Rechtzeitig vor den finalen Verhandlungen ums Konjunkturpaket hat die BMBF-Chefin ihre Vorstellungen eines "Aktivierungsprogramms" konkretisiert. Welche Details enthalten sind – und warum der Aufschlag trotz einer gewichtigen Leerstelle gelungen ist.
DIE VERGANGENEN WOCHEN liefen nicht gut für Anja Karliczek. Der Streit um die Corona-Studierendenhilfe und deren schleppende Umsetzung haben ihr Rücktrittsforderungen seitens der Studierendenverbände, Ärger mit dem Koalitionspartner und reichlich Spott der Opposition eingebracht. Dann wurde auch noch die Verabschiedung der ihr so wichtigen Nationalen Wasserstoffstrategie durchs Bundeskabinett verschoben, zum wiederholten Mal, weil es immer noch Streit darüber gibt, vor allem mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Übrigens einem Parteifreund der CDU-Bundesforschungsministerin.
Dem Aufbruchssignal, das Karliczek gestern senden wollte – an dem Tag, an dem sie eigentlich mit dem Go für die Wasserstoffstrategie gerechnet hatte – war das natürlich abträglich. Zehn Milliarden Euro: Das ist der Anteil am für Anfang Juni geplanten Konjunkturpaket, den die Ministerin gestern in einer Pressekonferenz für Bildung und Forschung verlangte.
Das "Aktivierungsprogramm", das sie vorstellte, war die dringend notwendige Konkretisierung der sehr pauschalen Forderung, mit der Karliczek vor zwei Wochen an die Öffentlichkeit gegangen war. Sie könne sich vorstellen, dass der Bund in den Jahren 2021 bis 2023 jedes Jahr 20 Milliarden Euro zusätzlich für "zukunftsbezogene Infrastruktur und Bildung und Forschung" drauflege, hatte sie bei der Vorstellung des "Bundesberichts Forschung und Innovation" gesagt. Macht 60 Milliarden – eine Zahl, mit der Karliczek sich erstmal die Aufmerksamkeit sicherte.
Im Verhältnis zu den globalgalaktischen 60 Milliarden
nimmt sich die jetzt geforderte Summe bescheiden aus
Allerdings eben auch den Druck, bald das zugehörige Narrativ zu liefern. Das tat sie gestern. Und obgleich von Anfang an klar war, dass die Ministerin die globalgalaktischen 60 Milliarden nicht allein oder vorrangig für ihr BMBF hatte reklamieren wollen, nehmen sich die zehn Milliarden Euro, die gestern von der großen Zahl übrigblieben, fast schon bescheiden aus.
Was gut ist. Denn damit steigen erstens die Realisierungschancen, wenn es jetzt in die heiße Phase der Verhandlungen ums Konjunkturpaket geht. Und zweitens kann sich der Plan, den die Ministerin vorlegte, inklusive Maßnahmenbeschreibung und detaillierter Kostenaufstellung, sehen lassen. Er ist hinreichend ambitioniert, nach vorn gerichtet, und auch wenn er auffällige Leerstellen enthält, zeugt er von einem politischen Mut, den man sich bei Anja Karliczek häufiger wünschen würde.
"Die großen Stichworte lauten: Klimaschutz und Digitalisierung", sagte die Ministerin bei der Vorstellung ihres Maßnahmenkatalogs. "Wir modernisieren damit unser Land." Vier "zentrale Zukunftsthemen" – man könnte auch sagen: Überschriften – hat Karliczek gestern zur Strukturierung ihres Programms genannt.
Zurück zu Karliczeks Lieblingsthema
Grüner Wasserstoff
Die erste kommt etwas kryptisch-PR-sprechartig daher. "Ausrüster der Welt", lautet sie – womit die CDU-Politikerin offenbar auf die Eigenschaft Deutschlands als führende Exportnation anspielt. Diese "Schlüsselrolle müssen wir auf die neuen Wachstumsfelder ausdehnen", sagte Karliczek und war, schwupps, wieder bei ihrem Lieblingsthema Grüner Wasserstoff. Sogenannte Großdemonstratoren zur Offshore-Erzeugung will sie fördern, dazu internationale Kooperationen in der Wasserstoff-Forschung aufbauen, Kostenpunkt: 930 Millionen Euro.
Ebenfalls zum "Ausrüster"-Narrativ gehören 650 Millionen Euro für "großtechnische Demonstratoren" und Reallabore für die Kreislaufwirtschaft von morgen, also für die Erforschung und den Ausbau der nachhaltigen Rohstoff-Nutzung. Im BMBF-Konzeptpapier zum "Aktivierungsprogramm" steht, Deutschlands Unternehmen seien weltweit führend auf dem stark wachsenden Markt für nachhaltige Technologien. Diese Stellung gelte es auszubauen.
Von weltweit führend im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) würde eine Bundesforschungsministerin dagegen selbst in der vollmundigsten Stimmung nicht zu sprechen wagen, darum verlegte sich Karliczek auf die Formulierung, man wolle Deutschland "weltweit zu einem Hotspot" für KI machen. Das Neue ist, dass jetzt 250 Millionen Euro für den Transfer von KI-Forschung in die Wirtschaft und ein europäisches KI-Netzwerk fließen sollen (wobei von einem deutsch-französischen KI-Institut schon im Koalitionsvertrag die Rede war). Der letzte große Brocken unter der Ausrüster-Überschrift: 340 Millionen Euro für die dringend anstehende Modernisierung der deutschen Forschungsflotte.
Milliarden für KMU-Innovationen,
Millionen für die Fachhochschulen
Unter der zweiten Überschrift "Innovative KMU" will Karliczek für die Förderprogramme "KMU-innovativ" und "KMU-NetC" eine befristete 100-Prozent-Förderung, dazu ein neues "Industrial Sabbatical Program" für einen bis zu 12-monatigen Austausch von F&E-Personal aus Unternehmen hinein in Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer oder Helmholtz, Kostenpunkt: 237 Millionen Euro. Satte 1,8 Milliarden Euro will Karliczek in die Initiative "Turbo Transfer" stecken, um bis zu 5000 kleine und mittelgroße Unternehmen beim Umbau ihrer Produktion in Richtung von "Kreislaufwirtschaft, Ressourceneffizienz, Industrie 4.0, KI und Cloudnutzung" zu unterstützen. 55 Millionen Euro sind für das Programm "Fachhochschulen geben Rückenwind" vorgesehen, damit die FHs Forschungsaufträge aus der regionalen Wirtschaft (die, so der Plan, durch die anderen Fördermaßnahmen massiv zunehmen sollen) besser ausführen können, vor allem mithilfe der nötigen Forschungsapparaturen.
Dem in Corona-Zeiten unvermeidlichen Thema Medizin (Überschrift: "Autonomie im Wachstumsmarkt Gesundheit") ist der dritte Programm-Schwerpunkt gewidmet. 650 Millionen Euro für die technologische Ausstattung der Hochschulmedizin hin zur Personalisierten Medizin und der Digitalisierung sämtlicher Prozesse in Forschung und Versorgung. Dazu 150 Millionen für den Aufbau klinischer Kompetenzen und Kapazitäten in der Medizintechnik, denn, wie im Programm-Konzeptpapier erläutert wird, in der Corona-Pandemie habe sich gezeigt: "Diese Bereiche sind systemrelevant. Ob Beatmungsgeräte, Diagnostik oder Schutzkleidung: Ohne diese Produkte funktioniert unser Gesundheitswesen nicht". Weitere 160 Millionen sollen in die pharmazeutische Forschung und die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gehen.
Kein Wort zu einem "Digitalpakt Hochschule" –
aber auf Nachfrage eine Warnung
Das letzte große Thema sind Investitionen in die Bildungs- und Forschungsinfrastruktur. Bereits am Wochenende hatte Karliczek in der Bild am Sonntag gefordert, die Bundeshilfen für den Ausbau der Ganztag-Grundschulen auf vier Milliarden Euro zu verdoppeln. "Momentan zeigt sich doch wie unter einem Brennglas, wie wichtig es ist, die Schülerinnen und Schüler gut zu betreuen, wenn die Eltern berufstätig sind", sagte sie. "Mit der Ausweitung des Ganztagsprogramms möchte ich den Familien neue Perspektiven für die Zeit nach der Pandemie geben." Zu den zwei Milliarden zusätzlich will die Ministerin weitere 60 Millionen für die Förderung von Innovationen und Startups im Bereich digitaler Bildungstechnologien ("EdTec") aufwenden.
Irritierend ist indes die doppelte Leerstelle, die an dieser Stelle offenbar wird. Die Überschrift des vierten Themas spricht, siehe oben, auch von Investitionen in die Forschungsinfrastruktur. Aber wo ist die dafür vorgesehene Maßnahme in dem Paket? Die Frage stellt sich auch deshalb so deutlich, weil Karliczeks Konzept mit keinem Wort auf die Länder-Forderung nach einem 500-Millionen-Digitalisierungsprogramm für die Hochschullehre eingeht. Was man als implizite Absage daran verstehen will. Wer es explizit haben will, muss diesbezüglich nur in BMBF nachfragen und erhält folgende Antwort: Dieser Verstoß sei "nun wirklich überraschend", sagt ein Sprecher und verweist auf die "milliardenschweren Hochschulpakte von Bund und Ländern". In den Verhandlungen dazu sei ausführlich besprochen worden, dass diese erheblichen Mittel auch für die Modernisierung und weitere Digitalisierung der Hochschulen vorgesehen seien. Die 500-Millionen-Forderung der Länder stelle deshalb "die Basis der damaligen Verhandlungen in Frage. Die Pakte setzen schließlich eine grundlegende Computer-Ausstattung voraus und bauen auf ihr auf."
Deutliche Worte und eine kaum verhohlene Warnung an die Länder: Wenn ihr das "Digitalpakt Hochschule"-Fass aufmacht, machen wir das Zukunftspakt-Fass auf – was umso brisanter ist, weil die
Selbstverpflichtungserklärungen aller 16 Länder zum Zukunftspakt sich zurzeit in der Endabstimmung zwischen Bund und Ländern befinden. Mal schauen, ob die Landeswissenschaftsminister damit zur
Ruhe zu bringen sind – oder ob sie weiter drängen werden.
In Karliczeks ansonsten durchaus mutigem Aktivierungsprogramm ist die Ausstattung der Hochschulen jedenfalls die auffälligste Lücke. Dafür will die Ministerin in den Jahren 2020 bis 2024 satte drei Milliarden Euro zusätzlich in den Ausbau der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung stecken, der Förderdeckel soll auf eine Millionen Euro Fördersumme pro Jahr verdoppelt werden. Davon werde vor allem der Mittelstand profitieren, steht im Konzeptpapier.
Grüne kritisieren "Bummelschritte"
der Ministerin
Alles in allem und abgesehen von den offensichtlichen Leerstellen ziemlich stimmig, wenn es darum geht, den von der Krise besonders hart getroffenen Mittelstand zu stützen, zu verhindern, dass ausgerechnet Forschungsbudgets in den Unternehmen zusammengestrichen werden, und zugleich dringend überfällige, allzu lang aufgeschobene Digitalisierungs-/ Modernisierungsprozesse in den Betrieben anzuregen. Dass bei alldem auch noch die von anwendungsnaher Forschung besonders abhängigen Fachhochschulen profitieren würden, direkt übers die "Rückenwind-Initiative" und mittelbar über die steuerliche Forschungsförderung, wäre ein zusätzlicher Gewinn. Die Förderung der Hochschulmedizin ist angesichts der Coronakrise ohnehin gesetzt gewesen, ebenso richtig ist der Fokus auf die Schulen. Und auch wenn weniger daran denken als sonst: den Schutz des Klimas nicht aus dem Blick zu verlieren, gehört ebenfalls zu den Stärken des Pakets.
Das Echo in der Großen Koalition auf den Aufschlag der Ministerin bleibt abzuwarten. Das öffentliche Echo auf das BMBF-Aktivierungsprogramm jedenfalls blieb trotz der beabsichtigten großen Signalwirkung zunächst gering. Fast pflichtschuldig setzten immerhin die Grünen zwei kritische Pressemitteilungen ab. "Die Ankündigungen von Forschungsministerin Anja Karliczek sind viel zu zaghaft und kommen zu spät. Es braucht jetzt einen beherzten Satz für ökologische, soziale und technologische Innovationen, keine Trippelschritte von Bummelministerin Karliczek", erklärte Kai Gehring, grüner Fraktionsprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, und mahnte, ein "Digitalpakt Hochschule" werde immer drängender. "Leider versäumt Ministerin Karliczek, die Infrastruktur an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen fit zu machen."
Die grüne Fraktionssprecherin für Innovations- und Technologiepolitik, Anna Christmann, lobte, dass Karliczek endlich das Ziel einer "KI made in Europe" ausgebe, das die Grünen allerdings schon seit 2018 einforderten. "Bitter ist, dass es erst Corona brauchte, um diese Idee nun offiziell zu unterstützen. Jetzt wäre allerdings volles Engagement nötig, statt es als 'mittelfristig' und ohne klares Budget weiter auf die lange Bank zu schieben." Es sei zu hoffen, dass die Ministerin dieses Mal die Bedeutung von Innovation für die Bewältigung der Krise auch durchsetzen könne und "aus Absichtserklärungen Förderungen" würden.
Ebenfalls gestern hatten die Grünen ihren eigenen "Zukunftspakt" vorgestellt, ein 48-seitiges Eckpunktepapier für ein grünes Konjunktur- und Investitionsprogramm. Kurzfristig sei eine Größenordnung von 100 Milliarden Euro notwendig, auf zehn Jahre gesehen bedürfe es sogar Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro.
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