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Science Fiction ist politische Bildung

Warum wir alle Terminator, Star Trek & Co schauen sollten, um den Weg in eine bessere Zukunft zu finden. Ein Gastbeitrag von Isabella Hermann.

Isabella Hermann. Foto: privat.
Isabella Hermann. Foto: privat.

INNERHALB DER VERGANGENEN WOCHEN war ich gleich zweimal bei politischen Stiftungen eingeladen, um vor Stipendiaten über den Zusammenhang von Science-Fiction und Politik zu referieren. Wir haben zusammen Kinofilme geschaut, zumindest Ausschnitte daraus. Meine These: Filme wie Minority Report oder I, Robot helfen uns als Gesellschaft dabei, eine Haltung zu möglichen Zukünften zu entwickeln. Was ist denkbar? Was ist wahrscheinlich? Und wie sollte, wie kann die Politik auf neue technologische Entwicklungen reagieren?

 

Die Zuhörer waren keine Science-Fiction-Geeks, sondern Promovierende aller Studienrichtungen. Am Ende eines der Vorträge fragte mich eine Stipendiatin nach weiteren Film-Empfehlungen. Sie hätte Science-Fiction-Filme bisher bewusst gemieden, sei aber nun ganz positiv überrascht, dass da "wirklich Inhalt" drinstecke. Mission erfüllt! Ich möchte nicht nur Science-Fiction-Fans begeistern, sondern gerade auch diejenigen, die bisher nicht an dem Genre interessiert oder gar skeptisch waren. Denn besonders mit Science-Fiction lässt es sich über die Folgen der Technik für die nationale und internationale Politik nachdenken.

 

Für diese Denkanstöße eignet sich Science-Fiction so gut, weil es in dem Genre per Definition um den technologischen Fortschritt geht. Ausgehend von unserer Gegenwart behandeln die Filme und Bücher in einer nahen oder fernen Zukunft die Anwendung neuer Technologien und die möglichen Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Science-Fiction findet genau in dem Grenzbereich statt, wo sich die Realität mit neuen Möglichkeiten von Biotechnologie, künstlicher Intelligenz oder der Raumfahrt überlappt. Bei diesen Themen steht das Genre als popkulturelle Kunstform nicht außerhalb der gesellschaftspolitischen Diskussion, sondern mittendrin. Nehmen wir das Thema Predictive Policing, um das es in Minority Report geht – also die Anwendung algorithmischer Systeme für Kriminalitätsvorhersagen: Hierüber müssen wir als Gesellschaft ins Gespräch kommen, und wir tun es längst auf vielfache Weise. Sei es indem

 

• der Dokumentarfilm Pre-Crime die Praktiken der aktuellen Nutzung von Predictive Policing, das vor allem in den USA zu einem umstrittenen "Scoring" der Bürger führt, kritisch darstellt;

 

• der Berliner Think Tank "Stiftung Neue Verantwortung" im Hintergrundgespräch über "Predictive Policing in Deutschland" mit Experten darüber diskutiert, wie wir das Prinzip der Unschuldsvermutung weiterhin gewährleisen können; 

 

• der Rechtswissenschaftler Timo Rademacher zur Stellung von Predictive Policing im deutschen Polizeirecht in den einschlägigen Fachzeitschriften publiziert; 

 

• der Science-Fiction-Spielfilm Minority Report von Steven Spielberg darstellt, wie eine konsequente Anwendung von Predictive Policing zur Einschränkung der Grundrechte führen könnte; 

 

• oder indem die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag Kommissionen einsetzen, um Antworten auf die ethischen und rechtlichen Fragen rund um den Einsatz von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen zu geben.

 

Anhand von Science-Fiction lassen sich Anwendungsfälle neuer Technologien hinterfragen, weil in extremen Szenarien mögliche Gefahren für unseren liberalen Rechtsstaat wie unter einem Brennglas hervortreten. Beispiele sind neben dem Predictive Policing auch die Risiken rund um intelligente Roboter in I, Robot oder die Bedenken in Bezug aufs Klonen in The Island

 

Science-Fiction kann verschiedene Funktionen erfüllen. Ersten ist sie Technikfolgenabschätzung: Oft führt der Fortschritt in der Informations- und Biotechnologie in dem Genre in eine dystopische Welt. Wenn wir genauer hinschauen, zeigen uns Filme wie Terminator oder Robocop allerdings keine negative Zukunft, sondern den politischen Handlungs- und Regulierungsbedarf der Gegenwart.

 

Zweitens entwirft Science-Fiction gesellschaftliche Extremsituationen, die unsere aktuellen Ängste und die Grenzen unserer Humanität aufzeigen und hinterfragen. Unsere Welt ist in der Science Fiction zwar verfremdet, doch treten dadurch in Filmen wie District 9, Elysium oder Children of Men bekannte Muster von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit umso deutlicher hervor.

 

Drittens zeigt uns Science-Fiction in den typischen Genrethemen einer globalen Bedrohung, seien es eine Alien-Invasion, eine Epidemie oder eine Naturkatastrophe, weltumspannende Perspektiven. Filme wie Independence Day, World War Z oder Geostorm spiegeln international verbreitete Denkmuster zu Krieg, Herrschaft oder zu den Folgen der Globalisierung wider, die Welt wird aber auch zum Referenzrahmen gemeinsamer Lösungen.

 

Das Genre kann viertens auch ein Ankerpunkt für die Diskussion von Ideologien und für die Konstitution von Weltbildern sein. So findet sich in Filmen wie Avatar eine inhärente Technikfeindlichkeit, wohingegen andere Filme wie Battle: AI vor allem US-Militärtechnik propagandistisch zur Schau stellen. The Circle, Transcendence oder Anon wiederum setzen sich mit einem datengetriebenen Gesellschaftsmodell auseinander, das nicht nur im Silicon Valley mittlerweile den Rang einer Ersatzreligion hat.

 

Fünftens lassen sich mithilfe von Science Fiction aber auch positiv verstandene gesellschaftspolitische Alternativen denken, zum Beispiel das Ende des kapitalistischen Modells in der Star-Trek-Reihe. 

 

Science-Fiction-Werke sagen wenig über Zukunft aus,
dafür umso mehr über unsere Gegenwart

 

Auch wenn die meisten Science-Fiction-Werke in einer alternativen Zukunft spielen, sagen sie also nicht besonders viel über unsere Zukunft aus, dafür aber umso mehr über unsere Gegenwert und wie sie mögliche Zukünfte determiniert. Es geht – anders formuliert – darum durchzuspielen, welche aktuellen Tendenzen unsere Zukunft bestimmen könnten. 

 

Science-Fiction kann dabei nicht nur ein Startpunkt sein, um über Gesellschaft, Politik und Ideologien nachzudenken. Das Genre eignet sich ebenso, Interesse für Naturwissenschaft und Technik zu wecken. Schulfächer wie Mathematik, Physik oder Biologie könnten in eine ganzheitliche Science-Fiction-Analyse eingebunden werden, die auch ethische mit technischen Fragestellungen verbindet. Dies ist nicht zu unterschätzender Punkt, da vor allem den "Silicon-Valley-Jüngern" oft vorgeworfen wird, ohne Reflektion Techniken aus Science-Fiction-Filmen – wie zum Beispiel Gesichtserkennung – in die Realität übertragen zu wollen. 

 

Auch wenn sich die Sichtweise in den vergangenen Jahre schon merklich verändert hat, fürchten viele Lehrer, Wissenschaftler und Referenten der politischen Bildung immer noch, nicht ernstgenommen zu werden, wenn sie sich tiefergehend mit Science-Fiction befassen. Meine Erfahrung ist, dass sich das Risiko lohnt. Für die Wissenschaft und für die Gesellschaft als Ganzes. Zum Glück outen sich inzwischen täglich neue begeisterte Science-Fiction-Fans – bis hinauf in die Leitungsebenen.

 

Isabella Hermann ist wissenschaftliche Koordinatorin der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Verantwortung: Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie ist Jury-Mitglied des internationalen "Berliner Sci-Fi Filmfests".

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Kommentare: 1
  • #1

    Benjamin Rott (Dienstag, 09 Oktober 2018 16:32)

    In dem Zusammenhang empfehle ich die Folge 7 "Majority Rule" aus Season 1 der Serie "The Orville", die meiner Meinung nach sehr gut aufzeigt, in welche Richtung das "Liken" abdriften kann...