, von denen man wisse, dass man sie wahrscheinlich erst Jahre später brauche.
Helmholtz-Geschäftsführerin Franziska Broer wiederum verweist darauf, dass die Helmholtz-Selbstbewirtschaftungsmittel im vergangenen Jahr um rund 10 Prozent zurückgegangen seien. "Von wegen, die steigen immer weiter." Vor allem aber wünsche sie sich mehr Verständnis für die Belange der Wissenschaft. Ob eine Forschungsorganisation ihre Aufgabe erfolgreich erfülle, zeige sich nicht an der Höhe der Selbstbewirtschaftungsmittel, sondern daran, wie sich die Qualität ihrer Forschung entwickele.
Foto-Credits:
Torsten Maue - Flickr: "Hochschule Magdeburg-Stendal (FH)", CC BY 2.0 – ion42/GSI/FAIR
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Karlchen Mühsam (Sonntag, 08 April 2018 21:33)
Ich kann die Aufregung nicht so ganz verstehen. Nieand kennt den genauen Prüfbericht. Ich selber kenne Beispiele, wo die für die Weiterbildung (und andere Autragstätigkeiten in der Forschung etc.) erforderliche Trennungsrechnung nicht so genau genommen wird. Da sind dann ganz schnell Steuergelder im Spiel.
Unabhängig vom Einzelfall könnte ich mit einer Reihe an Beispielen dienen, in denen unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaftsfreiheit sehr großzügig mit Steuergeldern umgegangen wird. Die Hochschulen können sich doch glücklich schätzen, dass den Rechnungshöfen vielfach die Expertise für das Innenleben einer Hochschule fehlt.
Victor Ehrlich (Sonntag, 08 April 2018 23:54)
Die Unikliniken bekommen jedes Jahr erhebliche Budgets zugewiesen, die einzig und allein für Forschung und Lehre verwendet werden dürfen. Die klinische Versorgung an Unikrankenhäusern ist jedoch meist defizitär. Was läge näher, als einen Teil des Geldes umzuleiten und eine schwarze Null am Jahresende zu präsentieren? Es müssen nur hausintern überhöhte Rechnungen für die hochschulbedingte Nutzung von Infrastruktur ausgestellt werden und Klinikpersonal ist umzuetikettieren. Aus dem 100 % in der Klinik tätigen Assistenten wird einfach ein 50-50-Assistent, der vorgeblich viel Zeit mit Forschung und Lehre verbringt.
Ohne tiefgreifende Kenntnisse der Arbeitsabläufe im Uniklinikum laufen die haushaltstechnischen Prüfungen komplett ins Leere. Das illegale Umleiten von Hochschulmitteln in den Klinikbetrieb schwächt die ärztliche Ausbildung und schädigt die Forschungsleistung. Nur leider will niemand so genau in die Bücher schauen.