Haben Sie sich in den von Corona dominierten Wochen auch manchmal gefragt, was aus all den Plänen und Vorhaben geworden ist, die eben noch die Debatten in der Bildungs- und Forschungspolitik bestimmten? Zeit für eine kleine Serie. Teil 2: "Die Bundesagentur für Sprunginnovationen". Ein Anruf bei SPRIND-Chef Rafael Laguna.
Rafael Laguna de la Vera, Jahrgang 1964, ist Software-Unternehmer und wurde im Juli 2019 zum Direktor von SPRIND berufen. Einen ausführlichen Artikel über ihn finden Sie hier. Fotos: SPRIND GmbH.
Herr Laguna, im Juli 2019 wurden Sie zum Gründungsdirektor der neuen Bundesagentur für Sprunginnovationen, kurz SPRIND, ernannt. Dann gab es erstmal ziemlich lange Streit um den Sitz der Agentur und ihre Governance. Im Oktober wurde die SPRIND GmbH offiziell gegründet und ging, wie von Ihnen gewollt, nach Leipzig. Geld gab’s aber erst von Januar an – woraufhin Sie im Februar die Agenturwebsite online brachten und endlich richtig Tempo machen wollten. Und dann kam der Shutdown.
Wir hatten eine ganze Kette öffentlicher Veranstaltungen für März, April und Mai geplant und mussten sie allesamt absagen. Wir sind dann erstmal ganz bewusst abgetaucht, weil wir dachten: Okay, wenn die Leute sich jetzt ohnehin nur für das Coronavirus interessieren, dann nutzen wir die Zeit, um die Agentur aufzubauen und unsere eigentliche Arbeit aufzunehmen.
Und die bestand worin?
Weil wir seit vergangenem Sommer so viel in den Medien waren, sind uns die Vorschläge und Bewerbungen nur so zugeflogen. Insgesamt dürften das so 200 Leute gewesen sein, die gern für uns arbeiten wollen, und 140 Innovatoren, die uns ihre Ideen und Projekte geschickt haben und mit uns zusammenarbeiten wollen. Die Projektvorschläge haben wir jetzt erstmal alle gesichtet, und wir haben die ersten drei Innovationsmanager eingestellt, die zusammen mit unserem ebenfalls neuen Expertenkreis die besten Projekte auswählen und auf dem Weg zur Sprunginnovation begleiten werden.
Was sind das für Leute, diese Innovation Manager?
Also der Prototyp ist für mich der Karl Schlagenhauf: Schon Anfang 70, kommt aus der Forschung, hat mal eine Professur abgelehnt, um sich lieber selbständig zu machen. Karl ist ein richtiger "High Potential"; einer, der in seinem Leben immer Vollgas gegeben hat als Unternehmer, später als Investor. Der immer spannende Leute gesucht und gefunden hat, die er selbst liebevoll Hi-Pos nennt. Bernd Ulmann zum Beispiel, der analoge Computer zur Sprunginnovation weiterentwickeln will und auf den mich Karl aufmerksam gemacht hat.
"Ich freue mich über jede Initiativbewerbung.
Wir sind über viele Kanäle erreichbar, mit Absicht."
Und Herr Schlagenhauf ist für die IT-Projekte zuständig?
Karl macht KI, neue Rechnerarchitekturen, neue Mikroskope, neue coole Dinge, denen gemein ist, dass sie viel mit Physik und/oder Neurowissenschaften zu tun haben. Dann ist da Martin Chaumet, auch schon Ende 50, der hat mal als Ingenieur an der RWTH Aachen angefangen, war dann Berater und zum Schluss Geschäftsführer bei der Immobiliengesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Der kennt sich aus mit dem ganzen öffentlichen Sektor, mit dem Vergabe-, dem Beihilferecht, you name it. Zugleich ist er Techniker und brennt für Energie- und Umweltthemen. Er hat auch schon erste tolle Projekte am Start, die wir anfördern, ein vielversprechendes Verfahren, wie sich Wasser von Mikroplastik reinigen lässt zum Beispiel. Unser dritter Innovation Manager heißt Hendrik Höfer, so um die 50, der hat sein Software-Unternehmen verkauft, und zum Glück ist ihm jetzt so langweilig geworden, dass er bei uns eingestiegen ist. Bei ihm geht es um Software, Chips, Embedded Systems, Hardware, Internet-Architektur, solche Sachen.
Muss man bei SPRIND Mann und mindestens Ende 50 sein, um Innovation Manager zu werden?
Klar, ich nehme nur alte weiße Männer so wie mich. Nein, im Ernst: In der Agentur insgesamt sind wir jetzt so zwölf Leute, davon fünf Frauen. Nehmen Sie zum Beispiel unsere kaufmännische Geschäftsführerin Alina Allritz. Was die Innovation Manager angeht: Ich schaue auf Typen, nicht auf Geschlecht und Alter. Ich bin sicher, dass ich auch noch die eine oder andere Frau rekrutieren werde, aber an dieser Stelle über Proporz nachzudenken, ergibt keinen Sinn. Wir müssen über die Inhalte gehen. Und ich freue mich weiter über jede Initiativbewerbung. Wir sind über viele Kanäle erreichbar, und das mit Absicht.
Und der Expertenkreis, von dem Sie gesprochen haben, wer sitzt da drin?
Das sollen ausgewiesene Koryphäen in ihrem Feld sein, Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Verwaltung. Unternehmerinnen, Leiter von Wissenschaftseinrichtungen, Menschen in führenden Positionen von Landes- und Bundesbehörden. Leute, die in ihren Jobs bleiben, uns aber mit ihrem Know-how ein, zwei Tage im Monat zur Seite stehen – vor allem natürlich den Innovation Managern, wenn es darum geht, die geeigneten Projekte auszuwählen. Bislang haben wir vier Persönlichkeiten an Bord, Sabine Herold zum Beispiel, die auch schon im Gründungsausschuss für die Agentur saß. Sabine ist Geschäftsführerin von DELO, einem sehr innovativen mittelständischen Unternehmen für Industrie-Klebstoffe, ein typischer Hidden Champion, dessen Produkte in fast jedem Handy stecken. Ein anderer Experte, der uns hilft, ist Lutz Bryja, der arbeitet im sächsischen Wirtschaftsministerium und betreibt dort Innovationsförderung. Wie gesagt: Bislang sind es nur vier Experten, es sollen aber 20 bis 30 werden. In zwei Wochen schalten wir einen Bewerbungs-Button auf der Website frei, da können sich Leute mit besonderer Expertise registrieren, und wenn es passt, nehmen wir sie in unsere Expertendatenbank auf.
Um genau was zu tun?
Im Augenblick sitzen wir jeden zweiten Tag zwei Stunden in Videokonferenzen zusammen und gehen die Projektvorschläge durch: Sehen wir eine Chance, dass dieses oder jenes eine Sprunginnovation werden könnte, die wirklich einen Unterschied macht? Oder ist die Realisierungschance so klein, dass wir ablehnen müssen? Wo wiederum lohnt es sich, nochmal Rückfragen zu stellen? Wir haben einen standardisierten Fragebogen entwickelt, den alle Innovatoren beantworten sollen, um bei ihnen durch die Bewerbung selbst einen Denkprozess auszulösen. Vier Bewerbern haben wir erstes Geld bewilligt, zehn sollen es in den nächsten Monaten werden. Jeder bekommt erstmal eine niedrige sechsstellige Eurosumme; genug, um die Projekte anzuschieben und ein paar Monate konzentriert zu arbeiten. Damit wir eine Grundlage haben, auf der wir entscheiden, ob sich da etwas richtig Großes draus machen lässt. Der nächste Schritt ist, dass die besten Projekte unserem Aufsichtsrat vorgestellt werden. Der gibt, wenn er überzeugt ist, grünes Licht, damit wir die Projekte in eigene Tochter-GmbHs auslagern und mit größeren Summen fördern können.
"Unser eigenen Wettbewerbe wollen wir
mit einem höheren Coolness-Faktor aufsetzen"
Jetzt bin ich verwirrt. Das BMBF hat doch vergangenes Jahr schon drei Wettbewerbe für Sprunginnovationen vorgestellt, was ist mit denen?
Die hatte das Ministerium schon vor der Agenturgründung aufgegleist, weil man schnell etwas am Start haben wollte. Das war auch richtig so – läuft aber nicht über uns als Agentur, sondern über einen Projektträger. Die Wettbewerbe sind in vollem Gange. Wie ich höre, starten die Jurys gerade mit der Auswahl der Siegerprojekte. Natürlich schauen wir auch dort genau hin, ob Projekte dabei sind, die wir weiterentwickeln können – so wie ich mich auch in die Jurys anderer Innovationswettbewerbe und Reallabore einklinke, um keine erfolgversprechende Idee zu verpassen. Unsere eigenen Wettbewerbe wollen wir aber ein bisschen anders aufsetzen, mit einem höheren Coolness-Faktor, mit einer größeren Sichtbarkeit. Vor allem wollen wir sicherstellen, dass wir wirklich auf die Themen und Felder setzen, in denen sich am wahrscheinlichsten Sprunginnovationen generieren lassen. Weil sie gut zu unserem Land passen und hier gut umsetzbar wären.
Die BMBF-Wettbewerbe sind Ihnen nicht cool genug?
Das meine ich damit nicht. Die Themen, die sich das Ministerium ausgesucht hat, sind gut und wichtig: Energiespeicher, im Labor gezüchtete Organe, energieeffiziente KI-Systeme. Aber wir werden unsere eigenen Schwerpunkte setzen.
Was Sie über die bisherige Projektauswahl gesagt haben, klang noch recht improvisiert. Wann bringen Sie denn Ihre ersten eigenen Wettbewerbe an den Start?
Nein, wir haben da parallel einen Prozess entwickelt, den wir jetzt auch leben. Für die Wettbewerbe haben wir gerade mit Unterstützung des Max-Planck-Instituts für Innovationsforschung eine Analyse am Laufen, was es sonst für Innovationswettbewerbe auf der Welt gibt. Erst am Samstag hatte ich einen Video-Call mit Leuten, die mit den amerikanischen Innovationsagenturen ARPA-E und DARPA bei Wettbewerben zusammenarbeiten, von denen können wir viel lernen. Also: Wir schauen uns vieles an, filtern das für uns Geeignete heraus und wollen spätestens im Sommer in der Lage sein, mit unserem Expertenkreis und dem Aufsichtsrat die ersten ein, zwei "SPRIND Challenges" anzuschieben, damit die noch dieses Jahr starten können.
Haben Sie mittlerweile eigentlich trotz Corona Ihr neues Büro bezogen?
Dank der Leipziger Wirtschaftsförderunggesellschaft haben wir eine richtig schicke Adresse in Leipzig, Markt 9, gegenüber vom Alten Rathaus. Aber da sitzt noch keiner von uns, Corona hat uns tatsächlich ausgebremst. Außerdem ist da nicht viel Platz. Wir erweitern uns jetzt, nehmen ein bisschen Coworking-Space dazu. Einen dauerhaften Sitz mit genügend Fläche haben wir auch schon im Auge. Aber wenn jemand noch etwas Tolles in Leipzig weiß: Bitte gern melden.
Sie selbst haben gerade Ihren langjährigen Job als Geschäftsführer des Unternehmens Open-Xchange abgegeben. In Teilzeit waren wohl weder Open-Xchange noch SPRIND hinzubekommen?
Die Entscheidung, bei Open-Xchange perspektivisch aufzuhören, habe ich schon vor zwei Jahren getroffen. Das war ja die gedankliche Voraussetzung, um überhaupt bei SprinD meinen Hut in den Ring zu werfen. Das heißt nicht, dass dadurch der Abschied für mich emotional leichter würde. Ich habe das Unternehmen vor 15 Jahren mit einem Freund gegründet und von null auf 300 Mitarbeiter aufgebaut. Das ist ein Teil meines Lebens. Zum Glück haben wir einen super Nachfolger für mich gefunden.
"Wissen Sie, die totale Freiheit haben
Sie nie, auch in der Wirtschaft nicht."
Man konnte den Eindruck bekommen, dass der Posten bei Open-Xchange für Sie eine Art Rückversicherung war, auch um Ihre Verhandlungsposition gegenüber der Politik zu stärken. Nach dem Motto: Wenn Ihr SPRIND nicht die nötige Freiheit gebt, gehe ich wieder.
Das überinterpretieren Sie womöglich. Richtig ist: Es hat nun mal diese Zeit gebraucht, um die richtige Person zu finden, die die Führung bei Open-Xchange übernimmt. Zeitgleich haben wir lange gerungen, um den Aufsichtsrat für SPRIND angemessen zu besetzen. Ich bin jetzt superzufrieden mit dem Ergebnis, das wir auch demnächst verkünden werden.
Sie haben darum gestritten, dass die Politik nicht jede Entscheidung blockieren kann, wenn sie die Hälfte der Aufsichtsratssitze besetzt und jeder wichtige Beschluss per Mehrheit fallen muss.
Wissen Sie, die totale Freiheit haben Sie nie, auch in der Wirtschaft nicht. Da gibt es auch die Strategischen- und Finanz-Investoren, die Ihrem Unternehmen Strukturen geben wollen, die nicht immer passen. Ich bin es also gewohnt, in dem Spannungsfeld der unterschiedlichen Interessen zu arbeiten. Natürlich kommen bei einer Bundesagentur, die Steuergelder ausgibt, noch so Dinge wie das Beihilfe- und Vergaberecht und die Kontrolle durch den Bundesrechnungshof hinzu, das kann ich nicht wegreden. Auch nicht, dass jemand, der im Ministerium arbeitet, anders auf Prozesse schaut als ich, der diese unternehmerisch-agile Sicht hat.
Klingt so, als ob die Politik immer noch blockieren könnte.
Die Stimmenverteilung ist fifty-fifty, aber wir sollten doch nicht so tun, als würde die Politik sich immer wie ein Block verhalten. Ich fühle mich mit den Politikvertretern im Aufsichtsrat sehr wohl, sowohl mit den Vertretern des Bundestages als auch denen der Ministerien. Das sind faire, konstruktive Leute. Hinzu kommt eine ganze Gilde von Wirtschafts- und Wissenschaftsvertretern. Ich bin sicher: Das, was Sie da an Konflikten fürchten, wird nie ein Problem werden.
"Ich treffe immer noch Kollegen, die sagen: Du hast einen
an der Latte, dass du dich darauf eingelassen hast."
War es aber beim Streit um den Sitz der Agentur schon mal.
Das Ergebnis kennen Sie aber auch. Es ist Leipzig geworden, wie ich es empfohlen hatte. Wirklich, ich habe mir das mit den Einflussnahmen durch die Politik schlimmer vorgestellt. Ich treffe übrigens immer noch Unternehmerkollegen, die mir sagen: Du hast ja einen an der Latte, dass du dich darauf eingelassen hast. Denen antworte ich dann: Nee, nee, das klappt echt gut.
Dürfen Sie denn die SPRIND-Millionen selbst ausgeben, oder müssen Sie beim Ministerium jede Überweisung einzeln beantragen?
Wir haben große Freiräume. Wir rufen das Geld alle drei Monate in Chargen ab, das ist alles im Wirtschaftsplan für die nächsten drei Jahre festgelegt. Im Augenblick sind das noch eher kleinere Summen, anderthalb Millionen pro Quartal vielleicht, aber wenn erst die Tochter-GmbHs gegründet werden, nähern wir uns dem angepeilten Budget von 20, 25 Millionen pro Vierteljahr.
Inzwischen hat die Bundesrepublik den Shutdown hinter sich gelassen und versucht sich an einer neuen Corona-Normalität. Was sagt das deutsche Krisenmanagement über die Innovationsfähigkeit hierzulande aus?
Während den Amerikanern ihre Arbeitslosenzahlen um die Ohren fliegen, haben wir dank Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld die schlimmsten Krisenfolgen bislang vermieden. Aber natürlich sorgt mich, was die Rezession mit uns als Gesellschaft macht, wie sich die massiven Steuermindereinnahmen auswirken werden und wie die Arbeitslosigkeit sich entwickelt, wenn das Kurzarbeitergeld ausläuft. Was die Life Sciences angeht, sind wir Spitzenkünstler. Wir haben den ersten Corona-Test überhaupt entwickelt, wir haben ein paar aussichtsreiche Kandidaten für einen Impfstoff am Wickel. Unser Gesundheitssystem hat Notfall-Kapazitäten wie kaum ein anderes Land, und wir haben es auch schnell auf die Krise einstellen können.
Anders sieht es bei der Digitalisierung aus, da liegen wir gefühlt auf Platz 97 weltweit. Seitdem ich aus der Schule bin, so vor 35, 40 Jahren, hat sich kaum etwas getan in Sachen Digitalisierung. Das ist doch erschreckend. Es gibt natürlich Schulen, die schlagen sich echt passabel, aber viele haben jetzt mit null Erfahrung mit dem Aufbau der absoluten Basics losgelegt, als es in die Schulschließungen ging. Und das, obwohl über den Digitalpakt viel Geld in die Schulen fließen soll. Aber da kam kaum was an bislang, und jetzt soll alles holterdipolter gehen. Ich bin optimistisch, dass dieser Schwung auch nach der Krise bleibt und dass auch unsere Gesellschaft als Ganzes in eine digitale Aufholjagd startet. Das ist auch eine Mentalitätsfrage. Immerhin haben wir mit Helge Braun schon mal einen Kanzleramtschef, der mal eben tweetet, dass sie den Sourcecode einer App auf Github gepusht haben, das ist mal richtig cool.
Teil 1 der neuen Serie war ein Anruf bei "Stiftung Innovation für die Hochschullehre".
Kommentar schreiben
Liberaler (Mittwoch, 20 Mai 2020 14:12)
"Weil wir seit vergangenem Sommer so viel in den Medien waren, sind uns die Vorschläge und Bewerbungen nur so zugeflogen."
Das ist genau die falsche Einstellung. Er hätte sich aktiv auf die Suche machen müssen, sowohl nach Personen als auch nach Projekten. Mit dieser passiven Haltung wird seine Agentur zur Reste-Rampe für Leute, die sonst niemand einstellen will; und für Erfindungen, die sonst niemanden interessieren. Natürlich können Zufallsfunde darunter sein; aber das wären eben solche -- Zufallsfunde. Man merkt, dass Laguna mit dieser Art von Innovation keine Erfahrung hat. Auch mit der entsprechenden Innovationsfinanzierung nicht, denn sonst hätte er längst Vermeidungsstrategien entwickelt für das zentrale Problem dabei: Adverse Selektion.
"Also der Prototyp ist für mich der Karl Schlagenhauf: Schon Anfang 70 ..."
Wie alt waren wohl Jobs, Gates, Thiel und alle anderen Computer- und Internetpioniere, als die ihre besten, weil zukunftsweisendsten Erfindungen machen? Na, fällt der Groschen? Natürlich kann man mit über 70 noch kreativ sein. Aber dem eigenen Zeitgeist gleich um Sprünge voraus zu denken, das findet man im Alter so gut wie nie (und die seltenen Ausnahmen, wie Leonardo, bestätigen die Regel).
"Der kennt sich aus mit dem ganzen öffentlichen Sektor, mit dem Vergabe-, dem Beihilferecht, you name it."
Na ganz toll! Da hätte der Peter Thiel mal drauf kommen müssen, solche Leute hätte es gebraucht in der Frühphase bei PayPal!
"Das sollen ausgewiesene Koryphäen in ihrem Feld sein, Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Verwaltung. Unternehmerinnen, Leiter von Wissenschaftseinrichtungen, Menschen in führenden Positionen von Landes- und Bundesbehörden."
Also gerade keine Querdenker, was völlig falsch ist auch im "Expertenrat". Und gar Leiter von "Landes- und Bundesbehörden"? Im Ernst?
"Wir haben einen standardisierten Fragebogen entwickelt ..."
Mächtig gewaltig Rafael! Besser kann man Sprunginnovationen doch gar nicht prüfen, als mit einem STANDARDISIERTEN Fragebogen …
"Wir schauen uns vieles an, filtern das für uns Geeignete heraus ..."
Auch das ist viel zu reaktiv für diese Art von Innovation. Der Best-Practice-Ansatz ist gut für inkrementelle Weiterentwicklungen, für Sprunginnovationen gerade nicht. Anstatt das zu kopieren, was DARPA heute macht, hätte Laguna das machen müssen, was ARPA in der eigenen Gründungsphase gemacht hat, nämlich SELBST NACH VORN DENKEN, auch methodologisch und strukturell.
"Ich fühle mich mit den Politikvertretern im Aufsichtsrat sehr wohl, sowohl mit den Vertretern des Bundestages als auch denen der Ministerien."
So spricht jemand, der von seinem Naturell her selbst Politiker ist. Damit ist Laguna gewiss anschlussfähig zum BMBF. Aber gerade nicht zu echten Sprunginnovationen.
Fazit: Schon früh hatte ich den Eindruck, dass Laguna der falsche Mann für den Job ist. Dem habe ich nichts hinzu zu fügen.
Klaus Diepold (Mittwoch, 20 Mai 2020 20:19)
Mmh, da muss ich mich an mehrern Stellen wundern. Exemplarisch möchte ich nur das Statement herausgreifen, dass jetzt keine Zeit sei auf den Proporz zu achten. Das legt die sehr rückständige Einstellung zum Thema Diversität/Vielfalt offen. Dabei geht es nicht um politische Korrektheit sondern um Innovation, die von einem divers zusammengesetzten Team profitiert. Insgesamt ist mir das alles zu passiv und viel zu altbacken. Ich bin ich wenig begeistert.
tmg (Donnerstag, 21 Mai 2020 21:16)
Ich bin im Moment noch gespannt, was bei diesen Wettbewerben herauskommt. Ich vermute aber, grandios wird es nicht werden und die Agentur wird nach einigen Jahren des Dahindümpelns in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und schließlich abgewickelt werden.
Immerhin hat Herr Laguna erkannt, und traut sich auch, es auszusprechen, dass Innovation mit Diversität nichts zu tun hat:
''aber an dieser Stelle über Proporz nachzudenken, ergibt keinen Sinn. Wir müssen über die Inhalte gehen.''
Genau! Zu Inhalten zurückzukehren täte auch vielen Kollegen an den Universitäten gut.
Klärchen (Freitag, 22 Mai 2020 10:51)
Was für ein Unsympath... bei jeder Aussage springen mir die Haare im Nacken auf. Das ist aber auch der einzige Sprung, und nicht einmal besonders innovativ.
Klaus Diepold (Sonntag, 24 Mai 2020 20:35)
Innovation hat sehr wohl etwas mit Diversität zu tun.
https://hbr.org/2016/11/why-diverse-teams-are-smarter
Diese Erkenntnis fängt auch an sich in den Innovationshochburgen ausserhalb Deutschlands herumzusprechen.
Jan-Martin Wiarda (Montag, 25 Mai 2020 08:08)
Liebe Leserinnen und Leser,
ich muss mal wieder vermehrt um Einhaltung des wertschätzenden Tons hier im Blog bitten. Kritik, auch harte Kritik an Akteuren: gern. Aber bitte nicht ins Persönlich-Menschliche gehend. Sonst kann ich Beiträge nicht freischalten.
Gleichzeitig danke ich allen, die hier mit Kommentaren zur Debatte beitragen und das in einer mit anderen trotzdem respektvollen Weise tun.
Viele Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
tmg (Montag, 25 Mai 2020 12:33)
@Klaus Diepold
''Innovation hat sehr wohl etwas mit Diversität zu tun.''
Na klar, die Relativitätstheorie wäre vermutlich wesentlich innovativer ausgefallen, wenn Einstein das nicht alleine, sondern in einer diversen Gruppe durchgeführt hätte.
In großen Datenhaufen lassen sich jede Menge von Korrelationen finden, die nichts aber auch gar nichts mit
kausalen Effekten zu tun haben. Dieser Sachverhalt gehört
zu den Grundvoraussetzungen für das Betreiben von Wissenschaft, scheint sich aber noch nicht überall herumgesprochen zu haben.
Klaus Diepold (Montag, 25 Mai 2020 15:52)
"Je größer die Zahl der unabhängigen Köpfe ist, die sich um die Lösung eines Problems Gedanken machen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein gutes Ergebnis resultiert."
"Wenn alle das selbe denken, dann insgesamt wenig gedacht."
Das sind umgangssprachliche Formulierungen, die in Einklang stehen mit dem (publizierten) wissenschaftlichen Befund über die verbesserte Innovationsfähigkeit diverser Teams. Nachdem dies auch immer eine statistische Aussage ist, steht das nicht im Widerspruch zu Albert Einstein, genauso wenig, wie sein Fall die allgemeine Aussage widerlegt.
Liberaler (Montag, 25 Mai 2020 17:35)
@tmg @ Klaus Diepold
Wenn Sie gestatten: Sie scheinen mir hier an einander vorbei zu schreiben.
Die Art von Innovation, die man im HBR findet, ist fast immer Schrittinnovation. Wenn es darum geht, etwas Vorhandenes besser zu machen, können gemischte Teams hilfreich sein, auch bekannte Techniken wie Brainstorming oder Design Thinking. @ Klaus Diepold hat zu Recht darauf hingewiesen. Freilich kommt es dabei entscheidend auf die Vielfalt im Denken an -- und die korreliert nur teilweise mit stereotypen Kategorien wie z.B. Gender.
@ tmg hingegen denkt an ausgesprochene Sprunginnovationen wie z.B. die Relativitätstheorie. Wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt, gehen solche Sprünge regelmäßig von Einzelpersonen aus. Teams, ob gemischt oder nicht, sind da eher hinderlich. Warum? Weil solche Sprünge zunächst in der außerordentlichen Phantasie eines besonders begabten Menschen stattfinden. Phantasie ist eben nicht "evenly distributed". Und selbst unter besonders phantasiebegabten Menschen lassen sich die gedanklichen Bilder des einen nur schwer mit anderen teilen. Das gelingt erst viel später, wenn die Ideen sprachlich oder mathematisch verfasst sind. Wenn hier zu früh Teams ans Werk gehen, entsteht ein kleinster gemeinsamer Nenner, gerade kein Sprung. Man bleibt also im Zeitgeist stecken.
Mithin haben Sie beide Recht und Unrecht zu gleich.
Der im gegenwärtigen Kontext springende Punkt ("pun intended") ist, daß Schritt- und Sprunginnovationen nach unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Regeln ablaufen (sofern man bei Sprunginnovationen von "Regeln" überhaupt sprechen kann). Deshalb ist es so schädlich, daß der Bund mit Herrn Laguna jemanden für Sprunginnovationen ausgewählt hat, der sich --ausweislich seines "track record"-- nur mit Schrittinnovationen auskennt. Deshalb war ich von Anfang an skeptisch diese Personalie betreffend. Und das Interview oben hat meine Einschätzung vollauf bestätigt.
Schade, denn damit hat das BMBF wieder einmal ein eigentlich dringend benötigtes Innovationsprojekt in den Sand gesetzt.
tmg (Montag, 25 Mai 2020 17:58)
@Liberaler: vielen Dank für Ihren erhellenden Beitrag.
Ich denke allerdings, aktuelles Thema in diesem Blogteil waren tatsächlich Sprunginnovationen (ungeachtet der Frage, ob Herr Laguna geeignet ist oder nicht).
Sprunginnovationen sind übrigens auch genau das, was für Universitäten relevant ist, wenn etwa von Exzellenz die Rede ist. Und auch hier gilt dann wieder: Diversität ist irrelevant in diesem Zusammenhang.
Die Argumentation pro Diversität im Hochschulbereich ist inzwischen auf einem für Wissenschaftler erschreckend niedrigem Niveau angelangt, das man fast schon mit dem Niveau der ''Argumente'' von Homöopathiebefürwortern vergleichen muss, wenn diese etwa vom Molekülgedächtnis sprechen. Bar jeder Logik. Eine Art von Glaubensbekenntnis, das mantrahaft wiederholt wird.
Der durchaus berechtigten POLITISCHEN Forderung nach Gleichstellung schadet das.
Liberaler (Montag, 25 Mai 2020 18:20)
"Ich denke allerdings, aktuelles Thema in diesem Blogteil waren tatsächlich Sprunginnovationen."
So hätte es sein sollen, ja. Aber Laguna behandelt leider Sprunginnovationen wie Schrittinnovationen in seinem Interview oben. Er läßt sich als "Chefinnovator der Bundesregierung" feiern (in anderen Presseartikeln), obwohl er diesen fundamentalen Unterschied nicht begriffen hat. Deshalb war der Beitrag von @ Klaus Diepold nicht unmotiviert.
Auch an Universitäten werden beide Innovationstypen ständig vermengt, vor allem von Wissenschaftsfunktionären und deren PR-Abteilungen. Echte Sprunginnovationen sind sehr selten, vor allem in Deutschland. Die politisch gefördertern "Exzellenzcluster" zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie mit dem Hauptstrom des Zeitgeistes schwimmen: Politiker und politisch motivierte Wissenschaftler verstehen nun einmal nichts anderes. Deshalb handelt es sich in Wahrheit um eine Exzellenzverhinderungsinitiative. Den intrinsisch motivierten Einsteins von morgen wäre am besten damit gedient, wenn das ganze politische Exzellenz-Gedöns schnellstens abgeschafft würde.
Unicat (Dienstag, 26 Mai 2020 20:23)
Das andauernde Laguna-Bashing sollte mal hinterfragt werden. Wer sich nur an den klar sichtbaren Fakten orientiert wird wohl weniger optimistisch sein, geht aber wohl implizit davon aus dass Herr Laguna in seinem Job sehr viel Freiheit hat. Ob dem wirklich so ist ?
Wer versucht zwischen den Zeilen zu lesen kann durchaus zum Schluß kommen, dass der Vielgescholtene sich ordentlich verbiegen und jede Menge Kompromisse eingehen muss. Genialität und Ministerialbürokratie haben eben nur eine extrem geringe Schnittmenge, und die gespielte Musik wird nun mal ganz vorwiegend vom bezahlenden Sponsor bestimmt.
SprinD ist ein sehr interessantes Experiment, vor drei Jahren hätte niemand zu träumen gewagt dass die deutsche Politik jemals eine solche Initiative aufsetzen würde. Die Chancen auf Erfolg sind auch eher begrenzt, aber es braucht an der Spitze jemanden der so flexibel ist dass wenigstens das Machbare angegangen werden kann.
Liberaler (Mittwoch, 27 Mai 2020 09:28)
Ich glaube kaum, dass das BMBF Laguna vorschreibt, einen Ü70-jährigen zum "Prototypen" seiner eigenen Einstellungspraxis zu erklären. Oder keine Strategie zu entwickeln, sondern einfach abzuwarten, wer sich bei ihm meldet, und sich darüber ganz begeistert zu äußern in diesem Interview. Oder potentielle Sprunginnovationen mit einem standardisierten Fragebogen zu filtern. Diese und andere Dinge muss er schon auf seine eigene Kappe nehmen.
Aber nehmen wir einmal an, kontrafaktisch, Sie hätten Recht. Es geht hier immerhin um 1 Mrd. Euro an Steuergeldern. Die für Sprunginnovationen ausgegeben werden sollten; denn Schrittinnovationen gibt es in Deutschland schon mehr als genug (die finanziert der Markt von selbst). Wenn sich freilich intern schon jetzt heraus gestellt haben sollte, dass dies gar nicht machbar ist, weil "jede Menge Kompromisse" eingegangen werden müssen, und deshalb doch wieder nur Schrittinnovationen dabei herauskommen werden, dann gäbe es doch nur einen ehrenwerten Weg für Laguna: Seinen Geschäftsführerposten zurückzugeben. So viel Ehrlichkeit wäre er den deutschen Steuerzahlern und Wählern schuldig.
Duss (Dienstag, 02 Juni 2020 09:23)
Dass Deutschland für Sprunginnovationen bereit ist 1 Milliarde Steuergelder auszugeben finde ich großartig. Wenn man dem gegenüber die Militärausgaben von 51 Milliarden Dollar jährlich stellt, steht das sowieso in keinem Verhältnis. Und hat da Vinci seine Ideen in nicht mal einem Jahr entwickelt? Wie lange hat es gebraucht, bis das erste Auto auf dem Markt war? Die Glühbirne erfunden wurde? Die Kernspaltung nachgewiesen wurde? Es braucht innovative, begeisterungsfähige, verbissene, hochintelligente und kreative Köpfe in dem Bereich und ich traue Laguna durchaus zu, dass er das erkennt. Gut Ding muss Weil haben.